Mittelalter-Fest in Spanien:Diese Geschichte hat ein Nachspiel

Mittelalter-Fest in Spanien: Gespart wird nicht beim Spektakel von Alcoy: hier eines von 40 teilnehmenden Dromedaren nebst Reiter.

Gespart wird nicht beim Spektakel von Alcoy: hier eines von 40 teilnehmenden Dromedaren nebst Reiter.

(Foto: Monika Maier-Albang)

Mit ihrer opulenten "Fiesta de Moros y Cristianos" feiern die Bürger von Alcoy bis heute jedes Jahr einen historischen Sieg über muslimische Truppen. Besuch bei einem sehr speziellen Mittelalter-Spektakel.

Von Monika Maier-Albang

Wer am Eröffnungsabend des Festes mit Jordi durch die Straßen zieht, versteht nach ein paar Minuten schon, warum er ein Jahr lang so viel Energie in die Vorbereitung dieses einen Wochenendes gesteckt hat. Ein Mann legt Jordi im Vorbeigehen die Hand auf die Schulter. Ein zweiter knufft ihn gönnerisch. All die Herren, die Jordi begrüßen, sind älter als er, sie sind, wenn man so will, seine Lebensversicherung. Wer in der Gesellschaft von Alcoy einen Platz haben will, der muss wie Jordi Linares Domínguez Mitglied in einer Fila sein, "Realistas" heißt seine. Die 24 Filas der Stadt organisieren alljährlich die "Fiesta de Moros y Cristianos", das Fest, das in einem Konfettirausch beginnt und mit der fröhlichen Vertreibung der Mauren aus der Stadt endet. "So war das schon immer", sagt der 37-Jährige. So wird es wohl auch bleiben. Wobei: Gerade haben ein paar Frauen sich das Recht erkämpft, in den Reihen der christlichen Soldaten mitgehen zu dürfen. Bislang hatten sie die Wahl zwischen Sklavin, Bäuerin, Burgfräulein.

Wer die vier Tage durchstehen will, trinkt Plis-Play, einen starken Kaffeelikör

In Spanien gibt es die Feste der Mauren und Christen in vielen Gegenden, besonders aufwendig gestaltet werden sie in der Provinz Valencia. Hier wiederum steht die Stadt Alcoy (valencianisch Alcoi) im Ruf, die bunteste und üppigste "Fiesta de Moros y Cristianos" auszurichten - und das schon seit dem 16. Jahrhundert. Circa 11 000 der 62 000 Einwohner Alcoys nehmen aktiv daran teil, in Kostümen, versteht sich. Gespielt werden beide Seiten, Christen wie Muslime, von Bürgern aus Alcoy. Wer nicht verkleidet durch die Straßen zieht, sieht zu, singt am Eröffnungsabend die Hymne mit - und bewirft während der abschließenden Prozession den Heiligen Georg mit Nelken. Dieser wird von einem Kind aus dem Ort dargestellt, das keine armen Eltern haben darf, weil so eine Erwählung viele Einladungen nach sich zieht. Getrunken wird ein starker Kaffeelikör, Plis-Play, gemischt mit Cola oder Eistee. Irgendwie muss man die vier Tage und drei Nächte ja überstehen.

"Das Fest ist für uns pure Leidenschaft", sagt Jordi Linares Domínguez. "Zwei Termine im Jahr sind mir heilig. Weihnachten und Moros y Cristianos." Schon sein Vater, ein Lehrer, war Mitglied in einer Fila. Von seinem ersten Gehalt habe der sich dort eingekauft, erzählt der Sohn. Dem Großvater blieb die Erfüllung dieses Traums verwehrt. Er konnte sich die Mitgliedschaft in einer der Filas schlicht nicht leisten.

Das Ereignis, das im Fest nachgespielt wird, liegt 700 Jahre zurück, in der Spätphase der Reconquista, der "Rückeroberung" von Muslimen bewohnter Gebiete in Spanien. Zu der Zeit kämpften sowohl der Adel und die Stände untereinander wie auch Christen und Muslime gegeneinander erbittert um die Vorherrschaft im Land. Am 23. April 1276 fiel vor den Toren Alcoys der legendäre Anführer der Mauren, Mohammad Abu Abdallah Ben Hudzäil al Sähuir, genannt Al-Azraq, der "Blauäugige". Zu Hilfe kam den belagerten Christen der Legende nach der Heilige Georg - Jordi auf Katalanisch.

Bis heute ist er der Patron Alcoys. Männer, die seinen Namen tragen, gibt es im Ort unzählige. In Spanien wird der Heilige oft als Matamoros, als "Maurentöter", dargestellt: Unter den Hufen seines Pferdes liegt kein sterbender Drache, mit dem er für gewöhnlich gezeigt wird. Hier stirbt ein dunkelhäutiger Mensch. Vom griechischen Begriff für dunkel, mauros, leitet sich womöglich auch die Bezeichnung Mauren ab, die jene Berberstämme umschreibt, die vom siebten Jahrhundert an von den Arabern islamisiert wurden und diese dann bei der Eroberung der Iberischen Halbinsel unterstützten.

Mittelalter-Fest in Spanien: Rassige Pferde, lässige Männer mit Zigarre - das Plakat von 1957 ist heute noch aktuell.

Rassige Pferde, lässige Männer mit Zigarre - das Plakat von 1957 ist heute noch aktuell.

(Foto: Monika Maier-Albang)

"Heute ist das natürlich alles nur symbolisch zu verstehen", sagt Manuel Tierna Bermejo, der Priester von Alcoy. Bermejo ist im Ort aufgewachsen und ein leutseliger Mensch. Allerdings ist er der Falsche, wenn man jemanden sucht, der die Rolle der Kirche bei diesem Spektakel kritisch bewertet. Oder der darüber nachdenkt, ob in einer Zeit weltumspannender Glaubenskonflikte ein so unreflektierter Blick auf die Geschichte tragbar ist - wer die Guten sind in der Aufführung, wer die Bösen, ist ja klar. Warum sollte man auch thematisieren, dass die muslimischen Besatzer auch Wohlstand und Kunst ins Land brachten? Mit deutschen Augen betrachtet, rangiert das Fest zwischen Karneval, Einzug der Wiesnwirte auf dem Oktoberfest und Fronleichnamsprozession. Für die Spanier ist es zwar auch Gaudium und Historienspektakel. Aber eben auch mehr: "Es ist die Art, wie wir unserer Vorfahren gedenken und uns unserer Stadt verbunden fühlen", sagt Jordi Linares Domínguez.

Die Muslime im Ort? Man kennt sich zu wenig

Der Ablauf ist immer derselbe: Am ersten Tag ziehen die Truppen in die Stadt ein. Am zweiten Tag wird bei einer Prozession eine Reliquie durch Alcoy getragen, ein Fingerknochen angeblich des Heiligen Georg. Kirchenvertreter, der christliche König mit seinem Gefolge, aber auch der Herrscher der Mauren begleiten den Zug. Am dritten Tag findet der finale Kampf statt: vor und auf einer hölzernen Burg, die eigens für das Fest auf dem Hauptplatz von Alcoy errichtet wird. Es knallt und raucht. Ein Mann in Soutane kämpft gegen einen Mauren. Den Priester soll es tatsächlich gegeben haben, allerdings soll Pater Torregrosa nicht zum Schwert gegriffen, sondern seine Gemeinde zum Gebet versammelt haben. Am Ende wirft der Heilige Georg - dargestellt durch einen achtjährigen Jungen, der am Festtag seine Erstkommunion empfängt - vom hölzernen Pferd Pfeile auf die Mauren. Die immerhin müssen nicht sterben, sie verlassen die Stadt auf ihren Pferden. Danach füllen sich die Vereinslokale.

Wie überhaupt die Stadt ein gutes Auskommen hat an und mit den Festtagen. Bis aus Japan und aus den USA reisen Gäste an. Die Gegend um Alcoy war früher wohlhabend, litt zuletzt aber jahrelang wie viele Regionen in Spanien unter der Wirtschaftskrise. Alcoy ist ähnlich wie Barcelona eine alte Industriestadt, allerdings mit vielen Gebäuden aus der Zeit des Diktators Francisco Franco. Nur ein paar Straßenzüge in der Altstadt haben den Bürgerkrieg von 1936 bis 1939 unbeschädigt überstanden. Alcoy galt im Spanischen Bürgerkrieg als Hort der Franco-Gegner, der Republikaner, es wurde deshalb mehrmals bombardiert.

Wer heute hier spazieren geht, kommt immer wieder über Brücken, die tiefe Schluchten überspannen. Auf dem terrassierten Gelände sieht man die Reste alter Industrieanlagen. Schon im elften Jahrhundert nutzten die Menschen die Kraft des Wassers, das aus dem bergigen Umland kam und durch die Stadt floss. Es gab Mühlen und Webstühle, Alcoy wurde zu einem Zentrum der Textilindustrie, später kamen metallverarbeitende Betriebe hinzu. Auch Zigarrenpapier wurde in Alcoy gefertigt. Bei den Umzügen haben viele Darsteller in Anlehnung daran eine glimmende Zigarre zwischen den Lippen, manche nur zur Show, es sieht ja so schön machohaft aus. Die Männer gehen in Reihen und im Wiegeschritt zum Paso doble, huldvoll die Zuschauer grüßend, die ihnen von den Balkonen aus zujubeln. Geschmückt ist die ganze Stadt mit Flaggen, die das Georgs-Kreuz zeigen: rot auf weißem Grund. Da die Umzüge Stunden andauern, mieten sich viele Zuschauer einen Stuhl - 15 000 werden entlang der Strecke aufgestellt. Auch Balkone werden vermietet, meist an Auswärtige. Auch das ein gutes Geschäft.

Gastronomie, Hotellerie, Taxigewerbe, die Pferdehalter, die ihre prachtvollen Andalusier für den Umzug trainieren, bei dem sie im Takt der Musik zu tanzen scheinen, der Besitzer der 40 Dromedare, die am Umzug teilnehmen: Sie alle freuen sich auf dieses eine Aprilwochenende. Und auch sonst hat sich eine regelrechte Fest-Industrie entwickelt: Schuster, Sattler, Kostümbildner leben von den Mitgliedern der Filas. Die Anführer der beiden "Heere" werden jedes Jahr neu bestimmt, wer nicht eine halbe Million Euro aufbringen kann, braucht sich gar nicht erst zur Wahl stellen. Der jeweilige Capitán lässt sich ein ausgefallenes Kostüm schneidern, das nach dem Fest im örtlichen Museum seinen Platz findet - und ihn verewigt. Dazu bezahlt er Musiker und professionelle Tänzer. Denn neben Ziegen- und Gänsehirten, Männern auf mobilen Scheiterhaufen, den Rittern und verschleierten Haremsdamen bereichern längst fantastische Baumwesen, Amazonen im Lara-Croft-Outfit und grüne Schuppenfrauen die Umzüge. Fragt man Zuschauerinnen, welchem Zug sie sich lieber anschließen würden, dem der Christen oder dem der Mauren, sind die meisten entschieden auf Seite der Mauren. Die Kostüme gäben mehr her. Und auch Jordi Domínguez sagt, viele Bewohner würden lieber Mauren darstellen. "Die schreiten stolz daher. Die Christen hüpfen doch eher."

"Das ist das Fest der anderen"

Man würde nun gern erfahren, was die Muslime der Stadt vom Fest halten. Das aber ist nicht einfach. Es gebe in Alcoy keine Muslime, sagt Jordi Domínguez. Doch, es gebe welche, sagt der Pfarrer, aber man habe keinen Kontakt. Eine Moschee in Alcoy? "Was ist das denn?", fragt der Taxifahrer. Eine freundliche muslimische Familie, die gerade vom Wochenendeinkauf im Supermarkt kommt, weist schließlich den Weg. Der Vater sagt nur einen Satz zu der Feier: "Das ist das Fest der anderen."

So war es, und so bleibt es auch? Muhammed, dessen Nachnamen man nicht schreiben soll, weil er kritische Dinge über das Königshaus in Marokko sagt, jenes Land, das er vor 30 Jahren verlassen hat, kann sich schon vorstellen, dass die Gesellschaft mal durchlässiger wird. Rund 500 Muslime, Zuwanderer aus dem Maghreb zumeist, leben ihm zufolge in Alcoy. Viele arbeiteten in der Textilindustrie. "Es gibt einige, die gerne beim Fest mitmachen würden. Ich auch." Aber man lebe halt nebeneinander her. Ihm selbst fehle zudem die Zeit. Er fährt Taxi und kämpft an den Festtagen nicht gegen Christen, sondern gegen den Stau rund um Alcoy.

Seine zehnjährige Tochter bettele schon seit Jahren, der "Fila Marrakesch" beitreten zu dürfen, erzählt Muhammed. Weil die Oma doch in der Stadt wohnt, die so heißt. Aber 800 Euro Aufnahmegebühr, dazu ein ebenso hoher Jahresbeitrag: Da geht es Muhammed wie Jordis Großvater, der auch so gern Teil der Stadtgesellschaft gewesen wäre. "Das ist einfach zu viel für uns." Das Geld, das Muhammed erübrigen kann, schickt er zu seiner Mutter in die alte Heimat, auf die anderen Seite des Meeres, zu den Mauren.

Reiseinformationen

Anreise: z. B. mit Ryanair nach Alicante, hin und zurück ab 80 Euro, www.ryanair.com

Unterkunft: Sercotel Hotel Ciutat d'Alcoi, DZ ab 60 Euro, während des Festes ab 225 Euro pro Nacht, www.sercotelhotels.de

Die Feste finden in ganz Spanien statt, besonders interessant sind sie in Alcoy (21. bis 24. April 2018, www.alcoyturismo.com) und in Villajoyosa (24. bis 31. Juli), www.spain.info/de/reportajes/moros_y_cristianos_el_espectaculo_de_la_historia.html

Weitere Termine in der Provinz Alicante: Bañeres 21. bis 25. April, Villena 4. bis 9. September, Crevillente erstes Wochenende im Oktober.

Weitere Auskünfte: Spanisches Fremdenverkehrsamt Frankfurt, www.spain.info/de

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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