La Roldana:Unfassbar schön

La Roldana: Christus am Kreuz von Luisa Ignacia Roldán. Die Skulptur wurde vom Auckland Castle Trust/Zurbarán Trust zur Verfügung gestellt.

Christus am Kreuz von Luisa Ignacia Roldán. Die Skulptur wurde vom Auckland Castle Trust/Zurbarán Trust zur Verfügung gestellt.

(Foto: Stefan Heigl)

Unter den Bildhauern Spaniens nimmt Luisa Ignacia Roldán eine Sonderstellung ein - als Frau wie als Meisterin ihres Fachs, die letztendlich in Armut stirbt.

Von Evelyn Vogel

Die Figur hält den Kopf gesenkt und leicht zur Seite geneigt, sodass das Haar auffällig in breiten Strähnen herunterfällt. Die Augen unter schön geschwungenen Brauen sind geschlossen, der Mund ist leicht geöffnet. Eine fast kontemplative Ruhe geht von diesem Gesicht aus. Hingegen ist der Körper mit Wunden geradezu übersät. Da sind nicht nur die riesigen Einschlaglöcher der Nägel an Händen und Füßen sowie der Lanzenstich in der Seite des Oberkörpers, die stark bluten. Auch von den Knien, vom ganzen Leib und vom Kopf rinnt Blut. Auf den aufgemalten Blutspuren prangen Tropfen aus glitzernden roten Glasperlen. Wäre es nicht so unangebracht, man müsste sagen: dieser Christus am Kreuz von Luisa Ignacia Roldán, genannt "La Roldana", ist unfassbar schön.

Die Skulptur ist eine der kleinsten in der Ausstellung "Spaniens Goldene Zeit". Geradezu winzig im Vergleich mit Kreuzigungsdarstellungen in der Malerei an anderer Stelle oder mit Gregorio Fernández' Spätwerk "Toter Christus", einer lebensgroßen Figur, die gleich nebenan aufgebahrt liegt. Doch wer den wie eine sakrale Gruft inszenierten Ausstellungsraum in der Kunsthalle betritt, dessen Blick wird unweigerlich von der geschnitzen Figur des Jesus am Kreuz von Luisa Roldán angezogen. Nicht nur, weil sie gleich gegenüber dem Eingang hängt und weil diesem Jesus am Kreuz das Kreuz fehlt. Vor allem sind es die Ausdruckskraft der geschnitzten Figur und die naturalistischen Details der Ausstattung, die dem nur knapp 43 Zentimeter kleinen Christus seine unvergleichliche Größe verleihen.

In der spanischen Bildhauerei des 17. Jahrhunderts standen religiöse Themen im Mittelpunkt, weltliche waren zweitrangig. Auftraggeber war die Kirche oder der Adel, der Ausstattungen für Privatkapellen bestellte. Die Skulptur spielte für die katholische Kirche deshalb eine besonders große Rolle, weil die dreidimensionalen Gestalten die religiöse Botschaft den Gläubigen noch näherbrachten als Gemälde. Wie sie vor den Betrachtern standen, lagen oder sich ihnen von den Wänden her zuneigten, wirkten sie lebendiger, nahbarer, fassbarer als jedes Bild.

Am gefragtesten waren Skulpturen aus Holz. Sie waren weniger fragil als beispielsweise solche aus Blei, Terrakotta oder Wachs. Holz war leichter zu bearbeiten als Marmor und wärmer in seiner Ausstrahlung. Vor allem aber konnte man die geschnitzten Figuren nachträglich bemalen. Bildhauerei und Malerei gingen hier eine perfekte Symbiose ein.

Mit dem sogenannten Polychromieren von Holz konnte man die menschliche Haut fast lebensecht nachahmen. Die Textilien wurden an Kanten und Rändern dekoriert mit Bemalungen, die wie Stickereien oder Edelsteinborten aussahen. Um die Figuren noch lebensechter wirken zu lassen, verwendeten die spanischen Bildhauer Augen und Tränen aus Glas, Nägel aus Stierhorn, Zähne aus Elfenbein sowie Kork und Pergament zur Modellierung blutunterlaufener Wunden. Dadurch erzielten sie einen größtmöglichen Realismus. Zu der Plastizität kamen also zahlreiche, die naturalistische Illusion verstärkende Kunstkniffe. Darin brachte man es zu einer wahren Meisterschaft.

Viele Werke sind nicht eindeutig zuzuordnen, da Frauen keine Verträge unterzeichnen durften

Unter diesen Meisterbildhauern ragt Luisa Roldán heraus, geboren 1652 in Sevilla, gestorben 1706 in Madrid: Eine Frau in einem Beruf, der von Männern dominiert war, und zu einer Zeit, in der die Hinwendung einer Frau zur Kunst höchstens als Freizeitvergnügen höherer Töchter in Mode war. Heute gilt "La Roldana" als die erste bedeutende Bildhauerin Spaniens. Und blickt man in die Kunstgeschichte, blieb sie es für lange Zeit. Nicht nur in Spanien.

Luisa lernte in der Werkstatt ihres Vaters, des Barockbildhauers Pedro Roldán. Ihr Mann Luis Antonio de los Arcos arbeitete als Bemaler von Skulpturen. Die Familie - sie hatten sieben Kinder, von denen fünf im Laufe der Jahre starben - zog 1689 nach Madrid. Hier wurde Luisa Roldán vor allem durch ihre kleinen polychromierten und vergoldeten Skulpturengruppen aus gebranntem Ton berühmt. Aus dieser stammt auch die Gruppe "Die Jungfrau Maria als Kind mit den Heiligen Joachim und Anna". Eine schöne häusliche Szene, wohl für eine private Andachtskapelle geschaffen, die durch die beiden Engel dem Profanen enthoben wird. Nur die extreme Farbigkeit lenkt leider ein wenig von der bildhauerischen Qualität der Gruppe ab.

Karl II. und sein Nachfolger Philipp V. gehörten zu den Auftraggebern von Luisa Roldán. Schließlich wurde sie sogar zur Hofbildhauerin ernannt und ging als "La Roldana" in die Geschichte ein. Trotz ihrer bemerkenswerten Karriere starb sie in Armut. Viele ihrer Werke können nicht eindeutig zugeordnet werden - Frauen durften damals keine Verträge unterzeichnen.

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