Mitten in Absurdistan:Bling bling, aber diskret

In den Kreationen chinesischer Köche liegt Poesie - ein Gemüse banal "Rettich" zu nennen, käme für sie nie in Frage. Handys in Dubai mögen zwar mit Diamanten besetzt sein, aber eine Kamera kommt nicht in Frage. Aus Rücksicht auf den Kunden.

SZ-Korrespondenten berichten Kurioses aus aller Welt.

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(Foto: AFP)

In den Kreationen chinesischer Köche liegt Poesie - ein Gemüse banal "Rettich" zu nennen, käme für sie nie in Frage. Handys in Dubai mögen zwar mit Diamanten besetzt sein, aber eine Kamera kommt nicht in Frage. Aus Rücksicht auf den Kunden. SZ-Korrespondenten berichten Kurioses aus aller Welt. Mitten in ... Milli Park Wer dem lauten und arg touristischen Ort Kusadasi an der türkischen Westküste entkommen will, kann sich von dort aus 30 Kilometer südwärts bewegen, in ein Naturschutzgebiet namens Milli Park. Die Fahrt mit dem Sammeltaxi kostet sieben Türkische Lira, und an den Stränden des Parks gibt es weder Disco-Lautsprecher noch Mietsonnenschirme. Es ist ein beliebtes Ausflugsziel für türkische Familien aus dem Hinterland, ob aus Söke oder Aydin. Großfamilien sitzen beieinander, die Oma in der Mitte und jede Menge Essen im Gepäck. Manche Frauen und Mädchen tragen einen Ganzkörper-Badeanzug, der auch den Kopf einhüllt, andere offenes Haar und wenig Stoff. Das Bad genießen alle zugleich, Buben, Mädchen, Frauen, Männer. Egal, ob Burkini oder Bikini: Seine Mitschwimmer empfindet hier offenbar niemand als Zumutung. Patrick Illinger, SZ vom 14./15. September 2013

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(Foto: Kai Strittmatter)

Mitten in ... Peking Grau und nüchtern. Peking ist eine recht prosaische Stadt. Dabei ist es die Hauptstadt einer Nation, die sich einst der Poesie verschrieben hatte. Die Rettung aus fahlem Alltag kommt, wie so oft, von der Küche. Das kulturelle Gedächtnis, aus dem Antlitz der Städte wegradiert, hier gibt es das noch. In den Kreationen der Köche findet sich auch Poesie. "Mondlicht überm Lotosteich", in China kann man das essen. Schon auf den Karren der Gemüsehändler liegen Schätze. Eine faustgroße Knolle, außen grün, innen tiefrot, im Querschnitt wie ein Blutstropfen unterm Mikroskop, zum Rand hin in Strahlen ausfächernd. Auf Deutsch hieße das "Rettich". Und hier? Hier nennen sie es "xin li mei" - "im Herzen schön". Knackig, ein wenig süß, ein wenig scharf. Kurz zuckt sie zurück, die Zunge. Ein Kitzeln, ein Prickeln. Augen zu. Ein Lächeln. Kai Strittmatter, SZ vom 14./15. September 2013

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(Foto: Evelyn Vogel)

Mitten in ... Dubai Der Verkaufsstand von Vertu am Flughafen von Dubai hält etliche glitzernde Produkte der englischen Nobelmarke bereit. Eilfertig erklärt der Verkäufer die Besonderheiten der handgefertigten Mobiltelefone: gefasst in Platin oder 18-karätigem Gold, mit Diamanten besetzt und Saphirglas vor dem Display. "Absolut kratzfest", wie der junge Verkäufer demonstriert, während er mit seinem Schlüssel auf einem fast 50.000 US-Dollar teuren Stück herumschrappt. Die Sim-Karte sei gut verborgen, führt er aus. Das gelte wohl auch für die Kamera, fügt die staunende Kundin suchend hinzu. Über eine Kamera, erklärt der junge Mann lächelnd, verfüge dieses Modell nicht. Das habe, sagt er verschwörerisch, einen besonderen Grund: Man müsse Rücksicht auf Kunden nehmen, die in gewissen Clubs verkehrten, in denen Fotografieren unerwünscht sei. Evelyn Vogel, SZ vom 14./15. September 2013

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(Foto: Getty Images)

Mitten in ... London Im schönen Pub "The Garden Gate" haben sie jetzt die Gartenlaube dichtgemacht. Daran merkt man alljährlich, dass es unwiderruflich Herbst geworden ist: Das Laub fällt von den Bäumen, in der Luft steht feiner Niesel, im Garden Gate machen sie die Gartenlaube dicht. Sommers steht ein freundlicher Mann mit sehr viel Haar in der Gartenlaube und verkauft Getränke, was angenehm ist, da man nicht extra vom herrlichen Garten ins Innere des Pubs laufen muss, um Nachschub zu holen. Nun steht die Laube verrammelt da als Erinnerung an wärmere Zeiten. Als wäre die Schließung der Gartenlaube nicht Zeichen genug, haben die Pub-Leute nun sämtliche Tische mit kleinen Aufstellern aus Pappe versehen. Darauf steht: "Book now! Christmas at the Garden Gate!" Herr im Himmel. In dreieinhalb Monaten ist schon wieder Weihnachten. Christian Zaschke, SZ vom 14./15. September 2013

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(Foto: dpa)

Mitten in ... Buenos Aires Kürzlich beim Joggen im Stadtpark, ich war halbwegs flott unterwegs. Da kam eine Stimme aus dem Wald: "Che, flaco, tenés fuego?" Hey, Schmaler, hast du Feuer? Es waren nicht die Transvestiten, die sich dort an die Straße stellen, sobald die Dämmerung einsetzt, sondern zwei Spaziergänger. Als "flaco" geht in Argentinien zwar jeder durch, der leichter ist als eine Tonne. Ich fragte mich aber: Wozu sollte ein Läufer Feuerzeug oder Streichhölzer dabei haben? Ich trug Laufschuhe und Jogginghose! Entschuldigend hob ich die Arme: Tut mir leid Jungs, bin Nichtraucher. Dann lief ich weiter - und musste plötzlich an Menotti denken. Der dünne César-Luis Menotti, der Weltmeistertrainer. Auch er wurde "El flaco" genannt, war schon als Spieler Kettenraucher gewesen und qualmte später auf der Bank. "Haste Feuer, Flaco?" - was für ein Kompliment! Peter Burghardt, SZ vom 7./8. September 2013

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(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Mitten in ... München Über arabische Touristinnen kursieren in München die fantastischsten Gerüchte. Sie seien nur hier, um die Maximilianstraße leerzukaufen, heißt es, dann verschwänden sie im Fünf-Sterne-Hotel, wo ihnen der Diener die Tüten bis in die Suite trägt. Falsch gedacht. Wie sich am Blomberg besichtigen lässt, wo eine formvollendet verhüllte Dame Tickets für die Sesselbahn kauft. Drei Frauen, ein älterer Herr, sieben Kinder. Okay, die wollen die Aussicht genießen? Wieder falsch. Die Damen gehen wandern! Bei der Mittelstation sieht man sich wieder, die füllige Anführerin testet die Sommerrodelbahn. Gelenkig presst sie sich in den Sitz und schießt mit flatterndem Schleier die 1300 Meter herunter, in jeder Kurve volles Risiko. Die Geschäftemacher der Maximilianstraße werden sich anstrengen müssen, um die Hauptattraktion zu bleiben. Christian Mayer, SZ vom 7./8. September 2013

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(Foto: Marten Rolff)

Mitten in ... Hellnar Ein Lavastrand bei Hellnar auf Islands Halbinsel Snaesfellsnes. Eigentlich ist es traumhaft hier, doch heute hängt der Himmel so tief, dass man keine 100 Meter weit sehen kann. Dazu fällt Sprühregen. Trotzdem sind viele Touristengruppen hier. Sie tragen Funktionsjacken und knien in Halbkreisen dicht über den Steinen, die Kameras gezückt. Aber warum? Um im Nebel den Boden abzulichten? Eine Schautafel gibt Antwort: Vor dem Strand havarierte 1948 der englische Trawler Epine GY7, nur fünf von 19 Besatzungsmitgliedern wurden damals gerettet. Vom Schiff sind nur wenige Trümmer geblieben, "historische Zeugnisse, die nicht entfernt werden dürfen", wie das Schild in vier Sprachen mahnt. Touristen können rätselhaft sein. Manchmal reisen sie ans Ende der Welt, um im Regen den rostigen Schrott eines Kutters zu fotografieren. Marten Rolff, SZ vom 7./8. September 2013

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(Foto: dpa)

Mitten in ... Paris Vor dem Centre Pompidou haben sich bunte Häufchen gebildet: Touristen, Souvenirhändler, Familien sitzen und liegen in Kleingruppen auf der schrägen Fläche vor dem Eingang in der Sonne. Um eine Band namens "Circus Problem" hat sich eine Traube gebildet. Optisch wirken die Musiker, als wären sie ein Kunstprojekt: zwei exakt gleich aussehende Sängerinnen, ein kleinwüchsiger Trommler, ein Flötist, ein Akkordeonspieler, ein Geiger. Akustisch wirken sie wie eine Kreuzung aus Polka und David Guetta. Die Zuhörer tanzen ausgelassen, es ist eine spontane Spätsommerparty mitten in Paris - bis sich zwei Clochards vom Boden aufrappeln und mitwirbeln. Eine Schneise entsteht um sie herum. "Circus Problem" hat nun ein Geruchsproblem. Nur zwei politisch ganz korrekte Muttis beißen die Zähne zusammen und tanzen eisern weiter. Titus Arnu, SZ vom 7./8. September 2013

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(Foto: dpa)

Mitten in ... Hannover Die blaue Sperrmülltüte mit dem Strick um die Öffnung darf nicht auf die Gepäckablage im übervollen Zug, "bloß nicht!", ruft der Mann mit den großen Zähnen und der großen Brille. Unter den Tisch lieber auch nicht, "bitte nicht dranstoßen!" Seine Frau verstaut in aller Ruhe die restlichen Taschen und Koffer. Die anderen Fahrgäste weichen ein wenig zurück. In der Tüte steckt ein traditioneller Stülpkorb und darin zieht ein Bienenvolk um, 30.000 und die Königin. Sagt er, der Hobby-Imker. Zu Hause bei Hanau habe er schon einige Völker, dreizehn insgesamt, und nun dieses neu gekauft, "für die Genetik, Sie wissen schon". Natürlich könnte er das Volk auch in seinem Auto transportieren. "Aber wenn im kleinen Auto was schiefgeht, wäre es ja noch blöder für uns." Die Tüte schweigt, die Menschen ebenfalls. Beinfreiheit hat er jetzt. Anja Perkuhn, SZ vom 31.8./1.9.2013

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(Foto: iStockphoto)

Mitten in ... Buenos Aires Argentinier sind unschlagbar, unter anderem dann, wenn es um die Seele geht. Eine Sprachschule in Buenos Aires, erste Stunde im neuen Semester: In einem Raum sitzen ein Deutscher, neun Argentinierinnen und eine brasilianische Lehrerin. Bereits nach der ersten Fragerunde zum Kennenlernen wird der Kurs zur Gruppentherapie. Eine Dame weint, als sie vom Kindheitsausflug mit dem Vater erzählt. Die Nachbarin kriegt feuchte Augen, als sie von der Mutterliebe schwärmt. Eine ältere Frau berichtet, wie ihr Mann vor Jahren vor der Haustür ermordet wurde. Die nächste schildert ihre Scheidung. Verständnisvolles Murmeln, aufmunternde Gespräche. Argentinische Psychoanalyse auf Portugiesisch, an einem Mittwoch in einem achten Stock im Spätwinter am Río de la Plata. Fortsetzung jede Woche, drei Stunden lang. Peter Burghardt, SZ vom 31.8./1.9.2013

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(Foto: N/A)

Mitten in ... Moskau Man sieht sie oft in Moskau, diese Komposition aus Gegensätzen. Die zwiebeltürmige Kirche im Meer der Plattenbauten, die schöne Frau auf High Heels und ihren Partner im Trainingsanzug. Nun fällt der alte Lada auf. Eigentlich steht er schon lange da, eckig wie Kastenbrot, ein Reifen platt, festgewachsen seit Monaten auf dem breiten Bürgersteig. Aber um ihn herum verändert sich Moskau, schneller, als der Lada je fahren konnte. Er steht immer noch auf dem Bürgersteig, aber das Schaufenster, an das er sich schmiegt, gehört jetzt einem schnieken Tuning-Salon. Ein feuriger Lamborghini parkt zur Werbung davor, doch der Lada weicht nicht. Der Kotflügel mit Paste bestrichen, die Tür vom Rost durchbohrt, der hintere Reifen platt wie eh und je. "Nein, der stört uns nicht", sagt ein Berater im Laden. Moskau kann charmant und tolerant sein. Frank Nienhuysen, SZ vom 31.8./1.9.2013

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(Foto: SCHERL)

Mitten in ... Kalmar Kurzfristig brauche ich einen neuen Schlafplatz. Die Hotelpreise liegen inzwischen bei 100 Euro die Nacht, zu viel, und so melde ich mich bei Couchsurfing an. Schon nach zehn Minuten schreibt Aladin: Er habe ein Bett für mich, er würde mich am Bahnhof abholen und mir alles in dem schwedischen Ort zeigen, was mein Herz begehre. Das Foto zeigt einen braungebrannten, dunkelhaarigen jungen Mann. Vorsichtshalber schicke ich seine Daten an eine Freundin weiter und hole mir Witze über "Aladins Wunderlampe" ab. Ich erlebe eine bedingungslose Gastfreundschaft von Aladin und seinem Bruder Mustafa, die aus Syrien geflohen sind. Sie führen mich herum, kochen, geben mir eine Unterkunft. Kostenlos. Und ich kann mich nicht einmal revanchieren. Die Asylbestimmungen erlauben es nicht, dass sie nach Deutschland reisen. Nicole Werner, SZ vom 31.8./1.9.2013

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(Foto: MYCHELE DANIAU/AFP)

Mitten in ... Saint Cloud Der Sommerurlaub ist den Franzosen heilig. Das von Einheimischen entvölkerte Paris gehört in jedem August den Touristen, und draußen im Vorort ist alles ausgestorben. Als frisch Zugezogener, der abends den Türmen ungeöffneter Umzugskartons entfliehen und sich laben will, läuft man gegen Wände. Genauer: gegen verrammelte Türen. Die Crêperie? Geschlossen. Das Eck-Resto am Dorf-Boulevard? Düster. Auch in der Brasserie bleibt die Küche kalt, der Koch weilt an der Côte. Immerhin, die Pizzeria am Rathaus ist geöffnet! Doch noch ehe der Gast Platz nimmt, kommt der Kellner mit erhobenem Zeigefinger: "Essen können Sie hier nicht!" Die Rührmaschine für den Pizzateig sei kaputt, "und weil August ist, dauert es mit dem Ersatzteil." Pizza gab's dann dennoch - daheim, dank pappiger Gefrierware von der Tankstelle. Vive les vacances! Christian Wernicke, SZ vom 24./25. August 2013

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(Foto: Roland Weihrauch/dpa)

Mitten in ... Düsseldorf Der Düsseldorfer Carlsplatz ist das unbestrittene Epizentrum der Porsche-Cayenne-Mütter dieser Republik. Jeden Tag rollen die großen Wagen mit den meist zierlichen Frauen um den Platz, der von edlen Modegeschäften gesäumt ist, in denen sich die älteren Damen vom Nichtstun erholen. Es gibt aber auch junges Gemüse auf dem Platz, der voller Stände mit exotischen Früchten und frischem Grünzeug ist. Bisher, so dachte man, kommen die hohen Preise daher, dass die Standinhaber besonders früh aufstehen, um sich auf dem Großmarkt die allerbeste Ware zu sichern. Neulich aber sah ich einen der größten Anbieter im Rewe gegenüber zehn Schachteln Himbeeren für je zwei Euro kaufen, auf seinem Stand am Carlsplatz klebte er dann ein "Vier Euro"-Etikett drauf. Mit den Düsseldorfer Cayenne-Müttern kann man es ja machen. Bernd Dörries, SZ vom 24./25. August 2013

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(Foto: Peter Macdiarmid/Getty Images)

Mitten in ... Derry Von der historischen Stadtmauer in Derry aus haben Touristen den besten Blick auf die Bogside, das Viertel, in dem britische Soldaten am 30. Januar 1972 13 Demonstranten erschossen haben. Der Tag ging als "Bloody Sunday" in die Geschichte ein und führte zur endgültigen Eskalation des Nordirlandkonflikts, bei dem über 3500 Menschen starben. Heute blickt man hier in der zweitgrößten Stadt des Landes auf graue Arbeiterhäuser in Reih und Glied, Lagerhallen, eine vielbefahrene Straße. Über allem Nieselregen. Nach Luxusviertel sieht die Bogside auch vierzig Jahre später nicht aus. Findet auch eine deutsche Mutter mit Fernglas: "Schau, wenn die Leute in so hässlichen Häusern leben müssen, bringen sie sich gegenseitig um", erklärt sie ihrem etwa vier Jahre altem Sohn, der aufmerksam zuhört. "Das ist wie daheim in Berlin." Anne-Nikolin Hagemann, SZ vom 24./25. August 2013

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(Foto: dpa)

Mitten in ... München Am Abend, ein Restaurant im Glockenbach, am Nebentisch sitzt Moretti. Interessant: Vielleicht der einzige Schauspieler, der in der Realität besser aussieht. Beine lässig übereinandergeschlagen, Haare in die Stirn fallend, Gesicht wie gemeißelt und leicht gebräunt, die Augen darin: surreal stahlblau. Undenkbar natürlich, ihn jetzt anzusprechen. Aber nachher beim Gehen, wer weiß, ein kleines, unaufdringlich über die Schulter geworfenes Kompliment: Wie toll man ihn fand als Grenzgänger im Weibsteufel, vielleicht einen Tick noch besser als die Minichmayr, Moretti, wie elegant er durch dieses aberwitzige Bühnenbild tänzelte, das aus gestapelten Baumstämmen bestand, Moretti, der seiner Begleiterin gerade erzählt, dass er im Hinterzimmer immer auf der Liege übernachtet, wenn er in der Apotheke Notdienst schiebt. Lassen wir das. Tanja Rest, SZ vom 24./25. August 2013

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(Foto: dpa)

Mitten in ... Finkenberg Die hoteleigene Wasserrutsche mit Discobeleuchtung und digitaler Zeitmessanlage ist eine sehr überzeugende Konstruktion. Oder der Spielplatz mit Riesenschaukel und Turboseilzug. Mancher Gast kommt auch an der Go-Kart-Bahn kaum vorbei. Durchaus bedenkenswert also die Frage, die das sechs Jahre alte Mädchen am Nebentisch einem gebräunten Mann mit goldener Uhr am Arm stellt: "Opa, ich will hier wohnen. Können wir das Hotel kaufen?" Er blickt sich um: Bergpanorama, Rutsche, Pool, Garten - es ist wahrlich schön. Nebenan aber liegt ein gelangweilter Jugendlicher mit dicken Kopfhörern, der die Hotelangestellte anmeckert, die ihm gerade die Füße massiert. Der Großvater verzieht das Gesicht, Zeit für eine Lektion in Sachen Leben und Luxus. "Nein", sagt er, "aber wenn du brav bist, kaufe ich dir ein Kaviar-Eis." Fabian Heckenberger, SZ vom 17./18. August 2013

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(Foto: picture alliance / dpa)

Mitten in ... Berlin Schlange stehen ist manchmal ganz nett. Man lernt die Russen im Rücken und die Italiener vor einem kennen, sofern man nur lang genug steht. Gefühlte zwei Stunden zum Beispiel bis zum Eingang des Pergamonmuseums. Klar, Berlin im August ist voll. Lässt sich nichts machen - denkt man, während man sich Schritt für Schritt dem Eingang nähert. Von zwei Kassen ist eine nicht besetzt. Wären die Männer, die neben der Schlange stehen, um sie zu regulieren, nicht dort besser aufgehoben? "Sie müssen hier nicht rein!", antwortet einer der Wärter des staatlichen Museums grob. Später bei der Fastfood-Kette auf dem Ku'damm gibt es zur Bestellung eine Nummer und die freundliche Bitte, sich rechts anzustellen und den Burger in Empfang zu nehmen, sobald die Nummer angezeigt wird. Geht ganz schnell. Es lebe die Marktwirtschaft. Monika Maier-Albang, SZ vom 17./18. August 2013

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(Foto: picture alliance / dpa)

Mitten in ... Bayreuth "Informationen über den Organraub in China, bitte lesen Sie!", flüstert der junge Falung-Gong-Anhänger und drückt der Passantin ein Flugblatt in die Hand. Ohne ihren Stechschritt zu drosseln, knüllt sie das Pamphlet in ihre Clutchbag. Auf dem Balkon des Festspielhauses haben die Fanfaren schon zum zweiten Mal den nahen Beginn der Oper ausposaunt. Die schicken Menschen werden nach und nach ins Innere gesogen. Übrig bleiben die ticketlos Unschicken, also wir, und die Falung-Gong-Leute. "Nächstes Jahr möchten wir da endlich auch mal da rein!", bedrängen wir den Bayreuther Verwandten. Der verdreht nur die Augen. Die Falung Gongs, die auf dem Grünen Hügel traditionell auch für ihre meditativen Stehübungen werben, sortieren derweil ihr Infomaterial für den nächsten Einsatz. Bei Wagner gibt's geräumige Pausen. Jutta Czeguhn, SZ vom 17./18. August 2013

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(Foto: dpa-tmn)

Mitten in ... Nizza Eine Woche Eselwandern mit den Kindern. Das heißt: großartige Natur, jeden Tag wird es wilder, am Ende sieht man Murmeltiere, Geier und Gipfelpanorama. Das heißt aber auch: jeden Abend feinste Küche. Die Unterkünfte mögen immer einfacher und alpiner werden, doch die Franzosen fahren selbst im Refuge auf dem Col de la Cayolle noch ihr Vier-Gänge-Menü auf, inklusive Käseteller, Rotwein und Dessert. Und sie geben den Wanderern jeden Tag ein üppiges Picknick mit auf den steinigen Weg, Salate, Ratatouille, Risotto, alles irgendwo am Wildbach oder unter Lärchen zu verspeisen. Nach dem Urlaub, auf der Heimfahrt, an einer total verstopften Ausfallstraße bei Nizza, rufen dann plötzlich die Kinder unisono von der Rückbank: "Halt! Hier müssen wir essen!" Was? Wo? Warum? "McDonald's! Endlich wieder gutes deutsches Essen!" Alex Rühle, SZ vom 17./18. August 2013

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(Foto: Tobias Hase/dpa)

Mitten in ... München In aller Herrgottsfrüh in der S-Bahn Richtung Innenstadt. Es herrscht typische Morgenmuffelstille. Plötzlich tönt eine laute Männerstimme durch das Abteil: "Du spinnst wohl. Lass das bleiben." Mindestens 40 Ohren werden auf einen Schlag wach. Im Wagendurchgang steht ein junger Mann: Schiebermütze, schwarzer Ledermantel mit Pelzkragen. Er hält das Handy an sein rechtes Ohr und schimpft: "Ich mach' da nicht mit. Das ist ein Verbrechen. Wir kommen ins Teufels Küche." Kurze Pause, dann zischt er noch: "Idiot! Ende!" Er steckt das Handy in die Manteltasche und drängt zur Tür. Eine besorgte Frau sagt: "Das müssen Sie der Polizei melden!" Seine Antwort: "Das war nur eine Sprech- und Mutprobe für die Schauspielschule." Reichlich verdutzte Gesichter. Rascher Abgang des Eleven. Kein Applaus. Marion Zellner, SZ vom 10./11. August 2013

Mitten in Absurdistan

Mitten in ... Dziwnowek

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(Foto: Getty Images)

Tagsüber gibt es zwischen Morze Baltyckie und Ostsee keinen Unterschied: Räucherfisch-Büdchen und Campinggefährte von Usedom bis Wolin. Doch abends wird am polnischen Strand verkauft, was in Deutschland streng verboten ist: Himmelslaternen. Ihr nächtliches Geflacker habe Piloten irritiert. Die polnischen Kollegen sind härter im Nehmen, hier darf man weiterhin zündeln. Auch die deutschen Urlauber wollen die Gelegenheit nutzen und die schwebenden Lichter in die Nacht schicken. Laterne in der Linken, Hand vom Freund in der Rechten, steht eine junge Frau am Strand. Der Freund holt das Feuerzeug raus, der Lampion steigt auf, segelt ins Warnschild der Strandwache, verbrennt. "Wir haben ja noch einen!" Diesmal verlischt die Papierlaterne direkt im Sand. In Sachen Romantik sind die Polen irgendwie geübter. Nadia Pantel, SZ vom 10./11. August 2013

Mitten in Absurdistan

Mitten in ... Hongkong

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(Foto: AFP)

Seit 1903 rattert Hongkongs Ding Ding durch die Stadt - eine Sehenswürdigkeit, denn doppelstöckige Straßenbahnen wie diese gibt es sonst nur noch in Blackpool und Alexandria. Die geschäftigen Hongkonger selbst nehmen lieber die U-Bahn als ihre Tram, viel zu oft stoppt sie, und klimatisiert sind die Züge auch nicht. Meistens sitzen deshalb Touristen in der Bahn, viele von ihnen kommen aus China. Plötzlich stoppt die Tram abrupt. Am Times Square, der trubeligsten Einkaufsgegend der Stadt, bahnt sich eine Demonstration den Weg über die Gleise. Bestimmt 3000 Hongkonger sind auf der Straße, sie haben Transparente dabei und fordern den Rücktritt eines Politikers. Die chinesischen Touristen in der Tram zücken ihre Fotohandys, sie können ihr Glück kaum fassen: Ding Ding und Demo - gleich zwei Attraktionen auf einmal. Christoph Giesen, SZ vom 10./11.August 2013

Mitten in Absurdistan

Mitten in ... Kadiköy

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(Foto: AFP)

Eigentlich haben wir ein Flüchtlingslager gesucht, mit Tschetschenen, mitten in Kadiköy, zwischen einer teuren Marina, Luxuslokalen und einer Kaserne. So ist das in Istanbul, immer alles nebeneinander, arm und superreich. Kadiköy ist ein asiatischer Stadtteil mit einer halben Million Einwohnern und Meerblick. Wir finden das Lager, es ist verlassen. Nur Yildirim ist da, ein alter Türke mit schiefer Brille. Wegen der Katzen, sagt er. 40 Straßenkatzen hätten die Flüchtlinge einst aufgenommen. Nun füttert Yildirim die Tiere, kommt dafür von Europa über den Bosporus. Ob er Hilfe brauche, fragen wir. Nein, brummt er. Er sei krank, sagt er, ohne Rettung. Sein Telefon habe er abgemeldet, das brauche er nicht mehr. Nur noch die Katzen. Eine Schwarze streicht um Yildirims Beine. Er verabschiedet sich und geht davon, ganz leichtfüßig. Christiane Schlötzer, SZ vom 10./11. August 2013

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(Foto: Robert Haas)

Mitten in ... Bukarest Ein Gesicht wie vereist. Der junge Beamte, der am Bukarester Flughafen die Pässe kontrolliert, sieht aus, als hätte er das Pässestempeln zu Ceausescus Zeiten gelernt. Ich schiebe ihm meinen Pass zu. Er schaut hoch, wieder runter, gibt den Pass zurück. "Die Bordkarte noch", sagt er. Die Bordkarte aber ist aufs Smartphone geladen, nicht ausgedruckt. Also dann, bitte, hier: mein Smartphone. Der Beamte schaut lange nach unten, auf das Smartphone. "Ist was nicht in Ordnung?", frage ich und suche nach einem Kaugummi in meiner Tasche. Und dann? Dann liegt auf dem Beamtenbord ein sehr altes Handy, umklebt mit Klebeband, die Scheibe zerdrückt. Dem Beamten genügt ein Fünkchen meiner Fassungslosigkeit, um in Lachen auszubrechen. Beide lachen wir. Dann nimmt er sein Handy, legt mein Smartphone behutsam zurück. Der Nächste bitte. Renate Meinhof, SZ vom 3./4. August 2013

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(Foto: Johannes Simon)

Mitten in ... Salzburg "Dunkler Genuss und helle Lebensfreude" steht auf dem Biertransporter, der gegen halb sieben in der Früh weckt. Und dann geht's richtig los in der Festspielstadt: Ein "Textiles Versorgungssystem" kommt zum Hotel gefahren und karrt Berge von Schmutzwäsche irgendwohin. Aber erst jetzt falle ich, noch musiktrunken vom Abend davor, aus dem Bett: Die drollige Kehrmaschine und die lustige Müllabfuhr versorgen einen mit Geräuschmusik, die sich erst in der Akustik enger Gassen ideal entfaltet. Später kommt für die Straßenreparatur eine Planierraupe hinzu, die einem endgültig das Hirn aus dem Schädel hämmert. Der Teufel ist los in Salzburg, das Mozart als junger Mann so sehr hasste, dass er nach München ziehen wollte, um dann in Wien zu landen. Unter seinem Geburtshaus bauen sie demnächst garantiert die U-Bahn. Wolfgang Schreiber, SZ vom 3./4. August 2013

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(Foto: Frank Mächler/ dpa)

Mitten in ... Oberammergau Die Chinesen kommen. Auch und vor allem nach Bayern. Der Schilcherhof in Oberammergau erwartet an diesem Hochsommertag 15 Besucher aus Schanghai, eine so große Gruppe hatte sich noch nie angesagt. Aber sie lässt auf sich warten, drei Stunden nach dem vereinbarten Ankunftstermin noch immer keine Spur von ihnen. An der Rezeption hektisches Suchen nach den Handy-Nummern der Gäste. Endlich kommt deren Bus doch noch vorgefahren. Jaja, meint der Gruppensprecher in einem fantasiereichen Deutsch-Englisch, sie seien schon mal da gewesen, aber sie hätten sich am falschen Hotel gewähnt, wegen des Namens. Wegen des Namens? "Hotel-Eingang" steht in großen Lettern über dem Hotel. "Wir dachten, der Name des Hotels ist 'Eingang', und sind weiter." Zugegeben: Das könnte einem in China auch leicht passieren. Viola Schenz, SZ vom 3./4. August 2013

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(Foto: FADI AL-ASSAAD, Reuters)

Mitten in ... Doha Jungenträume. Die Wolkenkratzer von Doha nicht nur wie eine Ameise zu erleben, sondern von hoch oben zu schauen, auf die Wüste, das Meer und die futuristische Oase von Katar. "Gehen Sie in das Hotel xy, dort oben hat man einen herrlichen Blick", empfiehlt ein Katarer. Also die ganze Familie ins Taxi, um dann zu erfahren: "Die Lounge ist nur für Hotelgäste." Nun weiter zur Torch, dem fackelförmigen, 300 Meter hohen Gebäude mit Restaurant. Aber schade, Kinder unter zehn Jahren dürften nicht mit rauf, heißt es unten am Empfang. Dann wenigstens ich mit dem ältesten Sohn. Doch es ist Samstag kurz vor Abend. "Ohne Reservierung geht es leider nicht." Zum Trost ist nebenan eine tolle Themen-Mall und Platz für alle: Villaggio. Wir steigen mitten in Doha auf eine italienische Brücke und blicken, immerhin, hinab auf den Canale Grande. Frank Nienhuysen, SZ vom 3./4. August 2013

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(Foto: REUTERS)

Mitten in ... Jakarta Sonntagabend, Ankunft in Jakarta: Stau, nichts geht mehr. Der Taxifahrer gibt auf, den letzten Kilometer zum Hotel geht's zu Fuß weiter. Montagmorgen, Aufbruch zur ersten Verabredung: Stau, nichts geht. Nach einer Dreiviertelstunde Stop-and-go setzt einen das Taxi am gewünschten Ort ab - genau gegenüber vom Hotel. Dienstagnachmittag, schnell noch ein Termin: Stau, ob was geht, ist höchst fraglich. Doch inzwischen schalten Geist und Gefühlsleben bereits beim Anblick eines Taxis automatisch auf Stand-by. Mittwoch, kurz vor Mitternacht, auf dem Rückweg nach Jakarta: Stau, achtspurige Autobahn, die Lage ist völlig hoffnungslos. Was wollen all die Menschen um diese Zeit hier? "Das weiß ich auch nicht", sagt der Übersetzer. Er hat seine ganz eigene Erklärung: "Das ist nur, weil sie die Benzinpreise erhöht haben." Logik auf indonesisch. Clemens Markus, SZ vom 27./28. Juli 2013

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(Foto: dpa)

Mitten in ... Abbeville Das Belmont Inn liegt am wichtigsten und einzigen Platz in Abbeville, South Carolina, einer kleinen Stadt, die Hugenotten im 18. Jahrhundert gegründet haben. Die Oper, in der übrigens noch nie ein Opernwerk aufgeführt wurde, steht auf der anderen Straßenseite. Es ist ein heißer Abend. Im Gewölbe des ehrwürdigen, erst vor einigen Tagen wiedereröffneten Hotels schuftet die Klimaanlage. An den Tischen beugen Menschen in bester Abendgarderobe ihre Köpfe über die Teller. Dann geht das Licht aus, und alles elektrische Gebrumm verstummt. Der Strom ist weg. Stille, dann setzt das Besteckgeklapper wieder ein. Keiner verliert ein Wort über die Panne. Die Kellner stellen Kerzen auf. Die Unterhaltungen werden mit gesenkter Stimme fortgeführt. Stromausfall in Abbeville? Da muss schon mehr passieren, damit sich irgendjemand aufregt. Harald Hordych, SZ vom 27./28. Juli 2013

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(Foto: Stephan Rumpf)

Mitten in ... Rio Meine Schuhe sind dank mehrerer Tageszeitungen und Klopapierrollen wieder trocken, das ist ein enormer Erfolg am Ende dieser Woche von Weltjugend und Papst. An ungefähr elf von zwölf Monaten reichen in Rio de Janeiro Badelatschen - die Gummisandalen von Havainas wurden hier zum Bikini für die Zehen, zu laufenden Surfbrettern. Aber dann kamen Franziskus und die Kaltfront. In der Papstheimat Buenos Aires sank die Temperatur Richtung Gefrierpunkt, und Rio wurde so kühl und nass wie ungefähr seit Pius XII. nicht mehr. Der einheimische Kollege zog zum Regencape die Strickjacke an, die er zweimal im Jahr braucht. Unsereiner bekam feuchte Füße. Genaugenommen waren es 14 Grad, aber das ist in Copacabana arktisch. Am Sonntag, der Papst reist ab, sind sicher wieder die Flipflops dran. Peter Burghardt, SZ vom 27./28. Juli 2013

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(Foto: dpa)

Mitten in ... Kampen Die Hitze hat auch den Norden fest im Griff. Auf Sylt gibt es nach gefühlt mindestens fünf verregneten Jahren wieder Sonne, Sommer, eine 20 Grad warme Nordsee - und: unüberhörbare Strandkorbgespräche. Im Nachbarkorb bereden zwei Hamburger Mütter gerade die Alltagssorgen von ihresgleichen, es geht um eine gemeinsame Bekannte. Die eine: "Sie arbeitet jetzt ja sogar schon 25 Stunden in der Woche." Die andere: "Und an einem Tag kommt der Personal-Trainer." Die erste: "Und an einem Tag ist immer das Golftraining." Die andere: "Da ist ja klar, dass sie es nicht noch schaffen kann, sich um den Haushalt und solche Dinge zu kümmern." Beiderseitiges mitleidiges Kopfschütteln, bevor sie wieder schauen, ob es Kindern, Mann und Hund an nichts mangelt. Ach, so ein Regentag hätte vielleicht auch mal wieder was. Nina Bovensiepen, SZ vom 27./28. Juli 2013

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