Mitten in Absurdistan:Kuriose Geschichten aus aller Welt

Berührend, amüsant, skurril: Was SZ-Korrespondenten auf ihren Reisen erleben.

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SEGELSCHÜLER AUF DER ALSTER

Quelle: DPA

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Hamburg

Irgendwann muss auch mal gut sein mit dem Umzugskisten-Auspacken, vor allem, wenn der Hamburger Herbstsommer kurz Pause macht. Der Stadtparksee ist voll johlender Kinder und besorgter Eltern, dazwischen mein zweijähriger Neffe, der es in kürzester Zeit geschafft hat, das Plastikboot eines fremden Kindes zu kapern. In Volten und Kurven schleppt er damit durchs Wasser, irgendwann zieht er die Beute ans Ufer und stellt fest: "Schiff parkt". Ein Junge, ebenfalls etwa zwei und ebenfalls mit einem Boot an der Leine, tut es ihm gleich, zieht das Gefährt an Land, echot: "Schiff parkt." Sein Vater seufzt und schüttelt den Kopf: "Momme", sagt er (das ist hier ein Vorname), "Momme. Ein Schiff parkt nicht." Er betont jede Silbe: "Momme! Ein Schiff legt an!" Ach Hamburg. Die Umzugskisten können warten. Ich bin schon angekommen.

Charlotte Frank, SZ vom 4./5.8.2012

Nobel Prize Award Ceremony 2009

Quelle: Getty Images

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Stockholm

Sie sehen täuschend echt aus. Silbrig glänzen das Reichswappen auf der einen und der schwedische König auf der anderen Seite. Nur wer genau hinschaut, erkennt, dass über dem Monarchenporträt auf dem Ein-Kronen-Stück nicht der übliche Schriftzug "Carl XVI. Gustaf" steht, sondern: "Unser Hurenbock von einem König".

Seit Mitte Juni ist das majestätsbeleidigende Falschgeld, das auf die Rotlicht-Affären des Regenten anspielt, in Geldbörsen im ganzen Königreich aufgetaucht. Nun rätseln die Untertanen: ein Scherz? Ein Kunstprojekt? Wie die Zeitung Svenska Dagbladet berichtet, konnte die Polizei noch nicht einmal Beweise beschlagnahmen. Denn alle Finder wollten ihre falschen Silberlinge bislang lieber als skurriles Souvenir für sich behalten. Im Internet bieten Sammler für die Fälschungen bereits mehrere hundert Kronen.

Gunnar Herrmann, SZ vom 28./29.7.2012

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Quelle: AFP

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Berlin

Die Hermannstraße in Berlin ist kein Ort, um neue Freunde zu finden, und das bleibt auch so, wenn man sie in Richtung Hölle verlässt. Der U-Bahnhof: wie die Pforte zur Unterwelt, vielleicht auch zur U-Haft und jedenfalls ziemlich ungemütlich. Mitten drin: ein junger Mann in farbigen Sportschuhen, die Socken über die Knöchel gezogen, ein Gesicht wie eine Schnittwunde. In der einen Hand hält er eine Aldi-Tüte (Plastik), in der anderen ein Handy (teuer).

Er wählt - und spricht: "Ja, ick bin's noch ma, wer is dort? ... wat sachste, für Puffi? Na is jut, schreib ick uff ... zehn für fuffzich, sachste? Schreib ick uff." Der Mann steigt in die U8, bitte zurückbleiben, Abfahrt. Kurz danach wählt er erneut: "Ja, ick bin's. Sach mal, machste mir zehn für dreißich? ... Is jut, is jut." Macht zwanzich Euro für den Zwischenhändler. Und zehn für Puffi. Wovon auch immer.

Cornelius Pollmer, SZ vom 28./29.7.2012

arrifana

Quelle: duarteantunes/Fotolia

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Arrifana

Weiße Häuser kleben an der dunklen Felsküste. In die Bucht hinab windet sich ein staubiger Weg. Befahren verboten. Er ist gesäumt mit Geländewagen aus Frankreich, Spanien, Deutschland. Alle mit Dachträger für Surfbretter. Fast alle mit Parkkralle am Reifen. Knöllchen kennen Portugals Polizisten nicht. Die erste Kralle kostet 300 Euro, die zweite 1500. Sie sind alt und rostig, aber wirksam: Wer nicht zahlt, fährt nicht weiter.

Auch der VW-Bus von João parkt hier seit Wochen - und wird noch Monate hier stehen. Die besten Wellen kommen erst im Oktober. Manchmal hat auch Joãos Bus eine Kralle. Am nächsten Morgen ist sie weg. Bezahlt? "No, no", sagt João und öffnet die Heckklappe. Darin: drei Surfbretter, zwei Kabeltrommeln und eine elektrische Stahlsäge, die nachts ab und an für eine halbe Stunde durch die stille Bucht kreischt.

Fabian Heckenberger, SZ vom 28./29.7.2012

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Quelle: Robert Haas

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Paderborn

Nach Vlotho bitte, ins Industriegebiet. Der Taxifahrer in Paderborn strahlt. Fast 80 Kilometer; wenn man solche Fahrten nur mal öfter hätte. Er ruft die Zentrale an, er will eine andere Tour vorsichtshalber absagen. "Na super", antwortet die Stimme dort, hörbar genervt. "Alle Autos sind unterwegs. Und wer übernimmt mir jetzt deine Fahrt?" Irgendwas Innerstädtisches. Der Taxifahrer legt auf. Er dreht sich um, sagt zum Fahrgast: "Immer sind die so knatschig."

Er ruft daheim an, will Bescheid geben, dass es mittags wohl später wird. Das Kind hebt ab, man hört, wie von hinten jemand ruft: "Der hat gestern gesagt, ich soll nicht immer im Taxi anrufen. Sag' ihm, dass er dann auch nicht hier anrufen soll." 20 Kilometer sind auf diese Weise zurückgelegt, plötzlich fällt ihm auf: Er hat vergessen, das Taxameter einzuschalten. Nicht sein Tag.

Detlef Esslinger, SZ vom 28./29.7.2012

ICE

Quelle: dpa

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... München

Die Bahn ist meistens pünktlich, sagt die Bahn. Der persönliche Eindruck deckt das nicht unbedingt. Kurz vor der Abfahrt kommt deswegen leichte Unruhe auf. Wie immer, wenn die Zeit knapp kalkuliert ist zwischen Aufbruch, Bahnhof und Termin, zu knapp für Zugausfälle und Schlangen am Schalter. Doch die S-Bahn ist im Takt, die Fahrkarte schnell gekauft, und auch der ICE gleitet pünktlich aus der Bahnhofshalle. Na, wer sagt's denn. Als draußen der Gewerbebrei in Landschaft übergeht, macht sich tatsächlich Entspannung breit. Erst mal zurücklehnen, was Kaltes zu trinken oder ein Süppchen wären jetzt nicht schlecht.

Es knackt im Lautsprecher: "Verehrte Reisende, aufgrund von Zugverspätungen konnte das gastronomische Personal unseren ICE nicht erreichen. Das Bordrestaurant muss deswegen geschlossen bleiben."

Christoph Heinlein, SZ vom 21./22.7.2012

Fiaker-Fahrer in Wien, 1929

Quelle: Scherl

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Wien

Jeder vernünftige Städter ist ein Fan des öffentlichen Nahverkehrs. Busse und Trams sind umweltverträglich und effizient. Die Wiener meinen es besonders gut mit ihrer politisch korrekten Verkehrspolitik. Manche Linien sind so üppig bestückt, dass die Busse bis tief in die Nacht alle paar Minuten fahren und sich, wenn der Verkehr mal staut, auch gern zu zweit, zu dritt hintereinander an einer Haltestelle aufreihen, weil der eine ein bisschen zu spät loskommt und der nächste ein bisschen zu früh angekommen ist.

Dann sitzen in jedem Bus drei Leute, und über dem Lärm der Busschlange dröhnt die Stimme der Dame mit den Störungsmeldungen. Damit sich der öffentliche Nahverkehr rechnet, sollen jetzt die Zonen ausgeweitet werden, in denen man nur mit "Parkpickerl" parken darf. Kurz: Ganz Wien ist, nein, nicht Walzer, sondern empört.

Cathrin Kahlweit, SZ vom 21./22.7.2012

Fiaker-Fahrer in Wien, 1929

Westernstadt in den USA im 19. Jahrhundert

Quelle: SCHERL

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Llica

Llica, die perfekte Kulisse für einen modernen Western: eine Handvoll primitiver Steinhäuser im bolivianischen Hochland, staubige Straßen, 600 Einwohner, von denen nur ein paar zerlumpte Gestalten zu sehen sind. Am Ortsrand rasen uns fünf Autos entgegen: ohne Nummerntafeln, dafür mit Preisschildern an den Windschutzscheiben und mit Staub verdreckt - frisch gestohlen in Chile und über Nacht durch die Wüste gekurvt.

In Llica selbst haben die Behörden spezielle Methoden im Umgang mit den Problemen der Bevölkerung. An den Hauswänden hängen Schilder mit Sprüchen, die viel über die Zustände sagen: "Respektiert Mutter Erde. Ohne Müll ist sie glücklicher", steht da zum Beispiel, "Bier macht arm" und "Wenn ihr ein Mädchen haben wollt, trinkt keinen Alkohol". Aber das Elend ist groß. Und jeder vierte hier kann nicht lesen.

Jochen Temsch, SZ vom 21./22.7.2012

Western-Filmstadt in den USA im 19. Jahrhundert

Braut mit Bart - Mann setzt Scheidung durch

Quelle: dpa

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Ras Al Khaimah

Das Roulette der "Last Minute Restplatzreisen GmbH" hatte ein erstaunlich günstiges Angebot hervorgebracht. Auf Papier wirkte der Preis fast wie ein Rechenfehler, vor Ort erklärte er sich schlagartig. Das Flughafengebäude in Dubai war auf 20 Grad gedimmt, vor der Türschleuse aber verdreifachte sich die gefühlte Temperatur. Die Sonne: ein Flammenwerfer. Windböen wie Feuerstöße. Solargeddon.

Klimaanlagen verfressen 60 Prozent des Energiebedarfs der Arabischen Emirate, und worüber sonst als die entsetzliche Hitze sollte man später mit dem Busfahrer reden: Ob es nicht unfair sei, dass die Männer weiße Gewänder trügen, Frauen aber nur schwarze erlaubt seien? Da lacht Tarik, als habe man eine naive Kinderfrage gestellt. Dann sagt er: "Mein Freund, das ist schon in Ordnung für die Frauen, die dürfen ja eh nicht so oft vor die Tür."

Cornelius Pollmer, SZ vom 21./22.7.2012

Anti-Government Grafitti Adorns Athens

Quelle: Getty Images

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Hamburg

Verlässt man München einmal, um eine andere Großstadt zu besuchen, wundert man sich, wie dreckig es woanders oft ist, besonders an den Wänden. Offenbar scheinen die Bewohner anderer Städte im Gegensatz zum Münchner einen Drang zu verspüren, alle öffentlichen Flächen, die sie erreichen können, mit Schriftzügen zu versehen.

Unverschämt könnte man das finden, wären sie dabei nicht so höflich wie der junge Mann, der an einer Erdgeschosswohnung auf St. Pauli klingelt: "Entschuldigung, hätten Sie etwas dagegen, wenn ich noch ein paar Graffiti an Ihre Haustür male?" "Äh, ja, das hätte ich", antwortet der Bewohner. "Okay. Gut, dass ich gefragt habe", sagt der Mann und geht. Sollte das in Hamburg immer so ablaufen, bleibt Verwunderung, warum offenbar alle Nachbarn in den zugekritzelten Häusern mit "Sehr gerne!" geantwortet haben.

Judith Liere, SZ vom 14./15.7.2012

Geparden verfügen über besondere Muskelfasern - das ist das Geheimnis ihrer besonders schnellen und wendigen Fortbewegung.

Quelle: dpa

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Lewa

Der König der Tiere ist in Wahrheit ein fauler Hund. Löwen jagen in der Dunkelheit und dösen tagsüber im Schatten, so weggetreten, dass sie sich nicht einmal von aufdringlichen Kenia-Touristen auf Foto-Safari stören lassen.

Viel spannender sind die Geparden. Sie spurten über die Savanne und tarnen sich so geschickt im Gras, dass man sie kaum sehen kann. Aber da ist einer! Er hält direkt auf den Jeep zu. Schnell die Kamera heraus. Äh, der rennt ja volle Kanne auf uns zu. Und springt auf die Motorhaube! Und auf den Überrollbügel des oben offenen Autos! Die Touristen schreien und wollen flüchten. Der Massai am Steuer lacht.

Die Raubkatze heißt Sheba, wurde als Junges vor einer Horde hungriger Affen gerettet, von Rangern aufgezogen und ausgewildert. Jetzt liegt sie da, faul wie ein Löwe, schnurrt und lässt sich kraulen.

Jochen Temsch, SZ vom 14./15.7.2012

A combination photo shows different British foods

Quelle: Suzanne Plunkett/Reuters

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... London

Es muss nicht immer Fish & Chips sein. Um die Mittagszeit verschlägt es einen in ein winziges Lokal irgendwo in East London. Alte Marmortische, abgewetzte Holzbänke. Es gibt hier nur ein einziges Gericht: Pie & Mash, traditionelles englisches Arbeiteressen.

Zwei Frauen schöpfen aus großen Töpfen Mash, einen sehr hellen Kartoffelbrei. Dazu gibt es Pie, gebackene Törtchen mit Hackfleischfüllung, eine hellgrüne Sauce namens Liqueur drüber, fertig. 2,75 Pfund für ein ganzes Mahl, nicht schlecht, denkt man, zumal für London!

Als die resolute Köchin einem dieses Ensemble auf dem Teller über den Tresen reicht, sagt sie, mit professionellem Blick den Touristen vom Arbeiter scheidend: "Das schmeckt nach absolut überhaupt nichts, wenn Sie da nicht Essig und Salz drauf tun." Und sie hat verdammt recht. Ehrlich sind sie ja, die Briten.

Hans Gasser, SZ vom 14./15.7.2012

Auf unserem Bild mit traditionellen britischen Gerichten finden Sie Pie & Mash in der zweiten Reihe ganz rechts.

Bundeswehrfeldlager Masar-i-Scharif

Quelle: picture-alliance/ dpa

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Masar-i-Sharif

Das Zelt ist stickig und zu warm. Sein Inneres, Tausende Boxen für Zehntausende Ersatzteile, liegt im Halbdämmer. Die Soldaten des Logistik-Bataillons in Masar-i-Scharif, Nordafghanistan, gehen nicht gern hinein. Sie sprechen vom Kamelzelt. Aber es leben keine Kamele darin. "Neulich saß die Spinne unter dem Wolf", sagt ein Hauptfeldwebel. Der Wolf ist ein Geländewagen, die Spinne aber ist eine Kamelspinne.

Sie kann größer werden als eine Männerhand und bös beißen. Zum Beispiel den Mechaniker, der den Wolf reparierte. Sie lebt im Kamelzelt, weil es dunkel ist, wie sie es mag.

Spinnenfreunde bescheinigen ihr Intelligenz. Nun ja. Trifft sie einen Soldaten im Freien an, läuft sie ihm hinterher. Sie will in seinen Schatten. Aber er hat schwere Kampfstiefel und eine Waffe, und er mag die Kamelspinne nicht, gar nicht. So klug kann sie nicht sein.

Joachim Käppner, SZ vom 14./15.7.2012

New York City Public Pools Open For Summer

Quelle: AFP

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... New York

Inzwischen haben wir wieder den klassischen New Yorker Sommer: 37 Grad im Schatten, nachts 27 Grad, Luftfeuchtigkeit 67 Prozent. Auf der Suche nach Kühlung besuchten wir kürzlich den McCarren Pool. Das legendäre Brooklyner Schwimmbad war 28 Jahre lang geschlossen, wurde dann aber aufwendig renoviert und ist seit voriger Woche wieder geöffnet. Doch dann der Schock am Eingang: Eine Schlange von gut 300 Menschen, geschätzte Wartezeit zweieinhalb Stunden - und das bei 37 Grad.

Wir entschieden uns für eine andere Art von Kühlung - das Radegast, einen deutschen Biergarten in der Nähe, natürlich mit Klimaanlage. Eine gute Entscheidung: Wie wir anderntags in der Times lasen, wurde die Stimmung am überfüllten Pool irgendwann so aggressiv, dass ein paar Halbstarke einen Bademeister verprügelten.

Nikolaus Piper, 7./8.7.2012

Im Bild sehen Sie einen Teil der Warteschlange am Eröffnungstag.

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Quelle: Archivfoto: AFP

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Baghlan

Heckler ist ausgesprochen dreist, Koch neigt zum Hochmut. Beides mag daran liegen, dass sie rund um die Uhr verhätschelt werden. Der Besucher im Bundeswehr-Camp Baghlan, Nordafghanistan, ist verblüfft, als man ihm sagt: "Wir stellen ihnen Heckler und Koch vor." So heißt die Rüstungsfirma, welche die Gewehre der Bundeswehr baut. Und so heißen nun auch die beiden Jungkatzen, die plötzlich eines Tages da waren.

Die Afghanen behandeln Haustiere, um es mild zu sagen, nicht so verpampernd, wie die Deutschen das tun. So kam es, dass Heckler und Koch, wie die zwei nicht ganz geschmackssicher getauft wurden, die verwöhntesten Katzen des Landes sind. Anders als deutsche Hauskatzen revanchieren sie sich aber für die erwiesenen Wohltaten: Sie schnappen die Monsterspinnen und Skorpione, die vor ihnen die Könige der Tiere von Baghlan waren.

Joachim Käppner, SZ vom 7./8.7.2012

Mexican police stand outside a hotel where Mexico's President Felipe Calderon is holding a meeting in Ciudad Juarez

Quelle: REUTERS

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Ciudad Juárez

Ich saß bei der Polizei in Ciudad Juárez und sah ein Fußballspiel. Eigentlich wollte ich den Polizeichef sprechen, ich hatte einen Termin. Die mexikanische Stadt an der US-Grenze war die Mordzentrale im Drogenkrieg, und die Polizisten galten und gelten als Freunde der Rauschgiftkartelle. Eine heiße Geschichte. Aber der Polizeichef ließ warten, so starrte ich zwischen bewaffneten Männern und Frauen auf die verschwommenen Bildschirme von Fernsehapparaten mit Standantennen.

Ich fror, die Klimaanlage verwandelte den Raum in einen Eisschrank. Draußen hatte es 42 Grad, zu entnehmen einem weiteren Fernseher mit den Nachrichten von Festnahmen und Kokainfunden. Drinnen waren es wahrscheinlich minus 42. Irgendwann war das Fußballmatch vorbei, und mir wurde freundlich mitgeteilt, dass der Polizeichef verreist sei.

Peter Burghardt, 7./8.7.2012

New Study Claims Alcohol More Harmful Than Illegal Drugs

Quelle: AFP

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Frankfurt

Ein Freund plant zum 40. Geburtstag ein Fest. Eingeladen sind 50 Gäste, viele reisen aus München an, der Freund ist erst vor einem halben Jahr von dort nach Frankfurt gezogen. Für die Party hat er ein italienisches Lokal ausgesucht, das ihm von Anfang an gefiel. Der Wirt ist nett, der Laden liegt praktisch um die Ecke. Der Freund hat schon vor Monaten reserviert. Eine gute Woche vor dem Termin dann der Anruf:

"Hallo Herr K., das Lokal ist verkauft worden. An mich", sagt ein Mann, der aus dem arabischen Raum stammt und sehr höflich klingt. "Machen Sie sich keine Sorgen Herr K., das Fest richten wir selbstverständlich trotzdem aus." Man habe alle Buchungen des Vorbesitzers übernommen. "Alles wie gehabt. Also, fast." Auf dem Fest dürfe nun natürlich kein Alkohol ausgeschenkt werden, "Sie verstehen, Herr K.?" Ach ja, die Party fand dann woanders statt.

Marten Rolff, SZ vom 7./8.7.2012

Das erste Sonnenrollo

Quelle: dpa

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Berlin

Ein Idiot, ein Ignorant, ein Scheiß-Nachbar - wie sonst soll man jemanden nennen, der Tag und Nacht den Fernseher laufen lässt? Und das nicht eben bei Zimmerlautstärke. So geht es am Donnerstag, am Freitag, auch am Wochenende, dann klingeln auf einmal drei Polizisten an der Tür: Wie lange der Herr Nachbar denn schon so lärme? Na ja, schon länger, ehrlich gesagt. Und wann man ihn zuletzt gesehen habe? Noch nie. Ein anonymer Wohnblock mitten in Berlin eben.

Einen Namen hat der Nachbar nicht, nur eine Nummer: 416, wie sein Apartment. Die Feuerwehr bricht die Tür auf, wenig später tragen Bestatter eine Leiche aus der Wohnung. Der Nachbar ist tot, seit mindestens einer Woche. Und der Idiot, der Ignorant, der Scheiß-Nachbar bin ich. Wie sonst soll man jemanden nennen, der tagelang nicht merkt, dass sein Nachbar tot ist?

Frederik Obermaier, SZ vom 30.6./1.7.2012

Migrant workers from Myanmar hold an illustration of pro-democracy leader Suu Kyi, along with Thai and Myanmar flags in Samut Sakhon province

Quelle: REUTERS

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Koh Tao

Natürlich vermisst er sie, seine Frau und die Kinder. Öfter als einmal im Jahr bekommt Barkeeper Khin sie nicht zu sehen. Das soll sich aber bald ändern, erzählt der junge Mann. Aber noch ist es zu früh, Thailand zu verlassen und zurück nach Myanmar zu gehen. Es beginnt gerade die Happy Hour. Khin muss jetzt dringend Bestellungen abarbeiten. Die Bar am weißen Sandstrand auf der thailändischen Insel Koh Tao ist überlaufen.

Die Kellner rufen Khin die Bestellungen zu: drei Long Island Iced Tea. "In meinem Land ändert sich gerade alles", sagt er noch voller Hoffnung, bevor er Schnaps mit Cola mischt. Und man will dem jungen Mann mit der Coca-Cola-Flasche glauben - schon allein wegen der Meldung, dass der amerikanische Brausehersteller Myanmar nach mehr als 60 Jahren wieder von der Liste der Schurkenstaaten genommen hat.

Tobias Matern, SZ vom 30.6./1.7.2012

EURO 2012 - Deutschland - Italien

Quelle: dpa

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Scuol

Scuol ist ein hübscher Ort im Unterengadin. Ein etwa zwölfjähriger Junge im Özil-Trikot sieht auf dem Bolzplatz eine Gruppe junger Schweizer kicken. Er fragt, ob er mitspielen darf. "Nur, wenn du dieses Trikot ausziehst", blafft ein kantiges Kerlchen zurück. Die Rätoromanen halten traditionell zu ihren italienischen Nachbarn.

Der kleine Özil weigert sich: "Nie!" Er bleibt trotzdem stehen und wartet, ob sich vielleicht doch noch jemand erbarmt. Passiert aber nicht. Eine Stunde später ist das Spiel vorbei, und die Spieler schlendern kickend und jonglierend heim - vorbei an der imposanten Gurlainabrücke. Plötzlich hüpft der Ball gut 50 Meter nach unten ins Wasser, und der Inn nimmt ihn mit sich. Die Aufregung ist groß, nur der kleine Özil lächelt. Er ist leise hinter der Truppe herspaziert. Immerhin hier ist alles im Lot. Unterengadin - Deutschland: 0:1.

Marco Maurer, SZ vom 30.6./1.7.2012

Fliegerbombe in München entschärft

Quelle: dpa

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... München

Was tut man nicht alles für die Kinder? Man kauft ihnen Fußball-Sammelbilder, Star-Wars-Lego und Laser-Schwerter. Man fährt sie zum Schwimmen, zum Karate und richtet tosende Geburtstagsfeste aus. Doch das ist alles lahmer Kram. "Nie passiert was Aufregendes", mault der Große. Und dann?

Dann kommt eines Abends ein Feuerwehrmann und bringt das Glück. Eine BOMBE wurde gefunden, sagt er, aus dem KRIEG, alle RAUS, das ganze Haus wird EVAKUIERT. Man rafft also die vier wichtigsten Dinge an sich - Frau, Kind 1, Kind 2, Kind 3 - geht nach unten, überquert die Straße und wartet mit den Nachbarn auf die Entwarnung. Blaue Lichter blinken auf riesigen roten Autos. Die Jungs toben in Schlafanzügen im Gras. Nach zwei Stunden darf man wieder zurück. "Endlich mal ein Abenteuer", sagt der Sohn und schläft glücklich ein.

Hubert Wetzel, SZ vom 23./24.6.2012

Fatih Moschee in Essen

Quelle: dpa

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Tel Aviv

Das Tor zum Parkplatz ist zu reparieren, und der palästinensische Handwerker kommt pünktlich mit einigen Wochen Verspätung. Nach wenigen Handgriffen hat er den Fehler behoben und fragt relativ unvermittelt: "Bist du Jude?" - "Nein, Christ", antworte ich. "Hast du schon mal über den Islam nachgedacht?", fragt er dann und beginnt sogleich, die Vorteile seiner Religion aufzuzählen.

Die einzige, die wahre, die höchste und so weiter, doch das beste Argument hebt er sich für den Schluss auf: "Du kannst Jesus behalten und bekommst Mohammed dazu." Ungefragt schreibt er mir auf einem Zettel noch ein paar Websites auf, die mein Seelenheil befördern könnten. Kein Zweifel, als Verkäufer weiß dieser Mann den Auftrag Allahs zu erfüllen. Aber kann es wirklich sein, dass der Weg ins Paradies durch ein Garagentor führt?

Peter Münch, SZ vom 23./24.6.2012

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Quelle: AFP

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Pergamon

An den blonden Haaren meiner Tochter hat der Mann offenbar gleich erkannt, woher wir kommen. Am Eingang zum Burgberg von Pergamon spricht er uns auf Deutsch an. Er wolle uns nichts verkaufen, sagt er schnell. Sonst hätte er ja Straßenhändler werden können, wie alle hier. Da könnte er zwar leichtes Geld verdienen, indem er Touristen übers Ohr haut, "aber langfristig bringt das nichts!" Er wolle uns lieber seine "Philosophie" anbieten.

Der Mann macht eine bedeutungsschwere Pause: "Mund-zu-Mund-Propaganda!" Für gute Ware natürlich. Das meine auch der Bürgermeister von Pergamon, erfahren wir. Deshalb habe er eine Initiative für lokale Teppichknüpfer gegründet. Der Laden sei gleich um die Ecke, sagt unser Mann. Und wiederholt seine Philosophie: "Mund-zu-Mund-Propaganda ist die beste Werbung!" Hiermit erledigt.

Hubert Filser, SZ vom 23./24.6.2012

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Quelle: Koydl

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Sankt Gallen

Leider ist es nur eine Legende aus der Frühzeit des Automobilismus, dass Holländer und Schweizer gestritten haben sollen, wem das Länderkennzeichen CH gebührt. Weil doch beide Völker diesen Rachenlaut so überzeugend hervorkrächzen können. Tatsächlich aber weiß jeder Lateinschüler, dass die beiden Buchstaben für Confoederatio Helvetica stehen, den Schweizer Bund.

Aber wie zeitgemäß ist heute noch Latein? Wäre es nicht besser, die Abkürzung mit neuem Leben zu füllen? Der Besitzer eines Ladens für Designer-Schnickschnack in St. Gallen hat die Lösung gefunden: "Cash Halleluja", mit der Schweizerfahne als Pluszeichen. Dass man in der Stadt der katholischen Fürst-Äbte Gott preist, versteht sich von selbst. Von Geld wiederum verstehen alle Schweizer etwas. Wie sagt doch der Lateiner? Pecunia non olet - Geld stinkt nicht.

Wolfgang Koydl, SZ vom 23./24.6.2012

CINEMA-TOURNAGE-VIOLENCE-JUSTICE

Quelle: AFP

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... München

"Wenn der Bus die Haltestelle erreicht, steht er auf und stellt sich hinter sie," raunt der Mann ins Telefon, "die Türen gehen auf, und er stößt sie raus aus dem Bus!" Wie bitte? Man kann gar nicht anders, als dem verdächtigen Typen zuzuhören, der am Nachbartisch im Stehcafé offenbar mit einem Komplizen telefoniert: "Sie fliegt also auf die Straße, dann kommt von hinten das Motorrad und überfährt sie." Pause. "Es muss wie ein Unfall aussehen."

Im Café ist es jetzt ganz still. Bin ich Zeuge eines Mordkomplotts? Soll ich die Polizei holen? Den Typen ansprechen? Erstmal weiter zuhören.

"5000 bis 35.000 Euro, je nachdem, wie wir's machen." Holla, ist das der Preis für einen Mord in München? Der Auftraggeber scheint die gleiche Frage zu stellen. Die Antwort kann ich wieder mithören: "Ja, Stunt-Koordination für den Tatort ist eben so teuer."

Titus Arnu, SZ vom 15./16.6.2012

New York Skyline Manhattan

Quelle: AFP

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... New York

Dass Diebe wegen der hohen Rohstoffpreise Kupferkabel aus leerstehenden Häusern reißen, hat man schon gehört. Dass es sich, wie in New York, offenbar lohnt, Altpapier vom Straßenrand zu klauben, kurz bevor die städtischen Recycling-Laster kommen, verwunderte schon. Doch mit der jüngsten Welle von Kanaldeckeldiebstählen hört der Spaß auf.

In einem normalen Jahr kommen der Stadt zwei bis drei ihrer 200.000 Eisendeckel abhanden. Dieses Jahr sind es bereits Dutzende. Ende April wurden in einer einzigen Woche 26 Deckel gestohlen.

Offenbar gehen die Diebe so gewissenhaft wie unerschrocken ans Werk. Sie stellten Warnschilder und orangefarbene Kegel auf und trugen Sicherheitswesten. Alles was sie zurückließen war ein Loch in der Straße. Was die Diebe mit den Metallplatten machen, weiß man nicht. Bei einem Schrottwert von 30 Dollar erscheint der Diebstahl kaum der Mühe wert.

Eine andere Erklärung hat noch niemand gefunden. Bei den Stadtwerken heißt es: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sie im Wohnzimmer aufhängen."

Jörg Häntzschel, SZ vom 15./16.6.2012

Berlin Obdachlose

Quelle: dpa

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Berlin

Berlin Hauptbahnhof, Tiefgeschoss, der ICE nach Leipzig kommt gleich. Zwischen den Reisenden geht eine Frau, die ein viel zu weites Sakko trägt und eine Obdachlosenzeitung zu verkaufen sucht. Schweiß perlt ihr von der Stirn, ihr Gesicht glüht rot, sie riecht, als habe sie sich seit Wochen nicht gewaschen, auch nach Alkohol, und wenn sie den Mund aufmacht, sieht man braune Zähne oder gar keine.

Ich beschließe, ihr eine Zeitung für einen Euro abzukaufen und gebe ihr einen Fünf-Euro-Schein. Sie freut sich und sagt, während sie nach Wechselgeld kramt: "Ich muss heute noch elf Euro zusammenbringen, damit ich den Schlafplatz bezahlen kann." Zwölf Euro kostet das Bett pro Nacht in einem Wohnheim.

Als ich überlege, ihr zwei oder drei Euros zu geben, klingelt ein Handy. Es ist ihres, gar nicht mal so alt. Ein Handy? Sie stammelt: "Ich muss ja erreichbar sein..."

Thorsten Schmitz, SZ vom 15./16.6.2012

Frau pudert ihr Gesicht

Quelle: Scherl

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Glasgow

In der Kosmetikabteilung: "Ich hätte gern diesen Kulturbeutel, als Mitbringsel." "Gut, da sind auch noch sechs Probepäckchen drin." "Toll. Wieviel macht das zusammen?" "Nichts." "Nichts?" "Nichts, wenn Sie zwei Produkte unserer Linie kaufen." "Ach so. Bloß was?" "Vielleicht was für Sie selbst?" "Eigentlich brauch' ich nix, aber dann geben Sie mir halt was gegen fettige Haut."

"Sie glauben also, Sie hätten fettige Haut?" "Nett, wie Sie das jetzt so vorsichtig ausdrücken." "Gut. Wir hätten hier Waschgel und Lotion, für 35 Pfund." "Was? Für zwei Tuben, die ich gar nicht brauche?" "Aber Sie sagten doch, Sie glaubten, Sie hätten fettige Haut." "Ich glaube das nicht, es ist so!" "Wenn Sie das sagen." Gereizt geht man. Mit zwei sündteuren Fettlösern in der Tüte. Und einem Kulturbeutel samt Pröbchen. Der war dann tatsächlich umsonst.

Martin Wittmann, SZ vom 15./16.6.2012

Die Frankfurter Finanzwelt zwischen Intensivstation und Normalität

Quelle: Archivfoto: dpa

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Hwange

Ein kleines Haus im tiefen Westen von Simbabwe. Auf einer Strohmatte sitzt die Naturheilerin Rita in traditioneller Kluft mit wildem Haarschmuck. Sie behauptet, es sei ihr gelungen, HIV zu besiegen. Um sie herum drängen sich auf zwei klapprigen Holzbänken Journalisten aus aller Welt, die einer solchen Heilkraft tendenziell misstrauen. Besonders Hiro aus Japan, der Ritas Behauptungen in einem gelben Notizblock festhält. Ob die Heilerin von ihren Kunden Geld verlange, will er wissen.

Ja, sagt Rita. Den Betrag bestimme aber der Geist, der ihr zur Sitzung mit den Klienten erscheine, nicht sie selbst: fünf US-Dollar für die Beratung, zehn für die Behandlung. Allgemeine Sprachlosigkeit. Die Runde lächelt gequält. Nur Hiro, der japanische Journalist, lässt nicht locker: "Kriegt dann der Geist die fünf Dollar, oder wandern die in Ihre Tasche?"

Caroline Ischinger, SZ vom 9./10.6.2012

'2007! Menschen - Bilder - Emotionen'

Quelle: Archivfoto: dpa

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Potsdam

Eröffnung des Jüdischen Filmfestivals in Potsdam, auf dem roten Teppich drängen sich Stars und Sternchen. Unbemerkt von den Kameras kommen Günther Jauch und seine Frau Dorothea Sihler auf recht alten Rädern angeradelt, schließen sie ab und eilen zum Eingang des Hans-Otto-Theaters, hoffend, nicht erkannt zu werden. Die Kartenabreißerin trübt die Hoffnung.

"Damit", sagt sie unbeeindruckt, wer da vor ihr steht, und deutet auf die Einladung in Günther Jauchs Hand, "kommen Se hier nich' rein. Karten müssen am Ticketschalter abgeholt werden." Jauchs Frau flüstert: "Günther, lass mich die abholen, die stürzen sich sonst gleich auf dich." Der Moderator hält inne, dann siegt die Kampfeslust: "Ich schaff' das schon!" Sagt's, stellt sich brav in die Schlange vor dem Ticketschalter - und wird von der Blitzlichthorde entdeckt.

Thorsten Schmitz, SZ vom 9./10.6.2012

Taxis in München, 2011

Quelle: Robert Haas

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... München

Es ist ein ungewöhnlich heißer Frühlingsnachmittag. Der Fahrer des ersten Wagens am Taxistand vor dem Ostbahnhof hat sich zurückgelehnt und widmet sich offensichtlich seiner Siesta. Seine Augen sind geschlossen. Um die 65 Jahre mag er alt sein. Wir klopfen mehrfach an die Scheibe, doch der Mann rührt sich nicht. Schließlich beginnt der Kollege im Taxi dahinter zu hupen. Da schreckt unser Fahrer auf. Er entschuldigt sich und lässt uns einsteigen.

Sicher und entspannt bis gemächlich fährt er hinaus zum Flughafen. Dort ankommen steigt er aus und holt unser Gepäck aus dem Kofferraum. Wir zahlen und wollen gehen. "Einen Moment", ruft er. Dann reicht er uns beiden die Hand, lächelt verschmitzt und sagt: "Ich gratuliere Ihnen. Sie sind gerade mit dem ältesten Taxifahrer von ganz München gefahren." 86 Jahre habe er auf dem Buckel.

Stefan Ulrich, SZ vom 26./27.5.2012

Champions League - Training FC Bayern München

Quelle: dpa

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Gaza

Vielleicht war es die Spielverzögerung am Anfang, die uns aus dem Rhythmus gebracht hat. Wir standen bereit zum Anstoß, siegesgewiss, torhungrig. Doch das gegnerische Team kniete noch an der Seitenlinie, und zwar an der Linie Richtung Mekka. Gaza, das haben wir gleich gemerkt, wird kein Heimspiel.

Egal, wir fühlten uns fit, schließlich kicken wir jeden Donnerstag mit unserer deutschen Journalistenmannschaft in Tel Aviv. Nun aber hatten wir unser erstes Länderspiel gegen palästinensische Kollegen im fast vollbesetzten Gaza-Sportsclub. "Die deutschen Maschinen", so haben sie uns respektvoll genannt. Das war vor dem Spiel. Die Wahrheit liegt dann auf dem Platz, in diesem Fall auf dem Asphalt. Das Gaza-Team war schneller, schussstärker, und es hat gewonnen, ziemlich knapp allerdings mit 10:3. Aber wir kommen wieder.

Peter Münch, SZ vom 26./27.5.2012

FILE PHOTO OF FRANK SINATRA AND GENE KELLY IN FILM "ANCHORS AWEIGH""

Quelle: REUTERS

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Uerikon

Es ist schon vertrackt: sitzt man in der Ferne, packt einen das Heimweh. Hockt man wieder daheim, plagt das Fernweh. Vor allem, wenn die Heimat ein klitzekleiner Weiler wie Uerikon ist, wo sich dank grasgrüner Hundekotbehälter so gar keine Weltläufigkeit einstellen will und nicht einmal das Tuten der Ausflugsdampfer unten auf dem Zürichsee Hochseeromantik erzeugt. Hier führen die Wege nicht nach Rom sondern nach Russikon oder Hombrechtikon.

Da wird man doch wenigstens träumen können, oder? Wer weiß, vielleicht führt dieser Pfad hier nach New York? Tatsächlich spielte es sich ganz anders ab: New York war zu Gast in Uerikon, als Frank Sinatra hier einen Musikverleger besuchte. Aber deshalb gleich einen Sinatra-Weg taufen? Das wäre unschweizerisch anbiedernd. Aber wie hieß doch gleich Frankies Hit? Genau.

Wolfgang Koydl, SZ vom 26./27.5.2012

Frank Sinatra 1945 im Film "Anchors Aweigh"

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Quelle: AFP

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Miami

Das sonnenverbrannte Paar blockiert seit Minuten die Kasse im Touristen-Shop auf dem Ocean Drive. Sie haben einiges ausgesucht: T-Shirts mit dem Schriftzug "Miami Beach" in allen grellen Farben der Welt; sie schnappt sich noch das rosa Shirt mit der Glitzeraufschrift "Miami Bitch". Dazu haben sie Postkarten gewählt, auf denen man leicht bekleidete Frauen in leicht verständlichen Posen sieht.

Der Kassierer nennt schließlich einen Preis von mehr als 125 Dollar, er nennt ihn auch auf Spanisch, kann in Miami ja nicht schaden. Der Mann versteht und zückt stolz seine goldene Kreditkarte.

Als er den Beleg erhält, schiebt der Sonnenverbrannte wortlos seiner Sonnenverbrannten die Kamera zu. Dann posiert er mit der Kreditkarte, den Einkäufen, der Quittung und einem breitem Lächeln: "Für d' Leid im Kegelveroi."

Benedikt Warmbrunn, SZ vom 19./20.5.2012

Gedenken an Opfer des Nationalsozialismus

Quelle: dpa

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Berlin

Am Brandenburger Tor fotografieren sich Schüler aus Mexiko, Rikschafahrer locken fußmüde Touristen, eine Junggesellengruppe grölt. Plötzlich taucht eine schöne Frau auf, gekleidet in rote Stoffbahnen, die Arme mit Stöcken um einen Meter verlängert. Sie stellt sich vor: "Hallo, ich bin eine Touristenfalle. Möchten Sie mir folgen?"

Vier spanische Rentnerinnen und zwei Jungs aus Portugal sind neugierig und lassen sich entführen. Die Frau in Rot ist Performancekünstlerin, sie heißt Dovrat Meron und zeigt Touristen Orte, die mal leicht übersieht: Die Baustelle des Mahnmals für Sinti und Roma, das bald eröffnet wird, das Mahnmal für die ermordeten Homosexuellen.

Auch zum Holocaust-Mahnmal führt sie, doch die Wachmänner verjagen sie: "Ihre Performance ist nicht angemeldet!" Enttäuscht zieht Meron davon - sie kommt aus Israel.

Thorsten Schmitz, SZ vom 19./20.5.2012

Budapest Ungarn

Quelle: AFP

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Budapest

Das SZ spricht man wie ein S, das S aber wie ein Sch, die Endung gy klingt wie dj, ly wie j. Ortsnamen wie "Hodmezövasarhely" oder "Gyöngyöspata" sollte man erst gar nicht auszusprechen versuchen, am vielsilbigen "Llegeslegmegvesztegethetetlenebbeknek", das - wie fast alles andere - auf der ersten Silbe betont wird, scheitert man schon beim Lesen. Wer ungarisch lernen will, braucht Gottvertrauen und Überlebenswillen.

Frustriert verirrt sich die Reisende in Budapest in ein Einkaufszentrum. Ganz oben, ganz hinten, ist ein kleiner Buchladen. Ob es vielleicht einen englischen Krimi gebe, fragt man verzagt. In bestem Schuldeutsch folgt ein eloquenter Vortrag über die große ungarische Literatur. "Aber ich kann kein ungarisch", ruft die Kundin verzweifelt. Die Besitzerin hat vorgesorgt: Sie verkauft ihre Nationalhelden - auf deutsch.

Cathrin Kahlweit, SZ vom 19./20.5.2012

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Quelle: AFP

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Mitten in ... Diyarbakir

Ramo hasst den Krieg - und gerade deshalb will er darüber sprechen, er kann nicht anders. Er sitzt im Hof der ehemaligen Zitadelle von Diyarbakir. Bis vor wenigen Jahren wurden hier Kurden gefangen gehalten, beim Appell mussten sie schwören, dass sie Türken sind. Jetzt sitzt Ramo hier auf einem Hocker, rührt in seinem Çay und regt sich auf: über Angela Merkel, "diese dämliche Kuh", die am Weltfrieden nicht interessiert sei, über die Waffenindustrie, die stets beide Seiten beliefere, und über die Alten, die vom Hass zerfressen sind.

Ramo ist ein Mann des Friedens, sagt er. Seine Generation habe genug Leid gesehen, jetzt hofft er auf die Generation seiner Kinder. Sie sollen es besser machen, vor allem friedlicher. "Ich bin zuversichtlich", sagt Ramo.

Was er in Diyarbakir eigentlich macht? "Ich suche meine Tochter." Sie kämpft in der PKK.

Frederik Obermaier, SZ vom 12./13.5.2012

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Quelle: AFP

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Mitten in ... Kabul

"Waffe oder Messer", fragt der freundliche Mann mit dem Maschinengewehr in der Hand. Er lächelt: westliche Gäste im Kabuler Flower Street Café sind eigentlich immer unbewaffnet. Er tastet jeden männlichen Besucher ab, schaut in die Laptoptaschen. Drinnen haben sie die "Caféterrasse am Abend" von Vincent van Gogh wieder aufgehängt. Das Poster war tags zuvor kurzerhand verschwunden.

Ein Amerikaner redet über Skype mit seiner Frau am anderen Ende der Welt. Weghören geht nicht. Ihre Beziehung steckt in einer Krise. An einem anderen Tisch schmiedet ein Paar Pläne, sie wollen mehr Rikschas nach Afghanistan bringen. Zum Orangensaft bringt der Kellner ein passables Frühstückssteak und Omelette. Es gibt sie: normale Stunden in einem Kabuler Café. Zumindest wenn man den Job vergisst, den der Mann am Eingang macht.

Tobias Matern, SZ vom 12./13.5.2012

Spalding sings as a portrait of Houston is displayed on the screen during the memorial segment at the 84th Academy Awards in Hollywood

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Düsseldorf

Whitney Houstons Stimme war ein Glück. Eine Stimme wie ihre gab es nur einmal, heißt es allerorten. Die Verneigungen nach ihrem Tod sind demnach noch immer angebracht. Dies dachte sich wohl auch der Besitzer eines kleinen Ladens in der Düsseldorfer Altstadt. Den Eindruck hatte man wenigstens zu Beginn. Denn in den drei Schaufenstern des Hauses in der Andreasstraße reihen sich, auf Samt drapiert, goldene Schaltplatten, Poster und Texte - allesamt mit dem Konterfei Whitney Houstons.

Erst glaubt man, das wäre ein Plattenladen, der entweder einen letzten großen Reibach mit der Sängerin machen oder der großen Stimme des R&B-Soul eine Hommage zukommen lassen will. Dann aber bemerkt man in der Auslage auch das Taschenbuch "Nordfriedhof". Der Blick nach oben belegt: Der Laden ist ein Bestattungsunternehmen.

Marco Maurer, SZ vom 12./13.5.2012

Turkish cook prepares beef steak on fire in restaurant in Mediterranean Turkish city of Antalya

Quelle: Archivbild: Reuters

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Mitten in ... Fethiye

Ein Abendessen im Strandrestaurant einer Ferienanlage an der türkischen Mittelmeerküste. Das Setting: perfekt. Ziemlich viel Mond über der Bucht, eine spektakuläre Wasserski-Show samt Laser-Schnickschnack. Das Essen: ausgezeichnet. Der Weißwein: bestens temperiert. Vom Band: Georges Moustaki, Serge Gainsbourg. Der Service: im gleichen Maße aufmerksam wie unaufdringlich, fast unsichtbar, dirigiert von einem charmanten, ganz in weiß gewandeten Robbie-Williams-Lookalike.

Als sich die Gäste nach ausgiebigem Mahl und einem letzten Raki auf den Heimweg machen, bildet die Belegschaft ein Gute-Nacht-Spalier und wünscht noch einen schönen Abend - jeder so gut er kann. Einige sagen "Good night", andere "Goodbye", und einer haut zum Abschied seinen kompletten Deutsch-Wortschatz raus: "Guten Appetit!"

Thomas Becker, SZ vom 12./13.5.2012

Fallschirmspringer

Quelle: Archivfoto: dpa

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Mitten in ... Leutkirch

"Ist das dein erstes Mal?" Es gibt Fragen, die klingen in jedem Alter komisch. Radu, der gut gelaunte rumänische Fallschirmlehrer, lächelt und streckt zur Begrüßung die Hand aus. Ich nicke, versuche zurückzulächeln und sehe dabei vermutlich aus, als hätte ich akuten Durchfall. In ein paar Minuten soll es losgehen: 4000 Höhenmeter und eine Minute freier Fall bei 200 Stundenkilometern.

Das Propellerflugzeug steht schon mit geöffneter Luke neben dem Hangar im Allgäu, die mitfliegenden "Tandem-Master" prüfen noch mal die Fallschirme, ihre Lebendfracht steht mit Puls 200 daneben, verpackt in eng anliegende Overalls, die am Hintern verdächtig fleckig sind.

Radu, der Rumäne, lächelt immer noch. Das sei ja klasse, dass das heute mein erster Sprung sei, sagt er: "Wir passen zusammen, Kollege! Ich springe auch zum ersten Mal im Tandem!"

Marc Felix Serrao, 5./6.5.2012

Schweiz

Quelle: dpa

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Mitten in ... Stäfa

Schweizer verdienen mehr als andere, und ihren Verdienst geben sie lieber bar aus. Kreditkarten sind ihnen suspekt; populärer sind die rosafarbenen Einzahlungsscheine, mit denen man auf der Post Rechnungen bezahlt. Genau 150 Franken kosten die zwölf Flaschen Blauburgunder, die man gekauft hat. Summe und Kontonummer des Winzers sind schnell ins Formular eingetragen. Als die Scheckkarte im Lesegerät steckt, blitzt der Hinweis auf: "Bezugslimit überschritten."

"Es isch scho a bitzeli hoch", brummt der Postmensch: "150.000 Franken." Mit flatternden Händen nimmt man den Schein zurück. Falsch ausgefüllt. Kein Wunder, hat das Formular doch Platz für acht Stellen. Bis zu 99 Millionen Franken kann man ausgeben. Respekt.

Der Postler bleibt hilfsbereit - und völlig ironiefrei: "Sii chönnet geern auch bar bezahle."

Wolfgang Koydl, SZ vom 5./6.5.2012

Papst Benedikt XVI. - Bierverkauf in Marktl

Quelle: dpa/dpaweb

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Mitten in ... Amsterdam

Ein letztes Mal in den Coffeeshop, ist ja bald verboten für Ausländer. Natürlich nur zu Recherchezwecken. Im Café 420 hängen ein halbes Dutzend Gäste rum, ihre Wasserpfeifen gluckern. Am Tresen sitzt Charles aus Belfast, trinkt Kaffee, raucht Gras aus Holland. Er erzählt von seinem "harten Job" bei einem Sicherheitsunternehmen. "Da darf ich nicht kiffen. Also fahr ich drei Tage hierher, um den Kopf frei zu bekommen."

Dann schaut der Coffeeshop-Besitzer rein und erzieht gleich seine Kunden: Ausweis zeigen, Brille ab, Mütze ab! Den Gast führt er zum Regal. Da steht eine Magnum-Flasche "Papst-Bier" aus Marktl am Inn. Da sei er gewesen, weil er den Ratzinger mag, sagt der Chef. "Das ist der beste Kunden-Aufseher der Welt". Er selbst sei Christdemokrat: "Alle anderen Parteien sind doch nur Abkömmlinge." Und überhaupt: "Abtreibung ist Mord!"

Thomas Kirchner, 5./6.5.2012

Maccabi Netanya's coach Mattheaus watches before UEFA Cup qualifying round soccer match against Cherno More Varna in Sofia

Quelle: Archivfoto: Reuters

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Mitten in ... München

Eigentlich sollten die drei Teenager um diese Zeit in der Schule sein. Es ist ein regnerischer Donnerstagvormittag im Münchner Schlachthofviertel, nicht gerade der beste Tag zum Schwänzen, die Wiesen und die Bänke in den Parks sind nass. Aber die Mädchen haben anscheinend sowieso Besseres vor: Sie stehen vor einem Supermarkt und drängen sich um einen kleinen Schminkspiegel, den die Blondine in der Mitte in der Hand hält.

"Ey, jetzt gib misch endlich Rouge", ruft das schwarzhaarige Mädchen rechts von ihr aufgeregt. "Du hast eh zu fetten Arsch. Außerdem steht er auf schwarze Haare, der will sicher misch."

Im Eingangsbereich des Supermarkts sitzt ein sichtlich müder Mann auf einem Barhocker neben der Bäckertheke. Er trinkt einen Kaffee und redet gestenreich auf eine sehr junge Frau ein. Es ist Lothar Matthäus.

Moritz Baumstieger, SZ vom 5./6.5.2012

© SZ/dd/kaeb/fzg/rus
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