Mitten in Absurdistan:Die Unmöglichkeit, von Drachen zu erzählen

In Peking gehen kurzzeitig die Gruselgeschichten aus. Und in der deutschen Hauptstadt ist zweitrangig, woher das Geld kommt.

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Alptraum

Quelle: Getty Images

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Mitten in ... Friedrichshafen

Es sollten ein paar entspannte Tage werden in Friedrichshafen. Radeln am Bodensee, Ausflüge in die Berge. Nun aber schnarcht der Kerl im Zimmer nebenan. Natürlich ist eine Jugendherberge kein Hort der Ruhe, war sie noch nie. Aber das hier ist Folter. Selbst kräftiges Hämmern gegen die Wand bremst den Schnarcher nur kurz. Nach wenigen Minuten sägt er erneut. Am nächsten Morgen im Frühstücksraum: vier Frauen, drei Männer am Nebentisch. "Sagt mal", fragt eine in die Runde. "Wie viele Zimmer hattet ihr jetzt gebucht?" Zwei Doppelzimmer für die Damen, zählt einer auf. Außerdem die Drei-Bett-Unterkunft für die Herrn. "Und das Einzelzimmer für den Sigi - der schnarcht ja so dermaßen." In dem Moment betritt Sigi den Raum. Frisch rasiert, bestens gelaunt. "Und?", fragt er. "Alle gut geschlafen?"

Marco Völklein

SZ vom 11. November 2016

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Quelle: AP

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Mitten in ... Peking

Die US-Wahl vorüber. Ich: leer, taub. Das Letzte, was ich las, war der Tweet eines Kollegen aus den USA, der wie ich seit vielen Jahren in Peking lebt: "Ich habe den Großteil meines Erwachsenenlebens in einem autoritären Land verbracht", stand da. "Aber bislang konnte ich wenigstens immer nach Hause gehen." Ich brachte meine Fünfjährige und den Achtjährigen ins Bett.

Sie: Erzähl uns noch ne Geschichte!!!

Ich: Puh, Kinder, nee, nicht heute...

Er: Von Geistern!

Ich: Tut mir leid. Mein Hirn...

Sie: Wieso?

Ich: Ich bin zu traurig. Frustriert.

Sie: Was ist fustiert?

Er: Vom kleinen Gespenst. Oder Dieben.

Sie: Von Drachen. Von Zombies!!

Ich: Echt Kinder... es geht nicht...

Er: Oder von Trump, wie er gegen Clinton gewinnt.

Kai Strittmatter

SZ vom 11. November 2016

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Berlin

Es stimmt ja, dass Berlin von Neubürgern und Touristenhorden heimgesucht wird, was den Finanzsenator freut, denn die Horden sorgen für vollere Kassen in der chronisch verschuldeten Hauptstadt. Offenbar jedoch versacken immer noch viele Millionen Euro einfach so in der verstaubenden Flughafenbaustelle, soll heißen: Nicht alle Berliner profitieren von dem Geld. Mittwochmorgen, eine Seitenstraße am Alexanderplatz. Fleißig schreiben zwei Politessen Strafzettel. Die eine raucht, die andere hält ihr Telefon zwischen Schulter und Ohr geklemmt und schafft es außerdem, dabei die Geldschlitze dreier Parkscheinautomaten abzusuchen. Vorsichtige Frage, man macht sich bereits auf eine Ohrfeige gefasst, man ist ja in Berlin: Was machen Sie denn da? "Wenn Sie dit verdienen würden, wat wir hier kriejen, würden Sie dit ooch machen."

Thorsten Schmitz

SZ vom 11. November 2016

Das Beste kommt zum Schluss

Quelle: TM and 2007 Warner Bros

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Mitten in ... Canyonlands

Es gibt diesen Film mit Jack Nicholson, in dem zwei alte Männer beschließen, noch ein paar draufgängerische Dinge zu tun, bevor sie sterben: Fallschirmspringen, so was. In einem Nationalpark in Utah treffen wir nach langer Wanderung auf zwei Senioren, die ihren Jeep an einem Felsen geschrottet haben. Der Wagen habe den Abflug gemacht, erzählt der eine. Der andere sitzt reglos auf einem Campingstuhl, er ist schwerhörig. Der Dritte hat sich aufgemacht, Hilfe zu holen. Immerhin, sie leben, neben dem Felsen geht es steil nach unten. Sie stellen sich schon auf eine Nacht im Freien ein, da kommt ein Abschleppwagen angerumpelt. Das macht den einen Alten so glücklich, dass er uns umarmt. Der Typ mit dem Abschleppauto verdreht die Augen, er kennt das schon. Mit den Opas, die unbedingt ein Abenteuer erleben wollten, wird er 2000 Dollar verdienen.

Christoph Dorner

SZ vom 4. November 2016

Mann mit Koffer und Schriftzug Berlin Deutschland

Quelle: imago/Ralph Peters

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Mitten in ... Berlin

Ein Montagvormittag im Apple-Shop auf dem Ku'damm. Menschentrauben, die vor allem aus Männern bestehen, bilden sich um die Tische herum, auf denen sündhaft teure Telefone, Laptops und Tablets liegen. Müssen die alle nicht arbeiten? Oder ist das hier eben Berlin, wo du bei einem Start-up beschäftigt bist und eh erst frühestens um zwölf im Büroloft erscheinen musst? Ich vertreibe mir die zwanzig Minuten Wartezeit, bis ein Verkäufer für mich da ist, mit einer kleinen anthropologischen Studie. Ich beobachte und belausche einen Inder aus Bangalore. Er kauft: ein iPhone 7 plus und ein iPad und zahlt 2000 Euro in bar. Während er an der Kasse zwanzig Hundert-Euro-Scheine hinblättert, fragt der Mann an der Kasse: "Möchten Sie eine Tüte für Ihren Einkauf?" Der Mann hält kurz inne beim Blättern: "Muss ich dafür zahlen?"

Thorsten Schmitz

SZ vom 4. November 2016

Moore

Quelle: ASSOCIATED PRESS

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Mitten in ... Rio de Janeiro

Fernando ist ein solider Verteidiger, jeden Dienstag auf einem Bolzplatz von Rio. Außerdem ist er ein solider Erzähler, auch nach Spielschluss. Obwohl er keine Fremdsprache spricht, ist sich Fernando sicher, dass Japanisch die mit Abstand einfachste Sprache der Welt ist - er hat es angeblich mal gelernt, aber wieder vergessen. Zu seinem unerschöpflichen Repertoire an interessanten Thesen gehört auch die Behauptung, der einstige Weltfußballer Romario sei allenfalls ein solider Stürmer gewesen, er selbst, bekanntlich Verteidiger, habe früher mehr Tore geschossen. Neulich ging es um Kinogeschichte. Ende der Siebziger wurde an der Zuckerhut-Seilbahn eine Szene für den 007-Film "Moonraker" gedreht. Die Streitfrage war, wieso Bond eigentlich Bond heißt? Niemand wusste es, außer Fernando. Der Agent ist nach der Seilbahn benannt, dem Bondinho.

Boris Herrmann

SZ vom 4. November 2016

Gefängnisausbruch  Aachen - Hauptbahnhof Köln

Quelle: dpa

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Mitten in ... Köln

Mühsame Rückreise aus den Herbstferien, doch die Kinder haben gute Laune. Sie freuen sich auf Köln. Am Bahnhof geht's ins Taxi , der Fahrer ist ein Eingeborener in Jeansjacke. Offenbar hat er sehr schlechte Laune. Als er das Ziel der Tour hört, lacht er bösartig und sagt etwas vom größten Fehler seines Lebens. Meint er uns? Er rast drauflos, fast erwischt er eine Frau mit Rollator, dann weiter mit Vollgas auf die rote Ampel zu. Er habe keine Lust mehr auf Köln, auf Deutschland, "auf das ganze Programm", sagt der Taximann düster. Die Kinder sind verstummt. Das nächste Linksabbiegen ist so verboten wie gefährlich. Dann sei der Lappen halt weg, sagt er, "ist jetzt auch egal". Wie wäre es mit Auswandern? Genau das, erwidert er. Am 22. Dezember geht's nach Thailand. Ins goldene Dreieck. Wo es keine Deutschen gebe. Oder gar lustige Rheinländer.

Philipp Selldorf

SZ vom 4. November 2016

KOHLMEISE SONNENBLUMENKERN

Quelle: Jens Meyer/AP

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Mitten in ... München

Das Hochhaus des Süddeutschen Verlages am Münchner Stadtrand ist fast einhundert Meter hoch, eigentlich kaum zu übersehen. Aber möglicherweise war die Kohlmeise abgelenkt von dem herrlichen Oktoberblick auf die Alpen. Jedenfalls knallt sie volle Pulle gegen die Fensterscheiben, stürzt ein paar Stockwerke tief und bleibt leblos am Boden liegen. Nichts mehr zu machen, denken die Spaziergänger. Aber ein Gärtner lässt Besen und Eimer fallen, nimmt den Vogel auf und streichelt ihm sanft mit einem Finger den Kopf, so wie der Meister Eder dem Pumuckl. "Tot?", fragen die Passanten. "I wo. Gehirnerschütterung! Die wird schon wieder." Und dann zu seiner Patientin: "Jetzt kommst' mit mir, zwei, drei Tage im Pappkarton, a paar Haselnüsse, dann schaffst du's noch nach Afrika zu deinen Freunden." A bisserl was geht immer.

Michael Ebert

SZ vom 28. Oktober 2016

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Quelle: AFP

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Mitten in ... Jerusalem

Man muss sich verlaufen in der Altstadt von Jerusalem, sonst hat man sie nicht wirklich erlebt, mit ihrem Lärm, den Gerüchen, den explodierenden Farben, dem Gedränge und Geschiebe - und all den Geschäftsanbahnungsversuchen: Deutsch? Alles geschenkt heute! Die Olivenholzkreuze, geschnitzten Krippen und Jaderosenkränze haben ihr Plätzlein im Innern des Ladens, ein leberwurstgrauer Pappkarton allerdings muss draußen bleiben, wie ein peinlicher Verwandter. In dem Karton sind Dornenkronen, spröde getrocknet, voller Widerhaken. Preis Verhandlungssache. Herr Jesus, wer kauft so was? Ein Souvenir für unartige Kinder, ungeliebte Kollegen - oder als Türkranz, zur Warnung allen ungebetenen Gästen? Der Verirrte gerät tatsächlich in Versuchung. Doch bei der Versuchung bleibt es dann auch. Leider? Zum Glück?

Matthias Drobinski

SZ vom 28. Oktober 2016

Helmut Kohl und Michail Gorbatschow

Quelle: dpa

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Mitten in ... Archys

Missgeschicke könnten jedem mal passieren, formuliert das Management des Hotels "Vertikal" verständnisvoll. Allerdings müsse der Gast dann leider für Ersatz aufkommen. Die Preisliste füllt im Ordner auf dem Nachttisch zwei Seiten und umfasst 70 Punkte. Damit niemand sagen kann, er hätte nichts gewusst: Teelöffel (90 Cent), Toilettenschüssel (330 Euro), Klimaanlage (422 Euro). Wer es schafft, den schweren Safe zu zerstören, muss mit 140 Euro rechnen. Manchmal geht es wohl etwas lebhafter zu in diesem Kurort im Kaukasus, auch wenn es Rockbands eher selten hierher verschlägt. Den letzten prominenten Auftritt hatte 1990 Helmut Kohl, als er Michail Gorbatschow in Archys auf dessen Datscha traf. Ob dabei etwas zu Bruch ging, ist nicht überliefert. Aber Deutschland war kurz danach wieder ganz. Das ist allerdings unbezahlbar.

Julian Hans

SZ vom 28. Oktober 2016

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Quelle: imago stock&people

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Mitten in ... Berlin

Vor der Skatehalle in Friedrichshain warten Mütter mit ihren Kindern, die in einem Workshop Skateboard fahren lernen sollen. Daneben hat sich eine Gruppe Flüchtlinge zum Deutschkurs versammelt. Der Kiez scheint gut bewacht zu sein. Polizisten patrouillieren, schwarz gekleidet, mit schweren Stiefeln und schusssicheren Westen. Einer ist besonders smart, eine Mischung aus Keanu Reeves und dem jungen Götz George. Aus der Brusttasche seiner kugelsicheren Weste schaut ein gelbes Reclam-Heft. "Was lesen Sie denn?", fragt eine Mutter, die den Blick nicht abwenden kann von diesem Bild von Mann. Der zieht mit lässiger Geste und charmantem Lächeln das Heft hervor und zeigt die Titelseite: Der Sandmann. "Oha, E. T. A. Hoffmann", sagt die erstaunte Frau. "Ja", antwortet der Polizist, "und ich hab sogar Sachen unterstrichen."

Stefanie Schwetz

SZ vom 28. Oktober 2016

Fensterbrett Katze

Quelle: Frank Rumpenhorst/dpa

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Mitten in ... München

Freunde, die aus Berlin zu Besuch kommen, tun meist so, als sei München der Zauberberg. Als gäbe es hier nur reiche Menschen, die bequem vor sich hinsiechen. Fernsicht, Kamelhaardecke, bloß keine Aufregung. Den meisten Besuchern tue ich den Gefallen, München genau so zu präsentieren. Spätestens um 22 Uhr machen wir das Licht aus. Nur bei einer Freundin funktioniert das nicht. Wir gehen kurz ein Bier trinken, sofort lernt sie jemanden kennen, der gerade aus dem Knast kommt. Wir fahren in die Berge, umgehend holt der Hüttenwirt Sekt und Gitarre. Wir gehen spazieren, vor uns auf den Bürgersteig fällt eine weiße Katze. Wir schauen die Hauswand hoch. Im zweiten Stock, am offenen Fenster sitzt eine zweite Katze und tut so, als würde sie niemals schubsen, sondern nur bequem vor sich hinsiechen. Obacht auf dem Zauberberg.

Nadia Pantel

SZ vom 21. Oktober 2016

Young Iranians And City Life

Quelle: Bloomberg

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Mitten in ... Teheran

Die Verwandlung beginnt beim Anflug auf Teheran. Man ist mit einer deutschen Delegation unterwegs nach Iran. Kurz bevor der Jet aufsetzt, werden aus westlichen Managerinnen und Reporterinnen dunkel gewandete Kopftuchträgerinnen. Beim Aussteigen ein banger Blick zu den Persern: Alles okay? Ein wenig lustig ist es da noch mit dem Tuch um den Kopf. Später wird es lästig. Ohne Verkleidung kein Schritt vor die Tür, es drohen 100 Dollar Strafe oder Stockhiebe. Dann ein Empfang in der Handelskammer. Anzugträger reden mit Anzugträgern, Kopftuchfrauen reichen Getränke. Der Frust über die Demütigung wächst sich zur Rebellion aus. Das Tuch rutscht wie von selbst vom Haar auf die Schulter. Und bleibt da. Nichts passiert. Gar nichts. Bis jemand auf die Schulter tippt. Eine deutsche Kollegin: "Dein Tuch ist runtergerutscht."

Cerstin Gammelin

SZ vom 21. Oktober 2016

"TATIS SCHUETZENFEST", FR., 07.04.00, 22:10 UHR

Quelle: SZ

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Mitten in ... Paris

Gerade ist Buchmesse, da bekommen Bücherliebhaber besonders viele Pakete. Und verbringen besonders viel Zeit damit, den Dingern hinterherzuspringen. Denn die durch elektronische Codes verbarrikadierten Türen, hinter denen man in Paris nun einmal lebt, lassen Menschen und Bücher nie richtig zusammenkommen. Statt der Pakete findet man immer nur die Zettel "Avis de passage" unten im Briefkasten mit dem Hinweis, der Postmann sei da gewesen, habe keinen Zugang in die Etagen gehabt, lasse grüßen. Man könne die Sendung auf der Post abholen. Dort hat man in der Schlange alle Zeit, über die Verlogenheit der Welt nachzudenken. Denn auch bei offener Tür ist noch nie ein Briefträger in die Etagen gestiegen. "Schluss mit Büchersendungen!", stöhnt man innerlich - und bereut es sofort. So verlogen soll die Welt doch nicht sein.

Joseph Hanimann

SZ vom 21. Oktober 2016

Hiking Across The Karwendel Mountain Range

Quelle: Getty Images

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Mitten in ... Finkenberg

Berliner Höhenweg in den Zillertaler Alpen. Die Etappe ist mit neun Stunden ausgeschildert und durchgehend der Sonne ausgesetzt. Wir trinken so viel wie lange nicht mehr. Gut, dass wir die Flaschen in Bächen nachfüllen können. So kommen wir auf vier Liter - und nach der Ankunft auf der Hütte stürzen wir gleich noch einen Liter hinunter. Wir sind stolz, die Strapaze geschafft zu haben. Kurz darauf aber kommt ein junger Mann an, der gemeinsam mit uns aufgebrochen ist. Im Matratzenlager packt er eine ganze Batterie an Medikamenten aus. "Ist es so schlimm?", fragt ein älterer Bergwanderer. "Das muss leider sein", sagt der Mann, "hab' ne neue Niere bekommen." Dass er da noch so leistungsfähig sei, wundert sich der Ältere. Ja, sagt der Transplantierte: "Ich muss halt mehr trinken."

Wolfgang Krause

SZ vom 14. Oktober 2016

Drohne mit Kamera

Quelle: picture alliance / dpa

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Mitten in ... Phú Quôc

Es ist ein herrlicher Ort zum Erholen, der Strand von Bãi Sao, aber jetzt zerschneidet der Propeller einer Drohne die Stille. Unter ihr, im seichten Wasser, steht eine Vietnamesin im Bikini, watend und wartend. Ihr Begleiter hat vor ihr ein Stativ samt Spiegelreflexkamera in den Sand gestellt. Aber er fotografiert nicht. Seit einigen Minuten steuert er die Drohne über sein Smartphone, programmiert, dirigiert, korrigiert. Die Drohne schwebt hin und her, auch an ihr ist eine Kamera angebracht. Es summt und surrt. Was soll das bitte werden? Plötzlich scheint der Mann zufrieden zu sein mit der Ausrichtung der Elektronik, er macht einen Schritt auf die Frau zu und kniet sich in den Sand. Ein Heiratsantrag! Die Selfie-Aufnahmen, also die von oben und von vorne, werden es zweifelsfrei belegen: Sie sagt Ja.

Moritz Geier

SZ vom 14. Oktober 2016

Rumble in the Jungle

Quelle: picture alliance / dpa

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Mitten in ... Meppen

Unvergesslich, das Meppener Fußballstadion. 1994 war ich mit 1860 München dort, die Löwen stiegen in die Bundesliga auf. Der Präsident Karl-Heinz Wildmoser fiel danach neben mir über die Füße eines ZDF-Manns auf den Asphalt und stöhnte blutend: "Ihr bringt's mi um!" Nun, 2016: Schäferhund-WM in Meppen. Da begegnete mir überraschenderweise George Foreman, einst Boxweltmeister. Wir plauderten über Hunde und seinen verlorenen Jahrhundertkampf 1974 in Kinshasa gegen Muhammad Ali, Rumble in the Jungle. 1996 hatte ich in Manhattan den Dokumentarfilm "When We Were Kings" über das Duell gesehen. In Meppen versicherte ich Foreman, mir das Werk bald wieder anzuschauen. Big George lachte und sagte: "Jedes Mal, wenn ich den Film sehe, hoffe ich, dass ich gewinne."

Peter Burghardt

SZ vom 14. Oktober 2016

Toskana - Abtei St. Antimo

Quelle: picture-alliance/ dpa

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Mitten in ... Sant'Antimo

Wer Sant' Antimo besucht, der tut das, weil er nicht will, dass sich dauernd alle Dinge ändern. Die romanische Kirche ist wunderherrlich und liegt noch dazu in einer der schönsten Landschaften der Welt, nämlich in der mittleren Toskana, nicht weit enfernt von Montalcino. In Sant' Antimo gab es seit Jahren Messen, in denen Augustiner-Mönche gregorianische Gesänge vortrugen. Selbst wenn man nicht katholisch ist, ist so eine Messe seelenerhebend und macht lebensdankbar. Nun aber, oh Graus, sind die Augustiner weg. Sie sind schon seit Monaten nicht mehr da, ein anderer Orden hat übernommen, mit zwei Mönchen nur. Einer war neulich im Krankenhaus, und der andere sagte abends um sechs in der Kirche, für sich allein könne er keine Messe zelebrieren. Man zog mit unerhobener Seele von dannen. Immerhin roch es draußen nach Lavendel.

Kurt Kister

SZ vom 7. Oktober 2016

DIE LINDENWIRTIN VOM DONAUSTRAND

Quelle: KPA

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Mitten in ... Wien

Abendrunde im Kollegenkreis; draußen ist es eiskalt, drinnen wärmt der Zweigelt die Seele. Die neuen Politiker im Land, lästert einer, sähen so spaßfrei aus, als tränken sie Mineralwasser mit dem Strohhalm. Früher sei es viel lustiger gewesen: Ein Ex-Kanzler stürzte bei Empfängen erst Bier, dann Wein herunter - und wenn er in Stimmung war, trank er auf der Straße neben seiner Limousine am offenen Kofferraum weiter, in dem immer eine Zweiliterflasche verstaut war. Ein anderer Kanzler wollte auf einer Dienstreise an die Hotelbar, aber die war zu; daraufhin musste die mitreisende Sekretärin die likörgefüllten Pralinen holen, die ihr der Gastgeber geschenkt hatte, sie einzeln aufbrechen und den Inhalt in ein Glas träufeln. Wohl bekomms. Vielleicht war die Welt ja leichter zu ertragen, als Politiker sich noch volllaufen ließen - und nicht joggten.

Cathrin Kahlweit

SZ vom 7. Oktober 2016

Wespe

Quelle: dpa

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Mitten in ... Hamburg

Es war kein gutes Jahr für die Wespen. Vielleicht hat sie eine tückische Krankheit dahingerafft, eine seltene Fäule ihre Nester zerfressen, vielleicht hatten sie keine Lust auszuschwärmen und einen wie sonst teuflisch zu ärgern. Jedenfalls schaffte es in diesem durchwachsenen Sommer kein einziges Miststück auf den Balkon. Und dann, Oktober schon, Einheitsfeiertagskuchennachmittag, kommt ein Spätling angebrummt, steif gefroren die Flügel im Wind, der ihn hochgetragen hat, hungrig und beutelüstern. Drohnengleich umkurvt er die Gesellschaft, sichert das Gelände, als wär's Afghanistan, rüttelt begehrlich über der Lübecker Nusstorte, brummt lauter und erinnert an all die Stiche in Kinderdaumen, -nacken, -füße. Aber dieses eine Exemplar ist ein Wunder, ein Pazifist, schwirrt auf und davon und stürzt sich kopfüber in die letzte Sonne.

Willi Winkler

SZ vom 7. Oktober 2016

Spanische Treppe in Rom

Quelle: dpa

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Mitten in ... Rom

Sie leuchtet wieder, die Spanische Treppe in Rom, besonders, wenn die Abendsonne Goldlicht über Marmor wie Touristen wirft. Das ist den großherzigen Nachfahren des Herrn Bulgari zu verdanken, die unten an der Treppe goldene, duftende und sonst wie schöne Dinge verkaufen; denen passte die verdreckte Treppe nicht mehr ins Ambiente. Darauf, dass sie sauber bleibt, achten nun Bulgaris Wächter, die aussehen wie Schiffsoffiziere ohne Schiff. Das ist löblich. Aber warum müssen die müden Touristen, die ihre Schuhe ausgezogen haben, wieder in dieselben schlüpfen? Weil Fußschweiß sich einbrennt? Weil Unbeschuhte und Barfüßer Herrn Bulgari ein Graus waren? "Ziehe deine Schuhe von den Füßen; denn der Ort, auf dem du stehst, ist heiliger Boden", sprach Gott zu Mose. An der Treppe heißt es hingegen: Schuhe an - frisch gereinigt!

Matthias Drobinski

SZ vom 7. Oktober 2016

Valle de los Caidos (The Valley of the Fallen) - Grab von Diktator Franco

Quelle: Philippe Desmazes/AFP

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Mitten im ... Valle de los Caídos

Noch nie gesehen, so etwas. Ein megalomanes, fensterloses Mausoleum, mitten im Wald. Die längste Basilika der Welt, von 20 000 Zwangsarbeitern in den Berg gehämmert. Oben drauf: ein 155 Meter hohes Betonkreuz. Alles zu Ehren des Diktators Franco, dessen Leiche sie ein paar Kilometer weiter, in der Königsgruft, nicht haben wollten. "Die Benediktiner feiern hier täglich einen Gottesdienst", sagt die Fremdenführerin. "Direkt neben seinem Grab." Gespenstische Stille. Nirgendwo eine erläuternde Tafel, aber im Souvenirshop bunte Mausoleums-Tellerchen. Faschisten-Nippes.

Unter der 50 Meter hohen Kuppel wartet eine Aufpasserin. Sicher hat sie nichts dagegen, wenn man mal kurz die frischen Blumen am Grab fotografiert. "No photos!", ruft sie mit bitterbösem Blick. "No!!" Hui, da ist man aber schnell wieder draußen, aus dem heiligen Berg.

Martin Zips

SZ vom 30.9.2016

Fleisch ohne Fleisch ist gefragt - Veggie-Metzger

Quelle: dpa

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Mitten in ... New York

Das Restaurant ist schick, rappelvoll und ziemlich teuer, aber was soll's, heute wollen wir prassen, außerdem soll es hier superleckeres Veggie-Slow-Food geben. Die Frau am Eingang prüft mit wichtiger Miene unsere Reservierung, eine andere führt uns zum Tisch. Wir bestellen - und geraten in eine Art Zeitraffer. Die Vorspeise ist ruckzuck da, irgendwas mit Grünkohl, wir kauen noch, als der Hauptgang kommt, Spargel, Tofu, köstlich, das Personal lässt uns nicht aus den Augen, es folgt das Dessert, schön slow im Ofen geschmorte Ananas - schon liegt die Mappe mit der Rechnung auf dem Tisch. "Whenever you're ready", sagt die Kellnerin und lächelt sehr freundlich. Als sie zum dritten Mal vor unserem Tisch steht, kapitulieren wir. Nach etwas mehr als einer Stunde hat uns der Slow-Food-Tempel wieder ausgespuckt. New York hat es eilig.

Luisa Seeling

SZ vom 30.9.2016

Hare-Krishna-Jünger singen ihr Maha Mantra, 2005

Quelle: CATH

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Mitten in ... Hamburg

An der Poststraße im Hamburger Zentrum wird sagenhaft musiziert, man braucht nur manchmal gute Nerven beziehungsweise Ohrenstöpsel oder geschlossene Fenster. Die Pressluftbohrer um die Ecke haben ihr Konzert fürs Erste beendet, aber gerade gab es hier einen beachtlichen Wettstreit der Tonmeister: Am benachbarten Glockenspiel, das mit wechselnden Gassenhauern aufhorchen lässt, erklang "Über den Wolken" von Reinhard Mey. In etwa gleichzeitig blies unter den Wolken ein Querflötist mehrmals die Klassiker "I did it my way" und "Champs- Élysées". Da fehlte eigentlich nur noch ein Panflötenorchester aus Peru. Dafür wurde bald ein Akkordeonmann mit einer französischen Weise vorstellig und dann ein Trio, das man lange nicht gehört hatte: Es trommelte, tanzte und sang "Hare Krishna". Schön, dass es die auch noch gibt!

Peter Burghardt

SZ vom 30.9.2016

Strandsandale

Quelle: dpa

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Mitten in ... Washington

Schön, dass die Kinder hier so schnell Englisch lernen. Die beiden Großen verstehen schon eine ganze Menge. Ein Dialog bei einer Fahrt durch die Stadt. Sohn 1: "Da, ein Laster, auf dem steht ,Veteran Compost'. Was ist das denn?" Sohn 2: "Und darunter steht ,from combat to compost'." Sohn 1: "Häh, wie - vom Nahkampf zum Kompost?" Sohn 2: "Das sind vielleicht Leute, die früher Soldaten waren und jetzt Kompost machen." Sohn 1: "Könnte aber auch sein, dass sie die Leichen vom Schlachtfeld einsammeln und dann die zu Kompost machen." Sohn 2: "Stell dir mal vor, die machen daraus Gummi, und daraus machen sie dann Flip-Flops." Wir haben dann beschlossen, bald mal bei Veteran Compost vorbeizufahren und einfach ein paar Säcke Blumenerde zu kaufen. Wenn es dort auch günstige Flip-Flops für die Jungs gibt, umso besser.

Hubert Wetzel

SZ vom 30.9.2016

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