Mitten in Absurdistan:Jodtabletten im Briefkasten

In Istanbul büxt ein Kakadu aus, Frankfurter Kerle erinnern sich ihrer Omas und in Zürich erhalten Bürger Jodtabletten - aus Sorge vor einem Atomunfall.

SZ-Korrespondenten berichten Kurioses aus aller Welt

31 Bilder

Vogelschau

Quelle: DAH

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Mitten in ... Istanbul

Mein Zeitungshändler hat einen Kakadu, in einem Käfig neben der Kasse. Jüngst stand der Mann vor seinem Laden und stocherte mit einem Besen in die Luft. Der Vogel saß auf einen Baum. Nun gibt es in Istanbul ziemlich viele Straßenkatzen, denen fast nichts entgeht. Schon spurtete ein getigertes Exemplar den Baumstamm hinauf. Der Kakadu, sofort panisch, flatterte auf die andere Straßenseite auf einen noch höheren Ast. Besenschwingend hechtete der Händler hinterher, nicht auf die hupenden Autos achtend. Dann nahm der Mann, was er fand, um nach oben zu gelangen: einen Einkaufswagen, Obstkisten, Bretter. Die Zuschauer fürchteten schon mehr um das Leben des Mannes als um das des Vogels. Alles ging gut. Jetzt hört man im Laden wieder das Liebesgeflüster der beiden: Geligeli, sagt der Händler. Krkr, antwortet der Kakadu.

Christiane Schlötzer

SZ vom 13. November 2014

Dinner for one Szenenfotos

Quelle: NDR/Annemarie Aldag

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Mitten in ... Buenos Aires

Der Kellner von "Dinner for one" ist weg. Ich schwöre es, er bediente bis vor Kurzem in einem unserer Lieblingslokale in Buenos Aires. Restaurant Hermann, Avenida Santa Fe, Ecke Gurruchaga - im Stadtteil Palermo, gegenüber vom Botanischen Garten. Er sah aus wie Freddie Frinton und bewegte sich auch so. Zu den wenigen Unterschieden gehörte der Umstand, dass er zur schwarzen Fliege ein weißes Jackett trug, spanisch sprach und meist mehr Gäste versorgte als Miss Sophie. Außerdem schlurfte er über einen Boden ohne Tigerfell. Gegen Mitternacht setzte sich der argentinische Butler an einen Tisch und trank gemütlich Rotwein und Cola. Er war noch deutlich älter als die Kneipe, was etwas heißen will. Jetzt ist er verschwunden, hoffentlich in Pension. Zurück bleiben die Poster von Neuschwanstein und vom Bodensee an der Wand.

Peter Burghardt

SZ vom 13. November 2014

Shopping in Berlin

Quelle: dpa

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Mitten in ... Frankfurt

U-Bahn-Station Dom/Römer, später Abend. Zwei Damen, beide nicht mehr die Jüngsten und schwer bepackt, erklimmen die teuflisch hohen Treppen. Es wird geschnauft. Vier junge Männer, deren Familien aus Ländern stammen, in denen das Meer warm und die Olivenbäume alt sind, nehmen die Stiegen im Laufschritt. Und haben noch genug Luft für lautstarke Konversation. Zu ihren harmlosesten Äußerungen zählt noch, dass sie den Deutschen am liebsten die Ohren abschneiden würden. Die Damen schauen sorgenvoll. Dann sind die Teenager verschwunden. Zum Glück. Getrappel auf der Treppe, die vier kommen zurück. Niemand sonst ist in der Nähe. Eine Dame zückt schon ihr Handy. Die Kerle sind zu allem fähig. Stimmt, das sind sie: "Wir tragen euch die Taschen hoch", sagt einer. "Unsere Omas würden das allein auch nicht schaffen."

Susanne Höll

SZ vom 13. November 2014

Tabletten

Quelle: Emily Wabitsch/dpa

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Mitten in ... Zürich

Vor einigen Tagen lag eine unspektakuläre Schachtel in meinem Briefkasten. Sollte das Kernkraftwerk Beznau, vierzig Kilometer entfernt, angegriffen werden oder spontan in Flammen aufgehen, kann sie mein Leben retten. Die zwölf Kaliumiodidtabletten, geschickt von der Schweizer Armee, schützen die Schilddrüse vor radioaktivem Iod. Fünf Millionen Schweizer erhalten gerade eine Packung. Vor Fukushima bekamen nur jene Tabletten, die bis zu 20 Kilometer von einem Kraftwerk entfernt wohnen. Nun ist der Radius 50 Kilometer groß. Die Pillen sind gratis und kommen mit strikten Auflagen: Ich darf sie erst nehmen, wenn mit Sirenen oder über Radio dazu aufgefordert wird. Am nächsten Tag ein weiterer Brief, der in panischem Ton vor Atom-Unfällen warnt. Was das soll? Eine gut platzierte PR-Aktion von Greenpeace. Das Ende ist nah.

Charlotte Theile

SZ vom 13. November 2014

Tag der offenen Tür in Stasi-Gedenkstätte

Quelle: dpa

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Mitten in ... Washington

Es klopft. Vor der Tür steht das mexikanische Zimmermädchen mit einem Stapel eingeschweißter dicker Seiten. Ob wir denn schon das neue Hotelverzeichnis hätten, will es wissen. Ja, haben wir, danke auch. Aber da wir schon so freundlich gefragt werden, nehmen wir es gleich zur Hand, blättern zwischen Frühstückszeiten, Room- und Babysittingservice, Notfallnummern, Wäsche-Abholdienst, Restaurantempfehlungen und U-Bahn-Fahrplänen. Ganz hinten sind die Listen mit den Internationalen Telefonvorwahlen. Und was steht da zwischen Gabon und Greece? Die German Democratic Republic (East), mit korrekter Vorwahl, also der 37. Gleich darunter die Federal Republic (West) Germany, Vorwahl 49. Mag die DDR auch vor einem Vierteljahrhundert untergegangen sein, hier in der Hauptstadt des Kapitalismus existiert sie weiter, frisch gedruckt.

Viola Schenz

SZ vom 7. November 2014

Kettensäge

Quelle: iStockphoto

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Mitten in ... Derbyshire

Die Herbstsonne taucht das Chatsworth House in goldenen Nachmittagsschein. Das barocke Herrenhaus in Derbyshire in England ist voll mit Kunstwerken, Himmelbetten und Silberservicen, draußen im Park plätschert ein künstlicher Wasserfall. Dieses Landschloss ist der Inbegriff englischer Hochherrschaftlichkeit, schließlich wurde es einst in Erwartung des Besuchs von König William III. gebaut, der aber leider nie kam. Heute kommen dafür Touristen, gefühlte 70 Prozent davon aus China, die saftige Eintrittspreise zahlen, um etwas vom Abglanz alten Adels abzubekommen. Doch plötzlich durchbricht den Vogelsang im Park das Kreischen einer Kettensäge, vermischt mit dem Kreischen einer Frau in Todesangst. Was nach Notfall klingt, stellt sich als Lautsprechertest für eine Halloween-Party am Abend heraus. Der Duke of Devonshire muss eben sehen, wie er sein Landhaus finanziert - und wenn's ein Chatsworth Chainsaw Massacre ist.

Alexander Menden

SZ vom 7. November 2014

-

Quelle: Stephan Rumpf

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Mitten in ... Stuttgart

Hallo Stuttgart, hier ist der Neue! Ich versuche, mich den Nachbarn vorzustellen. An vier Türen geklingelt, keine Antwort. An der fünften und letzten Tür auf meiner Etage werde ich von einem schwenkbaren Spion abgetastet; dann höre ich einen tiefen Seufzer, und Schritte, die sich schlurfend entfernen. Am nächsten Morgen werfe ich die Tür zur eigenen Wohnung zu, von außen, beide Schlüssel drinnen. Der Mann vom Schlüsseldienst heißt Attila, ein Hüne. Er blickt sich grimmig um, knetet seine Pranken, holt Hammer und Winkeleisen aus dem Werkzeugkasten. Zwei Schläge genügen. Vom vereinbarten Preis lasst er mir 20 Euro nach, tief befriedigt vom Öffnen einer dieser soliden schwäbischen Türen. Neu in Stuttgart, und allein? Ich nicke. Er könne mir Orte in dieser Stadt zeigen, brummt Attila, wo Männern alle Türe offen stehen.

Josef Kelnberger

SZ vom 7. November 2014

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Quelle: Kesu - Fotolia

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Mitten in ... New York

Kann Fast Food gesund und ökologisch korrekt sein? Scheint so. Eine New Yorker Schnellrestaurant-Kette hat sich auf Bioprodukte spezialisiert, die meisten Zutaten stammen angeblich aus der Region. Es gibt Vollkorn-Croissants, aufgeschäumte Sojamilch und vegane Burger. Auf Wunsch sind die Speisen fast frei von allem. Laktosefrei. Glutenfrei. Fleischfrei. Cholesterinfrei. Zuckerfrei. Nur nicht plastikfrei. Das Sandwich wird dick umwickelt, erst mit Papier, zusätzlich Alufolie zum Warmhalten, und dann alles rein in eine Plastiktüte. Dazu noch Plastikbesteck. Wie passt das zum Superfrisch-Alles-Bio-Konzept? Jetzt bloß nicht den Öko-Besserwisser raushängen lassen. Lieber frage ich höflich: "Kann ich das bitte auf einem Teller haben?" Verblüffter Blick, professionelle Reaktion: "Kein Problem, Sir." Der Verkäufer reicht mir einen Teller. Er ist aus Plastik.

Titus Arnu

SZ vom 7. November 2014

Briefkasten

Quelle: iStockphoto

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Mitten in ... Zürich

Etwas mehr als zwei Euro kostet der Brief nach Deutschland, mit Priorität allerdings. Er werde rasant ans Ziel kommen, versichert die freundliche Pöstlerin. Fein. Tags darauf ist der Brief nicht im Norden Deutschlands, sondern in meinem Briefkasten in Zürich. Die Adresse werde von einer Maschine abgelesen, erklärt eine andere, weniger freundliche Pöstlerin. Sie werde es nochmals schicken. "Kommt er dann nicht wieder zu mir?", frage ich. Das könne sein, sagt sie und schaut mich plötzlich an, als sehe sie zum ersten Mal einen Kunden: "Haben Sie etwa einen alten Umschlag verwendet?" Ich nicke und murmele etwas von Müll, den man doch vermeiden solle. "Das geht nicht", erklärt sie nun in betont langsamem Hochdeutsch, jeder Umschlag habe eine Codierung und könne nur einmal benutzt werden: "Sie bringen hier alles durcheinander."

Charlotte Theile

SZ vom 31. Oktober 2014

Erika von Thellmann in "Der Ehestreik", 1935

Quelle: Scherl/SZ Photo

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Mitten in ... München

Ein Einkaufstag in der Hauptstadt der Kundenfeindlichkeit. Die Kassiererin im Kleidergeschäft würdigt die Kundin keines Blickes und scannt schweigend die Barcodes ein. Mittendrin verschwindet sie für ein paar Minuten, und als man danach sagt, dass man es ein bisschen eilig hat, pampt sie: "Kann ich nix dafür." Der Verkäufer im Schnellrestaurant schenkt Spezi statt Cola Light aus. Auf die Beschwerde erwidert er: "Ist doch fast das Gleiche." Und von der Kassiererin im Spielzeugladen kassiert man einen giftigen Blick, als man mit Großgeld zahlt. Die Dame vom Geschenkeverpackservice allerdings, die grüßt höflich, lächelt, fragt nach dem Papierwunsch. Entschuldigt sich, als der erste Versuch nicht perfekt gelingt. Also fängt sie von vorne an, bis die Verpackung allerliebst ausschaut. Der Blick fällt auf ihr Namensschild: Frau Magic.

Nadeschda Scharfenberg

SZ vom 31. Oktober 2014

Google zu Strafe wegen Sammeln von Wlan Daten in USA verurteilt

Quelle: ag.getty

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Mitten in ... New York

Konzert in einer Kellerbar in Greenwich Village, gleich spielt die grandiose Blechbläser-Band Red Baraat, der Laden füllt sich langsam. Plötzlich zuckt ein Blitzlicht über die Konzertgänger, dann noch eins und noch eins. Durch die Eingangstür tritt ein Mann, ganz in Schwarz gekleidet, auf seinem T-Shirt ein bekanntes Logo: Google. Darunter kleiner: "Omni-View". Auf dem Kopf trägt er einen schwarzen Helm, auf dem vier Kameras installiert sind, die permanent alles knipsen, was um ihn herum passiert. Alle treten einen Schritt zurück, halten die Hand vors Gesicht. Ist das der nächste Schritt nach Google Street View, schickt der Konzern jetzt auch Kameraleute in Bars und Clubs? "Nein, nein", sagt der Mann in Schwarz. "Das ist mein Halloween-Kostüm. Ich will die Leute gruseln. Und das hier ist so ziemlich das Gruseligste, was ich mir vorstellen kann."

Kathrin Werner

SZ vom 31. Oktober 2014

-

Quelle: oh

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Mitten in ... Singapur

Eine Nachbarin in Singapur geht immer mit ihrem kleinen schwarzen Hund spazieren. Der sieht knuffig aus, und unser Sohn streichelt ihn gerne. Neulich fragte er sie, was für ein Hund das eigentlich sei. Die singapurische Besitzerin strahlte und sagte: "Ein deutscher Hund." Ach ja? Welche Rasse ? Da musste sie überlegen, das war so was mit "Sch" am Anfang. Schu . . . Schno . . . Schne . . . So ähnlich. "Jetzt hab ich's", sagte sie dann. "Er ist ein Schnitzel!" Hm, sagte unser Sohn, das ist zwar deutsch, aber Hunde heißen bei uns anders. Sie kramte also weiter in ihrem deutschen Vokabular, da war noch etwas, das sie kennt. Das Tier sehe ein bisschen aus wie ein Pudel, sagte unser Sohn, während sie grübelte. Oder vielleicht ein Schnauzer. "Genau!", rief sie. Nur was denn jetzt? Pudel oder Schnauzer? "Beides", sagte sie. Eine clevere Kreuzung: "Der Hund ist ein Schnudel!"

Arne Perras

SZ vom 31. Oktober 2014

Fans feiern 60. Geburtstag des VW Bulli

Quelle: dpa

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Mitten in ... Bastia

730 Kilometer sind es von München bis zum Hafen von Livorno. Nach 250 Kilometern gibt der Anlasser seinen Geist auf, an einer Raststätte kurz vor Bozen. Zwei nette Südtiroler schieben den VW-Campingbus an. Geht doch. In Livorno könnte es nicht besser sein. Die Fähre nach Korsika liegt da, mit weit offenem Maul, kein einziges anderes Auto am Kai. Drin sind wir - raus schieben uns sechs Hilfsbereite. Zwei Wochen schlagen wir uns so durch: Zweiten Gang einlegen, anschieben, Kupplung kommen lassen. Am Hafen von Bastia aber warten die Heimkehrer in Viererkolonne, Stoßstange an Stoßstange. Der Motor tuckert und stinkt. Das Schweizer Cabrio hinter uns trifft der Gestank am schlimmsten. "Tut uns so leid, der Anlasser", sagen wir. "Sch'gibt Gsundheitschädlicheres", antwortet der Fahrer - und atmet eine Wolke Zigarettenrauch aus.

Sonja Niesmann

SZ vom 24. Oktober 2014

Mammutbaum im kalifornischen Redwood Nationalpark

Quelle: dpa/dpaweb

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Mitten in ... Sierra Nevada

In den Calaveras Big Trees State Park fährt man wegen der riesigen Mammutbäume, und weil man sich erhofft, einen Schwarzbären zu sichten, oder wenigstens einen Kojoten. Natürlich lässt sich keines der scheuen Tiere blicken, auch Menschen begegnet man hier kaum. So wandern wir eine Stunde lang durch einsame Natur. Dann: Es knackt im Gebüsch. Doch ein Bär? Knapp 20 Männer tauchen auf, im Gänsemarsch kommen sie auf dem schmalen Weg entgegen. Alle in neonorangen Overalls, das Wort "Prisoner" läuft in großen Lettern vertikal das rechte Hosenbein runter. Vorneweg und hintendran ein Polizist, Pistole am Halfter. Sträflinge auf dem Rückweg vom Arbeitseinsatz im Wald. Sträflinge! Bewaffnete Wächter! "Good afternoon, Madam", sagt jeder Einzelne von ihnen beim Vorübergehen. Zwei lüpfen sogar ihre Baseballmützen.

Viola Schenz

SZ vom 24. Oktober 2014

Fernsicht Brauneck. Alpen, Wandern

Quelle: DPA

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Mitten auf der ... Denkalm

Die Bayern sind dem Himmel gerne nah. An sonnigen Herbsttagen treiben Eltern den Nachwuchs auf die Berge, der aber weint dabei häufig. Dagegen gibt es Strategien, die allerdings das Vorankommen verzögern: Balancieren auf Baumstämmen, Sammeln seltener Quarzsteine, Süßigkeiten nach der nächsten Wegbiegung. Manche Kinder vergessen, dass sie wandern, wenn man sie permanent in Gespräche verwickelt. Und so erklärt einem der vierjährige Kumpel der Tochter, wie er die Welt sieht. "Hier ist früher die Isar geflossen", sagt er. "Aha", fragt man interessiert, "stand da der Wald schon?" "Also, erst lagen die Bäume, und dann hat er sie aufgestellt", antwortet der Vierjährige. "Wer? Gott?" Die Antwort kommt schnell und eindeutig: "Nein, der Hersteller." Und der Himmel, während wir ihm näher kommen, rückt wieder ein Stück weg.

Lisa Rüffer

SZ vom 24. Oktober 2014

Radfahrer im Gegenlicht

Quelle: Patrick Pleul/dpa

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Mitten in ... Schiermonnikoog

Kräftig tritt die Vierjährige in die Pedale. Beim örtlichen Fahrradverleih auf der westfriesischen Insel durfte sie sich ein besonders schönes Exemplar aussuchen. Nun macht der Rückenwind die Fahrt zum Großereignis. Das ist doch mal "lekker fietsen", wie der Niederländer sagt. Hui! Die Kleine schießt förmlich voran. Immer am Deich entlang, zum Anleger. Die Oma wird gleich mit der Fähre kommen. Das Problem nur: Danach geht es zurück ins Dorf. Und weil starker Wind an der Nordsee vor dem Antritt des Rückwegs traditionsgemäß nur dann die Richtung wechselt, wenn man schon auf dem Hinweg Gegenwind hatte, kommt die steife Brise nun von vorn. Engagiert will die Vierjährige losfahren, die sonst nur die lauen Lüftchen im fernen München gewöhnt ist. "Mein Fahrrad fährt nicht mehr!", ruft sie verzweifelt. "Ich glaub, es ist kaputt."

Christina Berndt

SZ vom 24. Oktober 2014

SEIU Holds Ebola Training For Laguardia Airport Workers

Quelle: AFP

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Mitten in ... Brüssel

Flughafen Brüssel, Ankunft aus Monrovia, Epizentrum der Ebola-Krise in Afrika. In Europa grassiert die Panik, seit eine spanische Krankenschwester sich infiziert hat; Tierrechtler haben dagegen protestiert, dass der Hund der Pflegerin eingeschläfert wird. Werden uns die Europäer überhaupt reinlassen? Temperaturchecks, Verhöre? Nichts davon, man wird durchgewunken. Dann aber, bei der Handgepäck-Kontrolle vor dem Weiterflug: das Sterilium-Fläschchen, der ständige Wegbegleiter zum Desinfizieren der Hände - "verboten", sagt der Security-Mensch. Der Hinweis, man habe es wegen der Ebola-Gefahr dabei, interessiert ihn nicht: "Tragen Sie Handschuhe, das ist eh besser." Unbewaffnet zieht man weiter zum Anschlussflug. Gut zu wissen, dass Europa die wahren Bedrohungen im Griff hat.

Tobias Zick

SZ vom 18./19. Oktober 2014

Zermatt, Müllentsorgung, Mitten in ... Absurdistan

Quelle: oh

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Mitten in ... Zermatt

Der Aperol Spritz kostet in dieser Saison umgerechnet zehn Euro, der Apfelstrudel 15 Euro, und jetzt haben die Zermatter eine tolle Idee gehabt, wie bei den Ferienwohnungsbewohnern noch mehr zu holen ist. "Es ist nur mehr eine Sorte Müllbeutel zugelassen", sagt die Frau im Supermarkt, "und die müssen Sie bitte bei uns kaufen." Denkste, denke ich. In der Wohnung stopfe ich den Müll in die Supermarkttüte und laufe zu einem der vollautomatischen Müllentsorgungscontainer, die aussehen wie Castoren, nur ohne Polizeischutz. Dafür steht nebendran ein Schild: "Videoüberwachung". Wenn irgendwo auf der Welt ein Büro denkbar ist, in dem ein Mann via Bildschirm das Müllentsorgungsverhalten der Touristen kontrolliert, dann in Zermatt. Ich bin dann noch mal in den Supermarkt.

Tanja Rest

SZ vom 18./19. Oktober 2014

ICE-Bahnstrecke Berlin-Hannover teilweise gesperrt

Quelle: dpa

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Mitten in ... Wustermark

Brandenburgs Landjugend kennt man vor allem aus Filmen wie "Deutschboden". Darin sieht man junge Männer mit Tattoos, wie sie an der Tanke abhängen und Bier trinken, Seltsames über Frauen absondern oder sich mit rechtem Gedankengut zulabern. Die Jugendlichen, die im Regionalzug nach Rathenow sitzen, sehen schon mal aus wie im Film: männlich, tätowiert, raumgreifend. Sie alle spielen zusammen etwas, das sich bei genauem Hinhören als "Stadt, Land, Fluss" entpuppt. Gerade ist "F" dran, die Gruppe gleicht ihre Einträge ab. Land? Frankreich, Finnland. Stadt? Frankfurt (Oder). Dann kommt "Hobby mit F". "Fische fangen", sagt der eine. "Früh aufstehen", der Nächste. "Frieden stiften!", ruft der Dritte. Die Brandenburger Landjugend ist um so vieles besser als ihr Ruf.

Verena Mayer

SZ vom 18./19. Oktober 2014

Friedenstaube

Quelle: Marcus Brandt/dpa

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Mitten in ... Maria Laach

Vortrag in der Benediktinerabtei Maria Laach, das Thema ist "Psychische Widerstandskraft". Danach erzählt eine Zuhörerin im Plenum, wie sie mit unangenehmen Zeitgenossen umgeht: "Idiot, Idiot, Idiot!", schimpfe sie laut, sobald sie wieder allein sei. Das helfe sehr. So könne sie keinen kränken. Eine weitere Vortragsbesucherin nutzt hingegen eine dem klösterlichen Umfeld angemessenere Strategie: Sie gebe aggressiven, nörgelnden Mitmenschen einfach ein "Friede sei mit dir!" mit auf den Weg. Großes Gelächter im Saal. Diese schöne, als christliche Nächstenliebe getarnte Mischung aus Arroganz und Loslassen amüsiert auch die versammelten Mönche. Nach der Veranstaltung verabschiedet sich einer von ihnen: "Ich sage jetzt nicht ,Friede sei mit dir'. So fromm sind wir hier nicht."

Christina Berndt

SZ vom 18./19. Oktober 2014

FRANCE-PARIS-METRO-FEATURE

Quelle: Clemens Bilan/afp

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Mitten in ... Paris

Die Station "Châtelet - Les Halles" ist das Herz des Pariser Nahverkehrs. Eine Dreiviertelmillion Menschen hetzt hier täglich durch die unterirdischen Gänge, wartet auf schummrigen Bahnsteigen auf Schnellbahn oder Metro. An diesem Donnerstag droht allerdings der Infarkt, weil die Fahrer streiken. Mal wieder. Nur jeder zweite Zug zwischen Vorort und Flughafen rollt. Da kommt die nächste Bahn. Ein deutscher Tourist kämpft sich mit Handkoffer bis zur Waggontür vor - vergebens: Der Zug ist voll, der Mann muss zurückbleiben, wie Hunderte Pariser neben ihm, die wortlos das gewohnte Chaos ertragen. Der Germane flucht, weil er den Heimflug verpasst. Da beruhigt ihn ein Einheimischer: "Monsieur, seien Sie stolz", muntert er den Gast in perfektem Deutsch auf, "nun können Sie sagen: Sie kennen das wahre Pariser Leben!"

Christian Wernicke

SZ vom 11./12. Oktober 2014

A customer rolls a joint made of half marijuana and half tobacco to smoke inside of Frankie Sports Bar and Grill in Olympia

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... London

Die Italienerin am Nebentisch im Biergarten baute einen Joint. Ich sagte: "Sie bauen da einen Joint." Sie sagte: "Ja." Ich sagte: "Die sind hier verboten." Sie sagte: "Ja." Außerdem sagte sie, dass sie seit 26 Jahren in London wohne, was hieß, dass sie mit ungefähr 30 hierhergezogen sein musste. Das Faszinierende war, dass sie dennoch mit einem irrsinnig starken Akzent sprach, der Akzent war reines Klischee. Viele Menschen in London sprechen Englisch mit Akzent, aber so etwas hatte ich noch nie gehört. Die Italienerin sprach einfach weiterhin Italienisch, mit dem kleinen Zugeständnis an ihre neue Heimat, dass sie englische Wörter benutzte. Voller Anerkennung sagte ich: "Die 26 Jahre sind an Ihrem Englisch wirklich spurlos vorübergegangen." Die Italienerin nickte stolz und sagte mit starkem Akzent: "Ja." Dann zündete sie sich den Joint an.

Christian Zaschke

SZ vom 11./12. Oktober 2014

Hinweisschild mit Hund

Quelle: picture alliance / dpa

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Mitten in ... München

"Papa", sagt das Stadtkind, "ich möchte spielen gehen." "Schön", sagt der Vater. Wie wär's mit dem Spielplatz?" "Zu weit", sagt das Stadtkind, "vor unserem Haus ist doch eine Wiese." "Bitte nicht", sagt der Vater. "Die Wiese ist voll mit Hundehäufchen." "Ich will aber wissen, was da auf den Protestschildern steht", sagt das Kind. "Welche Protestschilder?", fragt der Vater. "Die neben der Wiese. Weil die jetzt die Hecke rausreißen für den Parkplatz nur für Tier-Krankenwagen." "Ah", sagt der Vater. "Die dämliche Tierrettung mal wieder." "Unser Getränkehändler hat sogar geweint", sagt das Kind. "Weil der die Hecke und die Wiese so gern mochte." "Pass auf", sagt der Vater, "in einer Stadt muss jeder Rücksicht nehmen." Dann denkt er: Besser ein Krankenwagen mit einem verstopften Dackel als eine Wiese voller Häufchen. Trotzdem schade.

Martin Zips

SZ vom 11./12. Oktober 2014

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Quelle: AP

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Mitten in ... La Paz

Es geht nicht ohne Koka in La Paz, nicht am Anfang. Wer hält es sonst aus, binnen 40 Minuten von null auf 4000 Meter über dem Meer? Die Maschine startet in Chiles Iquique am Pazifik und landet auf dem bolivianischen Flughafen von El Alto, der Höhe, in den Hochanden. Jeder Gast wird ein bisschen weiter drunten in La Paz auf ungefähr 3800 Metern mit Koka-Tee versorgt oder, wer das mag, mit Koka-Blättern zum Kauen oder als Bonbons. Weil einem sonst der Schädel platzt. Und wenn Koka auch nichts hilft und du dich nicht an die Sauerstoffflasche hängen willst, dann schleppst du dich in die Apotheke und stellst eine Frage, die du gar nicht stellen brauchst, weil sie es dir schon ansehen: Sie geben dir Sorojchi-Pillen für vier Bolivianos das Stück, kaum 50 Cents, gute Investition. Sorojchi oder Soroche heißt in dieser Gegend die Höhenkrankheit.

Peter Burghardt

SZ vom 11./12. Oktober 2014

A passenger retouches her make-up as she waits on the platform during a morning rush-hour strike by metro workers in Madrid

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Madrid

Am Ausgang der Metrostation Gran Vía, der Prunk- und Protzmeile. Wer herauskommt, muss eine Metallschranke von sich wegschieben, sie knallt zurück auf einen Metallpfosten. Klick, klack, Dezibelwerte am Rande der Schmerzgrenze. Daneben steht ein Wachmann, er passt auf, dass kein Schwarzfahrer durch den Ausgang hineingeht. Klick, klack, tausend-, zweitausend Mal die Stunde. Bekümmert beobachten ihn zwei weibliche Gutmenschen älteren Semesters, erkennbar am grauen Bubikopf, dem Baedeker "Spanien - Norden - Jakobsweg" und dem Wörterbuch "Deutsch-Spanisch". Was heißt denn Gummipolster auf Spanisch?" Steht nicht drin. Aber Lärm: "ruido". Klick, klack. Eine der beiden geht zu ihm hin und fragt: "Macht der Lärm nicht krank?" Der Wachmann antwortet: "Ich verstehe Sie nicht, es ist so viel Lärm hier."

SZ vom 4./5. Oktober 2014

Thomas Urban

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Quelle: Photographie Peter Hinz-Rosin

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Mitten in ... Goma

Sand knirscht zwischen den Zähnen. Die Sonne sticht im Nacken. Die Zunge klebt am Gaumen. Seit Stunden laufen wir durch Hitze und Gestank. Jetzt ein Bier! Im Geiste rinnt das Kondenswasser an der Mass hinab, bildet Pfützen auf dem Tisch. Aber in Goma gibt es keine Mass. In der kongolesischen Stadt gibt es nicht einmal Strom, meistens jedenfalls nicht. Ohne Strom kein Kühlschrank, Bier mutiert zum lauwarmen Sud. Die Kongolesen stört das nicht, sie sind daran gewöhnt. Nach unserem Marsch durch Goma lade ich meinen einheimischen Kollegen auf ein Bier ein. Die Kneipe betreibt einen Generator und serviert kalte Getränke, wunderbar kalte Getränke! Wir bestellen, da ruft Jacques panisch dem Kellner nach: "Bitte warm!" Das, so erklärt er, müsse man hier ja sagen. "Sonst bekommt man so eine widerliche Eisbrühe." Prost!

SZ vom 4./5. Oktober 2014

Judith Raupp

hongkong

Quelle: SZ

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Mitten in ... Hongkong

Hongkong, Zentrum. Auf der Straße Tausende Bürger, die lautstark nach Demokratie rufen. Über die Straße führt eine Fußgängerbrücke. Die Vogelperspektive auf das Menschenmeer. Kamerateams haben sich hier am Geländer provisorische Studios eingerichtet, auf Pappkartons die Namen: neben Al Jazeera filmen BBC und AP. Nur in der letzten Pressebox steht keine Kamera, da steht ein Mann mit Palette und Leinwand und pinselt, was die anderen filmen: die Revolution. Das ist Perry, 48 Jahre alt, ehemaliger Kunstlehrer. "Das sind historische Tage", sagt er. "Ich will sie festhalten für die Nachwelt." Klar, sagt er, natürlich in Öl, in was denn sonst? Na, mit Foto- oder Filmkameras vielleicht, wie die anderen? "Deren Dateien sind leicht gelöscht", sagt Perry und tippt auf seine Leinwand: "Das hier bleibt bei mir, bis ich sterbe."

SZ vom 4./5. Oktober 2014

Kai Strittmatter

Codere SA Gaming As Company Plans Restructure Of One Billion Euro Debt

Quelle: Bloomberg

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Mitten in ... Las Vegas

Mein Sohn hat mal auf einer irischen Windhund-Rennbahn die Sieger der ersten beiden Rennen vorhergesagt. Sie hießen Fat Chicken und Lame Duck; trotz winzigen Einsatzes reichte unser Gewinn für einen netten Abend. Nun, auf Durchreise in Las Vegas, führte ich das Kind durch die großen Hotels, das Mirage und das Caesars, das Ballys und das Venetian. Der Junge war überwältigt von dem Prunk und dem Glitzer in den Casinos. Aber er schwieg. Erst hinterher, im Hotel, sagte er: Roulette, Papa! Setz all dein Geld auf die 21! Tags darauf machte ich mich allein auf den Weg ins Bellagio, in der Tasche eine ganz erhebliche Summe. Warum ich plötzlich feuchte Hände bekam? Warum ich nur einen einzigen, erbärmlichen Dollar auf die 21 setzte? Ich weiß es nicht. Jedenfalls hasste ich mich selbst, schon bevor sie fiel, gleich im ersten Spiel: die 21.

Josef Kelnberger

SZ vom 27./28. September 2014

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Quelle: imago stock&people

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Mitten in ... Cumpadials

Das kleine Bahnhofslokal in Graubünden liegt abseits der Hauptstraße. Schade, denn was Nadja hier auftischt, schmeckt grandios. Das wissen die drei deutschen Motorradfahrer aber noch nicht, die Platz genommen haben. Sie sind auf der Heimreise aus Italien. Dampfende Pizokel und Polenta werden gereicht. "Alles okay", ruft einer der Biker, aus Hamburg kommt er, "aber diese Scheeeiiißpreise!" Die Wirtin hört es. Nun könnte sie den Gästen in den Hintern treten. Bündner sind nicht zimperlich. Doch Nadjas Rache ist süßer. Sie lädt zum Flämmli nach dem Essen, das ist ein Williams, der mit dem Restzucker eines Espresso flambiert wird. Bisschen kompliziert nach drei Weißbier. Der Hamburger kann den Schnaps auch beim vierten Versuch nicht anzünden. Macht es eben Nadja. Zur Beruhigung gibt's noch Wodka. Auf Kosten des Hauses.

Thomas Kirchner

SZ vom 27./28. September 2014

Bruck: Breze / Brezl / Brezn / Bretze / Bretzel

Quelle: Johannes Simon

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Mitten in ... Kirchseeon

Sind das Zeiten: Die duftende Breze in der topmodernen Selbstbedienungsbackwarenabteilung des Supermarkts ist zum Greifen nah, aber es fehlen, Herrgott, zwei Hände. Eine hält die Tüte, die andere eine Zange, aber vor dem Ziel stehen noch Hürden, die zu überwinden eine dritte und vierte Hand sinnvoll wären. Hürde eins ist eine Klappe, die das Breznfach beschützt, nach dem Öffnen sogleich zurück nach unten strebt und auf den Unterarm drückt. Die zweite Hürde lauert hinter der Klappe: zu kleinen Wünschelruten gebogene Metallstreben, die mit der Zange nach hinten gedrückt werden müssen - diese soll aber gleichzeitig die Breze packen. Ein Mitarbeiter erklärt die Existenz der sperrigen Stäbe so: damit niemand die Ware zurück ins Fach legt. Kundenservice 2014. Eine Frau schimpft: "Nächstes Mal gehe ich wieder zum Bäcker!"

Frank Nienhuysen

SZ vom 27./28. September 2014

Israeli soldiers gesture as they sit in front of the Mediterranean at Zikim beach near Ashkelon

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Zikim

Der Zikim Beach in Israels Süden ist ein echter Geheimtipp. Hinten liegen die prächtigen Dünen, vorn schaut man aufs Mittelmeer. Nur die Seiten sind etwas problematisch: Rechts ragen die Schlote eines Kraftwerks empor, links kommt gleich der Gazastreifen. Trotzdem ist der Strand vor allem jetzt im Spätsommer einen Ausflug wert, da muss man ihn nur mit dem Strandwächter und ein paar Rentnern teilen. Doch es kann passieren, dass plötzlich die Stille durchbrochen wird durch lautes Knallen. Einmal, zweimal, viele Male. Natürlich bin ich wieder der einzige der zuckt, die andern haben wahrscheinlich schon im 48er Krieg gekämpft. "Das ist nur die Marine, die in die Luft schießt, wenn die Fischer aus Gaza zu weit rausfahren", sagt einer. Der Strandwächter dreht die Stereoanlage auf. Jetzt hört man nur noch das Wummern der Bässe.

Peter Münch

SZ vom 27./28. September 2014

© SZ/ihe/sks/kfu
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