Längste Rodelstrecke der Alpen:"Keine Angst! Und nicht bremsen!"

Furchtlos am Faulhorn: Die Rodelstrecke in Grindelwald bietet einen sagenhaften Eiger-Blick - wenn man hinschauen kann.

Jochen Temsch

Und, gibt es einen speziellen Spezial-Tipp von einem erfahrenen Schweizer, wie man eine Rodelpiste am schnellsten hinunterflitzt? "Ganz einfach", sagt Hans Schlunegger, "Beine anheben, Bauchmuskeln anspannen, keine Angst haben und nicht bremsen." Das funktioniert auf einem flachen Hügel im Stadtpark genauso gut wie hier, hoch über Grindelwald: auf der Schlittenstrecke "Big Pintenfritz", 15 Kilometer Länge, 1650 Höhenmeter - die längste Rodelbahn der Alpen.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Hans Schlunegger, 66 Jahre alt, von der Höhensonne gebräunt, roter Bergführer-Anorak, eine Thermoskanne stark gesüßten Kräutertees im Rucksack, hat vor seiner Pensionierung ein Vierteljahrhundert lang im Tourismus seines Heimatdorfes gearbeitet. Er war dabei, als die Rodelpiste, schweizerisch: Schlittelbahn, vor gut 30 Jahren in Betrieb genommen wurde. Heute führt er immer noch ab und zu kleine Gruppen an den Start auf dem 2681 Meter hoch gelegenen Faulhorn.

Per Gondelbahn geht es mit den Skifahrern zur Bergstation First, die restlichen 500Höhenmeter stapft man auf einem steilen, breit gespurten Wanderweg in zweieinhalb Stunden hoch. Der Schnee glitzert in der Sonne, Gämsen stehen zu Dutzenden zwischen den Felsen, hin und wieder grüßen Skitourengeher.

Das Faulhorn ist seit jeher ein beliebtes Touristenziel im Berner Oberland, dank seines Panoramas: im Süden Eiger, Mönch, Jungfrau und die Viertausender des Wallis, nach Nordwesten, über Thuner- und Brienzersee, eine Fernsicht bis in den Jura. Schon 1830 errichtete man ein Hotel auf dem Faulhorn-Gipfel. Erste Prominenz nächtigte bereits in der Baubaracke. So ist eine Notiz des Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy überliefert: "Hu! Wie mich friert. Es schneit draußen mit Macht, stürmt und wütet. Da sitze ich nun...im höchsten Wirtshaus in Europa."

Alles Nötige bringt der Hubschrauber

Die vornehmen Gäste mussten bei ihrer Anreise keinen Schweiß vergießen. Die Damen trug man auf Sänften empor, das umfangreiche Gepäck kam auf Maultieren hinterher. Auch Hans Schlunegger, der als Bub auf der Alp seines Onkels beim Viehhüten half, erinnert sich noch an den Säumer, der Lasttiere aufs Faulhorn führte. Heute bringt ein Hubschrauber alles Nötige, und das schmucklose Berghotel ist auf den ersten Blick kaum von einer gewöhnlichen Schutzhütte zu unterscheiden.

Ein verwittertes Schild weist auf das Alter der Gebäude hin, im Winter ist wegen Wassermangels geschlossen. 40 Jahre lang herrschte hier der Wirt Fritz Bohren, genannt Pintenfritz - eine Legende in Grindelwald. Er starb auf dem Faulhorn, wie es sein Wille war. Die Rodelbahn ist nach ihm benannt.

Breit genug für Überholmanöver

Vom Berghotel aus schlängelt sich die Piste zunächst 1000 Höhenmeter bis zur Bussalp hinab. Es geht nicht etwa über Wege, sondern über wellige Almwiesen, was das Präparieren schwierig macht. "Noch vor 30 Jahren konnte man sich nicht vorstellen, durch diese Hänge eine Spur zu legen", erzählt Schlunegger. Heute wird der Schlittelweg mit Pistenwalzen und von Hand bearbeitet. Zur Not schaffen die Leute der Betreiberfirmen - Firstbahnen und Grindelwaldbus - den Schnee für löchrige Stellen mit Milchkannen herbei.

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(Foto: Stephan Rumpf)

So haben die Urlauber eine Abwechslung zum Skifahren, und die Bergrestaurants dürfen sich auch im Winter über Kundschaft freuen. Ein Fondue auf der Bussalp zum Beispiel gibt es am Wochenende nur mit Reservierung.

Verzagte brauchen doppelt so lange

Wer Schluneggers Tipps - Beine hoch! Keine Angst! - beherzigt, ist in 20 Minuten vom Faulhorn vors Restaurant gefahren. Verzagtere brauchen doppelt so lange. Die Piste ist breit genug für Überholmanöver. Sie ist nicht zu steil und nie zu flach, allerdings durchaus mit ein paar kurzen Adrenalin-Passagen gespickt, in denen man seine Hacken besser am Boden lässt. Die Kurven sind weit, so dass auch mittelmäßige Piloten über die Runden kommen. Fragt sich nur noch: womit?

Hans Schlunegger schwört natürlich auf den Grindelwalder Schlitten. Der hebe sich von seinem Hauptkonkurrenten, dem Modell Davos, durch gelagertes, härteres Holz ab, wodurch sich die Kufen nicht so schnell verzögen. Außerdem sind die Latten der Sitzfläche für besseren Halt quer unterteilt. Auf sein eigenes, zig Jahre altes Exemplar hat Schlunegger ein Namensschild geschraubt.

Noch abenteuerlicher wird der Ritt auf einem Velogemel, einer Kreuzung aus Fahrrad und Schlitten. Statt Rädern sind bewegliche Kufen an einem Holzgestell mit Sattel angebracht. Erfunden hat diesen Alpen-Chopper vor 100 Jahren der gehbehinderte Holzschnitzer Christian Bühlmann. Auf schmalsten Wegen, auch auf flachen Passagen, kommen Velogemel-Fahrer schnell voran, ohne abzusteigen - sie stoßen sich mit den Beinen ab und sitzen hoch genug, um ihre Kleidung nicht vollzuspritzen.

Nur zu weich darf der Schnee nicht sein, sonst verkantet die vordere Kufe und der Fahrer segelt über den Lenker. Zu besichtigen ist das jedes Jahr im Februar bei der Velogemel-WM, einem Jedermann-Rennen mit Zieleinlauf auf der Bussalp.

Ein Unikat fürs Leben

Dort trifft man die Schlitten-Profis. Den 42-jährigen Postboten Mänu Rüfenacht zum Beispiel, der auf seinem Velogemel neben Kollegen in der Morgensonne sitzt, Weißwein trinkt und Tabak schnupft. Bis 1989 stellte er seine Pakete mit einem Fiat Panda zu.

Längste Rodelstrecke der Alpen: In der Velogemel-Werkstatt

In der Velogemel-Werkstatt

(Foto: Stephan Rumpf)

Auf dem Dach war der Fahrradschlitten befestigt, für die letzten Meter zu eingeschneiten Gehöften. Wer seinen privaten Gemel beruflich nutzte, bekam von der Post einen Franken pro Tag, erzählt Rüfenacht. Auch Brotlieferanten und Handwerker nutzten das Vehikel. "Wenn etwas im Winter von Grindelwald funktioniert, funktioniert es überall", sagt Rüfenacht.

Inzwischen fahren die Postboten mit dreirädrigen Elektromobilen, der Velogemel ist nur noch ein Spaßgerät. Hergestellt wird er ausschließlich in Grindelwald, bei der Firma Rubi Holzbau, die aus der Sägerei Bühlmanns hervorgegangen ist und an derselben Stelle im Ortsteil Schwendi steht. Schreiner Christian Suter und Kollegen fertigen neben Fenstern, Küchen und Türen rund 50 Velogemel pro Jahr in Handarbeit - "als Lückenfüller", wie Suter sagt, das Stück für umgerechnet 400 Euro, wenn gerade nicht so viele andere Aufträge anstehen.

Die Rahmen werden aus dem elastischen Holz der Esche, Sattel, Lenker und Kufen aus dem harten Bergahorn gefertigt. Nachahmer gebe es nicht, sagt Suter, es lasse sich zu wenig damit verdienen. "So ein Unikat hat man für sein Leben", sagt er.

Aber ein Surfbrett wäre diesen Winter auch nicht verkehrt. Es hatte schon mal mehr Schnee auf der Rodelpiste. Weil sie außerdem komplett in der Sonne liegt, wird die Spur ab der Bussalp ins Tal, jetzt auf einer Straße, immer matschiger. An der Schlittel-Bar am Weidli ist Schluss, solange kein neuer Schnee fällt. Busse befördern die Schlittler von hier nach Grindelwald oder für weitere Abfahrten zurück auf die Bussalp.

Hans Schlunegger macht Feierabend. Etwas weiter oben, an der Steintorbar-Hütte, gibt es weißen Glühwein, schwärmt er - der letzte Spezialtipp für heute.

Informationen

Anreise: Mit der Bahn von München nach Grindelwald und zurück, Normalpreis ab 250 Euro, www.db.de, www.sbb.ch

karte rodeln

Ganz schön weit: die längste Rodelstrecke der Alpen.

(Foto: SZ Grafik)

Unterkunft: Hotel Belvedere Grindelwald, DZ mit HP ab 218 Euro, Tel 0041/338 88 99 99, www.belvedere-grindelwald.ch

Schlitteln: Firstbahn ca. 24 Euro, Busfahrten zwischen Grindelwald und Bussalp ca. 16 Euro, von Weidli nach Bussalp ca. 12 Euro.

Schlittelmiete: Sportgeschäfte oder Firstbahn in Grindelwald, First oder Bussalp, Velogemel am Bahnhof, ca. 11 Euro pro Tag.

Weitere Auskünfte: www.jungfrau.ch, www.velogemel.ch, www.myswitzerland.com

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