Mitten in Absurdistan:Im Zweifel einfach losknutschen

Die "Kiss Cam" im Stadion von L.A. zeigt mal wieder, dass sie spinnen, diese Europäer. Und auch in der Schweiz sprechen Rheinländerinnen sicherheitshalber Englisch.

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Quelle: Imago

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Mitten in ... Zürich

Die Zürcher Langstrasse ist ein Biotop, wie man es in der Schweiz selten findet. An den Hauswänden lehnen mittags schon Prostituierte, ältere Männer schlurfen ins Sexkino. Jüngere fahren mit dem Sportwagen auf und ab - oder pflügen mit weißem Rennrad durch die Szenerie. Dazwischen ein Backpacker Hostel. "Excuse us!" Zwei junge Frauen lächeln um die Wette. Dem Akzent nach kommen sie aus dem Rheinland, aber sie sind im Ausland, also: Englisch. "We are looking for a supermarket." Ich deute auf das Geschäft hinter ihnen: breites Angebot, Markenprodukte, eine Art Schweizer Edeka. Sie schütteln besorgt den Kopf. "No, I mean, a real supermarket. A cheap one!" Auf Deutsch erkläre ich den Weg zum Discounter. Wieder ein strahlendes Lächeln. "Das ist jetzt echt unsere Rettung!" Die 500-Euro-Sonnenbrille glitzert in der Sonne.

Charlotte Theile

SZ vom 20. Mai 2016

Barack und Michelle Obama küssen sich 2012

Quelle: Jonathan Ernst/Reuters

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Mitten in ... Los Angeles

Es gibt in amerikanischen Sportstadien die schöne Tradition, während einer der vielen Spielpausen auf der Anzeigetafel die Zuschauer einzublenden und sie zum Küssen aufzufordern. Das kann ein Pärchen sein, aber auch die Oma mit dem Enkel oder ein Typ mit seinem Bier. Manchmal erlauben sich die Kameraleute auch einen Spaß und filmen zwei Menschen, die garantiert nicht zusammengehören. Das alles passiert nicht nur bei den Partien der Lakers, sondern auch bei Baseballspielen des Amateurvereins. Da erscheint also, während man gerade Hotdogs kauft, die eigene Ehefrau auf der Leinwand und wird zum Knutschen mit dem Sitznachbarn aufgefordert. Dieser will den Irrtum auflösen, doch da wird er schon geküsst. Freilich zementiert das die ohnehin vorherrschende Meinung im Dorf, dass sie spinnen, diese Europäer.

Jürgen Schmieder

SZ vom 20. Mai 2016

Eurovision 2016

Quelle: Michael Campanella/Getty Images

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Mitten in ... Stockholm

Eurovision Song Contest, Finale in Stockholm. Für die mehr als tausend Journalisten gibt es eine eigene Halle, lange Arbeitstische, große Leinwände. Die Presse teilt sich in zwei Gruppen. Die eine feiert lautstark jeden Song. Die andere, also unsere Gruppe, muss berichten und wirkt nicht gerade wie eine Fankurve. Mit am Tisch: ein Belgier, der genervt Videobilder von halbnackten Fans in Union-Jack-Unterhosen schneidet. Das Finale interessiert ihn wenig, er schaut selten hoch. Bis ein Zusammenschnitt schwedischer Musikgeschichte läuft, alles seit "Waterloo": "It Must Have Been Love", "The Final Countdown", "All That She Wants", irgendwas von Avicii. Der Belgier starrt auf die Leinwand. "Echt, das war alles mal beim ESC?" Plötzlich ist er ganz da. Nein, aber lassen wir ihm doch die Illusion, dass dieser Kitsch-Contest vielleicht doch ganz cool ist.

Silke Bigalke

SZ vom 20. Mai 2016

Adele Performs At Hallenstadion, Zurich

Quelle: Philipp Schmidli/Getty Images

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Mitten in ... Verona

Adele singt in der Arena von Verona. Rückblickend mag der Kartenkauf (69 Euro) wie ein Coup wirken. Angesichts der Schwarzmarktpreise und der Jubelkritiken auf ihrer Tournee. Doch uns war das nicht klar. Wir hatten es letztes Jahr einfach versucht, es dann fast vergessen und nicht mal eine Übernachtung gebucht. Das war wohl naiv. "Tss, tss, ausgebucht seit Monaten, Adele kommt", sagt die erste Vermieterin am Telefon. "Alles voll wegen Aadeeeelllll!", trompetet auch der sechste Hotelbesitzer. "Verticken Sie doch die Karten und fliegen Sie dafür in die Karibik", witzelt die elfte Vermieterin. Die zwölfte hat ein freies Touristen-Apartment. Zwei Nächte zu 600 Euro. "Es ist ja sooo ein besonderes Wochenende", flötet sie. Wir werden nun wohl weit außerhalb wohnen. Womöglich ist auch das naiv. Mit den Taxifahrern haben wir noch nicht verhandelt.

Marten Rolff

SZ vom 20. Mai 2016

Wider Image: Ferry Victims' Cherished Bedrooms

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Melbourne

Melbourne ist teuer. Ein Glück, dass man bei Freunden übernachten kann. Die superlockeren, supernetten Australier bieten dem Gast nicht die Couch an, sondern das gemütlichere Bett ihres Sohnes, der ausnahmsweise bei ihnen schlafen darf. Nun steht aber noch ein zweites Bett im Kinderzimmer, die dreijährige Tochter schläft bereits darin. Aber nicht friedlich. Sie wälzt sich, schnarcht, rotzt, stößt sich an der Wand, zupft an der Windel, spricht im Schlaf. Man selbst kauert im Bett daneben, schlaflos und in Dauerangst, das Mädchen könnte aufwachen und sich vor dem kaum bekannten Mann mit Akzent erschrecken. Am folgenden Tag fragen die Eltern den gereizten Gast nach dem Jetlag. Man knurrt indifferent, in Gedanken schon beim geplanten Gegenbesuch in München. Ein Schlafplatz sollte sich finden lassen, meine lieben Freunde.

Martin Wittmann

SZ vom 13. Mai 2016

Hundeblick

Quelle: dpa

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Mitten in ... Hamburg

Grillen in Hamburg in der Nähe der Alster. Der 14 Monate alte Sohn will nicht warten, bis das Grillgut perfekt angekokelt ist. Er wackelt auf eine Gruppe Trinker zu, die sich streiten. Einer der Männer schreit und fuchtelt mit seiner Bierdose in der Hand vor dem Gesicht einer Frau herum. Sie brüllt zurück. Worum es in der Auseinandersetzung geht? Das ist nicht zu verstehen, die zwei klingen, als seien ihre Stimmbänder schon lange zerfasert und ausgefranst. Der kleine Sohn hat die zwei Schoßhündchen entdeckt, die zwischen den Trinkern sitzen.

"Da!" Er zeigt auf die Tiere und läuft auf sie zu. "Da!" "Ja, das sind Hunde", murmelt der Vater in Abwehrhaltung. "Sag' doch Wauwau, dann freut sich dein Junge mehr", der eben noch brüllende Trinker mit der Raufaser-Stimme klingt nun weich und klar. Die übrigen Säufer nicken stumm.

Sebastian Herrmann

SZ vom 13. Mai 2016

ASB-Rettungsfahrzeug

Quelle: Robert Haas

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Mitten in ... München

Die Mandeln schmerzen, irgendetwas stimmt nicht. Also zum Doktor. Aber: Feiertag. Die Bereitschaftspraxis München West im Klinikum Pasing ist am schnellsten zu erreichen. Kaum jemand da, spricht für eine kurze Wartezeit - Glück gehabt. Nach ein paar Minuten kommt eine Arzthelferin aus dem Behandlungsraum. Die Mediziner brauchen Unterstützung aus ihrer Klinik, sie greift zum Telefon. "Wir haben einen Notfall! Vorhofflimmern, dem Mann geht's nicht gut! Es muss schnell jemand kommen . . . Aha . . . Okay . . . Dann rufe ich dort an." Sie wählt ein zweites Mal.

Gleiche Satzabfolge. Dann noch mal. Schließlich: "Das ist nicht Ihr Ernst, oder?" Der Arzt streckt seinen Kopf aus dem Behandlungszimmer: "Was ist denn? Kommt endlich jemand?" Die Arzthelferin schaut konsterniert. "Sie haben gesagt, ich soll den Notarzt rufen."

Anna Dreher

SZ vom 13. Mai 2016

S-Bahn in München, 2016

Quelle: Claus Schunk/Claus Schunk

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Mitten in ... München

Beinahe hätte das Mädchen die Bahn erwischt: gerade, als es piept und sich die Türen schließen, langt es noch dazwischen. Ein dünner Arm hängt da jetzt. Zu dünn für Sensoren, so es die überhaupt gibt in dieser S-Bahn, eine von den ganz neuen. Die Tür geht nicht wieder auf. Vielleicht 16 Jahre alt ist die Besitzerin des Armes, die da hinterm Fenster am Bahnsteig steht und ungläubig schaut. Fürs Aufstemmen ist es zu spät: Der Zug ruckelt an. Nun denn, bleibt nichts anderes: Ein kräftiger Zug an der Notbremse. Die Türen gehen auf, das Mädchen läuft wortlos in den Wagen. Nach ein paar Minuten kommt die Lokführerin, stinksauer: "Wer hat die Notbremse gezogen?!" Ich, ein Fahrgast hing in der Tür. Bestürzung? Pah! Ihr habe das System keine Störung angezeigt, motzt sie. Was ist schon ein dünnes Ärmchen im Vergleich zum System der Bahn.

Max Hägler

SZ vom 6. Mai 2016

AVM setzt Maßstäbe am Breitbandanschluss - Premiere für neue FRITZ!Box

Quelle: obs

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Mitten in ... Hamburg

Eine Übernachtung bei Freunden, zur Begrüßung gewittern die Höflichkeiten. Danke, dass wir hier sein dür. . . ach was, toll, dass ihr . . . ein Handtuch? Oh, das wär' natürlich . . . und fühlt euch wie zu Hause, wirklich! Alles ist geklärt, dann folgt noch die Schlüsselübergabe. Der hier ist für die Tür - und der hier fürs Wlan. 87AfG9xz. Man fühlt sich nun wirklich wie zu Hause, also ab zum Sitzeckensmalltalk. Tobi erzählt von Amazon Prime und davon, dass der Videodienst auf Basis des Geschauten immer mehr und bessere Vorschläge unterbreite, was ihm, Tobi, denn noch gefallen könne. Interessant, vielleicht dürfe man ja am Abend auch mal reinklicken und was gucken? Tobis Gastgeberlächeln verfliegt. Amazon Prime offenbart, wo die Freundschaft endet: "Lieber nicht, wenn ich ehrlich sein soll. Du machst mir meinen Algorithmus kaputt."

Cornelius Pollmer

SZ vom 6. Mai 2016

Apple iPhone

Quelle: Julian Stratenschulte/dpa

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Mitten in ... Köln

Man erschrickt doch jedes Mal, wenn der Mensch auf dem Nebensitz unvermittelt laut zu sprechen beginnt, obwohl man längst weiß: Mobile Arbeiter mit Laptop und Headset werden im Zug immer telefonieren, vielleicht müssen sie es. Peter ist dran, er erfährt, was sich im jüngsten Meeting zugetragen hat - diskret genug, damit die Mithörer keine Geschäftsgeheimnisse mitbekommen. Dann folgen allerdings ein paar sehr private Worte zu Ines: "Wir haben uns getrennt." Am Wochenende habe man sich ausgesprochen, vor allem darüber, wie sich das mit der Immobilie lösen lässt. Und ja, die Kids, er werde in der Nähe bleiben. Nein, mir geht es gut, sagt er ins Handy, es war einfach zu Ende, wie das halt so läuft. Wollte nur, dass du gewarnt bist, bevor wir uns nächste Woche sehen: "Ich will das nicht laut rausposaunen. Es weiß ja noch keiner."

Wolfgang Janisch

SZ vom 29. April 2016

New Seven Natural Wonders candidate

Quelle: Abir Sultan/dpa

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Mitten in ... En Bokek

Gut, die Presslufthammer von der Baustelle nebenan stören schon ein bisschen. Aber sonst? Friedlich schmiegen sich die Hotelberge an die israelische Küste des Toten Meeres. Russen, Deutsche, Japaner - sie alle schweben auf dem Wasser, ab und zu ein Beweisfoto mit Zeitung oder Schlamm-Packung aus dem Supermarkt, ansonsten sonnensedierte Stille. Bis eine heult, ja kreischt: "Oh my god!" Eine Frau stolpert aus dem Wasser. "It hurts, it hurts too bad!" Andere Frauen eilen herbei. "I don't know what to do!" Das weiß niemand hier so genau. Die Britin, Neon-Bikini, Mitte 20 und recht unversehrt, heult weiter. Greift sich an die Beine, in den Schritt, unter die Achseln, flüchtet zur Dusche. Am Abend dann der alles erklärende Blick in den Reiseführer: Kurz vor dem Baden im Toten Meer wird von einer Rasur dringend abgeraten.

Friederike Zoe Grasshoff

SZ vom 29. April 2016

Bruck: HOCHZEITSMESSE im Veranstaltungsforum

Quelle: SZ

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Mitten in ... Berlin

Die vielen Zettel, auf denen jemand etwas sucht und vermisst, anderen die Meinung sagt oder sich einfach mal zur Weltlage äußert, gehören zu Berlin wie Clubs und Currywurst. Sie kleben in Hausfluren, auf Bäumen und an Stromkästen. Manche dieser kurzen Notizen offenbaren echte Dramen - so wie jener Zettel, der eines Tages an einer Laterne flattert und mit "Hilfe - Belohnung" überschrieben ist: Auf dem Papier wird dringend nach einer Tüte gesucht, die versehentlich an der Straßenecke stehen gelassen wurde. "Darin befand sich unsere Hochzeitsgarderobe", heißt es auf dem Zettel. "Wir hoffen sehr, dass sich der Finder bei uns meldet und wir so über unsere Trauer hinweg finden können." Ach, Trauung, Trauer, es liegt alles so nahe beisammen im Leben. Aber wahrscheinlich ist für Brautleute, die über so etwas hinwegkommen, die Ehe ein Klacks.

Verena Mayer

SZ vom 29. April 2016

102. DEUTSCHER WANDERTAG

Quelle: DPA

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Mitten in ... Ankara

Die Frau im Bus ist Türkin, vielleicht Mitte dreißig, spricht fließend Englisch. Was sie von der konservativ-islamischen Regierung hält? Anstelle einer Antwort zückt sie ihr Smartphone und zeigt ein Schwarz-Weiß-Bild. "Meine Großeltern. Siehst du da etwa ein Kopftuch?!" Sie senkt die Stimme. "Meine Oma ist jetzt 99. Seit Jahren spricht sie am Telefon nur in Codewörtern, wenn wir über Politik reden. Alles wird abgehört." Tatsächlich? Eine 99-Jährige wird belauscht? Sie beharrt: "Jeder, der gegen unsere Regierung ist, wird abgehört". Noch leiser: "Wenn wir am Telefon bestimmte Wörter sagen, knackt es. Da weiß ich, dass jemand in der Leitung ist." Was für Wörter? Bombe? PKK? Plötzlich gibt ihr Telefon merkwürdig schrille Laute von sich. Sie erstarrt, aber sie fängt sich bald wieder: "Das ist nicht der Geheimdienst, das ist mein neuer Klingelton."

Luisa Seeling

SZ vom 29. April 2016

102. DEUTSCHER WANDERTAG

Quelle: DPA

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Mitten in ... Turin

Vom Monte dei Cappuccini aus präsentiert sich Turin von seiner besten Seite. Proper breitet sich die alte Residenzstadt am Ufer des Po aus. Ihr Wahrzeichen, die exotisch anmutende Mole Antonelliana, kratzt mit ihren 167 Metern am Frühlingshimmel. Wind bläst vom schneeweißen Wall der Alpen hinter der Stadt herab. "Bello, vero?", sagt ein Mann mit schlechten Zähnen, der sich als Claudio vorstellt. "Schön, aber hungrig!" Hungrig? Turin? Diese Symbolstadt des reichen Norditalien, aus der Fiat, Lavazza und Martini kommen? "Es gibt keine Arbeit", sagt Claudio. "Niemand investiert mehr." Viele Menschen seien heute so arm, dass sie sich nicht genug zu essen kaufen könnten. Daher verteilten die Kapuzinermönche jeden Nachmittag Brot. Ich schaue ihn betreten an. Er blickt auf Turin: "Uns Italienern bleibt nur noch die Schönheit."

Stefan Ulrich

SZ vom 22. April 2016

102. DEUTSCHER WANDERTAG

Quelle: DPA

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Mitten in ... Immenstadt

Der pastellfarbene Frühstücksraum eines Allgäuer Hotels hat ein dunkles Zentrum: Es ist etwa 14 bis 16 Jahre alt, hat kunstvoll frisierte Haare und stochert stumm im Essen herum. Die Aura, die den jungen Mann umgibt, ist finster wie seine Kleidung, die Schultern sind gebeugt. Offenbar ein Wochenendausflug mit den Eltern. Endpeinlich. Mutter und Vater tragen Wanderkleidung in optimistischen Farben, hin und wieder weht ein vergnügter Gesprächsfetzen rüber zum Nachbartisch, das Wetter wird analysiert, Pläne geschmiedet. "Hmpf", macht der Verzweifelte, erhebt sich und steuert seine zusammengekniffenen Augenbrauen zum Müsli-Büfett. Auftritt Servicekraft - jung, weiblich, blond. Die Miene des Finsteren hellt sich auf. Spricht sie ihn etwa gleich an? Sie tut es: "Und du?", fragt sie mütterlich. "Magst du vielleicht einen Kaba?"

Annette Zoch

SZ vom 22. April 2016

Sushi

Quelle: Arno Burgi/dpa

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Mitten in ... Amsterdam

Gemächlich zuckelt die 4er-Tram über die Prinsengracht. In der Mitte der Bahn sitzt ein Mann hinter Plexiglas. Es ist der Fahrkartenverkäufer, blaue Uniform, leicht genervter Blick. Aber das macht nichts. Dass er überhaupt in der Tram sitzt, ist ja an sich höchst erfreulich; in den meisten Städten wurde seine Dienstleistung von Automaten ersetzt, die keine Scheine akzeptieren. Der Mann in der Plexiglaskabine tut das. Und er hat noch mehr zu tun. Er ist, wenn man so will, für die Ordnung in der Tram zuständig. Da wären zum Beispiel zwei auf dem Boden markierte Stellplätze für Kinderwagen. Beide sind besetzt. Als an der nächsten Haltestelle eine dritte Frau mit Kinderwagen einsteigen will, sagt der Fahrkartenverkäufer: "Leider voll." Sie müsse auf die nächste Tram warten. Vielleicht ist sie doch nicht so schlecht, die Automatenwelt.

Alexander Mühlauer

SZ vom 22. April 2016

Sushi

Quelle: Arno Burgi/dpa

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Mitten in ... Lissabon

Auf den Besuch bei "Buddha Sushi" folgt der in der Notaufnahme. Großes Fisch-Aua. Schönen guten Tag, ich . . . Da klappt man auch schon weg, mit Boxerehrgeiz geht es wieder hoch, in der wievielten Runde sind wir? Das Klinikpersonal honoriert die Vorstellung mit einem Priority-Armband, an den Kniekehlen bietet ein Rollstuhl seine Dienste an. Erneutes Wegklappen. Vier Stunden und drei Liter Salzlösung später: Erwachen. Puh, das ist noch mal gut gegangen, nun aber schnell weg, es hat ja auch keiner was gemerkt. Man winkt fremden Kittelmenschen, der Pfleger Tiago fragt verwundert: Wie, du willst schon gehen, Sushi-Mann? Zwei Flure weiter lächelt eine Frau im Vorbeigehen: Erst mal kein Sushi mehr, was? Und als man dem Taxifahrer all das erzählt, lächelt auch er: Ach, du bist das? Ich hab schon viel von dir gehört!

Cornelius Pollmer

SZ vom 22. April 2016

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Quelle: AFP

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Mitten in ... Marrakesch

Wer noch nicht ermattet ist vom Besuch der Souks, der kann abends ins Le Comptoir gehen, eine der angesagtesten Bars der Stadt. Um 22.45 Uhr wird das Licht gedimmt, Bauchtänzerinnen treten auf. Wow. Marokko ist ein traditionelles Land mit speziellen Moralvorstellungen. Aber hier sind weder Schultern noch Knie bedeckt. Fast gar nichts ist bedeckt. Eine nähert sich, steigt graziös auf den flachen Tisch und lässt Hüfte und Bauch direkt vor uns kreisen. Alle schauen gebannt und warten. Doch was ist so viel nackte Haut wert? 100 Dirham? 1000 Dirham? Preisverhandlungen würden den Zauber wohl zerstören. Und überhaupt: Wohin mit dem Schein? In Marokko sind Ungläubige schon ausgepeitscht worden, weil sie eine unverschleierte Frau angeschaut haben. Wir schauen nicht hin, während der Schein zaghaft Halt sucht im Nichts.

Achim Zons

SZ vom 15. April 2016

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Quelle: AFP

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Mitten in ... Tripolis

Ankunft am Flughafen Mitiga, einem ehemaligen US-Stützpunkt mitten in Tripolis; der internationale Flughafen der libyschen Hauptstadt wurde 2014 bei Kämpfen zerstört. Alles ist improvisiert, auch die Grenzkontrolle. Am Einreise-Schalter für Ausländer herrscht kein Gedränge. Gut so, denn auch nach mehrmaligem Kramen im Tresor findet der Beamte keinen Visumsaufkleber. Man könne den Pass am nächsten Tag in der Abteilung für ausländische Journalisten des Informationsministeriums abholen, sagt er, dann werde alles erledigt sein. Und tatsächlich: Der Pass ist da, das Visum eingeklebt. "Die Quittung für die Gebühr ist auch dabei", sagt der Beamte freundlich. Man dankt und bemerkt erst später: Er hat sie von innen an die rote Umschlagseite des Dokuments getackert. Genau da, wo der Chip mit den biometrischen Daten sitzt.

Paul-Anton Krüger

SZ vom 15. April 2016

Spaghetti carbonara with fried bacon Spaghetti carbonara with fried bacon in plate on black table PU

Quelle: imago/fotoimedia

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Mitten in ... Panama

In Panama sind sie gerade etwas angesäuert, weil das Land vor allem im Kontext mit den gleichnamigen Papieren genannt wird. Dabei gibt es doch so viele Erfolgsgeschichten! Etwa die der nationalen Fluglinie Copa, die tatsächlich das beste Streckennetz Lateinamerikas unterhält. Fliegen kann man mit Copa prima, man sollte bloß nicht hungrig einsteigen. Zurzeit wird als "vegetarische Option" Pasta mit Lachs serviert. Der Fisch schmeckt aber eindeutig nach Analogschinken. Im Spanischen klingen Lachs (salmón) und Schinken (jamón) ähnlich. Nachfrage: Kann es sein, dass es sich um "Pasta mit jamón" handelt? "Moment bitte", sagt die Stewardess. Minuten später kehrt sie mit folgender Information zurück: "Wir haben es probiert. Normalerweise ist es immer Lachs. Aber heute schmeckt es nach Schinken. Es müsste Schinken sein."

Boris Herrmann

SZ vom 15. April 2016

Polizei schützt iranisches Konsulat

Quelle: picture-alliance / dpa/dpaweb

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Mitten in ... Hamburg

Das Generalkonsulat der Republik Iran ist gut gesichert. Metallgitter, Überwachungskameras, Wachleute, das ganze Programm. Scheint auch nötig zu sein: Das Gebäude ist schwer belagert. Hunderte Menschen campieren auf der Straße, mit Klappstühlen, Thermoskannen und Kuchen auf Papptellern. Einige spielen Federball, aber keiner hält ein Plakat hoch oder schreit etwas. Seltsam, weshalb demonstrieren diese Leute eigentlich? Zum Großteil sind es offenbar Familien mit Kindern, die meisten wirken friedlich. Die Schlange zieht sich die Bebelallee entlang bis zur Abzweigung Richtung Alster. Dort steht das Haus der Jugend. Jetzt muss doch mal jemand erklären, was das politische Ziel dieses Sit-ins ist. "Die Sommerfreizeiten des Jugendwerks!", sagt eine freundliche Mutter, "wir stehen für die Einschreibung an, die Plätze sind sehr begehrt."

Titus Arnu

SZ vom 15. April 2016

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Quelle: Catherina Hess

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Mitten in ... Brescia

Al Bano und Romina Power wussten es. "Felicità è un bicchiere di vino con un panino" - Glück ist ein Glas Wein und ein Panino, sang das Italo-Pop-Paar 1982. Beides genießend sitzt man also in einem Café auf dem Marktplatz und schaut in die Abendsonne. Am Nebentisch ältere Herrschaften, offenbar eine Reisegruppe aus Baden-Württemberg. Die macht nun tatsächlich den Versuch, alle Getränke einzeln zu bezahlen ("Only Kaffee, not the Aperol Spritz"), was ein ziemliches Chaos auslöst. Erschwerend kommt hinzu, dass auf der Rechnung nur Posten stehen, keine Preise. "So wisset mir ja gar ned, was die Sache im Einzelne koschde", empört sich eine Dame. Die Szene dauert 20 Minuten, und ich fühle mich immer schlechter. Glück ist - neben Wein und Panino - manchmal eben auch: keine Landsleute im selben Café.

Oliver Klasen

SZ vom 8. April 2016

Rechte Gewalt nimmt zu

Quelle: dpa

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Mitten in ... Ueckermünde

Annäherung an das Stettiner Haff. Die Fahrt führt durch weite Felder, menschenleere Straßendörfer. Schilder werben für "Mittagstisch mit Hausmannskost" und das Jubiläumskonzert der Band Stahlzeit. In der Ferne das Seebad Ueckermünde. Der Reiseführer gibt wenig her, die Internet-Enzyklopädie Wikipedia umso mehr: Residenzschloss, Stadthafen, 8916 Einwohner. In Ueckermünde geborene Personen: Friedrich VII. Magnus, Markgraf, Robert Kutner, deutscher Urologe. Ganz am Ende der Liste, penibel notiert: "Tino Müller (*1978), deutscher Politiker (NPD) und Neonazi". Na, das ist doch mal eine ordentliche Berufsbezeichnung. Chef einer "National-Germanischen Bruderschaft" ist er auch noch. Im Ort ist von ihm nichts zu sehen, im Gegenteil - die Altstadt wirkt sehr hübsch.

Ulrike Heidenreich

SZ vom 8. April 2016

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Quelle: AFP

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Mitten in ... Rio de Janeiro

Ostern bei einer Autovermietung in Rio, niemand in der Schlange, herrlich. Warum es trotzdem eine Stunde dauert, bis man den Schlüssel in der Hand hält? Schwer zu sagen. Vielleicht weil die Autovermietungs-Sachbearbeiterin die Führerscheinnummer mit einer Detail-Liebe abpaust, als handele es sich um eine uralte Bibelabschrift. Vielleicht weil sie so lange in den Personalausweis starrt, dass der Verdacht naheliegt, sie lerne die Stempel auswendig. Vielleicht auch, weil sie bei allem, was sie tut, sich nicht stressen lässt. Man möchte gerade ein wenig die Fassung verlieren, da verschwindet die Dame hinterm Tresen. Es ist Punkt zwölf, geht die etwa mittagessen? Nein, sie kehrt wieder zurück, diesmal mit rosafarbenen Hasenohren auf dem Kopf, und fragt: "Wo waren wir stehen geblieben?"

Boris Herrmann

SZ vom 8. April 2016

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Quelle: Arne Perras

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Mitten in ... Lovina

Duftende Frangipani, Gesang der Zikaden, Meer am Horizont. Traumhafte Zustände im Norden Balis. Aber dennoch kann die deutsche Besucherin im Hotel nicht schlafen. Nacht für Nacht hat sie das Gefühl, dass sich der Raum verdichtet, etwas an diesem Ort will sich mitteilen. Beim Frühstück rät das geistererprobte balinesische Personal, ein Opfer zu bringen. Doch der dargebrachte Schokoriegel zeigt keine Wirkung. Der Geist heißt Doris, wie die Leute erzählen. Sie starb, bevor sie in ihr Haus nach Bali ziehen konnte. Jetzt besucht sie manchmal deutsche Gäste in der Nachbarschaft. Zu Lebzeiten liebte sie Zigaretten und Alkohol. Nach der vierten schlaflosen Nacht gibt es also Räucherstäbchen und ein Stamperl Schnaps, um Doris zu erfreuen. Und siehe da, die Nächte sind wieder paradiesisch ruhig.

Susanne Perras

SZ vom 8. April 2016

Raucher

Quelle: Arno Burgi/dpa

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Mitten in ... Ingolstadt

Der Bistrowagen im ICE von München nach Hamburg ist brechend voll. Zu den Berufspendlern, die ihr Revier verteidigen, gesellen sich an diesem Wochenende Familien und Alleinreisende, die in die Osterferien fahren. "Amateure . . .", raunt der sichtlich genervte Krawattenträger, der soeben in Ingolstadt zugestiegen ist, als ein silberhaariger Herr samt Rollkoffer und Tüten mit Geschenken mitten im Gang stehen bleibt, um sein Onlineticket mehrmals im Uhrzeigersinn zu drehen, und nach der Wagennummer sucht. Auch vor dem Tresen geht es nur schleppend voran. "Tut mir leid, nur Flaschenbier heute." Erdnüsse? "Leider ausverkauft." Die Reisenden ergeben sich geduldig ihrem Schicksal. "Wo ist denn der Raucherwagen?" fragt eine Dame im Trenchcoat. Andächtige Stille, hochgezogene Augenbrauen. Amateurstatus: Gold.

Christian Tönsmann

SZ vom 1. April 2016

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Quelle: Monika Maier-Albang

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Mitten in ... Pindaya

Auf dem Rückweg von den Pindaya-Höhlen in Myanmar, die Tausende Buddhas füllen, ein Halt in einer Schirm-Manufaktur. Die Chefin ist vor Ort, und sie verdient mehr als der Durchschnittsbürger, dafür spricht der feine Stoff ihres Longyis, des traditionellen Wickelrocks. "Schöne Goldkette", lobt man, "hübsche Ohrringe", sagt sie, und schon sitzen wir im Auto - ihrer Freundin gehört das örtliche Aussteuer-Geschäft. Die Fahrt ist kurzweilig, die Begleiterin schwärmt von Aung San Suu Kyi, sie sieht auch so dynamisch aus wie die "Lady". Der Schmuck ist reizend, doch die Dollarnoten, die einen noch durchs Land bringen sollen, reichen nicht so weit. Die Rückfahrt ist dann still. "Zu teuer?", fragt die Chefin schließlich. Man trage doch so schöne Ohrringe. "Nicht echt." Merke: Auch bei Ausländerinnen ist nicht alles Gold, was glänzt.

Monika Maier-Albang

SZ vom 1. April 2016

Jagd in Sachsen

Quelle: Jan Woitas/dpa

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Mitten in ... Ålstorp

Wenn Erwachsene so tun, als wäre Krieg, und sich zu diesem Zweck mit Farbkugeln beschießen, nennt sich das Spiel Paintball. Dafür gibt es eigene, oft weitläufige Spielfelder, von denen eines in Ålstorp in der Nähe der schwedischen Großstadt Malmö liegt. Vor Kurzem jedoch brach eine Herde Wildschweine in das Gelände ein. Von Farbkugeln lassen sich die Tiere nicht beeindrucken. Großer Lärm, wie er entsteht, wenn man auf leere Blechfässer trommelt, zeitigt nur kurzfristig Wirkung. Aber das alles wäre für die Spieler noch hinnehmbar, weil in den imaginären Krieg integrierbar gewesen, wäre nicht schließlich ein anonymer Nachbar auf eine furchtbare Idee gekommen: Er vergräbt alte Brötchen auf der schönsten Wiese. Seitdem ist sie nicht mehr bespielbar. Einen schrecklichen Namen trug das Feld indessen schon zuvor. Es heißt "Vietnam".

Thomas Steinfeld

SZ vom 1. April 2016

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Rom

Die Römer sind formidable Ironiker des Alltags, aus Reflex, und das ist gut so. Nehmen wir die "buche", die Löcher in den Straßen, im billigen Asphalt wie im schlecht bewirtschafteten Kopfsteinpflaster - eine alte Plage, tausendmal beklagt. Wenn es regnet, und es muss keine Sintflut sein, sackt allenthalben der Boden ein. Dann öffnen sich Krater, wahre Schlünde, und die Motorradfahrer kurven um ihr Leben. Auf der Viale Romania etwa, einer Straße im bürgerlichen Viertel Parioli mit Pinien zwischen den Fahrbahnen, klafft ein solches Loch, sautief. Die Polizei ließ es vor ein paar Wochen einzäunen, mit dem Wagen kommt man fast nicht mehr daran vorbei. Jemand hat die Tafel nun mit schwarzer Farbe angesprüht: "Achtung, archäologische Ausgrabungen", steht da. Dazu klein daneben, mit rotem Filzstift: "Vom 12. 3. bis . . .?" Tendenz ewig.

Oliver Meiler

SZ vom 1. April 2016

© Süddeutsche Zeitung/ihe
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