Lonely Planet in Indien:Eierweise Ruhm

Ramkishan Gawlani stand in seiner Bude in Jodhpur und machte Omelettes. Dann kam der Lonely Planet - und nichts war mehr wie vorher.

Karin Steinberger

Dass sich in seinem Leben etwas Entscheidendes getan hatte, merkte Ramkishan Gawlani am steigenden Eierkonsum. Er konnte gar nicht genug heranschaffen, die Leute waren plötzlich wie besessen - süchtig nach seinen Omelettes.

Omlette Shop Jodhpur

Ist auf unzähligen Fotos von Reisenden zu sehen: Ramkishan Gawlani mit seinem Omlette Shop in Jodhpur.

(Foto: Foto: Steinberger)

Masala-Spanish-with-Cheese-Omelette, Butter-Sweet-Omelette, Michaelbaba-Special-Spanish-Omelette, egal was er machte, sie rissen es ihm aus den Händen. Amerikaner, Engländer, Franzosen, Deutsche, Japaner - irgendwann auch Inder. Plötzlich stritten sie sich um einen Platz auf seinen billigen Stühlen, mitten im Lärm der Straße, und bestellten nichts anderes.

Sein Curry und sein Pulao interessierten keinen mehr. Der Hammel wurde ranzig, der Reis trocken wie der Sand der Thar-Wüste. Es war, als hätte sich jemand auf die gigantischen, alles überragenden Mauern des Mehrangarh-Forts gestellt und mit einem Megafon in die Welt geschrien, dass jeder mit dem Tod bestraft wird, der nicht sofort ein Omelette bei Ramkishan Gawlani isst.

Also aßen sie, ach was, sie fraßen. Es dauerte eine Weile, bis Ramkishan Gawlani verstand, dass diese Menschen zu ihm kamen, weil sie alle das Buch lasen, in dem geschrieben stand, dass es in Jodhpur einen Omelette Shop gibt, gleich hinter dem Tor, nicht weit vom Glockenturm, mitten am Sadar-Markt. Und dass man hier für 15 bis 50 Rupien das beste Omelette Indiens kaufen kann.

Das war 1999, seitdem ist nichts mehr, wie es einmal war. Ramkishan Gawlani steht in seinem Laden, haut ein paar Eier in eine Schüssel, verquirlt sie, haut sie in die Pfanne. Er ist der Omeletteman von Jodhpur. Er macht Omelettes. Was sonst.

Ramkishan Gawlani wusste sofort, dass das nicht irgendein Buch war, sondern das Buch, dass die Leute "die Bibel" nennen, Heiligtum aller Traveller - der Lonely Planet, herausgegeben vom weltweit größten Verlag für Reiseführer, dessen Handbücher in 14 Sprachen und mit einer Gesamtauflage von 55 Millionen erscheinen. Im ganzen Land sieht man Reisende mit dem Lonely Planet India, mehr als 1000 Seiten dick. Wer in diesem Buch steht, ist ein reicher Mann. Gawlani stand jetzt drin.

10.000 Eier in der Woche

Sein Sohn bringt die Speisekarte, Omelette Shopee steht drauf. Der Vater muss arbeiten, nur er kennt das Geheimnis der besten Omelettes Indiens, mit einer Prise Kurkuma, ölig und saftig, zwischen vier Toastscheiben gepresst, ein wenig unansehnlich, aber unübertroffen. "Eigentlich war das ein Fehler, mein Vater hatte gar keinen Omelette Shop, er hatte ein kleines Restaurant, Hammelcurry, Pulaoreis und eben auch Omelettes", sagt der Sohn. Hinter ihm steht der Vater, eingekeilt von meterhohen Eiertürmen, vor sich eine kleine Pfanne.

Er rührt, quirlt, brät, quetscht, mehr braucht er nicht: eine Pfanne und ein Geheimnis.

Aber dann lässt er die Eier doch kurz Eier sein und redet, weil er es manchmal noch immer nicht glauben kann, was da passiert ist vor elf Jahren. Es war wie ein Tsunami. 25 Jahr lang war er nur einer von vielen, einer, der gerade so über die Runden kam. Und dann ein paar Zeilen im Lonely Planet India - und das Leben stand Kopf. Seitdem kauft er nur noch Eier, 10.000 in der Woche, 1000 am Tag, in der Hochsaison auch mal 1500.

"So viele Eier", sagt Ramkishan Gawlani und fährt sich durch das Haar, das orange schillert. Immer öfter muss er sich die Haare mit Henna färben, weil es grau wird und flusig. Was passieren wird, wenn ihm die Kraft ausgeht, um Omelettes zu machen, daran will keiner denken. Er ist eine Legende in Jodhpur, eine ganz große Nummer. In seinem Laden liegen stapelweise Bücher herum mit Zeitungsartikeln, Briefen und Fotos aus aller Welt. Die meisten haben nicht mal seinen Namen geschrieben, ist auch nicht nötig: Omelette Shop, under Clock Tower, Jodhpur, India. Das reicht.

Ramkishan Gawlani hebt das Masala-Omelette aus der Pfanne, quetscht es zwischen die Toastscheiben, ein Tourist wartet, sein Gesicht glänzt vor Vorfreude. 15 Rupien das einfache Omelette, 50 Rupien das Michaelbaba-Omelette, dazu vier Scheiben Toast, 25 bis 80 Cent, billiger kann man nicht satt werden.

Ja, das kann er, Omelettes machen. Seine Jungs können andere Dinge. Sie haben ein gigantisches Schild über den Laden des Vaters gehängt, fast größer als der Laden: "Omelette Shop - highly recommended by Lonely Planet (India) - Le Guide Routard (France) - Lonely Planet (Rajasthan) - Lonely Planet Inde du Nord (Spain) - Lonely Planet (North India) - India 100 Bae (Korean Guide Book's) Be care ful - don't be fooled by Imitationes." Der Sohn warnt: "Wir sind echt, die sind falsch." Dann zeigt er hinter das Tor, wo ganz viele Omeletteshops stehen, einer neben dem anderen, große Schilder, highly recommended, lauter Betrüger, wollen auch was abbekommen vom Ruhm des Ramkishan Gawlani. Aber sie kennen das Geheimnis nicht.

Wenn Lonely Planet zum Problem wird

"Das hier ist der wahre Omeletteman", sagt der Sohn, zeigt auf den Vater, dann deutet er rüber zum Zigarettenladen des Bruders, zum Hotel des anderen Bruders. Sie haben sich ihr ganzes Leben um den Vater herum aufgebaut. Wer Durst bekommt oder eine rauchen will zum Omelette - es bleibt in der Familie.

So ist das mit dem Lonely Planet. 1973 erschien der erste Reiseführer des australischen Ehepaares Wheeler, Nebenprodukt einer langen Reise quer durch Asien. 1981 kam der Lonely Planet India raus und wurde sofort zum Bestseller. Der Rest ist Legende, es heißt, dass Bill Gates nur zwei Leute treffen wollte, als er nach Australien kam: den Premierminister - und Tony Wheeler.

Oben im Norden, in Kaschmir, da hat der Lonely Planet India jetzt wieder mal alles auf den Kopf gestellt. Dort mussten sie den Schrein eines muslimischen Heiligen für Ausländer schließen. Sie wussten sich nicht mehr anders zu helfen. Ein winziger Schrein, und so ein großes Durcheinander. Grund ist ein kleiner Text in der neuesten Ausgabe des Lonely Planet India: "Jesus in Kaschmir?" Das war es.

Der Imam des Rozabal-Schreins kann sich nicht erinnern, jemals so viele Touristen gesehen zu haben. Sie rannten ihm das winzige, grüne Häuschen fast ein. Und alles nur, weil jetzt auch in diesem Reiseführer stand, was schon seit mehr als 100 Jahren als Gerücht kursiert: Dass Jesus Christus in Indien begraben wurde. Und zwar genau in diesem kleinen Schrein. 1890 berichtete ein russischer Reisender das erste Mal davon. Nach ihm unzählige andere, Verschwörungstheoretiker, Autoren, Reisende. Aber jetzt steht es im Lonely Planet India, Seite 290, in millionenfacher Auflage, in allen Sprachen. Jetzt ist es ein Problem.

Gawlani lacht, haut Eier in die Pfanne für ein Plain-Butter-Omelette. Oh ja, er kennt das, da ging es ihm wie dem Heiligen da oben im Norden. Ihm hat es auch von einem Tag auf den anderen das Leben durcheinandergehauen, weil irgendwo weit weg in Australien jemand ein paar Zeilen geschrieben hat. Nie hat er an die Macht der Worte geglaubt. Jetzt bleibt ihm nichts anderes übrig. Mächtiger können Worte nicht werden, oder?

Der Mann, den die Welt nur noch Omeletteman nennt, steht auf einem Schemel, damit er hineinsehen kann in die Pfanne, sein Kittel ist voller Fett. Er sieht müde aus. Die Söhne blättern durch Hunderte Fotos, die den Vater zeigen, umarmt von Chinesen, Deutschen, Italienern, Koreanern. Thank you Mr. Omeletteman.

Im neuesten Lonely Planet India steht jetzt übrigens, dass Ramkishan Gawlani mehrere tausend Eier am Tag verarbeitet. Warum er so viele Eier braucht, steht allerdings nicht drin.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: