London Heathrow:Angst vorm Fliegen

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Der neue Terminal kann das Chaos in Heathrow nicht beseitigen. Viele Briten fordern nun den Bau eines ganz neuen Flughafens.

Wolfgang Koydl

Es mag zwar nur Galgenhumor sein, aber wenigstens einige Passagiere können mittlerweile wieder lachen - wenn es auch noch ein wenig gequält und süßsauer klingt. "Was wollen Sie, ich bin eben ein Abenteurertyp", grinst Patrick Donohue, der gerade an einem Automaten für den British-Airways-Flug von London nach Istanbul eincheckt. "Und wo findet man denn noch echte Abenteuer? Da muss man Terminal5 echt dankbar sein."

Eine völlig neue Flugerfahrung hatten British Airways und die British Airways Authority (BAA), der Betreiber des Londoner Großflughafens Heathrow mit Eröffnung des neuen Terminals, versprochen. Aber schon vom ersten Tag an war es dieselbe alte Heathrow-Erfahrung: Menschenschlangen, Wartezeiten, gestrichene Flüge, und vor allem verlorenes Gepäck: 28.000 Koffer und Taschen haben sich während der vergangenen Tage angehäuft, die nun von Hand aussortiert und ihren Besitzern zugeordnet werden müssen.

Von einer "nationalen Schande" war schon früher im Zusammenhang mit dem überlasteten Flughafen die Rede, und davon, dass sein schlechter Ruf auch der Reputation Londons als internationalem Finanzzentrum schade. Doch dass nun auch das für 5,1 Milliarden Euro teure Vorzeigebauwerk von der Stunde Null an Mängel aufwies, überstieg das Fassungsvermögen auch der abgebrühtesten Kritiker. Der Tiefpunkt kam, als es am Wochenende durch das Glasdach tropfte.

"Wenn jemand beabsichtigt hätte, Terminal 5 zum Synonym für Unfähigkeit und Missmanagement zu machen - Hut ab", meint denn auch spöttisch die Studentin Renée Dubois, die es, wie sie sagt, "riskiert", heim nach Paris zu fliegen.

Schwer zu sagen, ob der Terminal architektonisch ansprechend oder gar schön ist: Moderne Zweckbauten sind ohnehin in erster Linie auf Funktionalität ausgerichtet, und T 5 ist keine Ausnahme. Seelenlos und kalt ist er, vor allem aber groß: Der Hyde Park und Kensington Park Gardens fänden in ihm Platz, und von der Abflughalle im obersten Stock geht der Blick bis hin zur Silhouette von Windsor Castle.

"Auch wir können von uns aus den Flughafen sehen", hatte Prinzgemahl Philip vor der Einweihung des Gebäudes durch die Queen angemerkt. Sehr fröhlich hatte er nicht geklungen. Denn die Royals gehören zu jenen zwei Millionen Anrainern, die vom Fluglärm gepeinigt werden.

Zur Freude der Touristen

Fünf Tage nach der pannenreichen und schmachvollen Eröffnung ist nun erstmals so etwas wie Gelassenheit in dem riesigen Abfertigungsgebäude eingekehrt. Dass es wenigstens dort ruhig geworden ist, kann aber auch daran liegen, dass British Airways vorsorglich abermals 54 Flüge gestrichen hat. Auf den Anzeigetafeln steht hinter den Destinationen Edinburgh und Newcastle, Amsterdam und Frankfurt freilich nicht mehr das Horrorwort "cancelled", sondern der Euphemismus "Enquire Airline". Es ist dann eben die Fluggesellschaft, die auf Nachfrage die schlechte Nachricht übermittelt.

So wenige Passagiere verlieren sich unter der Glaskuppel, dass Pankaj Mahli viele hundert Meter auf- und ablaufen muss, bevor er endlich jemanden findet, dem er helfen kann. "Can I help" steht in grellgelben Buchstaben auf seinem schoko-braunen T-Shirt, das ihn als Mitglied jener Truppe ausweist, die Flughafenbetreiber BAA mit Verzögerung an die Kundenfront geschickt hat, um erzürnte Fluggäste zu beruhigen.

Das BAA-Kommando wird verstärkt durch Dutzende Freiwillige von British Airways in roten Hemden und schwarzen Hosen, durch das reguläre Bodenpersonal der Airline in Ultramarin, und durch niederes BA-Management in schwarzem Blazer mit rot-weiß-blau gemusterten Krawatten. Die Zahl der Hilfswilligen übersteigt, über den Daumen gerechnet, jene der potentiell Hilfsbedürftigen leicht im Verhältnis zehn zu eins.

Mahli schätzt jedoch, dass die stattliche Samariterschar schon bald abgezogen wird. "Wir verfolgen von Tag zu Tag, wie sich die Dinge entwickeln, und sobald sich alles eingependelt hat, sind wir weg", meint er. "Heute funktioniert es ja eigentlich schon. Na ja, fast alles. Die meisten Lifte fahren nicht."

Doch selbst falls eines Tages alles reibungslos läuft in Terminal 5, wird dies Heathrows Probleme nicht beheben. Das Grundproblem dieses Flughafens, der vor 62 Jahren als ewiges Provisorium aus einem Luftwaffenstützpunkt der Royal Air Force entstand, liegt darin, dass er nur zwei Start- und Landebahnen hat. Deren Kapazität ist - bei 480.000 Flügen im Jahr - zu 99 Prozent ausgelastet.

Die Folgen liegen auf der Hand und werden Millionen Fluggästen jeden Tag schmerzlich vor Augen geführt: Es braucht nur ein Passagier zehn Minuten zu spät am Gate sein, und im Nu können sich Verspätungen hochschaukeln, die den gesamten Flugverkehr ins Stocken bringen.

Schon in den kommenden Monaten muss Premierminister Gordon Brown entscheiden, ob seine Regierung eine von British Airways und BAA dringend erwünschte dritte Runway und einen sechsten Terminal genehmigt. Sie argumentieren, dass Heathrow als internationale Drehscheibe in direkter Konkurrenz zu den Flughäfen in Amsterdam, Paris, Madrid oder Frankfurt steht, die zwischen drei und sechs Start- und Landebahnen besitzen und einige - anders als Heathrow - auch noch an die Gleisnetze von Hochgeschwindigkeitszügen angebunden sind.

Damit aber wird Heathrow nie mithalten können, und deshalb fordern immer mehr Fachleute und Laien eine Radikallösung: den Bau eines völlig neuen Airports in der Themsemündung im Osten von London. Nicht nur wäre dort Platz; die Flugzeuge kämen zudem über das Meer herein und nicht über bebaute Wohnflächen. Heute fliegen sie die Themse entlang quer über die Londoner Innenstadt - zur Freude der Touristen mit Fensterplatz, die von der Tower Bridge über Big Ben bis zu Hampton Court alle Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt unten vorbeigleiten sehen.

Experten freilich beschleicht Beklemmung angesichts dieses Risikos. Für sie ist es nur eine Frage der Zeit, bis eine Maschine über der Stadt abstürzt. Wie akut diese Gefahr ist, wurde erst unlängst deutlich, als eine Boeing 777 absackte, kurz bevor sie die Landebahn in Heathrow erreichte.

Einstweilen müssen die Briten nur Häme erdulden. Außenminister David Miliband enthüllte, dass seine EU-Kollegen ihn wegen des "Chaos-Terminals" verspottet hätten. Einem Minister aber war das Witzeln vergangen. Heathrow hatte auch seinen Koffer verschluckt.

© SZ vom 02.04.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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