Mitten in ...:Himmel der Bayern auf Rädern

Im Münchner Pendlerzug weiß man sich zu benehmen - dank sehr klarer Ansagen. Wien hingegen treibt an den Rand des Wahnsinns.

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Mitten In Wien

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Wien

Wie reizbar der Mensch ist, zeigt sich in Wien. Der Gastgeber hat die Raffael-Ausstellung empfohlen, erfreut erreicht man die Albertina. Die Schlange an der Garderobe ist lang, wohin mit der Tasche? Ins Schließfach natürlich, aber Zuschließen geht nicht mehr. Stattdessen soll man einen Pin eingeben, den bestätigen, am Knopf drehen, kurz: eine überflüssige Modernisierung. Die Stimmung ist dahin, man denkt an die Blutorgien-Spektakel von Hermann Nitsch. Linderung verheißen die großen blauen Augen der Einlasserin. Man fragt sie, wo der Raffael hängt, sie dreht sich, blinzelt, wie es Kurzsichtige tun, und sagt: "zweiter Stock". Im Aufzug geht es nach "-1", nach "0", nach "1" - endlich die Ankunft. Jede Menge Menschen hier, die Wut kocht wieder hoch. Wo hängt der Raffael? Der Mitarbeiter lächelt: "Die Ausstellung beginnt nächste Woche."

Marc Hoch

SZ vom 5. Oktober 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... München

Anfang dieser Woche, es sind die letzten Wiesn-Tage, heilloses Gedränge im Pendlerzug von München nach Nürnberg. Lärmende, fröhliche, angeheiterte, schwankende Oktoberfestmenschen in Lederhosen und Dirndln entern die Waggons. Die Luft ist zum Schneiden. Glücklich, wer im Hauen und Stechen einen Sitzplatz ergattert hat, viele lassen sich auf dem verdreckten Fußboden nieder. Während sich der Regionalexpress leicht verspätet in Bewegung setzt, spult die Schaffnerin routiniert ihre Durchsage ab: "Soeben haben wir München Hauptbahnhof verlassen; nächster Halt ist Petershausen. Unser Servicemann an Bord verwöhnt Sie am Platz gern mit kalten und warmen Getränken und leckeren kleinen Snacks. Und noch ein Hinweis für alle Wiesn-Besucher: Gekotzt wird auf dem Klo!" Pause. "Wir wünschen eine angenehme Reise."

Werner Schmidt

SZ vom 5. Oktober 2017

Mitten In Palm Beach

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Palm Beach

Die Ehrfurcht hat nachgelassen seit dem ersten gelungenen Wendemanöver in der Sackgasse. Das Ungetüm gehorcht. Fast zehn Meter ist das Wohnmobil lang, doch gefühlt schrumpft es nun mit jeder Meile durch Virginia, die Carolinas und Georgia zu einem normalen Gefährt. Rangieren am Campground und Parken am Taco Bell werden zur Routine, und auf den Interstates erst: Freiheit. Mit diesem Hochgefühl also brausen wir durch Florida und, am letzten Tag, raus zum Geldautomaten. Eine Bank mit Drive-thru-Service, und was schon mal geklappt hat, sollte ja auch diesmal ... rumms! Die Klimaanlage auf dem Autodach. Es ist Sonntag, keiner hat's gesehen, außer natürlich der abgerissenen Überwachungskamera der Bank. Die baumelt nämlich jetzt, schwer getroffen, an ihrem Kabel von der Decke. Sieh an: Hochmut kommt vor dem Fall.

Frank Nienhuysen

SZ vom 5. Oktober 2017

Mitten in Friesland

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Friesland

Fahrt in den Urlaub auf der niederländischen A 7, immer steil nach Norden. Gleich sind wir da, endlich wieder Segeln mit echtem Wind. Friesland ist schließlich das Wassersportparadies schlechthin: 159 Seen, Flüsse und Kanäle gibt es hier auf nicht mal 6000 Quadratkilometern, 200 Yachthäfen und natürlich Watt und Nordsee. Alle paar Kilometer sehen wir Boote in Aquädukten, unter denen sich sogar die Autobahn durchschlängeln muss. Boote sind hier wichtiger als Autos. Herrlich wird das werden! Doch plötzlich wird man aus der Vorfreude gerissen. Da hinten blinkt es merkwürdig. Was sollen denn die roten Lichter am Straßenrand? Lieber mal vom Gas gehen. Gleich darauf heißt es sehr kräftig auf die Bremse treten. Schranken senken sich quer über die Autobahn. Eine Brücke öffnet sich, Boote passieren. Willkommen in Friesland.

Christina Berndt

SZ vom 29. September 2017

Mitten in Seeshaupt

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Seeshaupt

Der Aufenthalt auf dem Dampfersteg ist nur zum Ein- und Aussteigen gestattet, eine Gruppe Jugendlicher hat es sich trotzdem in der Sonne bequem gemacht. Ein Ghettoblaster dröhnt, von den Holzstelen kann man ins Wasser springen, und ein Schiff kommt auch nur selten vorbei. Am frühen Nachmittag herrscht dann aber doch kurz Gedränge, gleich ist Abfahrt nach Starnberg, einige Senioren drängeln sich in die Pole-Position. Sie staunen, als sich einer der Jungs auf der Stele zum Sprung bereit macht. Und merken nicht, dass ein zweiter an die Brüstung schleicht, um mit dem Handy zu filmen. Der Sprung, wohl zigfach eingeübt, erfüllt seinen Zweck: Eine beachtliche Welle schwappt über den Steg, die Senioren sind pitschnass. Die Teenager sammeln sich feixend um das Handy. Rentner nass spritzen am Starnberger See - jetzt auch bei Instagram.

Claudio Catuogno

SZ vom 29. September 2017

Mitten in Cupertino

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Cupertino

Blauer Himmel über Cupertino, einer einst verschlafenen Kleinstadt südlich von San Francisco. Hier erntete man früher tonnenweise Früchte, heute ist es eine der teuersten Gegenden der USA und Hauptsitz von Apple. Das neue Apple-Gebäude ist hinter den Baubrettern schon erkennbar. Ein großer Ring aus Glas. Als wäre ein Raumschiff gelandet, jubeln alle, hier entsteht die Zukunft. Dabei erinnert der Ring eher an einen Riesendonut, der vom Himmel gefallen ist. Raúl ist einer der Wachmänner, die vor der Baustelle stehen, ein Mexikaner. Meist sei alles ruhig, "ein paar Jungs wollten mal über den Zaun klettern", sagt der Mann, der das Raumschiff bewacht, das die Menschheit mit iPhones versorgt. Die Zukunft, die hier entsteht, betrifft ihn nicht. Raúl verdient acht Dollar die Stunde. Sein Handy: ein Motorola. Baujahr 2009.

Sacha Batthyany

SZ vom 29. September 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Brod na Kupi

Einen Tag lang den Campingbus gepackt, um nichts, aber auch gar nichts zu vergessen, was man im Kroatienurlaub dringend vermissen könnte: Fliegenklatsche und Sonnencreme, Nudelsieb und Taucherbrille. Als man nach entnervender Fahrt abends mit zwei müden Kindern an der slowenisch-kroatischen Grenze steht, erdreistet sich der Uniformierte, Reisepässe für die Kinder zu verlangen. Reisepässe? An so etwas Profanes haben wir natürlich nicht gedacht. Der Beamte insistiert. Schengengrenze! Also zurück nach Ljubljana, wo wir anderntags die Kinder am Bahnhof in den Fotoautomaten halten, um hernach an der deutschen Botschaft vorläufige Reisepässe zu beantragen, 64 Euro das Stück. Auf die Frage, ob das vielen passiert, weist der Konsularbeamte nur auf einen dicken Papierstapel: "Allein gestern waren es 40 Anträge."

Hans Gasser

SZ vom 22. September 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... New York

Nein, keine Ambulanz! Der Mann stöhnt. Zach heißt er, 27 Jahre alt. Seine Ex-Freundin hat ihn vor die Tür gesetzt. Und er hat versucht, durchs Fenster im ersten Stock in die gemeinsame Wohnung in der Dean Street zu kommen. Jetzt liegt er mit geschwollenem Knöchel am Boden. Also holt man Schmerzsalbe und Kühlpack. Immer noch keine Ambulanz? Nein, sagt er, kann sich aber nicht rühren vor Schmerz. Die nehmen über 1000 Dollar, sagt der Mann. Er habe weder Geld noch Krankenversicherung. Kann doch nicht wahr sein!, denkt man. Der Kerl braucht dringend einen Arzt. "Ich rufe jetzt die Notfallnummer 911 an." - "Ruf Hatzoloh an", presst er noch raus. Also sucht man auf dem Handy. Eine jüdische Non-Profit-Ambulanz. Nach fünf Minuten ist der Sanitäter da. Im Privat-PKW. Ein Glück, dass es ihn gibt. Schlimm, dass es Glück braucht.

Thorsten Denkler

SZ vom 22. September 2017

Grado Italien

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Grado

In Grado fährt ein kostenloser Shuttlebus die Touristen durch die Lagunenstadt, Schilder auf Italienisch und Englisch weisen die Route aus. Von der Altstadt bis zum Freibad "Parco Acquatico" braucht man keine zehn Minuten. Die Haltestelle für die Rückfahrt liegt auf der Straßenseite gegenüber, da kommt schon der Bus - aber nun sieht der Fahrer ziemlich unglücklich aus. "Schauen Sie mal auf die Straße!", sagt er. Auf die Straße? Da ist das einst gelbe Wort "BUS" auf dem Asphalt schwarz überstrichen. "Die Haltestelle gibt es nicht mehr!", Schild hin oder her. Nett, denkt man nun, dass der Bus trotzdem angehalten hat. Aber dann macht sich der Fahrer sehr breit in seiner Tür: No, no, Einsteigen keinesfalls möglich! Er habe nur angehalten, um mitzuteilen, dass er hier keinesfalls anhalten wird. Und fährt davon, allein in seinem Bus.

Claudio Catuogno

SZ vom 22. September 2017

Moskau

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Moskau

Vor einem noblen Moskauer Schönheitssalon liegt ein 5000-Rubel-Schein auf der Straße, 70 Euro. Es ist Sonntagmorgen, kein Mensch weit und breit. Nur in dem parkenden Mercedes sitzt einer. Die Scheibe geht runter, ein erheitertes Gesicht mit Krawatte schaut heraus. Ob er jemanden gesehen habe, der das hier verloren haben könnte? Schulterzucken. "Ich habe nichts bemerkt, aber meine Freundin ist da gerade rein gegangen." Und jetzt? Schulterzucken. Riskante Situation in Russland. Es gibt Geschichten, wie Leute Geldbörsen auslegen und den Finder dann als Diebe anzeigen. Also: halbe-halbe? Strahlen, Nicken. Partners in crime. Und wenn es doch seine Freundin war, die den Schein verloren hat, hätte er jetzt nur 2500 verloren; wenn nicht, hätte er 2500 gewonnen, nicht wahr? "Ach", sagt der Mann, "meiner Freundin erzähle ich so was gar nicht."

Julian Hans

SZ vom 15. September 2017

Percha, Starnberger See

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Percha

Einer der letzten Sonnentage am Starnberger See, von den Bergen her weht schon lauwarme Sommernostalgie, sehnsüchtig und traurig. Im See, kurz hinter der Autobahnabfahrt Percha, lässt sich ein Liebespaar Hand in Hand treiben, er etwa 83 und mit der Indianerbräune eines ganzen Sommers, sie etwa 81, mit orangefarbener Badekappe. Sie turteln kichernd zur Treppe am Badesteg und lassen die Hände nur kurz los, als sie hintereinander aus dem Wasser steigen. Auf den Holzbohlen kämpfen ein paar Jugendliche mit einer aufblasbaren Schwimminsel in Einhornform, ein weiteres Exemplar dieser Gattung dümpelt bereits 100 Meter draußen auf dem See vor sich hin. Die ältere Dame legt den Kopf in den Nacken und schaut ihren Liebsten an: "Du, schenkst du mir auch so ein weißes Pferd, wenn wir einmal alt sind?"

Sara Peschke

SZ vom 15. September 2017

Mitten in Epinal

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Epinal

Seit Monaten ist dieser Ausflug mit der Schwester geplant. Wochenende, Sonne, Crémant, also Schaumwein, spazieren gehen, Musik hören, laut mitsingen. Als wir in Baden-Baden losfahren, scheint die Sonne, ändert sich aber bald. Am Samstagmorgen schüttet es. Wir fahren trotzdem Richtung Nationalpark, kleine Straßen, den Berg hinauf und hinab, Nebel. Irgendwann macht der Regen zehn Minuten Pause, Zeit, den Kofferraum mit Croissantkrümeln zu bedecken. Dann Planänderung, ab ins Quartier, ein altes Häuschen im Dorf Epinal. "Einfach geradeaus" sagt die Schwester, das Handy in der Hand. Bald hört der Asphalt auf. "Geradeaus" sagt die Schwester. Der Mietwagen heult. Steine schlagen gegen den Bauch des Autos. "Das ist keine Straße", gibt man zu bedenken, da setzt der Motor aus, von Ferne: Donner. Was soll man machen? Schaumwein.

Charlotte Theile

SZ vom 15. September 2017

Mitten in

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Rom

Rom nach dem Urlaub. Wir waren nur einige Wochen weg, doch in der kurzen Zeit haben in unserem Altstadtviertel gleich zwei weitere Eisdielen geöffnet. Nun sind es fünf im Umkreis von 200 Metern. Fünf! Dabei wird es auch in Rom mal Winter, und dann vergeht selbst den Touristen die Lust am vermeintlich Obligaten. Eine Gelateria heißt "Scimmia", Affe. Neben der "Tavola calda", so etwas wie die Quartiermensa, gibt es jetzt auch noch einen "Steccolecco", eine Diele, die nur Eis am Stiel verkauft. Man sieht ihr nicht sofort an, dass sie Erfolg haben könnte. Der Markt ist eng. In der "Yogurteria" an der Piazza steht neuerdings ein weißes Klavier, als Attraktion. Vor ein paar Tagen setzte sich da jemand dran und spielte, weich und warm. Die Türen waren offen, das Spiel füllte die ganze Piazza. Vielleicht muss man da mal rein, vielleicht im Winter.

Oliver Meiler

SZ vom 8. September 2017

Mitten in Berlin

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Berlin

In einer der letzten warmen Spätsommernächte steigt man nach einem Straßenfest aufs Fahrrad. Da man in männlicher Begleitung ist, entscheidet man sich für die Heimfahrt durch den einsamen, unbeleuchteten Tiergarten. Wir biegen ein auf einen dunklen Kiesweg, da erscheinen im Lichtkegel der Fahrradlampen zwei Männer. Nur einer der beiden Männer ist bekleidet. Der andere splitterfasernackt, seine Hände sind auf dem Rücken mit Handschellen fixiert. Man kneift die Augen zusammen, vielleicht doch ein Glas Wein zu viel getrunken? Aber nein, wir sehen richtig. Seite an Seite schlendern sie den Weg entlang, sie wirken vergnügt. Der Begleiter schmettert ihnen ein fröhliches "'n Abend!" entgegen. Die beiden Herren grüßen mit einem freundlichen "Guten Abend" zurück. Klar, was soll man auch sonst tun, wir sind ja in Berlin.

Tina Borck

SZ vom 8. September 2017

Mitten in Vuno

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Vuno

Filips Haus thront am Rande eines ohnehin abgeschiedenen Bergdorfes in Albanien. Der Gastgeber versucht, die zwar naturwuchtige, logistisch aber dramatische Lage mit Zusatzleistungen auszugleichen. Dazu zählt ein Fahrservice, um den man ihn in der Hoffnung auf ein paar ruhige Stunden am Strand bald bittet. Der Landrover hackt erbarmungslos die Geröllpiste hinab, und wäre da ein Gurt am Beifahrersitz, man würde ihn schnüren. Es scheint jedenfalls ratsam zu sein, Filip daran zu erinnern, dass nicht nur sein Gast hier etwas zu verlieren fürchtet. Wie lange er und seine bezaubernde Rita verheiratet seien, fragt man ungelenk. Sein Gesicht leuchtet auf, bei konstantem Tempo nimmt er beide Hände vom Lenkrad, schaut herüber und zählt einzeln mit den Fingern vor. Kein Zweifel, der Mann liebt seine Frau - seit 37 wunderbaren Jahren.

Cornelius Pollmer

SZ vom 8. September 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Accra

Wer es sich in Accra leisten kann, lebt in der Nähe des Flughafens, wo es klimatisierte Malls gibt und teuere Restaurants. Wer es sich nicht leisten kann, lebt in Jamestown, direkt am Meer, wo es eigentlich auch viel schöner ist, wo es für die meisten aber nur für eine Blechhütte reicht. Durch eine Gasse kommt man zu einer Bar direkt am Meer. Steile Betonstufen steigen auf, hunderte junge Ghanaer sitzen darauf, viele mit Dreadlocks, alle mit Joint und Bier, es läuft Reggae, so laut, dass die Knochen vibrieren. Das Meer riecht übel, weil es hier vor allem die Funktion einer Kloake erfüllt. Wodurch sich wiederum die Bürokraten in Brüssel zum Einschreiten genötigt sahen, 2016 bekam die Kiffer-Bar von der EU eine ansehnliche Toilette hingestellt. Ein knappes Jahr später ist die Toilette ziemlich im Eimer. "Ey, Mann, Europa ist so cool", sagt ein Kiffer.

Bernd Dörries

SZ vom 1. September 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... München

Auf einem Rollfeld am Münchner Airport, besser gesagt: ein paar Meter drüber. Die Passagiere sind bereits im Landemodus, die Maschine aus London offenbar nicht. Mit mächtigem Schub drückt es alle in die Sitze, im gefühlten 45-Grad-Winkel geht es wieder nach oben. Eine fistelige Stewardessen-Stimme kündigt eine Durchsage des Captains an. "Der Kollege war etwas langsam, haha, wir versuchen es gleich noch mal", lässt dann der Mann im Cockpit wissen. Erstarrte Mienen in der Kabine. Die Frau zur Rechten blättert trotzig eine Seite ihres Schnitzler-Romans um, als wäre es die letzte. Ein ungutes Gefühl kommt auf, da tätschelt von links eine Hand die Schulter. Der Sitznachbar: lange Haare, lange Gitarristen-Fingernägel. "Don't worry, dear", sagt er in gepflegtestem Queen-Englisch, "wir besorgen Ihnen jetzt eine Tasse Tee."

Juttta Czeguhn

SZ vom 1. September 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Krabi

Die meisten Thailänder schwören aufs Moped, sie transportieren damit problemlos die halbe Familie, Haustiere, Mobiliar. Die Straßen sind entsprechend verstopft, aber irgendwie ist doch immer alles im Fluss. Was vielleicht daran liegt, dass sich niemand für Vorfahrtsregeln oder sonstige Vorschriften interessiert. In Krabi, im Flughafenshuttle Richtung Innenstadt, erzählen Niklas und Tim, zwei Maschinenbaustudenten aus Darmstadt, dass sie Thailand seit Wochen mit dem Moped erkunden. Nein, nein, einen Führerschein habe noch kein Mofaverleih verlangt, und das sei ziemlich praktisch, denn: Die beiden besitzen ja keinen. Neulich wurden sie von einer Streife angehalten - und dann? Halb so schlimm. Der Polizist stellte halt vor Ort eine Erlaubnis aus, für drei Tage und zehn Euro. Und wünschte eine angenehme Weiterreise.

Johannes Knuth

SZ vom 1. September 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... New York

Der massive Eisenzaun rund um das Gelände ist sicher vier Meter hoch und erscheint unüberwindbar. Unbarmherzig brennt die Sonne auf die orange gekleideten Menschen hinab, die auf der schattenlosen Betonfläche im Inneren umherlaufen. Von oben wird darüber gewacht, dass jeder die Regeln einhält. Der Ton der Aufseher ist rau und militärisch knapp. Wer hier landet, wird am Eingang gefilzt, dann verschwinden alle Mitbringsel in zerbeulten Blechschränken. Das Schloss hat jeder selbst mitzubringen. Außer den orangenen sind nur weiße T-Shirts erlaubt, Handys sind tabu, genauso Zeitungen oder Butterstullen. Wer die versifften Gemeinschaftsduschen benutzen will, muss nachweisen, dass er ein eigenes Handtuch und eine Badehose mit Innenfutter dabeihat. Rikers Island? Nein, Central Park. Endlich drin, im öffentlichen Freibad.

Claus Hulverscheidt

SZ vom 25. August 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Soulac-sur-Mer

Wer regelmäßig Urlaub in Frankreich macht, weiß ja, dass es neben leckeren Spezialitäten auch ein paar gewöhnungsbedürftige Spezialitäten gibt. Hat man einmal aus Versehen Innereien-Wurst (Andouille) oder geschnetzeltes Entenmagen-Confit (Gésiers de Canard) bestellt, vergisst man nie wieder, unbekannte Wörter auf der Speisekarte vor der Bestellung zu übersetzen. Auch wenn man schon einiges gewöhnt ist, schockiert der Blick in die Lokalzeitung: Zu sehen ist ein Bürgermeister, der sich ein Stück eines grauen Schwanzes auf die Gabel spießt. Der Blick des Bürgermeisters: irgendwie gierig. Laut Bildunterschrift gehört der Schwanz zu einer Nutria, das ist eine Wasserratte. Nutrias, die auch in der ehemaligen DDR verspeist wurden, eignen sich laut französischen Rezepten vorzüglich für Ragouts und Pasteten. Bon appétit.

Sophie Burfeind

SZ vom 25. August 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... München

Sie macht es wirklich, das volle Programm. Erst wird gepinselt, dann gepudert. In der gefüllten Tram, Stoßzeit am Morgen. Mit Taschenspiegel, den sie am Seitenfenster drapiert, mit Fokus im Blick und Ruhe in den Händen. Einer Frau beim Schminken zuzuschauen, schult allemal im Lebensfach Staunen. Kurz hinterm Max-Weber-Platz macht die neue 25er einen Schlenker, kein Problem für die Rouge-Tupferin. Auch beim Lippenstift lässt sie sich nicht irritieren. In der Flurstraße die Augenbrauen, am Vogelweideplatz der Lidschatten. Die Kurven, das Ruckeln, Probleme Fehlanzeige. So sieht sie aus, die Fahrt zum perfekten Make-up. Bis zur finalen Schleife in Berg am Laim. Der Eyeliner verrutscht, ein schwarzer Strich im sonst makellosen Gesicht. Blickkontakt, die Frau lacht. "Beim nächsten Mal klappt auch das Finish."

Bernhard Blöchl

SZ vom 25. August 2017

Mitten in Jalta

Quelle: Zeichnung: Marc Herold

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Mitten in ... Jalta

Ein Mann mit Bauch legt seine Brille auf das Handtuch und dreht sich kurzsichtig zur Sonne: Ein wunderbarer Tag! Es ist erst kurz vor neun, aber die versprochenen 30 Grad sind in Kürze erreicht. Der Strand ist noch leer, nur ein blasses Mädchen liest schon mit dem Rücken zur Sonne in einem Buch. Er marschiert ins Wasser - und weicht zurück. Sucht die Sonne im Himmel. Steckt einen Fuß ins Wasser. Den anderen. Nein, es ist zu kalt! Er bleibt am Wasserrand stehen. Zwei gutgebaute Beach Boys laufen an ihm vorbei, als wäre er ein Laternenpfosten, werfen sich ins Wasser. Aber sie springen sofort wieder heraus. Sie fluchen und lachen. Wassertemperatur: 9 Grad. Hat doch auch der Wetterdienst gesagt. Kalte Strömung heute. Aber noch den ganzen Tag über versuchen sie es in Jalta, Dutzende Ungläubige. Und keiner hält es länger als eine Minute aus.

Tim Neshitov

SZ vom 18. August 2017

Mitten in Brügge

Quelle: Zeichnung: Marc Herold

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Mitten in ... Brügge

Schon die Hinfahrt nach Brügge war die Hölle. Als wollte jemand verhindern, dass die Stadt erreicht wird, versperrten Baustellen den Weg, führten Umleitungen in die Irre, sorgten Straßenschilder für Verwirrung oder blieben einfach aus. Aber nichts gegen die Rückfahrt. Da insistiert das etwas betagte Navi zweimal auf einem Weg, den es derzeit nicht gibt; der zusätzlich gestartete Smartphone-Wegweiser kommt zunächst mit einer Alternativroute - nur um dann doch dazu zu raten, das schon bekannte schwarze Loch anzufahren. Also wüst schimpfen bei 90 km/h, während beide Navis minutenlang plärren "Bitte wenden!" Erst, als sie nach minutenlanger Beschimpfung ignoriert werden, entschließen sich beide Geräte synchron dazu, einen ganz anderen Weg zu offerieren. Denselben obendrein. Anschreien hilft manchmal eben doch.

Milan Pavlovic

SZ vom 18. August 2017

Mitten in Brooklyn

Quelle: Zeichnung: Marc Herold

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Mitten in ... Brooklyn

Er müsste mal kurz aufs Dach, sagt er, und hält einem seine Dienstmarke entgegen. NYPD, New York Police Department. Das beeindruckt, zweifellos. Er ist schwarz, Mitte 40 vielleicht. Also lässt man ihn rein. Das hier ist Crown Heights, Brooklyn. Früher mal eine echt harte Gegend. Früher. "Gefällt es Ihnen hier?", fragt er. Ja, doch, nette Gegend, nette Leute. Er schaut nicht, als wäre er überzeugt. Und was will er auf dem Dach? "Drogendealer gegenüber beobachten." Oh. "Das geht von Ihrem Dach aus besonders gut." Ah, ja? Er klettert durch die Dachluke und knöpft sein Hemd auf. Die kugelsichere Weste kommt zum Vorschein, die Pistole steckt im Halfter. Hinter unserem Schornstein versteckt zieht er sein Fernglas aus einer Plastiktüte. "Und, gefällt es Ihnen hier?", fragt er jetzt. Darüber muss man jetzt doch noch einmal nachdenken.

Thorsten Denkler

SZ vom 18. August 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten am ... Brenner

Die persönliche Diesel-Krise findet Anfang August auf dem Brenner statt. Das Auto des schlechten Gewissens hat auf Höhe des Gardasees angefangen zu blinken. Irgendwas mit dem Motor. Ist es zu heiß? Eine Abkühlungspause also - für den Motor, nicht für die Insassen, denn die Sonne brennt. Kurz vorm Brenner blinkt es wieder, ein Automechaniker muss her. Eine Stunde später taucht ein gut gelaunter Mann auf, steckt seinen Computer an den Wagen und wirft einem Begriffe entgegen, von denen man noch nie gehört hat. Während man hochrechnet, was dieser Mist wohl kosten wird, kramt er in seinem Werkzeugkasten. Es gebe eine 50:50-Chance, ohne Probleme zurück nach München zu kommen, sagt er. Und schlägt mit einem Hammer beherzt auf den Motor. Die Rückfahrt verläuft ohne Zwischenfälle. In manchen Krisen hilft eben nur Zuhauen.

Julia Rothhaas

SZ vom 11. August 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Horb am Neckar

Wumms. Und schon liegt alles auf dem Boden der Regionalbahn: drei Plastiktaschen, Isomatte, Schlafsack, Backpacker-Rucksack, Reisetasche und Wurfzelt. "Evangelisches Mädchenzeltlager", sagt die Frau, Mitte 20, Strohhut, Pluderhose, und fällt auf den Sitz neben mir. "Ich werde dort aus der Bibel lesen. Jesus und so, Sie wissen?" "Ja, sagt mir was", meine Antwort. Das ist ihr Startschuss. Mit 15 sei ihr Gott begegnet. Lieber nicht nachfragen, denke ich, starre auf den Boden. "Er sagte mir: ,Ich will Sie kennenlernen.'" Kurzes Stutzen. "Natürlich sagte er Du und nicht Sie." Sie grinst. Ich nicke. So geht es weiter, 40 Minuten lang. Dann plötzlich: Wenn ich wolle, könne sie für mich beten. Jetzt gleich, hier im Zug. Schon faltet sie die Hände, schließt die Augen, setzt zum ersten Wort an. "Endstation", schallt es aus dem Lautsprecher. Gott sei Dank!

Michaela Schwinn

SZ vom 11. August 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... München

Von einer echten Großstadt aus gesehen ist München ein Dorf, aber von einem echten Dorf aus betrachtet ist München eine Großstadt. Das ist nicht nur Ansichts-, sondern auch Glückssache. Zum Beispiel kann man hier über Jahre wohlbehütet leben. Kommen aber die Eltern aus dem Heimatdorf zu Besuch, wird München plötzlich unfreundlich: Falsche Mönche betteln die Besucher an, und dem Auto werden die Nummernschilder abgeschraubt. Im netten Café sollen die Eltern endlich Münchens nette Seite kennenlernen. Gemütlich ist's. Nebenan bestellt jemand Bier und Schnaps. Bald kommen zwei Polizisten herein und bitten den Mann nach draußen: Festnahme! Kannst du, liebes München, nicht ein einziges Mal nett sein, wenn der Besuch da ist? Es kann. Der Mann kommt doch noch mal herein. "Ich muss da mit", verabschiedet er sich. Und zahlt.

Martin Wittmann

SZ vom 11. August 2017

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