Mitten in Absurdistan:Baku macht mal kurz das Licht aus

In der Hauptstadt von Aserbaidschan ist Stromsparen kein Thema - mit einer kleinen Ausnahme. Und in Moskau schießt die Inquisition im Einkaufszentrum.

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(Foto: Rene Vigneron/dpa)

Mitten in ... Baku Baku leuchtet, immer nach Sonnenuntergang. Hinter der Altstadt schlagen riesige Flammen in den Himmel: eine Lichtinstallation auf den "Flame Towers", 10 000 Hochleistungs-LEDs. Das Feuer könnte einen erschrecken - wäre in Baku nicht an jeder Ecke eine Lichtinstallation. Stromsparen? Im Ölförderland Aserbaidschan kein Thema. Vor Kurzem war "Earth Hour", an vielen Orten der Welt wurden die Lichter gelöscht, um auf den Klimawandel und die Endlichkeit der Ressourcen hinzuweisen, weshalb der Hoteldirektor schrieb: Baku werde an diesem Abend nicht leuchten, nicht zwischen halb neun und halb zehn. Eine Stunde Licht aus, den Rest des Jahres Bling-Bling: klingt logisch. Aber dem Direktor war es ein Anliegen. Er hat seinen Hinweis (Endlichkeit der Ressourcen, pff), auf Papier ausgedruckt. Einzeln, für alle 248 Zimmer. Claudio Catuogno SZ vom 31. März 2017

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(Foto: Getty Images for BEGOC)

Mitten in ... Moskau Niemand hat mit der spanischen Inquisition gerechnet, aber plötzlich steht sie da, am Schießstand eines Moskauer Einkaufszentrums. Dieser rote Mantel und dieser Hut dazu, dafür gibt es keine andere Erklärung. Ungewohnt nur, dass sie jetzt Frauen haben bei der Inquisition, aber gut, unter dem neuen Papst ist ja vieles möglich. Die Frau dürfte etwa 70 sein, ihre Augen wirken eulenhaft hinter den dicken Brillengläsern. Aber ihre Haltung: professionell, der Körper gespannt, als sie mit einer Gaspistole Plastikkügelchen auf die elektronische Zielscheibe feuert. 20 Schuss für umgerechnet vier Euro. Bäng, bäng, bäng - neun Punkte, zehn Punkte, neun Punkte. Pardon, wo hat sie so gut Schießen gelernt? "Das ist mein Geheimnis", sagt die Dame in Rot und zwinkert. Ach, ganz vergessen, bei der Inquisition stellen ja die anderen die Fragen. Julian Hans SZ vom 31. März 2017

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(Foto: Julien Warnand/dpa)

Mitten in ... Brüssel Der unaufhaltsame Fortschritt hat inzwischen sogar den öffentlichen Nahverkehr in Brüssel erreicht. An fast allen Haltestellen tauchten elektronische Tafeln auf, die in Echtzeit darüber informieren, wann der nächste Bus kommt. Es schien der Sieg zu sein über einen Fahrplan, der sowieso nie stimmt. Am Anfang ging alles gut. Der Bus der Linie 36 kommt in zwei Minuten, sagte die Tafel, und - ja! - zwei Minuten später kam der Bus. Aus rätselhaften Gründen fingen die Tafeln aber dann mit der Lügerei an. Verhalten zuerst. Eine Minute, sagte die Tafel. Es wurden drei. Später entwickelten die Tafeln eine sehr böse Art von Humor. 22 Minuten, sagten die Tafeln, da lief man lieber zu Fuß. Sobald man weit genug weg war von der Haltestelle, kam der Bus doch. Manche wollten dann ein fieses Lächeln auf dem Gesicht des Busfahrers gesehen haben. Daniel Brössler SZ vom 31. März 2017

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(Foto: Felix Kästle/dpa)

Mitten in ... München "Wissen Sie eigentlich", unterbricht eine Männerstimme von hinten die Kinderwagenschieberei, sie klingt schnoddrig und aufgebracht. "Wissen Sie eigentlich", schnoddert es noch einmal, "dass Ihr Kinderwagen Krebs verursacht?" Der verneinenden Antwort folgt ein selbstzufriedenes Nicken. "Stiftung Warentest hat Erschreckendes herausgefunden. Lesen Sie keine Zeitung?" Der Mann, ausgetretene Turnschuhe, tiefe Augenringe, ist nicht zu stoppen. "Die Griffe sind chemikalienverseucht. Und Sie haben daran ständig Ihre Hände. Und mit Ihren Händen berühren Sie andere Hände. Und Ihr Kind!" Im Bus haftet sein Blick an den Händen am Kinderwagen. Zwischendurch empörtes Augenrollen und Seufzer. "Unverantwortlich!", zischt der Besorgte, als der Bus endlich hält. Schimpft, steigt aus und zündet sich eine Zigarette an. Laura Hertreiter SZ vom 31. März 2017

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(Foto: imago stock&people)

Mitten in ... Praiano Auf einer Barterrasse in Italiens Küstenstadt Praiano, die Beine gestreckt, die winterliche Morgensonne im Haar. Keine Touristen, kein Verkehr. Nirgendwo auf der Welt legen sich Meer und Himmel sanfter auf die Seele als hier, an der steilen Costiera Amalfitana, auf halbem Weg zwischen Positano und Amalfi. Ein Arbeiter treibt Maultiere die Straße hinauf. Auf der Ladefläche eines Jeeps schläft ein alter Hund auf einem noch älteren Sofa. Mit etwas Fantasie riecht man Zitronen. Dann setzt sich ein Herr an den Nebentisch, beugt sich über den Sportteil von Il Mattino, der Zeitung aus Neapel, und zischt leise: "Questa Juventus!" Schon wieder gab es einen fragwürdigen Elfer für die Turiner, ach was, einen frei erfundenen. "Inesistente!" Und so dräut plötzlich ein Komplott über der Idylle. Der zarte Duft der Zitronen? Wie weggeblasen. Oliver Meiler SZ vom 24. März 2017

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(Foto: picture alliance / dpa)

Mitten in ... Córdoba In den Gassen zwischen all den prächtigen Kirchen, maurischen Palästen, ehemaligen Moscheen und Synagogen Córdobas wollen mehrmals täglich Hunde aller Rassen Gassi gehen. Aber kein Baum, kein Strauch, kein Stück Rasen weit und breit. Da besann man sich darauf, dass einst die Mauren wunderbare unterirdische Abwasserkanäle bauten. Die gibt es also nun auch für den Hund. Und damit es jeder richtig macht, steht da in Großbuchstaben: "Pipi hier!" Es kommt eine elegante Dame mit einem Dalmatiner daher. Der schnüffelt an den gelben Lettern, läuft dann aber drei Meter weiter zu einem Fahrradständer und hebt dort sein Bein. Die Dame spürt die missbilligenden Blicke der Gäste im Straßencafé daneben. Da dreht sie sich zu ihnen um und sagt: "Ein dummer Hund, schon acht Jahre alt und kann immer noch nicht lesen!" Thomas Urban SZ vom 24. März 2017

Mitten in ... Brüssel Unser Jogging-Wald, der Forêt de Soignes, ist ein ehemaliger Sumpf am Stadtrand. Er wird durchkreuzt von zwei Autobahnen, es gibt wenige, gut versteckte Unterführungen. Wenn man einen Rundkurs rennen möchte, ist es schwierig, den Überblick zu behalten. Oft kann man sich an der Sonne orientieren. Neulich war aber Nebel und ich hab mich verlaufen, so richtig Hänsel-und-Gretel-mäßig. Kein Handy dabei, es wurde dunkel. Endlich kam ein Wanderer, den ich nach dem Weg fragen konnte, und irgendwann fand ich aus dem Wald. Ein völlig menschliches Erlebnis, ohne Google, ohne Map, mit Nervenkitzel. Mein Sohn versteht, was ich meine. Er geht sonst keinen Meter ohne Handy. Aber er und seine Kumpels haben jetzt ein neues Spiel. Sie schalten ihre Smartphones aus und laufen durch die Gegend. Sie nennen es "Verirren". Thomas Kirchner SZ vom 24. März 2017

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(Foto: imago stock&people)

Mitten in ... Guangzhou Im südchinesischen Guangzhou kommt der Müllmann zweimal täglich mit dem Handwagen, jedenfalls in den alten Vierteln. Er klingelt mit seiner Glocke und steigt sogar die Treppe hoch. Erklärt wird das mit der Hitze, es stinke sonst. Womöglich hatten Chinas Kommunisten das jedoch von den Sowjets. In Leningrad trafen die Hausbewohner sich jeweils um fünf Uhr abends vor Tür, um gemeinsam auf den Müllwagen zu warten. In Tokio wird Müll an vier Wochentagen geholt, getrennt Hausmüll, "Nichtbrennbares", Altpapier, Pappkarton, Glasflaschen und Dosen. Taiwan war ein halbes Jahrhundert eine japanische Kolonie. Wenige Schritte vom Dongmen-Markt in Taipei stellen sich Nachbarn kurz nach sechs Uhr abends mit vielen Tüten getrennten Mülls hin; und ein Laster nach dem andern fährt vor. Für jede Müllsorte einer. Christoph Neidhart SZ vom 24. März 2017

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(Foto: dpa)

Mitten in ... Accra Wenn man aus dem Zentrum von Ghanas Hauptstadt in die östlichen, etwas betuchteren Stadtteile will, dann geht es lange über breite Straßen und große Highways. Bis sich alles vor einer winzigen Unterführung staut, die nur in eine Richtung befahren werden kann. Entlang der kilometerlangen Staus haben sich fliegende Händler angesiedelt, die den gehobenen Ansprüchen ihres Publikums entgegenkommen. Man kann - mitten im Stau - etwa den Economist kaufen oder auch Magazine über englische Gartengestaltung. Die entsprechenden Pflanzen werden direkt dahinter angeboten. Es gibt sogar junge Welpen zu kaufen, die so aussehen, als würden sie später einen Pudel ergeben. Ein Händler hält den Autofahrern gleich vier Stück entgegen. Nach ein paar Stunden sind drei davon verkauft. So ein Stau ist eben auch ein gutes Geschäftsmodell. Bernd Dörries SZ vom 17. März 2017

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(Foto: Johannes Simon)

Mitten in ... Stockholm Im "Bierhaus" schenken sie deutsches Bier aus. Es gibt Bratwurst mit Sauerkraut. Um eins ist Schluss, wie fast überall in Stockholm. Um halb eins versammeln sich alle vorsorglich und völlig betrunken vor den Toiletten. "Wo kommst du her", lallt ein Typ. "Deutschland." Der Mann hat weitere Fragen: Was denn die größten Unterschiede seien zwischen Deutschland und Schweden. Puh. Oder wie sich der Norden vom Süden unterscheidet? Und was die größten deutschen Städte sind? Mmh. Und wie ist es da so? Das Quiz findet kein Ende, die ersten Wartenden überholen einen schon. Vorsichtig weist man den Mann jetzt darauf hin, dass der Weg zum WC gerade frei wäre. Doch er möchte wissen, aus welcher Stadt man kommt. "KÖÖÖÖLN!!!" Er schaut grimmig - und knallt die Klotür hinter sich zu. Wieder was für die Völkerverständigung getan. Silke Bigalke SZ vom 17. März 2017

Mitten in ... Teheran Bagh Ferdows Park, gleich beim Filmmuseum, eher ein Platz für die liberalen Hauptstädter. Hippies, Mädchen ohne Kopftücher, große Ausgelassenheit. Das alles wird an diesem Abend toleriert, weil das Land Chaharshanbeh Souri feiert, den letzten Mittwoch im alten Jahr. Auf den Bürgersteigen tanzen Männer um kleine Feuer, am Himmel gibt es Raketen und leuchtende Ballons. Grinsende Jungs halten Böller in den Händen, die sehr laut sind, wenn sie explodieren. Es gilt: Wer anderen Glück wünscht, wird selbst Glück haben. Welch Geschenk, dass Dilara gleich vier Ausländern begegnet, die sie glücklich machen kann. "Haft Sien" heißt das Zaubermittel, es handelt sich um sieben getrocknete Früchte. Dilara schöpft sie mit einem Löffel aus einer Plastikschüssel. Schon ist es da, das Glück für alle. So werden Deals geschlossen in Iran. Stefan Kornelius SZ vom 17. März 2017

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(Foto: Scherl)

Mitten in ... München Als Eltern muss man da schon mal genauer hinschauen. Der Oberschenkel der Tochter ist blau. Dunkelblau. Eine Blutvergiftung? Mangelnde Sauerstoffsättigung? Herz-Kreislauf? Sofort ins Krankenhaus. Zwei Stunden warten. Der Arzt kommt. "Hast du Schmerzen?" Ja. "Bist du wo angestoßen?" Ja. "Kein Problem. Dein blauer Fleck müsste bald wieder verschwunden sein." Nächster Tag. Der Fleck changiert mittlerweile ins Gelb-Grünliche. Die Leber? Die Galle? Wieder ins Krankenhaus. Wieder Warten. Diesmal ist eine Ärztin da. Sie schaut sich den Fleck an, taucht etwas Watte in Alkohol und wischt ihn - weg. "Textilfarbe. Die Jeans hat abgefärbt. Haben wir öfter hier. Kein Problem." Die Familie: Überglücklich. Ab in den Skiurlaub. Einen Tag später: Innenbandriss. In drei Wochen kommt der Gips wieder ab. Alles überhaupt kein Problem. Martin Zips SZ vom 17. März 2017

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(Foto: dpa)

Mitten in ... Nouakchott Das Export-Kennzeichen ist 2014 abgelaufen, trotzdem fährt der Mercedes bis heute mit Münchner Nummernschild durch Mauretaniens Hauptstadt. Das habe viele Vorteile, sagt der Fahrer: So ließen sich die Zulassungsgebühren sparen, und das Kennzeichen unterstreiche, dass hier echte deutsche Wertarbeit über die Straßen rollt. Als die deutsche Wertarbeit über die dritte rote Ampel in Folge rollt, versucht der Fahrgast einen Witz: Wenn das Auto weiter als deutsch gelten soll, müsse es auch den Verkehrsregeln entsprechend gefahren werden. Bei der nächsten roten Ampel hält der Mercedes prompt. Und steht noch fünf Minuten später, die Ampel ist immer noch rot. "Anhalten bringt nichts", sagt der Fahrer triumphierend, "auch nicht mit einem deutschem Auto. Die Ampeln kommen aus China, die sind immer kaputt." Moritz Baumstieger SZ vom 10. März 2017

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(Foto: dpa)

Mitten in ... Neckarsulm Das bunte Blatt mit den Geschichten aus den Königshäusern ist gelesen, das Tortenstück vertilgt. Etwas wackelig auf den Beinen schlurft die alte Dame zu ihrem an der Garderobe des Cafés abgestellten Rollator. Mühsam zieht sie sich Schal und Mantel an und steuert auf den Ausgang zu. Noch bevor sie die Tür erreicht, springt ein blondes junges Mädchen herbei, 17 Jahre vielleicht, wirft einen prüfenden Blick auf das Outfit der Frau und macht offenbar optische Mängel aus. In Windeseile jedenfalls bringt die Unbekannte den heillos falsch geknöpften Mantel in Ordnung, drapiert der verdutzten Frau den dicken Wollschal hübsch zurecht, hakt sie unter und hilft ihr samt Rollator vor die Kaffeehaustür. Draußen dann steckt sich das Mädchen eine Zigarette an und entschwindet freundlich winkend nach rechts. Die Oma geht nach links. Lächelnd. Werner Schmidt SZ vom 10. März 2017

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(Foto: Bloomberg)

Mitten in ... New Britain "Ich liebe Demokratie", sagt Xuan Nguyen und schiebt den Teller mit frischer Ananas über den Tisch. Er sitzt in seinem Haus in Pennsylvania und erzählt von früher. Nguyen, 73, hat als Südvietnamese auf Seiten der Amerikaner gekämpft, damals im Krieg gegen Ho Chi Minh. Als die Amis türmten, geriet er in Gefangenschaft, floh nach langer, schwerer Leidenszeit in die USA. Kein Wunder, dass er Vietnam hasst, den Kommunismus, die Autokratie. Jetzt schwärmt er vom amerikanischen Rechtsstaat, lobt die Gewaltenteilung und die Macht der Wähler. Schon komisch: Die vietnamesische Community in New Britain hat nahezu geschlossen Donald Trump gewählt. Auch Xuan Nguyen. Aber warum nur? Der Hausherr reißt die Augen auf, sein Gesicht erhellt sich, er ballt die Faust: "Starker Anführer!", ruft er, "keine Kompromisse!" Moritz Geier SZ vom 10. März 2017

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(Foto: REUTERS)

Mitten in ... Tokio Japan ist ein Bargeldland. Man trägt deshalb oft viel Geld mit sich herum. Kein Problem: Die Kriminalität ist gering, und gefundene Geldbeutel werden stets zur Polizei gebracht. Wenn nur die Geldautomaten länger arbeiten würden! Anders als die Japaner machen sie nämlich pünktlich Feierabend. Vor allem auf dem Land. Nachts und am Wochenende bleiben sie einfach geschlossen. Denn: Es könnte sich dort ja jemand einklemmen, und dann wäre niemand da. Verzweifelt stehen wir deshalb gerade mit einem halben Dutzend Bankkarten in der Tasche vor so einem Ding und geben dem Begriff "bargeldlos" einen neuen Sinn. Ein anderer Automat wenigstens schiebt immer zuverlässig Sonntagsdienst. Und im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen beherrscht er sogar zwölf Sprachen. Er steht in Kabukicho, dem Rotlichtbezirk der Stadt. Christoph Neidhart SZ vom 10. März 2017

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(Foto: Thomas Urban)

Mitten in ... Girona Das ist falsch, doppelt falsch, was da auf dem Unabhängigkeitsplatz im Herzen der katalanischen Stadt Girona vor sich geht: Ganz oben auf der Speisekarte Hamburger und im Namen des Restaurants zwei Punkte über dem U, die da auch nicht hingehören. Ohne Pünktchen, "Munich", so und nicht anders heißt die Stadt nun mal auf Spanisch, Englisch, Französisch. Auf Katalanisch ganz sparsam Munic. Pünktchen gibt es dafür bei den Finnen und Ungarn, bei beiden heißt es - Überraschung! - "München". Der Kellner schaut auf den Hinweis, dass die Pünktchen ja fehl am Platz seien, wie: "Noch so ein deutscher Besserwisser!" Dann lacht er: "Viele Deutsche sagen uns das. Und wenn sie einmal hier drin sind, bleiben sie auch." Wir nippen still am Bier. Doppelt peinlich. Auf Uraltmasche hereingefallen und als Besserwisser ertappt. Thomas Urban SZ vom 3. März 2017

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(Foto: Getty Images)

Mitten in ... Calw Hermann Hesse und seine Aversion gegen den Pietismus: Stoff zum Grübeln nach dem Besuch des Hesse-Museums in seiner Geburtsstadt. Da stand plötzlich die alte Dame und fragte: "Kannst du mir helfen?" Sie traute sich nicht über die Straße. Ich reichte ihr meinen rechten Arm, so marschierten wir los. "Ich bin die Ruth, und wie heißt du?", sagte sie nach mehreren Minuten. Wir hatten die Hälfte geschafft, in beiden Richtungen bildeten sich Staus. "Bist du verwandt mit dem Josef aus der Bibel?", fragte sie. Schulterzucken. Da erzählte Ruth die Geschichte von Josef, Sohn Jakobs, der von seinen Brüdern verkauft wurde. Meine Brüder seien eklig gewesen, sagte ich, aber mich verkaufen? Niemals! Ruth schüttelte den Kopf. Schweigend setzten wir unseren Marsch fort. "Gott segne dich", sagte Ruth zum Abschied. "Aber du musst die Bibel lesen!" Josef Kelnberger SZ vom 3. März 2017

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(Foto: imago)

Mitten in ... Entebbe Der Botanische Garten von Entebbe, am frühen Morgen. Im Hotel hatten sie ihn empfohlen, wegen der Vogelvielfalt. Entebbe ist eine Kleinstadt am Nordufer des Victoriasees in Uganda, gegründet von den Briten. Am Eingang des Gartens kassieren sie fünf Dollar Eintritt. Ein junger Mann sieht am umgehängten Fernglas gleich, worauf es der Fremde abgesehen hat. Er bietet sich als Vogelführer an. Tatsächlich zeigt er einem binnen kurzer Zeit 20 Arten, vom blauen Riesenturako (im Bild) über den Nashornvogel bis zum Senegalliest. Euphorisch bietet man ihm ein Trinkgeld an. Er sagt: 25 Dollar nehme er gewöhnlich. What? Ob es nicht auch fünf täten? "Okay, zehn." Aber dann braucht man ein Motorradtaxi zum Hotel, es ist spät. Er verschwindet, kommt zurück mit einem Motorrad. Kostet noch mal fünf. 20 Dollar für 20 Arten plus Transfer - ein Schnäppchen. Hans Gasser SZ vom 3. März 2017

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(Foto: Arne Perras)

Mitten in ... Lucknow Einfahrt auf einen Hinterhof, viel geparktes Blech, triste Wände aus Beton. Doch zwischen den Autos leuchtet ein bunt gekleideter Mensch heraus, der etwas Seltsames auf dem Kopf trägt. Als er näher kommt, erkennt man mehrere Hüte, die er wie einen Turm waghalsig übereinandergeschachtelt hat. Und vorne stecken auf jeder Etage Brillen. "Ich brauche jeden Morgen eine Stunde, bis ich fertig angezogen bin," erzählt der Inder. "Meine Frau ist stolz auf mich, wenn ich so herausgeputzt aus dem Haus gehe." Und was, wenn man fragen darf, macht der Herr beruflich? Clown? Zauberer? Oder vielleicht ein pfiffiger Brillenverkäufer? Oh nein, sagt der Mann und hält die Hand auf: "Ich kassiere hier die Parktickets. Wissen Sie, in diesem Anzug respektieren mich alle, da traut sich keiner zu sagen: Sorry, ich hab' gerade kein Kleingeld bei mir." Arne Perras SZ vom 3. März 2017

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(Foto: imago stock&people)

Mitten in ... Moskau Zur "Butterwoche" werden in Russland Stapel von Pfannkuchen mit Nachbarn, Freunden und Arbeitskollegen getauscht. Anlass für lange Debatten über die optimale Kombination von Eiern, Milch und Mehl und darüber, ob man besser Hefe oder Soda oder Mineralwasser an den Teig für die Blini gibt. Weil das nie endgültig geklärt wird, kommt im nächsten Jahr die nächste "Butterwoche". Ein Fest, um vor der Fastenzeit ordentlich Energie zu speichern. Die Krönung für die Blini aber ist der Kaviar, ein Moskauer Nobel-Supermarkt bittet zur Degustation: "Dieser hier hat etwas weniger Salz", sagt die Verkäuferin und reicht vier schwarzgraue Stör-Eier auf einem Plastikstäbchen. "Dieser dagegen ist klassisch, der Geschmack, den wir alle aus unserer Kindheit kennen." Ein Schnapsglas voll kostet 80 Euro. Muss eine schöne Kindheit gewesen sein. Julian Hans SZ vom 24. Februar 2017

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(Foto: imago/AFLOSPORT)

Mitten in ... Tokio In Japan zahlen Käufer von Elektronik eine Entsorgungssteuer. Trotzdem gibt es natürlich jede Menge Elektroschrott, der keinen Anspruch auf fachgerechte Entsorgung hat - etwa weil ein Laptop aus der Zeit vor dem Recycling-Siegel stammt, ein Handy in Taiwan gekauft wurde oder bei einem kleinen Laden, der Geräte ohne Siegel verhökert. Für all diese Fälle und für jene Leute, die mit der Recycling-Bürokratie nicht zurechtkommen, tuckern Pick-ups mit plärrendem Lautsprecher durchs Viertel und nehmen vom Kühlschrank bis zum PC alles gegen ein Entgelt zwischen 30 und 70 Euro mit. Nur im Rathaus in Tokio gibt es neuerdings ein Recycling von höchster Bedeutung: Dort kann man sein altes Handy in eine Kiste werfen. Aus den enthaltenen Metallen sollen die Gold-, Silber- und Bronze-Medaillen für Olympia 2020 gefertigt werden. Christoph Neidhart SZ vom 24. Februar 2017

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(Foto: imago/Eibner Europa)

Mitten in ... Stockholm Flughafen Stockholm-Arlanda, ein eiskalter Wintertag. Die Zieladresse liegt mitten in der Stadt, am Kungsträdgården, einem Park, den jeder Taxifahrer kennen sollte. Unserer anscheinend nicht. Der Boden seines Taxis ist mit Zeitungen ausgelegt, offenbar hat der Mann Angst um seine Fußmatten. Als er den Zielort bestätigt, kommt irgendwas mit "Kungs" vor. Besser, ihm noch mal die Karte auf dem Handy zu zeigen. Er nickt eifrig. Doch plötzlich biegt er von der Stadtautobahn ab, irgendwo in den Wald hinein, die Straße ist glatt. Heftige Proteste, der Fahrer dreht sich um, diskutiert, gestikuliert, fährt jetzt in der Mitte der Fahrbahn. Schwere Laster kommen entgegen. Die Aufforderung, langsamer zu fahren, wird mit "okayokayokay" quittiert, aber nicht beachtet. Irgendwann sind wir dann doch wieder auf der Autobahn. Richtung City. Peter Fahrenholz SZ vom 24. Februar 2017

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(Foto: imago stock&people)

Mitten in ... München Es ist natürlich ungerecht, sich ewig über angeblich immer schlecht gelaunte Berliner Busfahrer zu beschweren. Bestimmt arbeiten auch im öffentlichen Nahverkehr der Hauptstadt viele ganz reizende Menschen. Aber wer seine prägenden Jahre in Berlin verbracht hat, der zuckt selbst nach sehr langer Zeit im freundlichen Süden noch unwillkürlich zusammen, wenn plötzlich ein Lautsprecher losknarzt, während man mit Kinderwagen, Kindern und allerlei Krempel auf eine Tram zuspurtet. Welches Fehlverhalten wird jetzt wieder gerügt, was hab' ich falsch gemacht? Erst beim zweiten Mal tut sich der Sinn der Durchsage auf: "Der Kinderwagen hat einen Handschuh verloren!" Und dann wartet der Münchner Trambahnfahrer geduldig, bis Kinder-Handschuh, Kinder und alles andere an Bord geschafft sind. Nimm das, Berlin. Marlene Weiß SZ vom 24. Februar 2017

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(Foto: picture alliance / dpa)

Mitten in ... Berlin Ein ganz normaler Morgen in Berlins U-Bahn-Linie 6, die einmal quer durch die Stadt fährt. An der Haltestelle Kochstraße betritt eine ältere Dame mit Einkaufstüte, Dauerwelle und Hut den Wagen. Sofort springt eine jüngere auf, um ihr Platz zu machen. Die junge Frau trägt, was in Berlin derzeit angesagt ist: bis oben zugeknöpftes Hemd, knöchellangen Mantel und eine Mütze, die so viel Luft zwischen Kopf und Kopfbedeckung lässt, dass man ein Meerschweinchen darunter verstecken könnte. Als die ältere Dame sich dankend setzt, nickt die jüngere kurz, kann aber nicht den Blick von den Schuhen der älteren lassen, bequemen, silbrig glänzenden Slippern. Schließlich fasst die junge Frau sich ein Herz und fragt: "Entschuldigen Sie bitte, aber wo haben Sie denn diese coolen Schuhe gekauft?" Die ältere Dame lacht: "Im Sanitätshaus." Charlotte Haunhorst SZ vom 17. Februar 2017

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(Foto: dpa)

Mitten in ... Moskau Ein Mann im Fahrstuhl, vielleicht 45, schwarzes Haar, dunkler Teint. Armenier? Aserbaidschaner? "Aus Afghanistan", sagt er. "Und Sie? Engländer?" - "Deutscher." - "Deutscher?" Seine Augen beginnen zu leuchten. Ihm ist offenbar gerade etwas Tolles eingefallen. Jetzt kommt sicher die Geschichte mit dem Fußball. Oder mit den Autos. Oder mit dem Onkel in Berlin. "Kommen Sie, ich zeig' Ihnen was", sagt er komplizenhaft. Umständlich holt er eine kleine Schatulle aus der Brusttasche seiner Winterjacke, klappt sie auf und präsentiert sie stolz: Auf einem seidenen Kisschen liegen ein silberner SS-Totenkopf und ein Parteiabzeichen der NSDAP. "Sammel' ich", erklärt er strahlend. Ein unkonventioneller Ansatz, um internationale Verbrüderung einzuleiten. Wie erklärt man das in einer Fahrstuhlfahrt, ohne beleidigend zu wirken? Julian Hans SZ vom 17. Februar 2017

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(Foto: picture alliance / Hendrik Schmi)

Mitten in ... Lahr Eine Reise in die Ferne dient ja auch immer dazu, Vorurteile zu bestätigen. Das gilt selbst dann, wenn die Ferne in Baden-Württemberg liegt. Die Reise führt von München nach Lahr im Schwarzwald. Verwandtenbesuch. Das Vorurteil im Reisegepäck: Der Badener ist nur glücklich, wenn er Blitzer aufstellen kann und dazu eine zünftige 30er-Zone ausweist. Am Bodensee beginnt der Blitzermarathon. Die Strecke ist vertraut, jeder Blitzer bekannt. Doch in Lahr passt der Raser aus Bayern nicht auf. Er weiß nicht genau, wohin. Die Frau gibt Anweisungen, der Mann wird hektisch. Zack, geblitzt. Der Bußgeldbescheid beziffert das Vergehen: 13 km/h statt 7 km/h. Es war nur Schrittgeschwindigkeit erlaubt. Man muss sich die Bewohner von Lahr als sehr, sehr glückliche Menschen vorstellen. Aber das ist natürlich ein Vorurteil. Sebastian Herrmann SZ vom 17. Februar 2017

Mitten in ... Madrid Plaza Olavide, der Lieblingsplatz. Kreisrund, autofrei, viel Grün, ein Dutzend Restaurants mit Terrasse. Auch im Winter kann man hier an klaren Tagen im Freien essen, in der Sonne sind es 14, 15 Grad. Auf der Rechnung des netten Bistros mit rustikaler kastilischer Küche sind auch 1,31 Euro für das eingeschweißte pappige Brötchen aufgeführt, das gar nicht angerührt wurde. "Das berechnet der Kassencomputer automatisch", sagt die Kellnerin. "Geben Sie es doch dem Penner vor dem Supermarkt um die Ecke!" Da wollen wir nicht weiter nörgeln, und der gute Mann freut sich wirklich. Drei Tage später bekommt er noch ein Brötchen für 1,31 Euro. Als wir kurz darauf aber im Supermarkt einkaufen wollen, verstellt er uns den Weg: "Wo bleibt mein Brötchen?" Dann grinst er und tritt mit formvollendeter Verbeugung zur Seite. Thomas Urban SZ vom 17. Februar 2017

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