Misslungene Fluchten:Weihnachten ist überall

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Es gibt kein Entkommen vor dem festlichen Adventstrubel mit Gans und Lichterketten - selbst für diejenigen nicht, die ins Ausland fliehen.

SZ-Autoren

Von der Plastikwasserflasche redet ja auch niemand mehr - was wurde da früher gezetert! Verschandelt die Küsten! Verrottet nimmer! Stapelt sich in der Dritten Welt zu riesigen Plastikwasserflaschenbergen!

Leere Plastikflaschen sind vielseitig einsetzbar... (Foto: Foto: Reuters)

Da waren wir natürlich sehr erfreut, als sich Herr Htwe kurz verbeugte und fragte, ob er die bekommen könnte, unsere leeren Plastikwasserflaschen. Wir saßen vor seinem Restaurant in Bagan, einem zusammengenagelten Bretterbau im Schatten einer Pagodenruine. Einen langen Tag waren wir auf Rädern durch die verlassene Tempelstadt gefahren; jetzt sinnierten wir über Verfall und Vergänglichkeit und was vom Menschen einst bleiben wird auf dieser Welt, außer den unkaputtbaren Plastikwasserflaschen natürlich.

Dankbar gaben wir ihm unsere leeren, dem umweltbewussten Herrn Htwe. Auch am nächsten Tag bekam er sie, und am übernächsten auch. Am dritten oder vierten Tag wollte Herr Htwe noch etwas anderes. Morgen sei ja Heiligabend, sagte er, und ob wir da nicht alle zum Weihnachtsessen kommen wollten, so gegen acht, er werde ein Menü kochen, und ein Geschenk gebe es auch. Und zehn Prozent Rabatt. Wegen Weihnachten.

Am nächsten Abend war Herrn Htwes Restaurant am Rand der Ruinen schon von weitem gut zu sehen: Es leuchtete wie ein Ozeandampfer auf hoher See.

Herr Htwe hatte alle unsere Plastikflaschen und noch ein paar hundert andere halbiert, in jede ein Teelicht gesetzt und sie hinauf auf die Pagodenruine gestellt, wo sie jetzt ihr warmes Licht in die dunkle birmanische Nacht warfen. Es gab ein formidables Curry und als Geschenk einen kleinen Kuchen, und als wir ihm ein "Silent Night" sangen, strahlte Herr Htwes Gesicht im Glanz seiner Laternen, aber vielleicht lag das auch nur am sehr üppigen Trinkgeld.

Und immer, wenn ich seitdem eine leere Plastikwasserflasche aufhebe, in Knossos oder Machu Picchu oder am Strand von Rügen, denke ich nicht mehr an die 500 Jahre, die sie zum Verrotten braucht. Ich denke an Heiligabend in Birma.

Stefan Nink

Weihnachten unter Palmen
:Stimmung fern der Heimat

Sie reisen an den Feiertagen in den Süden? So kommen Sie selbst in der Karibik in besinnliche Stimmung: eine Top 10 in Bildern.

Ein Foto als Weihnachtsgruß kann schlechte Stimmung auslösen. Jedenfalls, wenn die Rundmail aus Argentinien kommt und man wie ich breit lachend vor einem in der Sonne funkelnden Weihnachtsbaum steht, mit Sonnenbrille im gebräunten Gesicht.

(Foto: Foto: iStock)

Meine Freunde, die zu Hause im Schneematsch feierten, fanden das gemein und angeberisch, wie sie mir später sagten. Voller Neid waren sie, weil ich mit zwei schwedischen Freundinnen erfolgreich dem Harmoniediktat in der Heimat entflohen war.

Die bittere Wahrheit erfahren sie erst jetzt: Als die Sonne an unserem Pool untergegangen war, saßen wir in Sommerkleidern bei fruchtigen Cocktails zusammen. Heute ist also Weihnachten! Wir sehnten uns plötzlich nach Schnee, Kerzenschein und dem Festessen unserer Mütter.

Doch in letzter Sekunde Weihnachtsstimmung an einen fremden Ort zu zaubern, funktioniert nicht.

Im Ferienhaus gab es keinen Herd. Alle Geschäfte und Restaurants hatten geschlossen. Nur aus dem Haus nebenan hörten wir fröhliches Gelächter und Musik.

Wir wurden immer verzweifelter: Feiern denn jetzt alle Weihnachten außer uns? Wir fanden im Schrank eine halb abgebrannte Kerze, mit der wir unsere in der Mikrowelle gegarten Nudeln festlich beleuchteten.

Die Schwedinnen telefonierten nach Hause. Sie ließen sich sogar den geschmückten Baum beschreiben. Ich hatte keinen Handyempfang.

Doch Gott sei Dank ist Weihnachten das Fest der Nächstenliebe, so hatte man auch mit uns Erbarmen: Eine argentinische Familie, die ihre Feier nach dem Festmahl an den Pool verlegt hatte, nahm uns auf. So kamen wir doch noch zu einem fröhlichen Fest - wenn auch ohne Glühwein und Zimtsterne.

Christine Dohler

Weihnachten in Guatemala
:Osama-Knaller an Heiligabend

Heiß, laut, schön: Weihnachten am Karibikstrand von Livingston in Guatemala ist alles andere als besinnlich.

Marcel Burkhardt

Weihnachten ist furchtbar. Weihnachten ist Christbaumkugelschmuck und Süßerdieglockennieklingen. Weihnachten ist die Hölle, und die Hölle ist überall. Überall Christkindlmarkt, Glühwein, "Leise rieselt der Schnee". Es gibt kein Entkommen. Wohin auch?

(Foto: Foto: iStock)

Der Süden scheidet aus. Am 24.Dezember hängt doch an jeder Palme Lametta, und die Kellner servieren den Bacardi mit neckischen Nikolausmützen. Selbst durch die Ankunftshalle von Bora-Bora weht "Stille Nacht".

Aber China wäre eine Möglichkeit. China ist unchristlich. China ist so weit weg vom Westen, dass an Weihnachten zwar Labradore gebraten werden, aber um Himmels willen kein Fest stattfinden darf.

Peking 1993 liegt im tiefsten Dunkel, auf den Straßen noch mehr Fahrräder als BMWs. Nichts glänzt, nichts rieselt, und weit und breit kein Dschingelgebell. Sterne tragen nur die offiziellen Gebäude, immer den roten Stern, der mit Mao über China aufging.

Weihnachten ist verboten und Peking plötzlich die schönste Stadt der Welt. Diese Ruhe, dieser geradezu weihnachtliche Friede!

Der bei der Ankunft im Hotel jäh gestört wird. Eine riesige Halle ist es, mit einem zehn Stockwerke hohen Lichthof, und mindestens neun davon beansprucht ein knallroter, knubbelnasig strahlender Nikolaus, der auf einem von Geschenken überquellenden Schlitten sitzt und seine Rentiere zum Einsatz in letzter Minute peitscht.

Aus allen Lautsprechern bimmelt's und schallt's und jubiliert's. Alles für die Touristen.

"Ist es nicht schön, unser Weihnachten?", fragen sie einen. Ja, schön, so schön wie zu Hause.

Willi Winkler

Weihnachten in Brasilien ist super. Zumindest, wenn man mit Freunden unter lauter Einheimischen in einem der kleinen Resorts urlaubt, die eine Autostunde von Rio entfernt an den waldigen Bergen kleben.

(Foto: Foto: AFP)

Nichts stört die besinnliche Atmosphäre. Die Sonne scheint, der Pool gluckert, und in den Bäumen krächzen Papageien.

Aber dann kommen ein paar Cariocas und heizen die Sauna ein. Sonderbar, dass die Bewohner Rios Schwitzkästen im Stil finnischer Polarkreishütten lieben. Total schräg aber der eigene plötzliche Drang, auch da hineinzuwollen. Nicht aus Übermut, sondern wie nach einem langen Skitag - und das bei 30 Grad im Schatten.

Weihnachten ist überall, vielleicht sogar in uns und unseren Dezembergewohnheiten? Zwei Stunden, vier Eukalyptusaufgüsse und einen Beinahe-Kreislaufkollaps später ist die Grübelei vergessen. Dafür sind auf einmal die pummeligen - schwarzen - Englein schön, die in der Palme im Restaurant hängen.

Jetzt aber schnell eine kalte Kokosnuss!

Jochen Temsch

Sossusvlei, da kann nicht viel schiefgehen: 300 Meter hohe, rotsandige Dünen und Lehmpisten, die nur mit Allrad-Jeep und Sandblech befahren werden dürfen. Da kann Weihnachten nicht hinkommen.

(Foto: Foto: iStock)

Aber vor Sossusvlei droht Windhoek.

Ankunft am 24. Dezember: Die Läden im ehemaligen Deutsch-Südwest haben schon geschlossen. Ein Lokal sieht unverdächtig aus: Zebrafelle am Boden, Antilopenköpfe an den Wänden, kein Weihnachtsbaum. Dann kommt Daggy.

Die Bedienung ist kohlrabenschwarz, trägt eine rote Mütze mit weißem Pommel und sächselt: "Frohe Weihnachten!" Gleichzeitig erklingen gregorianische Choräle.

Mein Freund, schon kein einfacher Typ im nicht-weihnachtlichen Alltag, mutiert, allergisch gegen alles Weihnachtliche, zum Sozialunverträglichen. "Ich will meine Ruhe! Dieser Mist! Ich halte es nicht aus." Er steht auf und geht. Ich klappe Daggys Weihnachts-Speisekarte zu. Immerhin steht darin Emu statt Ente.

Im Wohnmobil knurren unsere Mägen. Und dann passiert, was in der Namib-Dünen-Region selten passiert: Es regnet. Die Scheibenwischer streiken. Der nächste Campingplatz wird zum Ziel. Wir reihen uns ein in die akkurat geparkten Wohnmobile der Stadtflüchtigen aus Windhoek. Jeder hat seinen Christbaum vorm Camper, von drinnen säuselt "Stille Nacht" in den lauen Abend. Vom Weihnachtsmann würde ich mir jetzt Tranquilizer wünschen - für den Sozialunverträglichen.

Jochen Müssig

Ich habe zweimal Weihnachten in Paris verbracht. Beim ersten Mal konnte ich so schlecht Französisch, dass ich am Heiligabendvormittag auswendig lernte, was ich in der Boulangerie bestellen wollte. Als der Bäcker mir eine Frage stellte, lief ich weg, weil mir keine Antwort einfiel.

(Foto: Foto: AP)

Aber was viel wichtiger war: Ich wollte einmal in einer Stadt Weihnachten verbringen, in der es, wie ich glaubte, keinen Weihnachtsrummel gab. Als ich ankam, war ganz Paris geschmückt wie eine aufgetakelte Witwe. Das war nicht mehr à la limite du Kitsch, das war un Festival du Kitsch, und ich wusste, was ich tat, als ich 16 Jahre später an Weihnachten wieder nach Paris fuhr.

Auch dieses Mal wollte ich unbedingt etwas unternehmen, mit dem ich das Fest ein bisschen gegen den Strich bürsten konnte, und ging im jüdischen Restaurant Jo Goldenberg in der Rue des Rosiers essen. Ich wählte "Gefillte Fisch" und erhielt eine glibbrige Masse aus Fischresten, die enorm unappetitlich aussah, aber nicht schlecht schmeckte.

Das Ambiente war sehr unweihnachtlich. Es saßen ein paar ältere Männer an den Tischen, und ein Zeitungsausschnitt an der Wand berichtete von dem Bombenanschlag, der 1982 auf das Restaurant verübt worden war. Ich zahlte bald.

Dann ging ich in den Gottesdienst in Notre Dame, der in allen Weltsprachen gehalten wurde. Auch diese Messe war unweihnachtlich, weil alles ohne heilige Ordnung durcheinandergebetet wurde. Am ersten Weihnachtstag ging ich in das Restaurant Les vieux temps, das von Arabern geführt wurde. Als der Wein kam, stieß ich ihn um, sodass alles auf die frische Tischdecke floss. Ich sagte: "Je suis désolée." Der Kellner lächelte und deckte den Tisch neu ein. Die Peinlichkeit hing die ganze Zeit wie Tabakqualm im Zimmer.

Vieles ist sehr unweihnachtlich im äußerlich schwer weihnachtlichen Paris. Aber es geht einem dabei nicht viel besser, weil ja auch das betont Unweihnachtliche eine Form von Weihnachtlichkeit ist. Das Schöne in Paris ist, dass die Geschäfte Weihnachten die meiste Zeit über geöffnet sind.

Hilmar Klute

Am Vormittag des 24.Dezember standen wir zu zweit auf der Meherangarh-Festung im indischen Jodhpur und blickten über die Dächer der Blauen Stadt, die in der Sonne leuchtete.

(Foto: Foto: AP)

Wie schön, sagten wir. Keine Weihnachtsmärkte, keine Blingbling-Beleuchtung, keine fiebrigen Einkäufe in letzter Minute. Ruhe in Rajasthan. Perfekt.

Am Nachmittag chillten wir auf der Dachterrasse von Durag Niwas Guesthouse. 28Grad, Bob Marley vom Band, ein lächelnder Sikh servierte zuckersüßen Chai und mit Linsen gefüllte Kachoris.

Wie schön, sagten wir. Kein Christbaum, kein "Jingle Bells", keine Weihnachtsgans und keine Mutter, die seit Stunden drängelt: Und vergiss ja nicht, nachher die Omi anzurufen!

Abends stiegen wir in ein Tuk-Tuk und fuhren hinaus zum Umaid Bhawan Palace, um im großen Stil indisch zu essen. Das Erste, was wir sahen, war die Blingbling-Beleuchtung. Dann den Christbaum mit Päckchen-Attrappen. Dann das Büfett, es gab Gans, Braten, Kartoffeln, Möhrchen, Christmas Pudding und Spritzgebäck. Auf der Bühne spielten drei Inder mit Nikolausmützen "Rudolph, the red-nosed reindeer" auf der Sitar.

Wie schön, sagten wir. Dann riefen wir die Omi an und wünschten ihr frohe Weihnachten.

Tanja Rest

© SZ vom 24.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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