Laufband durch Hongkong:Sightseeing mit der Rolltreppe

In Hongkong fährt die längste Außenrolltreppe der Welt den Berg hinauf. Wie praktisch, dass an ihr so viele Bars und Kneipen liegen. Wer sich hier niederlässt, an dem zieht das Leben buchstäblich vorbei.

Harald Hordych

Der Geschäftsmann aus München wird heute Abend zu den Engländern gehen. Er weiß, da, wo die Engländer sind, ist die Stimmung gut. Zumindest in der Zeit, die von den Engländern so selbstverständlich okkupiert wird wie sonst nur noch die nachmittägliche Teatime: am Feierabend. Der deutsche Geschäftsmann, der in Hongkong und Shanghai die Dependancen einer international arbeitenden PR-Agentur leitet, steuert hierfür die Treppe an. Denn beim Afterwork lieben es die Engländer, mal eben auf ein Bier zur Treppe zu gehen.

Hongkong Central in China - die Stadt mit der Rolltreppe

Eigentlich ist es nicht eine einzige, sondern viele aneinandergereihte Rolltreppen, die 800 Meter und 135 Höhenmeter durch den Stadtteil Central führen.

(Foto: Jörg Buschmann)

Die Treppe, das ist in Hongkong das, was in Rom die Spanische Treppe ist. Sammelpunkt und Attraktion. Passend zu dieser ultramodernen Stadt der glitzernden Hochhäuser ist diese Treppe allerdings kein kulturhistorisches Schmuckstück, auf deren Stufen sich Touristen niederlassen, um Entspannung zu finden. Die Treppe ist in Hongkong eine Rolltreppe.

Und niemand geht zu einer Rolltreppe, um sich auf ihren Stufen dauerhaft niederzulassen. Wie Hongkong und seine Bewohner ist auch deren berühmteste Treppe unablässig in Bewegung. Aber neben der Treppe ist Zeit und Raum genug, um auf das Ende des Tages und den Anfang der Nacht anzustoßen.

Auf Hongkong Island, wo sich die höchsten und beeindruckendsten Wolkenkratzer der Sieben-Millionen-Stadt in die Höhe schrauben, weisen auch die Straßen einen sportlichen Neigungswinkel auf. Dort, wo das Herz der ehemaligen britischen Kronkolonie schlägt, im Stadtteil Central und in den angrenzenden Vierteln, machen Berge den Architekten seit jeher zu schaffen. Dieser Teil Hongkongs gehört zu den weltweit am dichtesten besiedelten Stadträumen.

Das rasant wachsende Hongkong stieß hier an natürliche Grenzen. Die Stadt kroch deshalb die Berge hinauf, bis die Ingenieurskunst an jäh in die Tiefe stürzenden Schluchten kapitulierten musste.

Folglich bleibt es auf Hongkong Island keinem Fußgänger erspart, beträchtliche Höhenunterschiede zu überwinden - sofern man sich nicht damit begnügt, einer der langen in Ost-West-Richtung verlaufenden Straßen zu folgen.

Wer indes sein Augenmerk gen Süden, zu den Berggipfeln und dem berühmten Aussichtspunkt Peak Tower richtet, der muss Kletterpartien auf unzähligen Treppenstufen in Kauf nehmen. Auf diese nicht nur in der schwülen Hitze der Sommermonate kräftezehrende Herausforderung fanden die Ingenieure Hongkongs eine passende Antwort.

Stillstand ist nicht vorgesehen

Unnötig vergeudete Kraft? Nicht in dieser auf Fortkommen ausgerichteten Stadt. Stillstand? Ist hier nicht vorgesehen. Also bauten sie 1993 eine 800 Meter lange Rolltreppe den Berg hinauf, die 135 Höhenmeter überwindet. Sie ist so programmiert, dass die Funktionstüchtigkeit dieser Stadt so wenig wie möglich eingeschränkt wird.

Hongkong Central in China - die längste Außenrolltreppe der Welt

Bis zu 25 Minuten benötigt das sich aus vielen Rolltreppen zusammensetzende Laufband von der Des Voeux Road bis zum Endpunkt an der Conduit Road, unweit einer kleinen, versteckt gelegenen Moschee. Doch man sollte immer wieder aussteigen, um die kleinen Läden und Bars zu erkunden.

(Foto: Jörg Buschmann)

Bis zehn Uhr morgens fährt die längste Außenrolltreppe der Welt nach unten, um die Massen von hochbezahlten Angestellten von ihren teuren, weil hochgelegenen Apartmenttürmen zu den Bürokomplexen der Banken und anderen Wirtschaftszentralen zu transportieren. Weil die Zahl derer, die sich danach noch auf dem Weg in die Büros befinden, sehr überschaubar ist, ändert die Bahn nach zehn Uhr morgens die Fahrtrichtung und rollt bis Mitternacht immerzu nach oben, zu den Wohnresidenzen im Stadtteil Mid Levels.

Bis zu 25 Minuten benötigt das sich aus vielen Rolltreppen zusammensetzende Laufband von der Des Voeux Road bis zum Endpunkt an der Conduit Road, unweit einer kleinen, versteckt gelegenen Moschee.

Während das Band den Besucher die Berge hinaufbefördert, ziehen zahlreiche Bars, Restaurants und Boutiquen seine Blicke auf sich. Nun kann man streiten, was zuerst da war: die Treppe oder die Attraktionen in den beiden Stadtteilen, die Hongkongs höchste Dichte von Bars, Nachtclubs und Restaurants europäischer Prägung haben.

In Lan Kwai Fong beginnt die Reise, bald darauf folgt SoHo, dessen Name Rückschlüsse auf die Nationalität seiner größten Besuchergruppe zulässt. So wird die Fahrt zu einer echten Herausforderung für genussfreudige Zeitgenossen. Es ist schon sehr verlockend, auf dieser kostenlosen Stadtrundfahrt die Rolltreppe immer wieder zu verlassen und an den vielen Übergangspunkten, an denen ein Förderband vom nächsten abgelöst wird, auszusteigen und sich in den Trubel der asiatisch-europäischen Metropole zu stürzen.

Die Gasse entlang der Rolltreppe selbst ist wenig ansehnlich. Von architektonischen Sehenswürdigkeiten ist sie vollkommen unbelastet.

Eine Illusion von draußen

Da aber in Hongkong nichts so kostbar ist wie Raum, sei es zum Wohnen, Verköstigen oder Verkaufen, hält sie ein denkbar großes Angebot parat. Und da zwischen Band und Häusern nur ein paar Meter liegen, wird man praktisch nie das Gefühl los, man bräuchte nur den Arm auszustrecken, und der Barmann hinter der Theke reicht einem schon das nächste frisch gezapfte Bier aufs Förderband.

Hongkong Central in China - die längste Außenrolltreppe der Welt

Platz ist kostbar in Hongkong, also drängt sich alles dicht an dicht - ob Mensch oder Tier.

(Foto: Jörg Buschmann)

Animierend wirkt auch die Tatsache, dass alle Restaurants und Bars zur engen steilen Gasse weit geöffnet sind und keine hinderlichen Türen oder spiegelnden Fenster den Blick ins Innere der Gastronomie behindern. Da die feuchte Hitze Hongkongs sprichwörtlich ist, sehnt sich hier niemand nach geschlossenen Räumen, auch wenn Klimaanlagen in jeder Kneipe, jedem Imbiss, jedem Restaurant unverzichtbarer Teil der Ausstattung sind.

Am liebsten gönnen sich die Leute die Illusion, draußen zu sein, während sie gleichzeitig den kühlen Luftstrom der Ventilatoren und Kühlanlagen des Innenraums genießen, also an der idealen Nahtstelle von drinnen und draußen sind. Die Theken am Eingang jeder Kneipe sind wie Theaterbühnen, auf denen sich die Feierfreudigen nach Kräften vergnügen.

40.000 Briten leben und arbeiten immer noch in Hongkong, hauptsächlich im Finanzsektor. Hier in Central, im europäischsten Teil der Stadt, treffen sie sich am liebsten, um Geselligkeit zu zelebrieren. Also wachsen im Lauf des Abends die Trauben vor den kleinen schlauchartigen Bars, die nur mit einem schmalen Eingang für sich werben können. Wer auf der Rolltreppe unterwegs ist, unternimmt eine Besichtigungstour, die weniger auf architektonische denn auf ethnologische Weise anregend ist.

Sie eröffnet jedem Fahrgast ganz nebenbei die Möglichkeit, sich auf bequeme Weise einen Überblick zu verschaffen, wo die Lokalitäten überlaufen sind, wo gerade am lautesten gelacht und gesungen wird, und wo es einen guten Platz an der Bar zu ergattern gibt.

Nun gibt es in Hongkong eher gute und eher schlechte Zeiten, um sich nachts mit einem kühlen Getränk auf die Straße zu stellen. Ausgerechnet in den Sommermonaten von April bis Oktober, in denen es leicht heißer als 30 Grad wird, herrscht der Monsun, und an jedem zweiten Tag prasselt starker Regen herab. Das wiederum hält die feiererprobten Briten nicht vom Biertrinken ab und stört andererseits die Menschen auf der Rolltreppe überhaupt nicht.

Denn die ist den südostasiatischen Gegebenheiten angepasst und natürlich auf der gesamten Strecke überdacht. Im Grunde ist diese Bahn, an der das Leben ins Rollen kommt, wie ein öffentliches Verkehrsmittel mit Stationen zum Ein- und Aussteigen, denn einfach abspringen kann man nicht.

Leben mit der Rolltreppe heißt für die Menschen, die sich im Bereich der Bars, Restaurants und Cafés niederlassen, auch einen Logenplatz an einem nie enden wollenden Laufsteg der Eitelkeiten und des Alltags der Hongkong-Chinesen erobert zu haben.

Wer seinen Platz an den zur Straße gelegenen Bars einnimmt, an dem rollt das Leben aufs herrlichste vorbei, nicht zu schnell und nicht zu langsam schaufelt die Treppe Touristen in den unvermeidlichen Bermuda-Shorts vorbei, genauso wie elegant gekleidete Damen, die nichts weniger als Sightseeing im Sinn haben.

Je höher, desto teurer

An den Handgelenken baumeln nicht nur Gucci-Täschchen, sondern auch die Plastiktüten aus dem Supermarkt, gefüllt mit Lebensmitteln für den Feierabend. Je höher die Passagiere auf der Treppe fahren, desto höher ist in der Regel auch ihr sozialer Status anzusiedeln. Die Apartmenthochhäuser rund um den Victoria Peak bilden den teuersten Wohnraum, der in der ehemaligen britischen Kronkolonie zu erwerben ist. Je höher am Berg, desto teurer.

SZ Grafik Reise

Rollen statt schwitzen: Statt Treppen zu steigen stellen sich die Einwohner Hongkongs einfach aufs Band.

(Foto: SZ Grafik)

Bei der Gelegenheit verspürt der vom Barhocker auf die rollende Treppe blickende Fremde übrigens eine Sehnsucht, die selbst das technisch hochgerüstete Hongkong nicht erfüllen kann. Wie schön wäre es manchmal, mittels Fernbedienung die Treppe noch einmal rückwärts fahren zu lassen, um Hongkongs schillernde Menschen in Ruhe ein zweites und drittes Mal betrachten zu können.

Informationen

Anreise: Mit Cathay Pacific von Frankfurt nach Hongkong, hin und zurück ab rund 800 Euro, www.cathaypacific.com

Unterkunft: Regal Hong Kong Hotel, DZ ab 182 Euro. Tel.: 00852/28815188, www.regalhotel.com

Allgemeine Auskünfte: Hongkong Tourism Board, Humboldtstraße 94, Frankfurt am Main, Tel.: 069/9591290, www.discoverhongkong.com

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: