Mitten in ...:Klingt gut, dieser Wein

In New York zieht einem der berühmte Barbesitzer das Geld sehr stilvoll aus der Tasche. Im Eiscafé von Guben geht es deutlich ruppiger zu.

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Mitten in London

Quelle: SZ

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Mitten in ... London

Das London-Gefühl hat sich seit dem Brexit geändert: Wer sich willkommen fühlte, fragt sich jetzt, ob er nicht besser gehen - oder gar nicht erst herkommen sollte. Die Zahl der EU-Krankenschwestern etwa, die ins UK wechseln, ist um 90 Prozent gesunken. Weil ich bleiben will, habe ich ein persönliches Diversity-Programm begonnen. Mein Community-Chor hat Sänger aus zehn Ländern. Und in meinem Community-Fitnesscenter turnen Frauen aus aller Welt. Beispiel: Dance Aerobic. Diana Ross singt auf Double Speed, die schwarzen Frauen tanzen, bevor es losgeht. Eine Araberin im schwarzem Hijab turnt mit Hingabe, eine Frau aus der Karibik mit Kopftuch und Wallekleid hüpft ohne Rhythmusgefühl quer zur Gruppe. Die Mexikanerin kreischt. Und ich? Lache und trauere um das London vor dem Brexit, das ich gern gekannt hätte.

Cathrin Kahlweit

SZ vom 24. November 2017

Mitten in New York

Quelle: SZ

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Mitten in ... New York

Die Rechnung im "Four Horsemen", von zwei alten Freunden zusammengetrunken, die sich lange nicht gesehen haben, beträgt 367 Dollar für Essen und Wein. Die Weinkarte ist originell, alles bio und auch mal aus Georgien. Die Bar gehört James Murphy, der mal die sehr angesagte Musikgruppe LCD Soundsystem betrieben hat. Man zahlt also seine 367 Dollar und summt dazu "New York, I love you but you're bringing me down", diesen fantastischen LCD-Album-Rausschmeißer. Da fällt einem auf, da steht er ja wirklich, mit seinem chewbaccadichten Haar: James Murphy, der nach der Auflösung der Gruppe nun wieder auftritt. Es heißt, die Tour sei für seine Mitmusiker wichtig, weil die nicht so viel Geld mit LCD Soundsystem verdient hätten. Und keine Bar betreiben. Der teure Wein aus Georgien schmeckt übrigens gut, macht aber einen dicken Kopf.

David Pfeifer

SZ vom 24. November 2017

Mitten in Guben

Quelle: SZ

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Mitten in ... Guben

Im Wintergarten eines Eiscafés in Guben sitzt eine sehr, sehr alte Frau. Der große Tisch neben ihr ist frei. Dürfen wir? Sie nickt. Es vergehen 20 Minuten, am großen Tisch wird über alles gesprochen, nicht aber über Polen und die nahe Grenze. "Mit de Polen hab ich nüscht zu tun!", ruft die Frau unvermittelt ins Nichts. "Die klauen wie die Hunde, na klar!" Sie redet und redet nun in einem fort. Man hält mit Gratismut dagegen: Pauschalisierungen doof, Europa gut, usw. Sie unterbricht gleich wieder, denn: So blöd brauche man ihr bitte nicht zu kommen. Sie steht auf, geht, kommt kurz wieder. Ihr Arzt sei übrigens Syrer, mit dem verstehe sie sich hervorragend. Zum Abschied könne sie deswegen nur sagen, was sie auch ihm, dem Arzt, immer wieder sage: "Wenn ich mal sterbe, dann müssen sie meine Fresse schon extra totschlagen."

Cornelius Pollmer

SZ vom 24. November 2017

Mitten in USA

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... New York

Zum Regelwerk des Auslandskorrespondenten gehört der strikte Verzicht auf Pauschalurteile. Deshalb ist der folgende Satz bewusst umsichtig formuliert: Amerikaner können nicht Auto fahren! Das klingt seltsam, ist das Auto doch der Blech gewordene Traum von Freiheit. Realität aber ist: Weil es beim Einparken nicht ohne Schramme geht, behängen Amerikaner ihre Stoßstangen mit riesigen Gummischürzen. Sie fahren so lange weiter, bis jede Kreuzung blockiert ist. Sie mähen Omas und Kinder um, weil es ihr Recht ist abzubiegen - wen schert es, dass auch die Fußgänger Grün haben? Sie wissen nicht, was eine Rettungsgasse ist, und lassen vor der Schule den Motor laufen, auch wenn sie eine Viertelstunde warten müssen. Ach, es wäre unerträglich, rettete uns Deutsche nicht unsere südländische Gelassenheit und unser sprichwörtlicher Humor.

Claus Hulverscheidt

SZ vom 17. November 2017

Mitten In: Adeje

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Adeje

Dieses Hotel, das traut sich was. Schon in der Lobby rumpelt der Rock, in den Fluren hängen BHs von Christina Aguilera und Beyoncé, auf der Dachterrasse legt ein Möchtegern-Elvis Rockabilly auf, wenn er nicht gerade die Autos der Hotelgäste parkt. Zum Frühstück ohrwurmen die Scorpions, am Pool die Strokes, und wer noch nicht genug hat, der schlürft seinen Mojito zum Live-Sound des tätowierten Gitarristen. Dazu bietet das Hard Rock Hotel auf Teneriffa einen besonderen Roomservice an. Keine Groupies, einen Tätowierer auch nicht. Aber eine Fender-E-Gitarre kann man sich aufs Zimmer bestellen, also ab auf die Warteliste. Nach ein paar Tagen kommt das edle Stück, ein Miniverstärker ist auch dabei. Doch er bleibt stumm. Des Rätsels Lösung ist der Kopfhörer. Lauter Rock von den Gästen? Das traut sich das Hotel dann doch nicht.

Bernhard Blöchl

SZ vom 17. November 2017

Mitten in Liblar

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Liblar

Liblar ist ein Ort mit echtem Postamt, natürlich mit langer Schlange. Endlich ist ein alter Mann an der Reihe, graue Faltenhose, graues Hemd, graues Gesicht. "Ich möchte ein Gespräch anmelden", sagt er. Er reicht der Schalterfrau einen Zettel, sie schüttelt den Kopf. "Da müssen Sie zur Telefonzelle." Der Mann schaut verständnislos. "Am Schlösschen", sagt einer der Wartenden. "Am Bahnhof", ein anderer. Der Mann rührt sich nicht. Die Postangestellte schaut auf den Zettel, fünf Zahlen, Ortsgespräch. "Na gut." Sie wählt. Wer sich da melde, will sie wissen. Peter Soundso, murmelt der Alte. "Und wer sind Sie?" "Ich bin der Sohn." Sie runzelt die Stirn, lässt klingeln. Niemand da, "tut mir leid". Doch der Mann bleibt, stützt sich auf den Tresen, starrt auf den Apparat. Er wartet. Da gibt sie auf und weicht an den Nebenschalter aus. Der Nächste, bitte.

Silke Bigalke

SZ vom 17. November 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Cefalù

Auf Sizilien, die allerletzten Tage der Saison, aber es sind noch genügend Deutsche und Russen da, die sich mühen, ein paar Klischees zu bestätigen. Im Hotel: Ein Ehepaar hatte am Vorabend telefoniert, via Skype. Am Morgen fängt die Zimmernachbarin, hörbar Schwäbin, die Frau ab: "Es war sehr laut. Wir sagen nichts. Nur damit Sie's wissen." Ebenfalls im Hotel: Der Direktor sagt auf der Terrasse einer Yoga-Gruppe hallo. Erster Satz, den er als Antwort erhält: "Dann sind Sie der, falls wir Beschwerden haben." Im Restaurant, in der Altstadt: Ein Klarinettist und eine Sängerin tragen ein paar Lieder vor. Der Russe am Nachbartisch gibt sofort Geld: 50 Euro. Nach einer Viertelstunde wollen die Musiker weiter, da treten zwei Deutsche hinzu. Ob die beiden nicht noch ein Lied hätten? Na gut. Der Russe gibt wieder 20 Euro. Die Deutschen geben Applaus.

Detlef Esslinger

SZ vom 10. November 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... München

Ein Geschäft für Eheringe an einem Samstagvormittag. Alles glänzt: die Ringe, das Lächeln und die ein bisschen zu weiß polierten Zähne der Verkäufer, die mit französischem Dialekt sprechen und ihre Kundschaft an einen Tisch bitten. Das Pärchen am Tresen nebenan steckt bereits in fortgeschrittenen Verhandlungen, heiraten wollen sie schon gemeinsam, die Eheringe gestaltet aber jeder für sich. Als alles besprochen und ausgewählt ist, Material, Größe, Dicke, Gravur, ein Edelsteinchen hier und da, fasst die Verkäuferin zusammen: 600 Euro für den Ring der Frau, 300 Euro für die Express-Fertigung, das Paar ist leider etwas spät dran. Später gibt's für beide noch je ein Glas Sekt, eine Rose für die Frau, dazu eine kleine Flasche mit ein bisschen zu billigem Sekt. Geht aufs Haus. Ach ja, der Ring des Mannes? Macht dann 68 Euro.

Johannes Knuth

SZ vom 10. November 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Stone Town

Hier also wurde Freddie Mercury geboren. Ein hellgelbes Haus in Stone Town an der Westküste Sansibars. Man riecht den Ozean, Gewürze, Staub, Moped-Irre rasen durch die Gassen. Der große Freddie Mercury: bürgerlich Farrokh Bulsara, Sohn eines indischstämmigen Kolonialbeamten, geboren 1946, als Sansibar noch Sultanat war. An der Fassade ein paar Schaukästen, Konzertfotos. Das war's dann aber auch. Kein Museum. Im Erdgeschoss werden Kissenbezüge und Kerzen verkauft, und je weiter man sich entfernt, desto weniger Menschen wissen, wer Mercury überhaupt ist. Bob Marley, der ist überall. Und der einheimische Popstar Diamond Platnumz mit seinen Golduhren. Mercury verließ Sansibar im Alter von acht Jahren und betrat es, abgesehen von einem kurzen Aufenthalt 1963, nie wieder. Schwule sind hier bis heute nicht willkommen.

Tim Neshitov

SZ vom 10. November 2017

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Stockholm

Auf einer Parkbank im Stockholmer Stadtteil Södermalm: Ich beobachte das städtische Treiben und - zugegeben - vor allem die recht gut aussehende schwedische männliche Spezies. Viele davon tagsüber mit Kinderwagen und Nachwuchs im Schlepptau. Moment mal. Täusche ich mich oder dreht da eine Single-Version bereits die zweite Runde an mir vorbei? Beim dritten Anlauf setzt er sich - neben mich. Ich grinse, er grinst, betretenes Schweigen. Dann fasst er sich ein Herz und sagt: "Vill du fika?" Friedfertig klebe ich ihm keine ob der vermeintlichen Einladung zum Beischlaf. Stattdessen stürme ich entrüstet davon und lasse einen verwirrt dreinblickenden Schweden zurück im Grünen. Am Abend klärte mich eine Stockholmer Freundin auf: "Vill du fika?" ist eine schwedische Einladung zum Kaffeetrinken. Mist!

Gabi Klein

SZ vom 3. November 2017

Istanbul

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Istanbul

Die Hunde von Istanbul sind wild, frei und längst Teil des Stadtbildes, Historiker und Dichter haben sie immer wieder beschrieben. Am Ufer des Bosporus, an einem Platz ganz in der Nähe eines Präsidentenpalasts, lebt ein großer schwarz-weiß gefleckter Mischling. Sein Schlafplatz mit Decke und Wasserschüssel liegt gegenüber einem der besseren Restaurants der Stadt. In dieser Nacht parken 30 Limousinen davor, Männer mit Maschinengewehren stehen herum. In der Luft ein Hubschrauber. Nachtschwärmer bleiben stehen, zücken Handys. Ein Polizeieinsatz? Der Istanbuler Hund mit historischem Bewusstsein aber weiß es besser. Dem Protokoll folgend trottet er über die Straße, setzt sich vor die größte Limousine, die mit den Flaggen. Recep Tayyip Erdoğan kommt, winkt aus dem Auto in die Nacht, die Kolonne rast los. Der Hund bellt.

Christiane Schlötzer

SZ vom 3. November 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Ho-Chi-Minh-Stadt

Schwäbische Autos schieben sich neben tausenden Mopeds durch den vietnamesischen Straßenverkehr in Ho-Chi-Minh-Stadt. FC-bayerische Fußballtrikots hängen in den Sportläden. In den Drogerien liegt Hamburger Handcreme aus. Egal wohin man reist, die Heimat hält Schritt. Hase und Igel, überall. Dabei brauchen wir, was wäre das denn für ein Urlaub, unbedingt noch vietnamesische Waren als Mitbringsel für die Daheimgebliebenen. Doch woher? Vielleicht ja dort, im Öko-Supermarkt, die haben ja immer auch so Sachen aus der Region. Also rein in den ... Moment, wie heißt der Laden? "Biogarten", mit "t"? Na egal, da oben im Regal stehen sie ja schon: Sojaflocken, "100 % regional", genau das Richtige. Doch der Igel wartet indes schon auf der Kehrseite der Verpackung - Region, das ist in diesem Fall der Bodensee.

Jan Schwenkenbecher

SZ vom 3. November 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Havanna

Am Rande Havannas steht ein Anwesen, das aussieht wie eine Kopie der Alhambra in Andalusien: Maurische Türmchen, Mosaikwände, Spiegelsee. Vor der Revolution von 1959 war es das Lustschloss eines reichen Unternehmers, die Abschaffung des Unternehmertums ging auch der kubanischen Alhambra nicht spurlos vorbei. Es ist leer und verfällt. Der perfekte Ort also für eine Elektroparty. Heute legt DJ Benjamin aus Wien auf. Drei Bier kosten einen halben Monatslohn, die Tanzfläche ist voll mit gut gekleideten Betrunkenen, die auch aus Brooklyn oder Kreuzberg sein könnten. Es gibt in Havanna noch keine freien Wahlen, keine Shoppingmalls und kaum Internet. Trotzdem hat man langsam das Gefühl, in einer normalen Weltstadt zu sein. Bis an der Theke ein Kubaner wissen will: "Klappt das mit der Rückkehr von Heynckes zum FC Bayern?"

Boris Herrmann

SZ vom 27. Oktober 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Rom

Die Notaufnahme des katholischen Krankenhauses Fatebenefratelli, Erdgeschoss. Natürlich soll man da nicht hin, wenn man eine Augenentzündung hat. Doch wenn man hingeschickt wird, weil die Ärztin im zweiten Stock den bereits bezahlten Termin sausen lässt? Es ist früher Abend, und es gibt wieder zu wenige Betten für "gelbe Fälle", die halbschlimmen. Die meisten aber sind "grün", nicht schlimm, Augenentzündungen und solche Sachen. Man sitzt und wartet. Lange. Die Ambulanz bringt Bedürftige im Viertelstundentakt. Alle schauen kurz auf, murmeln, schauen wieder aufs Handy. Dann fährt ein Auto vor, es bremst brüsk, der Fahrer stürzt zum Empfang: Seine Frau, ruft er laut, habe Wehen, es sei ganz dringend. Das finden nun alle rührend. Der werdende Vater, noch lauter: "Wir sind nicht verheiratet, ist das ein Problem?" Grün, gelb - oder gar rot?

Oliver Meiler

SZ vom 27. Oktober 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... South Luangwa

Von der sambischen Hauptstadt Lusaka bis zum South Luangwa National Park ist es eine Zweitagesfahrt über schlechte Straßen und heillose Pisten voller Schlaglöcher. Im Zikomo Camp muss man dann aber nur noch den Campingstuhl aufklappen und hat alles im Blick: Flussbett und Sandbank des Luangwa River, darauf Kolonien von Störchen, Herden von Puku-Antilopen, Paviane, Hippos, Antilopen, Giraffen, Elefanten. Also, tagsüber. Nachts zieht es die Tiere ins Camp. Wir kommen gerade noch rechtzeitig von einem Game Drive zurück, um im letzten Abendlicht zuzusehen, wie zwei, drei, vier - äh, sechs, sieben, acht Löwen den Campingplatz betreten. Frage an den Platzwart: Haben wir ein Problem? "No problem", sagt er, "die gehen drüben in den Wald und kommen dann irgendwann zurück." Es gibt Nächte, da muss man besser nicht aufs Klo.

Tanja Rest

SZ vom 27. Oktober 2017

London

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... London

Erste Chorprobe in der neuen Saison, der Community Choir Belsize Park sucht Mitglieder. Die halbe Nachbarschaft ist gekommen, Lieder und Psalmen werden einstudiert; in der Pause gibt es Wein und Cracker. Es ist Kennenlernzeit für die Neuen, die Chorleiterin versucht es spielerisch: Wer hat einen Hund? Zehn Finger gehen hoch. Wer fährt Rad? Fünf Finger gehen hoch. Wer spricht Fremdsprachen? Fast alle Finger gehen hoch. Wer ist nicht in Großbritannien geboren? Fast alle Finger gehen hoch. Gelächter, Erstaunen, Freude. So international! Dann beginnt die Probe mit "Psallite". Der Autor hatte im späten Mittelalter zwischen die lateinischen Zeilen deutsche Phrasen eingefügt. Ein Streit bricht los: Heißt es nun "alle liebe Engelein" oder "alle lieben Engelein"? Irgendjemand ruft, zum Spaß: Wer ist gegen den Brexit? Alle Finger gehen hoch.

Cathrin Kahlweit

SZ vom 20. Oktober 2017

Mitten in Berlin

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Berlin

Der Mann sieht abgerissen aus, die beige Jacke ist speckig, die Hose zerschlissen, an den Füßen etwas, das einmal Pantoffeln gewesen sein müssen. Die Frau in dem Dönerladen an der Potsdamer Straße ist trotzdem freundlich. Auch als der Mittfünfziger nach Ungewöhnlichem verlangt: Dönerfleisch für zwei Euro möchte er haben. "Nur Fleisch, auf nem Teller, bitte". Na klar, denkt die Frau, denkt der Beobachter, kann sich wohl nichts anderes leisten, der Mann. Und macht den Pappteller so voll, dass das unmöglich nur zwei Euro kosten kann. Dann noch schön in Alufolie verpacken. Der Mann dankt, zahlt und sagt beim Hinausgehen: "Is für meinen Hund, wissense, der hat heut nämlich Jeburtstach." Und wo er jetzt denn sei, der Hund, fragt die sichtlich verdutzte Verkäuferin. "Na zu Hause, sonst wär's ja keine Überraschung."

Helmut-Martin Jung

SZ vom 20. Oktober 2017

Karlsruhe

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Karlsruhe

War wohl gewöhnungsbedürftig für das Klassik-Publikum, dass zu Schumanns Klavierquintett Bier und Würstchen serviert werden. Aber in der Hemingway Lounge wird sonst Jazz gespielt, der hält Geschirrgeklapper aus. Immerhin: Eine junge Musikwissenschaftlerin gibt eine luzide Einführung in das Werk (Es-Dur, op. 44). Der erste Satz werfe mit großem Aplomb die Tür auf. Der zweite Satz - im Grunde ein Trauermarsch. Im dritten Satz effektvolle Akzente, einige Modulationen und eine markante Septime, die sich in eine Quinte umwandelt. Der vierte Satz endet überraschend in einer Fuge. All das verquickt die Fachfrau mit Hinweisen auf Schumanns multiple Persönlichkeit. Applaus für das informative Intro. Sie verneigt sich, schiebt den Geldbeutel in die Gürteltasche und schaut, wo sie noch ein paar Bestellungen aufnehmen kann.

Wolfgang Janisch

SZ vom 20. Oktober 2017

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Long Island

Radtour auf Long Island, vorbei an Villen und Stränden, es folgt die Erkenntnis, dass man nicht immer schnell sein muss, um Rekorde zu brechen. Auf dem Smartphone läuft die Tracking-App, sie zeichnet die Route auf und vergleicht einen mit anderen, die hier gefahren sind. Um es so zu sagen: Meine Form war schon besser. Teilabschnitt auf dem Montauk Highway: Platz 461 von 509. Hither Hills nach Beach Hampton: 1632 von 1778. Und so weiter. Nach 75 Kilometern gebe ich auf, der Vater der Freundin kommt mit dem Auto, zum Glück. Zu Hause gratuliert die Freundin zum Rekord, richtig schnell sei ich am Ende gefahren, hat sie in der App gelesen, 54,4 km/h im Schnitt, Platz 1, wow, deutlich schneller als ein gewisser Alan, der bisherige Rekordhalter. Das kann doch gar nicht ...?! Oh. Vergessen, im Auto die App auszuschalten. Sorry, Alan.

Christopher Gerards

SZ vom 13. Oktober 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Tallinn

Die Esten sind ein der Technik zugewandtes, mit allen Wassern des Digitalen gewaschenes Volk. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, piept es bei ihnen, und zwar überall. Neulich richteten sie in Tallinn eine Konferenz zur digitalen Zukunft aus, zu der Regierungschefs aus ganz Europa anreisten. Das Pressezentrum war unter einer Betonbrücke aufgebaut, was die Journalisten nicht bemerkten, weil alles hübsch mit Holz verkleidet war. Außerdem - klar! - zwitscherten die Vögel. Vom Band nur, weil Pressezentren nicht zu ihrem natürlichen Habitat gehören. Die Forschung hat herausgefunden, dass Vogelgezwitscher Stress reduziert, die Esten schwören darauf. Es kann die Wirkung allerdings mindern, wenn man zu sehr darauf achtet, wo es jetzt schon wieder piept. Denn "überall" ist hier wörtlich zu nehmen. Das gilt auch für das Flughafenklo.

Daniel Brössler

SZ vom 13. Oktober 2017

Mitten in Wien

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Wien

Hoppla, den kennt man doch. Dieser mürrische Blick, die heruntergezogenen Mundwinkel, die fleischigen Wangen, und natürlich hat er die Haare schön: Donald Trump blickt als Graffito vom betongrauen Pfeiler der Schwedenbrücke am Donaukanal. Die Mähne allerdings ist nicht blond, sondern schwarz, und außerdem ist sie nicht direkt überm Ohr gescheitelt, sondern sauber in der Schädelmitte. Trumps Original-Haartracht findet sich am Pfeiler nebenan - und unter dem blonden Schopf lacht einen Kim Jong-un aus Nordkorea an. Der australische Street-Artist Lush Sux hat den beiden Streithähnen hier den Skalp vertauscht. Bemerkenswert, wie gut das passt. Und erstaunlich, wie wenig Aufmerksamkeit das erregt bei den Joggern und Passanten. Man sieht die beiden wohl viel zu oft - und so genau will man eigentlich gar nicht mehr hinschauen.

Peter Münch

SZ vom 13. Oktober 2017

Mitten In Wien

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Wien

Wie reizbar der Mensch ist, zeigt sich in Wien. Der Gastgeber hat die Raffael-Ausstellung empfohlen, erfreut erreicht man die Albertina. Die Schlange an der Garderobe ist lang, wohin mit der Tasche? Ins Schließfach natürlich, aber Zuschließen geht nicht mehr. Stattdessen soll man einen Pin eingeben, den bestätigen, am Knopf drehen, kurz: eine überflüssige Modernisierung. Die Stimmung ist dahin, man denkt an die Blutorgien-Spektakel von Hermann Nitsch. Linderung verheißen die großen blauen Augen der Einlasserin. Man fragt sie, wo der Raffael hängt, sie dreht sich, blinzelt, wie es Kurzsichtige tun, und sagt: "zweiter Stock". Im Aufzug geht es nach "-1", nach "0", nach "1" - endlich die Ankunft. Jede Menge Menschen hier, die Wut kocht wieder hoch. Wo hängt der Raffael? Der Mitarbeiter lächelt: "Die Ausstellung beginnt nächste Woche."

Marc Hoch

SZ vom 6. Oktober 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... München

Anfang dieser Woche, es sind die letzten Wiesn-Tage, heilloses Gedränge im Pendlerzug von München nach Nürnberg. Lärmende, fröhliche, angeheiterte, schwankende Oktoberfestmenschen in Lederhosen und Dirndln entern die Waggons. Die Luft ist zum Schneiden. Glücklich, wer im Hauen und Stechen einen Sitzplatz ergattert hat, viele lassen sich auf dem verdreckten Fußboden nieder. Während sich der Regionalexpress leicht verspätet in Bewegung setzt, spult die Schaffnerin routiniert ihre Durchsage ab: "Soeben haben wir München Hauptbahnhof verlassen; nächster Halt ist Petershausen. Unser Servicemann an Bord verwöhnt Sie am Platz gern mit kalten und warmen Getränken und leckeren kleinen Snacks. Und noch ein Hinweis für alle Wiesn-Besucher: Gekotzt wird auf dem Klo!" Pause. "Wir wünschen eine angenehme Reise."

Werner Schmidt

SZ vom 6. Oktober 2017

Mitten In Palm Beach

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Palm Beach

Die Ehrfurcht hat nachgelassen seit dem ersten gelungenen Wendemanöver in der Sackgasse. Das Ungetüm gehorcht. Fast zehn Meter ist das Wohnmobil lang, doch gefühlt schrumpft es nun mit jeder Meile durch Virginia, die Carolinas und Georgia zu einem normalen Gefährt. Rangieren am Campground und Parken am Taco Bell werden zur Routine, und auf den Interstates erst: Freiheit. Mit diesem Hochgefühl also brausen wir durch Florida und, am letzten Tag, raus zum Geldautomaten. Eine Bank mit Drive-thru-Service, und was schon mal geklappt hat, sollte ja auch diesmal ... rumms! Die Klimaanlage auf dem Autodach. Es ist Sonntag, keiner hat's gesehen, außer natürlich der abgerissenen Überwachungskamera der Bank. Die baumelt nämlich jetzt, schwer getroffen, an ihrem Kabel von der Decke. Sieh an: Hochmut kommt vor dem Fall.

Frank Nienhuysen

SZ vom 6. Oktober 2017

Mitten in Friesland

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Friesland

Fahrt in den Urlaub auf der niederländischen A 7, immer steil nach Norden. Gleich sind wir da, endlich wieder Segeln mit echtem Wind. Friesland ist schließlich das Wassersportparadies schlechthin: 159 Seen, Flüsse und Kanäle gibt es hier auf nicht mal 6000 Quadratkilometern, 200 Yachthäfen und natürlich Watt und Nordsee. Alle paar Kilometer sehen wir Boote in Aquädukten, unter denen sich sogar die Autobahn durchschlängeln muss. Boote sind hier wichtiger als Autos. Herrlich wird das werden! Doch plötzlich wird man aus der Vorfreude gerissen. Da hinten blinkt es merkwürdig. Was sollen denn die roten Lichter am Straßenrand? Lieber mal vom Gas gehen. Gleich darauf heißt es sehr kräftig auf die Bremse treten. Schranken senken sich quer über die Autobahn. Eine Brücke öffnet sich, Boote passieren. Willkommen in Friesland.

Christina Berndt

SZ vom 29. September 2017

Mitten in Seeshaupt

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Seeshaupt

Der Aufenthalt auf dem Dampfersteg ist nur zum Ein- und Aussteigen gestattet, eine Gruppe Jugendlicher hat es sich trotzdem in der Sonne bequem gemacht. Ein Ghettoblaster dröhnt, von den Holzstelen kann man ins Wasser springen, und ein Schiff kommt auch nur selten vorbei. Am frühen Nachmittag herrscht dann aber doch kurz Gedränge, gleich ist Abfahrt nach Starnberg, einige Senioren drängeln sich in die Pole-Position. Sie staunen, als sich einer der Jungs auf der Stele zum Sprung bereit macht. Und merken nicht, dass ein zweiter an die Brüstung schleicht, um mit dem Handy zu filmen. Der Sprung, wohl zigfach eingeübt, erfüllt seinen Zweck: Eine beachtliche Welle schwappt über den Steg, die Senioren sind pitschnass. Die Teenager sammeln sich feixend um das Handy. Rentner nass spritzen am Starnberger See - jetzt auch bei Instagram.

Claudio Catuogno

SZ vom 29. September 2017

Mitten in Cupertino

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Cupertino

Blauer Himmel über Cupertino, einer einst verschlafenen Kleinstadt südlich von San Francisco. Hier erntete man früher tonnenweise Früchte, heute ist es eine der teuersten Gegenden der USA und Hauptsitz von Apple. Das neue Apple-Gebäude ist hinter den Baubrettern schon erkennbar. Ein großer Ring aus Glas. Als wäre ein Raumschiff gelandet, jubeln alle, hier entsteht die Zukunft. Dabei erinnert der Ring eher an einen Riesendonut, der vom Himmel gefallen ist. Raúl ist einer der Wachmänner, die vor der Baustelle stehen, ein Mexikaner. Meist sei alles ruhig, "ein paar Jungs wollten mal über den Zaun klettern", sagt der Mann, der das Raumschiff bewacht, das die Menschheit mit iPhones versorgt. Die Zukunft, die hier entsteht, betrifft ihn nicht. Raúl verdient acht Dollar die Stunde. Sein Handy: ein Motorola. Baujahr 2009.

Sacha Batthyany

SZ vom 29. September 2017

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