Marokko:Teehäuser, Bohème und verblichener Glanz

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Nicht mehr Europa und nicht ganz Afrika: Die Hafenstadt Tanger atmet noch das internationale Flair der Kolonialzeit.

Das Schiff aus der südspanischen Hafenstadt Algeciras fährt vorbei am mächtigen Felsen von Gibraltar. Die nach ihm benannte Meerenge, die der Sage nach auf die Spaltung der Erde durch Herakles zurückgeht, wird in ungefähr zwei Stunden überquert, und die schon lange sichtbare nordafrikanische Küste rückt immer näher.

Marokko
:Bilder aus dem Königreich

Ein Königreich für eine Reise. Marokkos Teehäuser, Wüsten und Basare.

Auf der Atlantik-Seite tauchen schließlich die Häuser von Tanger auf - einer Stadt mit einer bewegten Geschichte, die zu Recht noch heute als das Tor zu Afrika gilt.

Mysteriöses Schmuddelimage

Über dem Hafen erhebt sich die Altstadt bis hin zur mittelalterlichen Festungsanlage, der Kasbah. Weiter östlich ragen die Hochhäuser der Neustadt empor, als wollten sie den zahlreichen Hügeln Konkurrenz machen.

Tanger verbindet Traditionen des islamischen Marokkos mit dem Flair einer Metropole aus der Kolonialzeit und dem mysteriösen Schmuddel-Image von Mädchen- und Rauschgifthandel, Schmuggel und Prostitution. Doch all diese Kontraste verleihen der Stadt mit gut 600.000 Einwohnern ihren besonderen Reiz.

Der Hafen von Tanger ist einer der wichtigsten an der Nordwestküste Afrikas. Das wussten schon die Eroberer, die zu allen Epochen hier Fuß zu fassen versuchten.

Eine Stadt mit vielen Herrschern

Gegründet wurde die Stadt im fünften Jahrhundert vor Christus von den Karthagern. Später herrschten hier die Römer und dann die Byzantiner, bevor zu Beginn des achten Jahrhunderts die Araber Einzug hielten. Mitte des 15. Jahrhunderts kamen die Portugiesen nach Tanger und etwa 200 Jahre später die Briten.

1684 wurde Tanger an Marokko übergeben, das kurz vor dem Ersten Weltkrieg wieder von Franzosen und Spaniern besetzt wurde. Im Jahre 1923 erhielt Tanger den Status eines internationalen Gebiets und wurde unter anderem von Frankreich, Spanien, Großbritannien und Italien verwaltet.

Erst am 29. Oktober 1956 wurde die Stadt endgültig an Marokko zurückgegeben. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie sich bereits zum Zentrum des aufkeimenden internationalen Tourismus entwickelt.

Viele westliche Besucher landen im Hotel Continental direkt über dem Hafen, das schon an sich eine Sehenswürdigkeit darstellt. Es wurde um 1890 ganz im Kolonialstil errichtet, wobei sein Interieur viele Elemente islamischer Architektur aufweist.

Ein Kaffee oder Tee auf der Terrasse mit grandiosem Blick auf die Meeresbucht lohnt sich selbst dann, wenn man nicht dort wohnt. Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist aus europäischer Sicht ausgezeichnet und selbst für Rucksacktouristen noch erschwinglich.

Stundenlanges Verweilen im Teehaus

Zahlreiche Straßencafés beziehungsweise Teehäuser prägen das Stadtbild von Tanger. Neben einem starken arabischen Kaffee ist das beliebteste Getränk der "the à la menthe" - ein gesüßter schwarzer Tee mit viel frischer Minze.

Ihn genießt man etwa im Café Colon in der Altstadt oder im Café de Paris am zentralen Platz Mohammed V. Dieser liegt auf einer Anhöhe, wo noch die alten Kanonen stehen, die einst auf Eindringlinge im Hafen abgefeuert wurden.

Die traditionellen Cafés laden zum stundenlangen Verweilen ein, wie es einst für die Kolonialherren üblich war und später für die internationalen Künstler, die Tanger in den 50er und 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts besuchten.

Das Tor zum Herzen Marokkos

Anschließend lohnt sich dann wieder ein Bummel durch die Basare der Altstadt. Die Atmosphäre ist so faszinierend, dass die eigentlichen Sehenswürdigkeiten fast schon zweitrangig werden. Bedeutend sind jedoch die historischen Stadttore sowie der einstige Palast des Sultans in der Kasbah und zahlreiche Moscheen.

Das Tor zu Afrika ist Tanger nicht nur als Anlaufstelle auf dem Seeweg. Man kann von hier aus auch auf dem Landweg ins Innere des Kontinents vordringen, auf jeden Fall aber ins Innere von Marokko.

Vom modernen Bahnhof am südöstlichen Stadtrand fahren oft überfüllte Züge regelmäßig in die alten Königsstädte Fes und Marrakesch. Auch nach Rabat und Casablanca kann man per Bahn beziehungsweise per Bus gelangen und schließlich weiter bis in die Berge des Hohen Atlas oder in die Sahara-Wüste.

Dort erwartet den Besucher eine weitaus deutlichere Dominanz der islamischen und afrikanischen Kultur. Tanger dagegen wird immer eine vorrangig internationale Stadt bleiben, auch wenn der Glanz vergangener Zeiten längst verblasst ist.

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