Kuriose Stadtführung:Wien kann so hässlich sein

Ein Engländer, der bei der "Vienna Ugly Tour" die scheußlichsten Gebäude Wiens zeigt? Das gefällt sogar Österreichern.

Von Cosima Weiske, Wien

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Quelle: Cosima Weiske

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Eine Touristengruppe steht vor dem Johann-Strauss-Denkmal im Wiener Stadtpark: Nicht obwohl es ausgesucht kitschig ist, sondern gerade deswegen. Die goldglänzende Statue des "Walzerkönigs" erinnert eher an Schlager-Geiger André Rieu mit aufgeklebtem Schnurrbart - die halb entblößten Marmorfiguren, die wohl Musen sein sollen, machen den Anblick auch nicht besser. Dieses viel fotografierte Denkmal versinnbildlicht alles, was Tourguide Eugene Quinn an Wien hasst. Der Engländer veranstaltet einmal monatlich die "Vienna Ugly Tour", bei der er den Besuchern eine ganz besondere Seite von Wien zeigt: die hässlichste.

Nun ist Wien nicht unbedingt eine hässliche Stadt. Sie mag zuweilen morbide und abweisend wirken, aber selbst an einem grauen Januartag mit Nieselregen ist der erste Bezirk mit seinen Prachtbauten gut besucht: Zahlreiche Touristenbusse parken auf dem Heldenplatz. Es ist schwierig, nicht in eines der vielen Fotos zu laufen, die Urlauber vom nostalgische Wien knipsen. Genau diesem makellosen Stadtbild will Eugene Quinn etwas entgegensetzen. Und das kommt an, sogar und vor allem bei den Wienern: Viele Teilnehmer seiner Tour zu den skurrilsten Bauten und Bausünden leben in der Stadt.

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Eines der seltsamsten Ziele der "Ugly Tour" ist am Karmelitermarkt das "Haus der Zeit" mit seiner wilden Pastell-Fassade. Obwohl diese auf den ersten Blick den Anschein erweckt, sie stamme aus dem 19. Jahrhundert, ist das Haus in den 1980er Jahren von einem Glücksspiel-König erbaut worden. Die nackten Frauenkörper auf der Fassade stellten angeblich Geliebte des Bauherrn dar, erklärt Guide Quinn. Die Gesichter der Damen blieben leer, wohl das einzig Dezente an dieser Fassade.

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Schiefe Münder, Schlangenlinien und spermienähnliche Kaulquappen überziehen das Gebäude. "Das Schöne ist irgendwie banal - es ist das Hässliche, das sich in die Erinnerung einbrennt", sagt Tourguide Quinn, und: "Es ist wie ein Unfall, man kann einfach nicht wegsehen."

Eine allgemeingültige Definition des Hässlichen gibt es natürlich nicht, wie bei der Schönheit liegt sie im Auge des Betrachters. Deshalb wird auf Quinns Tour auch nach jeder besuchten Scheußlichkeit demokratisch abgestimmt, ob sie denn nun hässlich ist oder doch Kunst. Das "Haus der Zeit" findet an diesem Vormittag aber kaum Befürworter.

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Zwischen den Marktständen geht es weiter über den Karmelitermarkt, bis Quinn die Gruppe auf einen goldenen Dachausbau hinweist. Die Glaskonstruktion darunter macht nicht gerade einen wohnlichen Eindruck, dem ist ein goldener Riegel vorgeschoben.

Gerade der Karmelitermarkt steht oft im Zentrum von Gentrifizierungs-Diskussionen. Ob das gülden-protzige Gebilde auf dem Dach eines Jugendstilhauses ästhetisch ansprechend ist? Die Gruppe ist geteilter Meinung: hässlich oder doch akzeptabel? "Es ist schrecklich, was nach der Liberalisierung der Bauvorschriften passiert", sagt eine ältere Dame. Ihr Mann, der daneben steht, nickt zustimmend. Zumindest die beiden sind sich einig: So geht es ja nicht.

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Diese bunte Fassade mit den - erst auf den zweiten Blick sichtbaren - knopfäugigen Gesichtern wäre vielleicht gelungen, wenn die Erbauer nicht an den Kacheln gespart hätten. Der wilde Farbmix mit den geometrischen Formen bedeckt nur einen Teil der Wand in der Großen Schiffgasse, darunter kommt überall der graue Putz zum Vorschein. Trotzdem gibt die Gruppe für dieses Gebäude eine milde Wertung ab. Wahrscheinlich sind die Knopfaugen einfach zu putzig.

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Zum First hin werden die bunten Kacheln immer weniger, doch auch hier oben sind noch Gesichter geklebt. Die "Vienna Ugly Tour" ist wohl eine der wenigen Stadtführungen, an der hauptsächlich Einheimische teilnehmen. "Ich finde es irgendwie skurril, dass ich den Wienern ihre eigene Stadt zeige", sagt Quinn, "aber das hat viel damit zu tun, wie die Stadt sich selbst präsentiert." Ihn stört es, dass sich die Walzerstadt Wien in einem perfekten Licht darstellt, das nur kurz leuchtete und längst getrübt ist.

"Die Stadt hatte mal einen Moment, als sie wichtig war, zwischen 1819 und 1912. Jeder versteht dieses Wien und die schönen Ideen, die aus dieser Zeit stammen, die Kunst und die Avantgarde", sagt er. Doch andere, offizielle Tourguides präsentierten Quinn zufolge ausschließlich dieses romantische Stadtbild. Nicht einmal die rußschwarzen Flaktürme aus der Nazizeit seien Teil der offiziellen Führungen, weil man fürchte, es sich mit den Walzer- und Sachertorten-Liebhabern zu verderben. Diese Angst hat der Engländer in Wien nicht.

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Angst könnten aber Passanten in der Hollandstraße bekommen, wenn sie sich dem "Collegium Hungaricum" nähern, dem ungarischen Kulturinstitut. Dessen Fassade wölbt sich heraus und läuft nach unten hin spitz zu, als wolle sie sich auf die Straße ergießen. Stacheln aus Aluminium und eine Farbkomposition aus Weiß, Rot, Grün und Grau: Hier ist etwas architektonisch gewaltig schief gelaufen.

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Die Aluminiumkonstruktion an der Fassade erinnert an verbogene Stützen eines Zirkuszelts. Die verzogene Fassade und die teils rot ausgemalten Fensternischen fügen sich disharmonisch ins Bild. Wer hier Ungarisch lernt, dem bleiben gewiss noch andere Dinge als Vokabeln in Erinnerung.

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Das Ufer des nahen Donaukanals ist zur Ausgehmeile geworden, die zahlreichen Bars stellen hier im Sommer Liegestühle auf und verkaufen Wodka Mate und Cider an das junge Publikum. Nur: Zwischen Marien- und Schwedenbrücke verdirbt die Schiffstation die Aussicht. Die wuchtige Konstruktion hat den Charme eines gestrandeten Kreuzfahrtdampfers, auf dem Rentner für ihre giftpinken Cocktails mit Muschelketten bezahlen.

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Selbst beim Gesundheitsministerium wurde auf das Wohlergehen des ästhetischen Empfindens wenig Wert gelegt. Im Inneren des grün-blauen Ministeriums gibt es einen Festsaal für 400 Personen, die dort auf Tageslicht verzichten müssen. Dafür kann man sich im Foyer die Haare schneiden lassen und beim Backshop einkaufen. Die Touristengruppe umringt eine schwarze Statue, zu deren Füßen eine Tafel angebracht ist: "Das Bekenntnis unserer Bauherrschaft zur kulturellen Verantwortung war die Voraussetzung, in kreativer Zusammenarbeit die künstlerische, soziologische und technische Dimension dieses Hauses zu bewältigen." Na, dann.

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Der Ministeriums-Friseursalon wirbt mit Haarschnitten, die manche pfiffig nennen. So wirkt das Foyer zumindest weniger autoritär, als man es von anderen Regierungsgebäuden kennt. Auch Kameras oder Sicherheitsschleusen sind keine zu sehen. Dafür entdecken die Besucher im etwas dunkel geratenen Eingangsbereich, dass dieser von sechseckigen Säulen mit Aluminiumkrone gestützt wird

Ugly Tour Vienna Wien

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Man sollte meinen, dass sich die Hüter dieser hässlichen Orte nicht sonderlich über den Besuch der "Ugly-Tour"-Touristen freuen. Doch sie werden sogar eingeladen, zumindest ins Wiener Marriott-Hotel. Sie wüssten, dass ihr Hotel nicht schön sei, ließ die PR-Managerin wissen. Bei einem Kaffee erklärte sie, wie Quinn berichtet, dass schlechte Werbung immer noch besser sei als gar keine Werbung - und lud die Touristen ein, künftig auch ihr Hotel an der Wiener Ringstraße anzusteuern. In der Tat erinnert das Gebäude an ein in die Jahre gekommenes Einkaufszentrum, nicht nur von außen. An vermeintlich luxuriöser Einrichtung wurde nicht gespart: Staunend steht die Gruppe vor der "Cascade Bar" in der Lobby. Eine künstliche Felswand mit Wasserfall sorgt hier für Stimmung, welcher Art auch immer.

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Doch Eugene Quinn und seine Ugly-Tour werden nicht überall so freundlich empfangen wie im Marriott-Hotel: Bei der Wirtschaftskammer Wien ist man nicht glücklich darüber, dass sich Quinn eigenmächtig zum Stadtführer der besonderen Art ernannt hat. Damit die Ugly-Tour den offiziellen Wien-Führungen keine Konkurrenz macht, wurde ein seltsamer Kompromiss geschlossen: Quinn darf auf seiner Tour "nichts Sehenswertes" zeigen. Das sollte kein Problem für ihn sein.

Die Tour ist englischsprachig, dauert auch schon mal mehr als zwei Stunden und kostet fünf Euro, Informationen unter spaceandplace.at/2015/vienna-ugly-tour

© SZ.de/kaeb/dd
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