Mitten in Absurdistan:"Nimm die Schamhaare ausm Mund, Käptn!"

In Ägypten hat es der Bräutigam auf der Suche nach Gold für die Liebste vergleichsweise leicht, im schweizerischen Stäfa werden Schnitzel, Baron, Kopf und Nuss zu verbalem Dynamit und Olivia Jones kann einen faden Junggesellenabschied in Hamburg beflügeln. In Stuttgart dagegen parkt die Ehefrau ein.

SZ-Korrespondenten berichten Kurioses aus aller Welt.

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Goldhändler

Quelle: AFP

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In Ägypten hat es der Bräutigam auf der Suche nach Gold für die Liebste vergleichsweise leicht, im schweizerischen Stäfa werden Schnitzel, Baron, Kopf und Nuss zu verbalem Dynamit und Olivia Jones kann einen faden Junggesellenabschied in Hamburg beflügeln. In Stuttgart dagegen parkt die Ehefrau ein. SZ-Korrespondenten berichten Kurioses aus aller Welt.

Mitten in ... Kairo

Mohammed ist auf dem Weg zum Juwelier. Er heiratet, endlich. Lange hat er nach der Braut gesucht, aber jetzt ist es so weit. Er muss nur noch Gold kaufen. Das schenkt in Ägypten der Bräutigam seiner Braut. Wie viel soll's kosten? fragen wir. "Mehr als 1000 Euro." Wer sucht aus? "Sie und unsere Familien. Ich zahle nur." Einen Moment sieht er etwas fremdbestimmt aus, dann fängt er sich. "Aber wenn wir in Schwierigkeiten sind, wird sie es verkaufen."Er kommt in Schwung: "Ich hab's ja noch gut. In Saudi-Arabien bestellen die Bräute das Gold kiloweise." Dafür dürfen sie später nicht mal allein zum Arzt - Mohammed überhört den Einwand. "Und dann gibt's noch Länder, wo die Braut Gold vom Handgelenk bis zum Oberarm bekommt." Er fügt mit Kennermiene hinzu: "Das Wichtigste ist dort: Die Braut darf nicht zu groß sein."

Sonja Zekri, SZ vom 2./3. November 2013

Schild Mohrenkopfschiessen Schweiz Stäfa

Quelle: Wolfgang Koydl

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Mitten in ... Stäfa

Schnitzel und Baron, Kopf und Kuss - für sich sind diese Wörter harmlos. Explosiv werden sie erst, wenn man sie mit Tabu-Begriffen wie Zigeuner, Mohr und Neger koppelt und gleichsam scharf macht. Nun gibt es Menschen, die leichtfertig mit verbalem Dynamit umgehen - stramme Schweizer etwa im Örtchen Stäfa am Zürichsee. Deren Kinder stehen auf der Kirchweih begeistert Schlange am Stand mit dem politisch inkorrekten Zeitvertreib namens "Mohrenkopfschiessen". So schlimm, wie es sich anhört, ist es dann doch nicht. Gefeuert wird auf ein Clown-Gesicht, die Leckerei lockt nur als Preis für einen Treffer. Der Fremde trägt trotzdem seine Bedenken vor, doch der Standbetreiber erwidert: "Was meinen Sie? Beim Zürcher Knabenschießen wird doch auch nicht auf kleine Jungens geschossen. Und mögen Sie keine Mohrenköpfe?"

Wolfgang Koydl, SZ vom 2./3. November 2013

Betty Compson am Steuer eines Autos, 1921

Quelle: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo

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Mitten in ... Stuttgart

Ein prächtiger schwäbischer Mittag im Herbst, sogar der Parkplatz der Weinstube sieht hübsch aus mit all dem Laub. An den Treppen zum Lokal fährt ein großer, grauer, alter Mercedes vor. Die Stuttgarter sagen nicht Mercedes, sie sagen: Daimler. Aus dem Daimler steigt ein Herr weit über siebzig, schwerer Mantel, Hornbrille. Das Auto, der Mann: ganz alte Bundesrepublik. Der Herr erklimmt wortlos die Stufen. Seine Frau geht ums Auto, setzt sich ans Steuer, rangiert akkurat in die nächste Parklücke. Dann tippelt sie ihrem Mann hinterher. Was soll denn das im grünen Schwabenland? Ein ewiggestriger Patriarch, der schon mal ein Viertele hebt, während die Gattin mal eben noch die Kleinarbeit verrichtet? Man sieht sich am Salatbuffet. Der Mann sagt: "Meine Frau hat mir das Einparken verboten, seit ich daheim ihr Rad angekratzt habe."

Roman Deininger, SZ vom 2./3. November 2013

Im Bild: Betty Compson am Steuer eines Autos, 1921, während der Dreharbeiten zu "At the End of the World"

Olivia Jones Hamburg

Quelle: picture alliance / dpa

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Mitten in ... Hamburg

Junggesellenabschied auf der Reeperbahn. Es ist noch schlimmer als befürchtet. Auf der Straße notgeile Kegelvereine und Türsteher mit trüben Angeboten ("Zwanni pro Nase, Männer, und die Krankenschwester gibt's mit Sahne obendrauf"). Selbst wenn der eigene Blick vom Bier und Schnaps schon weich geworden ist, will sich das vielbesungene Flair nicht einstellen. Bis die Riesin angestöckelt kommt: 2,30 Meter auf High Heels und Lippen wie Fahrradschläuche. "Du hier und nicht im Dschungelcamp?", kräht der werdende Bräutigam, der an diesem Abend eine Kapitänsmütze und einen falschen Bart tragen muss. Olivia Jones, Deutschlands größte Drag Queen, bleibt stehen, stemmt die Männerfäuste in die Hüften und keift zurück: "Nimm die Schamhaare aus'm Mund, wenn du mit mir sprichst, Käptn!" Darauf ein Astra!

Marc Felix Serrao, SZ vom 2./3. November 2013

Masada Festung Israel Absurdistan

Quelle: AFP

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Mitten in ... Masada

Am Toten Meer. Es ist heiß, an einen Aufstieg zu Fuß zum Plateau der jüdischen Festung Masada ist nicht zu denken. Dafür gibt es die Schweizer Seilbahn. Doch die Abfahrt verzögert sich - wegen eines sieben Jahre alten Mädchens. Sie weint und zittert, sie fürchtet sich, den Boden zu verlassen. Die burschikose Seilbahn-Schaffnerin schiebt die Eltern beiseite und sagt: "Lassen Sie mich mal!" Und siehe da: Es gelingt ihr, das Mädchen in die Kabine zu locken, mit dem Versprechen, dass sie Knöpfe drücken dürfe. Im Nu versiegen die Tränen, die Höhenangst ist vergessen. Zum Dank bekommt das Mädchen ein eher zweifelhaftes Lob der Schaffnerin: "Mutig bist Du, wie die Masada-Bewohner von einst!" 73 n. Chr. haben sich 960 Bewohner, so der Mythos, das Leben genommen, weil sie nicht unter römischer Herrschaft leben mochten.

Thorsten Schmitz, SZ vom 26./27. Oktober 2013

Schild für Sicherheitsschuhe

Quelle: imago stock&people

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Mitten in ... Nanjing

Bosch und Siemens verkaufen Waschmaschinen und Geschirrspüler. Wer einen Gefrierschrank braucht, bekommt auch den. Aber Schuhe? In China ja. Und das kam so: Werksführung in Nanjing. Stolz sei er, sagt der Chef, dass es in den vergangenen Jahren nur einen Zwischenfall in der Fabrik gegeben habe: Ein Besucher hatte sich eine Zerrung zugezogen. Einfach so, kann vorkommen. Trotzdem müssen alle nun Sicherheitsschuhe tragen. Nach der Führung fragt ein Gast aus London, ob er die Schuhe behalten könne, die seien so bequem. "Klar, wir müssen Ihnen aber eine Rechnung schicken, nicht dass der Eindruck entsteht, dass wir Sie bestechen wollten", bekommt er als Antwort. Die Stahlkappenschuhe behält der Brite gleich an, sie sind wirklich bequem, noch am selben Abend trägt er sie beim Empfang mit dem Parteichef der Stadt.

Christoph Giesen, SZ vom 26./27. Oktober 2013

Jimi Hendrix

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... London

Wer am Oxford Circus den Tiefen der U-Bahn entsteigt, findet sich inmitten von zehntausend Menschen wieder, die ohne Ziel umeinander rennen und in Zungen reden. Es ist schwierig, am Oxford Circus die Ruhe zu bewahren, das Gewusel, Gedränge und Geschrei macht auch die größten Stoiker irgendwann nervös. Der Oxford Circus ist zu meiden, wenn es irgendwie geht. In dieser Woche ging es irgendwie nicht, raus aus der Bahn, über Stufen und Rolltreppen immer weiter nach oben, schließlich am Tageslicht, und da steht dieser Mann mit E-Gitarre, Fender Stratocaster, er spielt "Little Wing" von Jimi Hendrix, ein heiliges Lied, er spielt wie ein Meister, er singt: "Well, she's walking through the clouds / with a circus mind that's running round." In diesem Moment ist der nervöse, der unerträgliche Oxford Circus Londons erhabenster Ort.

Christian Zaschke, SZ vom 26./27. Oktober 2013

Kinderfüße in Schuhen Lokal München Kinder

Quelle: Catherina Hess

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Mitten in ... München

Einer der letzten schönen warmen Abende dieses Herbstes. Die befreundete Familie mit ihren diversen kleinen bis mittelgroßen Kindern sitzt auf einem der schönsten Plätze und genießt Pizza und Rotwein. Die Kinder sitzen nicht mehr am Tisch und beschäftigen sich mit anderen Dingen. Was das bedeutet? Weiß man immer erst hinterher. Da erhebt sich aufgeregtes Stimmengewirr, es sind Fragen dringender Art aufgetaucht. Wer bekommt 117 Cola, 30 Minestrone, 241 Pizza Funghi? Die Kellner stehen um den Bon-Automaten, der sich für jeden zugänglich neben dem Eingang befindet, und weisen auf den kleinsten Buben. Das Gerät hat so schöne bunte Tasten wie ein Touchscreen-Flipper. Und der kleinste hat Farbenklavier gespielt. Hat Spaß gemacht. Jetzt wird alles wieder ausgebongt. Ach, macht nichts. War ja erst das zweite Mal an diesem Abend.

Harald Hordych, SZ vom 26./27. Oktober 2013

Weißer Hai

Quelle: dpa

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Mitten in ... Los Angeles

Spätestens seit dem Film Der weiße Hai von Steven Spielberg ist bekannt, dass Haie durchaus gefährliche Tiere sind. In den vergangenen Wochen schwammen an der Küste von Los Angeles immer wieder junge Weiße Haie bis zu 200 Meter an den Strand heran. Die Küstenwache aber erklärte ganz ruhig, die Menschen müssten keine Angst haben. Sie könnten sorgenlos weiterbaden. Das nahmen einige Abenteurer zum Anlass, hinaus auf den Ozean zu paddeln, um völlig angstfrei ein paar Haie zu filmen. Die Surfer Erica Henderson und Mike Durant stellten stolz Videos ins Netz, in denen ein Zwei-Meter-Vieh direkt unter ihrem Brett hindurch schwimmt. Da überlegte die Küstenwache und erklärte - vielleicht nach Begutachtung einer alten Spielberg-DVD: Haie sind durchaus gefährliche Tiere, denen man nicht zu nahe kommen sollte.

Jürgen Schmieder, SZ vom 19./20. Oktober 2013

Ägypten Kairo Wüste

Quelle: dpa

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Mitten in ... Kairo

Die Mogul-Herrscher hielten die Kuppeln ihrer prächtigen Grabmäler und Moscheen in Blau, weil sie sich in den Wüsten Irans, Indiens und Afghanistan immer an das erinnern wollten, was ihnen fehlte: Wasser. Auch in Ägypten - Nil hin oder her - mangelt es daran. Ein Land, in dem ein, zwei Mal im Jahr schon ein mehr als fünfminutiger Regenguss für Aufsehen sorgt, bleibt für Europäer gewöhnungsbedürftig. Weshalb eine kleine Reise durch Nordfrankreich zwischendurch auf sehr einfache Art Abwechslung garantiert: Wasser, Flüsse, Bäche, es gibt Wiesen, schier endlose Wälder! Vielleicht ist ja genau das der Grund, warum die Menschen im Nahen Osten immer so hitzig reagieren auf das, was das Leben so mit sich bringt - kaum Wasser, keine Jahreszeiten, wenig Grün, viel zu viel Staub und noch viel mehr Sand. Also: Wasser statt Wüste!

Tomas Avenarius, SZ vom 19./20. Oktober 2013

Indien Regen

Quelle: AFP

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Mitten in ... Faridabad

Der Regen hat die Kreuzung überflutet, aber der Verkehrspolizist hält tapfer seinen Posten. Schuhe und Socken hat er ausgezogen, die Hose hochgekrempelt. So trotzt er den Fluten und rudert energisch mit den Armen. Von allen Seiten kommen die Autos und Motorräder, pflügen durch die Brühe. Doch niemand hält an, wenn die barfüßige Staatsmacht ihren Arm in die Höhe reckt. Der Polizist blickt nun recht finster. Als ein roter Geländewagen besonders frech vorbeirauscht und seine Uniform bekleckert, ist es mit seiner Geduld vorbei. Der Polizist springt auf den nächstbesten Motorradfahrer zu und packt ihn am Ärmel, bis er stoppt. Dann verpasst er ihm eine Ohrfeige. Der Jüngling schreit, das hat gesessen. Der Polizist wedelt jetzt gnädig mit der Hand. Weiterfahren. Der junge Mann gibt Gas. Wenigstens einer, der hier Befehle befolgt.

Arne Perras, SZ vom 19./20. Oktober 2013

Westminster Abbey London Großbritannien

Quelle: dpa

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Mitten in ... London

"Ah, Sie sind also Theologe." Den Wächter vor der Westminster Abbey beeindruckt auch das nicht. "Bitte lösen Sie Ihr Ticket für den Kirchenbesuch." Erwachsene: 18 Pfund, Familien: 44 Pfund (aber nicht mehr als zwei Kinder). "Unsere Kirche finanziert sich eigenständig, das müssen sie schon verstehen. Wir bekommen keine Zuschüsse vom Staat." Aber 18 Pfund? Nie und nimmer! Nächster Stopp: St. Paul's Cathedral. Diesmal gleich über den Ausgang rein. Blöderweise klemmt das depperte Drehkreuz. Erneut hat ein Wächter den Gläubigen am Schlafittchen. "Ticket, bitte." Erwachsene: 16 Pfund, Familien: 39 Pfund (nicht mehr als zwei Kinder). An der Kasse platzt dem Sinnsucher jetzt vollends der Kragen: "I want to pray, not to pay." Die Kassiererin winkt ihn überraschend gratis durch. So ein Stress. Ach, Limburg, was hast du's gut.

Christian Zaschke, SZ vom 19./20. Oktober 2013

Haus Dublin Irland

Quelle: Bloomberg

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Mitten in ... Bandon

Das Backsteingebäude aus dem Jahr 1818 wurde liebevoll restauriert. Der freundliche Besitzer des Bed & Breakfast in Bandon im Südwesten Irlands, 30 Kilometer von Cork entfernt, wo alles so unglaublich grün ist, vermietet vier geräumige Zimmer an Touristen. Seine Frau serviert Frühstück: Tee, Eier, Speck, wer will, kann auch "Black Pudding" haben, die irische Blutwurst. Am Abend nimmt der Hausherr den deutschen Gast beiseite: Ob man schon etwas vorhabe für den nächsten Tag? Er könne mit einer Karte aushelfen, auf der die schlimmsten Bauruinen in West-Irland eingezeichnet seien, sagt er. Dann könne man doch mal sehen, wo all das Steuergeld geblieben ist, fügt er mit einem irren Lachen an. Doch dann wird er ernst. Den Leuten gehe es nicht gut hier in Irland. Warum? Er sagt: "Frau Merkel will doch ihr ganzes Geld zurück."

Caspar Busse, SZ vom 12./13. Oktober 2013

Augenoptiker-Sehtest

Quelle: dpa

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Mitten in ... Peking

In unserer Gasse gibt es einen Masseur, dessen Salon gleichzeitig Copyshop ist, es gibt den Obsthändler, der Schlüssel nachmacht, den Elektriker, der die Kloschüssel repariert, den Fahrradreparateur, der Telefonkarten besorgt, und den Friseur, der babysittet (mit Hilfe von "Tom-und-Jerry"-Cartoons, zugegeben). Neulich wollte ich in München eine Lesebrille anfertigen lassen. "Dauert neun Tage", sagte der Verkäufer. So viel Zeit hatte ich nicht, ich musste ja wieder zurück nach Peking. Also ging ich in Peking zum Optiker. Ließ kostenlos meine Sehstärke testen, unterschrieb den Bestellschein. "Und wann darf ich wiederkommen?", fragte ich. "Wenn Sie eine Viertelstunde Zeit haben", sagte die Verkäuferin, "dann können Sie gleich hier warten." Das tat ich glatt. Die Verkäuferin bot mir eine sehr schmackhafte Persimone an. Halleluja.

Kai Strittmatter, SZ vom 12./13. Oktober 2013

Bücherregal Bücher Archiv

Quelle: dpa

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Mitten in ... Stift Vorau

Erntedank in der Steiermark, in einem entzückenden Augustiner-Stift mit berühmter Bibliothek. Wein wird ausgeschenkt, die Stimmung ist trotz des Nieselregens ausgelassen. Doch um Gottes Willen: Was steht da im Innenhof, im Freien? Kostbare Bücher, Folianten, in Leder gebundene Bände, einzigartige Schätze der Buchdruckkunst, aufgereiht in einem Regal, dem Regen ausgesetzt und damit dem Verderben? Sind die verrückt hier - oder betrunken? Aus der Nähe erweist sich: Die Bücher sind aus Stein. Unikate in Farben und Formen, entworfen und gemeißelt von Studenten, eines schöner und origineller als das andere, so naturgetreu, dass dem Buchliebhaber der Atem stockt. Das Kunstwerk soll, geht es nach den Erschaffern, daran erinnern, dass das Wort so unvergänglich ist wie Stein. Mit E-Books wäre das nicht gelungen.

Cathrin Kahlweit, SZ vom 12./13. Oktober 2013

Buenos Aires Fahrrad

Quelle: AFP

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Mitten in ... Buenos Aires

Kürzlich habe ich es wieder gewagt. Eines der letzten Abenteuer unserer Zeit: Ich fuhr Fahrrad in Buenos Aires. Es gibt seit einiger Zeit so etwas Ähnliches wie Radwege und sogar Leihfahrräder in Argentiniens Hauptstadt. Das Problem: Bewohner ohne Fahrräder, also die überwiegende Mehrheit, hassen diese Radwege, ganz besonders Fußgänger und Taxifahrer. Außerdem hat der ignorante Bürgermeister Mülltonnen aufstellen lassen, und zwar meistens mitten auf diesen Radwegen. Ich fuhr also mal wieder Slalom, vorbei an Mülltonnen und fluchenden Taxifahrern. Kurz vor dem Ziel sprach mich eine sehr strenge Frau an: "Fahr' nach Palermo, das hier ist nichts für Fahrräder. Die Radwege müssen verschwinden." Palermo ist das Viertel, aus dem ich kam. Ich sagte der Dame sehr freundlich, dass sie von meinem Radweg verschwinden solle.

Peter Burghardt, SZ vom 12./13. Oktober 2013

Oktoberfest Dirndl Dekollete Ausschnitt

Quelle: Getty Images

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Mitten in Calgary

Das Warten an der Supermarktkasse zieht sich hin. Der Blick wandert über die Auslagen und bleibt an einem seltsamen Produkt hängen. Was soll das sein? Eine flache Plastikverpackung ohne wirkliche Bezeichnung, stattdessen sind ein Stück Stoff abgebildet und eine Frau. Frage an die Dame hinter uns in der Schlange: Wissen Sie, als Einheimische, worum es sich handelt? Stirnrunzeln.

Skizzen auf der Rückseite geben Aufschluss: Es handelt sich um einen Latz, der das Dekolleté abdeckt; man befestigt ihn am Büstenhalter. Wer braucht so was? Sind Kanadier noch prüder als Amerikaner? Warum gibt es dieses Ding an der prominentesten Stelle im Supermarkt, zwischen Kaugummi, Feuerzeugen, Schokoriegeln, Batterien, Jelly Beans?

Wir hängen zwei große Gummibärchentüten vor die Lätzchen. Sie sind jetzt gut versteckt, die Verwirrung hat ein Ende.

Viola Schenz, SZ vom 05./06.10.2013

München Oktoberfest Hendl Brathähnchen

Quelle: Getty Images

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Mitten in ... München

Winzerer Fähndl, Box 14, der ewige Kreislauf von Rausch und bösem Erwachen. "Die Nockherberger" drehen voll auf. Wildfremde Schunkelmonster liegen sich in den Armen, das Wiesnzelt tobt, es vibriert. Gerade haben sie den jungen Südtiroler rausgetragen, der die Bierbank mit einem Fitnessgerät verwechselt hat, auch sein Freund glotzt nicht mehr romantisch, als ihn der tätowierte Popeye, offenbar der zuständige Ordner, durch den Gang schleift.

Die Kellnerin kämpft sich durch die Masse, sie nutzt das Tablett als Rammbock und serviert das Hendl. Es liegt auf einem makellos weißen Teller neben dem Zitronentuch, ein minimalistisches Kunstwerk.

Gerade als man hineinstechen will ins weiße, warme Fleisch, brüllt die trachtenmäßig voll ausstaffierte Inderin vom Nachbartisch, dass sie erst noch ein Foto braucht: "It's so beautiful!"

Christian Mayer, SZ vom 05./06.10.13

Mexiko Mexiko-Stadt Harmonipan

Quelle: oh

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Mitten in ... Mexiko-Stadt

Klänge gibt es reichlich in Mexiko-Stadt, der herrliche Moloch ist ja ein einziges Geräusch. Zu den hartnäckigsten Musikanten zählen die hupenden Autofahrer im Stau. An folkloristischen Ecken spielen auch Mariachis mit Sombrero auf. Meine Melodie im wunderbaren Chaos aber sind die schiefen Töne aus schwarzen Drehorgeln, Marke Harmonipan.

In ihrer Heimat Deutschland sind die Instrumente verstummt. An traditionellen Plätzen der Ciudad de México dagegen quietschen die Leierkästen bis heute, bedient von Soldaten der Heilsarmee mit Mützen für Münzen. Vor allem im Viertel Coyoacán, wo Frida Kahlo lebte, Diego Rivera und Leo Trotzki.

Die Kästen sind so sagenhaft verstimmt, dass einem die Ohren weh tun. Doch man vermisst sie, wenn man wieder in jene Welt entschwindet, aus der Drehorgeln verschwunden sind.

Peter Burghardt, SZ vom 05./06.10.2013

Straßenmusiker Geige

Quelle: dpa

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Mitten in ... Budapest

Es ist zwar Budapest, ein sonnendurchfluteter Tag, aber "Moskauer Nächte", dieses zauberhaft melancholische Lied, ließe man sich hier auf dem Vörösmarty-Platz gern gefallen. Ein alter Herr versucht mit seiner Geige, die Gäste eines Straßencafés sanft zu stimmen. Jedoch beginnt sogleich ein Kampf, der Kampf des Romantikers gegen die Moderne. Denn wenige Meter entfernt wummern an einer Cocktail-Bar drohend die Bässe.

Man spürt, der alte Mann und die Geige haben keine Chance.

Er spielt lauter, kräftiger, aber die Anlage der Bar legt mühelos zu. Es messen sich "Moskauer Nächte" und die Disco-Version eines Dirty-Dancing-Lieds. Als nebenan noch eine launige Werbeaktion beginnt, lösen sich die "Moskauer Nächte" vollends auf: unerhört! Traurig blickt der Mann in seinen leeren Hut und trottet fort. Es hätte so schön sein können.

Frank Nienhuysen, SZ vom 05./06.10.2013

Flamenco Röcke Spanien Absurdistan Sevilla

Quelle: Kathrin Dorscheid/picture alliance

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Mitten in ... Sevilla

Authentisch, das ist das große Schlagwort, unter dem Individualreisende ihre Erlebnisse gern verbuchen möchten. In Andalusien wollen sie Flamenco sehen, den richtigen, nicht den aus der Touristenshow. Im Reiseführer steht der passende Tipp: Casa Anselma, jubelt er, garantiert echt, geleitet von einer resoluten, gealterten Flamenco-Königin, eine Bar mit improvisierter Musik und ekstatischen Tanzausbrüchen. Kein Schild hängt am Eingang, so das Buch verschwörerisch, man muss die Adresse kennen. Aufgeregt startet der Reisende in die Nacht, als er ankommt, findet er: etwa 200 andere Reisende, die das gleiche Buch gelesen haben und die leider nicht mehr viel Raum lassen für die Authentizität. Als die Musik einsetzt, der Flamenco mit seinen komplizierten Rhythmen, da klatschen viele mit - stoisch auf eins und drei. Authentische Deutsche.

Judith Liere, SZ vom 28./29. September 2013

Volkszeitung Büroturm Peking China

Quelle: oh

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Mitten in ... Peking

Manche Länder haben die Satire abgeschafft und durch die Realität ersetzt, die oft mit der gleichen persiflierenden Wucht daherkommt. Chinas Volkszeitung zum Beispiel ist "Kehle und Zunge" der Partei, und bald vielleicht noch mehr. Die Zeitung baut sich einen neuen Büroturm, an dem sie die "Erdbebenfestigkeit und Stromlinienförmigkeit" preist, der aber vor allem aussieht wie ein großer Penis. Wenn die Leute dran vorbeifahren, dann denken sie seit Monaten nicht an Stromlinienförmigkeit, sondern bloß an das Eine. Alles was es so an Witzen über Härte und Standfestigkeit gibt - die Volkszeitung musste es ertragen. Fast war die erste Erregung schon wieder eingeschlafen, nun aber wird der Turm mit goldenen Platten verkleidet. Jetzt starrt wieder ganz Peking drauf. Gold. Glänzend. "Wow. Ich werde jedes Mal rot", schrieb einer im Netz.

Kai Strittmatter, SZ vom 28./29. September 2013

Taxis Buenos Aires Argentinien

Quelle: AFP

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Mitten in ... Buenos Aires

Die Taxifahrer von Buenos Aires wissen alles. Sie sind Psychologen, Politikwissenschaftler, Lebenskenner, Sprachgenies. Sie sprechen einen schon mal auf Jiddisch an, erörtern Cortázar oder Nietzsche, analysieren Argentiniens Krisen oder erläutern das Phänomen des Peronismus. Einmal bremste einer am Obelisken mitten auf der Avenida 9 de Julio und wollte den frechen Chauffeur des Autos vor ihm verprügeln. Ein anderer nahm an jeder roten Ampel die Gitarre vom Nebensitz und gab ein kleines Konzert. Ein Dritter sah aus wie Che Guevara. Kürzlich schimpfte ich mit einem Taxista herrlich über den ignoranten Bürgermeister und dessen Mülltonnen, die Radwege versperren. Nach der Ankunft stellte der Pilot den Motor ab und wollte weiter die Welt erörtern. Enttäuscht nahm er das Geld entgegen, als ich sagte, ich müsse jetzt aussteigen.

Peter Burghardt, SZ vom 28./29. September 2013

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Wien

Auf dem Karajan-Platz vor der Oper wird Verdis Nabucco live übertragen. Der Mann, der mit seinem zauseligen Graubart aussieht wie der alte Giuseppe, sitzt auf dem Boden an einen Mülleimer gelehnt. Seine Habseligkeiten hat er um sich herum verteilt; Plastiktüten, Zigarettenschachteln, ein Opernglas. Im Takt der Musik rudert und zuckt er wild wie Joe Cocker, nippt zwischen zwei Arien an einem Weißbierglas. Er ist hier Verdis Hoher Priester. Den Stern des Komponisten auf dem Opern-Trottoir hat er mit Teelichtern geschmückt, in die Mitte einen skurrilen Turm gesetzt: eine Bierdose, darüber ein Kaffee-Pappbecher und oben drauf ein Blumentopf mit verdurstendem Rosmarin. Den Blumentopf überreicht er mir später mit glasigen Augen, als sei es eine Rose. Und, die Finger zu einem V-Zeichen geformt, flüstert er: "Viva, Verdi!"

Jutta Czeguhn, SZ vom 28./29. September 2013

Peking China Park Absurdistan Kurios Mitten in Absurdistan

Quelle: Stephen Shaver/AFP

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Mitten in ... Peking

Zeichen, dass es Herbst wird in Peking: Sanfte Winde legen blauen Himmel frei. Die Freibäder sind auch an herrlichen Sonnentagen verwaist, da Chinesen sich traditionell nicht nach dem Wetter richten, sondern nach einem 5000 Jahre alten Kalender, der ihnen schon vor Wochen flüsterte, der Sommer sei vorbei. In den Gassen flanieren die Pyjamas nun wattiert. Vor allem: Pekings Männer packen ihre Bäuche wieder ein, die sie den Sommer über spazierentrugen. Rollen ihre Hemden wieder herunter, die ihnen während der vergangenen Monate als Kleiderwurst unter den Achselhöhlen klemmten, während sie sich auf Hockern sitzend liebevoll den Bauch massierten. Die letzten nackten Bäuche, die letzten Rollwürste gehören westlichen Rucksacktouristen, stolz die örtlichen Bräuche nachahmend, dabei aber, wie meist, einen Schritt zu spät.

Kai Strittmatter, SZ vom 21./22. September 2013

Baden-Baden Kasino Kurios Absurdistan Mitten in Absurdistan Deutschland

Quelle: Frederick Florin/AFP

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Mitten in ... Baden-Baden

Im schicken Baden-Baden tragen die Taxifahrer Anzug und Krawatte. "Erstes Mal bei uns? Wird Ihnen gefallen", sagt er. Fünf Kilometer sind es vom Bahnhof bis in die Innenstadt. Fünf Kilometer, den Fahrgast für die Stadt zu begeistern. Regen klatscht an die Scheiben. "Es regnet hier nicht immer." Hübsche Häuser. "In den großen Häusern wohnen die Reichen." Vor einem besonders imposanten Gebäude steht ein Schild: Festspielhaus/Alter Bahnhof. "Da, das Festspielhaus. War früher ein Bahnhof." Nächstes Schild: Trinkhalle, dann noch ein Schild, Pfeil nach links: Kurhaus. "Da, die Trinkhalle. Wenn Sie hier links gehen, kommen Sie zum Kurhaus. Da sitzen viele Kurgäste." Fahrtziel erreicht, Fußgängerzone. Ein Tipp noch: "Da können Sie einkaufen. Viel Spaß!" Wie lange er eigentlich schon hier wohnt? "Seit gestern."

Anne-Nikolin Hagemann, SZ vom 21./22. September 2013

Gustav Klimt Der Kuss Wien Absurdistan Mitten in Absurdistan Kurios

Quelle: AFP

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Mitten in ... Wien

Also, Kommando zurück: Küssen ist in den Öffis, den Wiener Linien, nicht verboten. Dabei war das eine tolle Schlagzeile, die auch in europäischen Medien nachgedruckt wurde: In Wien gebe es neuerdings, hieß es, ein Kussverbot. Das Boulevard-Blatt Österreich hatte das Gerücht aufgebracht, um kurz darauf festzustellen: Nach einem Aufschrei der Empörung hätten die Wiener Linien die geplanten 50 Euro Strafe für wildes Knutschen wieder zurückgenommen. Die Stadt dementiert: Mit der Kampagne "Rücksicht hat Vorrang" wolle man nur zeigen, was andere stört. Danach ist es "ungustiös", in der U-Bahn Kebab oder Käsekrainer zu essen, Nase zu bohren oder schlabbernde Hunde mitzunehmen. Aufdringliche Zungenküsse werden auch nicht gern gesehen. Aber klar: In der Stadt, in der Klimts Kuss hängt, bleibt Küssen natürlich erlaubt.

Cathrin Kahlweit, SZ vom 21./22. September 2013

Achterbahn Heidepark Soltau Kurios Absurdistan Mitten in Absurdistan Deutschland

Quelle: Philipp Schulze/dpa

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Mitten in ... Soltau

Bis heute ist diese Erinnerung die erste prägende an das wiedervereinigte Deutschland: Nach dem Besuch im Heidepark Soltau fuhr der Renault der West-Verwandtschaft rechts ran, man spie in den Wald. Die späte Rückkehr soll, nein, sie muss nun eine Revanche werden. Das Fahrgeschäft heißt "Desert Race", die Beschleunigung von 0 auf 100 km/h dauert 2,4 Sekunden. Man kreischt erst wie ein Mädchen, dann schreit man wie ein Verwundeter. Diese Fahrt dauert keine Minute, das elende Zittern dauert danach noch an. Es bleibt: ein wohliges Mischgefühl aus Geschafft-haben und Nicht-noch-mal-müssen. Zerstört wird es von dem Jungen, der am selben Wüstenrennen teilnahm und nun fröhlich vorbeispaziert. Seine Mutter hält ihn an der Hand, er sagt zu ihr: "Mama, das war langweilig. Ich will jetzt was Richtiges fahren!"

Cornelius Pollmer, SZ vom 21./22. September 2013

© Süddeutsche Zeitung/cag
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