Kroatien: Split (SZ):Rimini zweiter Klasse

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Wirtschaftswundermünzen kurbelten den Tourismus an der östlichen Adria an, jetzt erhoffen sich die Kroaten Rettung durch reiche Amerikaner.

Friedericke Busch

(SZ vom 21.08.2001) - Der Tag war heiß gewesen. Der Geruch trockener Piniennadeln bedeckte die weißen Kiesel, und das Meer war sehr ruhig. Auf dem kleinen Dampfer standen Körbe und Kürbissäcke und zwischen ihnen Menschen. Sie kamen aus Split vom Markt und fuhren in ihre Dörfer, nach Brela, Makarska oder irgendwo dazwischen. Es waren zwei darunter, denen das Meer ein wenig ruhiger, die Kiesel ein wenig weißer und der Piniengeruch noch etwas stärker vorkam.

Spilt ist auf dem Weg, sich zu einem Rimini "zweiter Klasse" zu entwickeln. (Foto: Foto: Archiv)

Sie waren in Split nicht auf dem Markt gewesen, sondern mit der großen Fähre aus Rijeka gekommen, auf der es keine Kabinen gab, und in Split auf den kleinen Dampfer umgestiegen. Sie waren Deutsche, Touristen, vielleicht die ersten deutschen Wirtschaftswundertouristen an der exjugoslawischen Makarska-Riviera: Karla und Werner Krause.

1958 hatte ein kleines Reisebüro in der Münchner Sonnenstraße Fotos der Makarska Riviera ins Schaufenster gehängt, der Inhaber selbst war dort gewesen und schenkte Werner Krause ein neues Reiseziel, für die folgenden 43 Jahre. Zu dieser Zeit war die Magistrale noch nicht gebaut, die heute entlang der Küste von Triest bis Dubrovnik und Montenegro führt. Brela war nur mit dem kleinen Dampfer zu erreichen. Am Hafen standen ein paar Fischerhäuser, am Strand das alte Hotel, drei Herrenhäuser und die sehr alte Biancovic-Pinie, unter der der Bischof aus Makarska meditierte. In dem schönsten der drei großen Häuser vermieteten die Zamic Privatzimmer an Gäste, seit 1935 und an die Krauses jahrzehntelang - bis heute.

Heimatliche Zuflucht für deutsche Touristen

Der Eingang des Hauses ist mit violetten Bougainvillea überwachsen, und der Weg hinaus durch das Gartentor endet nach 20 Metern im Blau des Meeres. Die Türen sind nicht verschlossen, in den Zimmern sind die Betten frisch gemacht, und an den Wänden von Flur und Esszimmer hängen Bilder aus vergangenen Jahrzehnten, Geschenke der Gäste. Man muss laut rufen, dann kommt die Hausdame die Holztreppe herunter. Hedi Zamic setzt sich auf die helle Veranda, im Schatten großer Bitosperungbäume, und redet. Sie spricht gern und gut deutsch, denn Hedi wuchs im deutschsprachigen Teil der K.u.K-Monarchie auf. Dann heiratete sie Ozren Zamic und ging nach Brela, um deutschen Touristen im ausländischen Jugoslawien eine heimatliche Zuflucht zu bieten.

In Split, einige Kilometer weiter nördlich, spricht man Englisch, Zeichen der modernen städtischen Universalbildung. Nur Taxifahrer mit ein paar Jahren deutscher Vergangenheit verfallen ins Deutsche und erzählen von deutschen Industriestädten. Auf dem Weg entlang der Küste nehmen die deutschen Sprachkenntnisse der kroatischen Gastgeber zu. Über die Jahrzehnte hinweg haben die Kroaten mindestens die entscheidenden alltäglichen Phrasen gelernt, die den Urlaubern das Gefühl geben, willkommen, fern und daheim zu sein. Hedi weiß mehr, hat gewissermaßen eine Monopolstellung im Ort, und spricht auf der Veranda von jener Zeit, als eine Übernachtung noch 50 Dinar kostete und die Hausköchin Zlavka die Gäste mit Vollpension versorgte.

Fastfoodbuden und Sonnenschirme

Das war, bevor Ende der 60er Jahre die Magistrale fertiggestellt wurde und sich darauf ein Blechwurm von 300er Audis und 316er BMW vorwärtsschob, der schließlich die gesamte exjugoslawische Adriaküste überrollte. Die Strände verwandelten sich in deutschsprachige Baumwollsonnenschirmsiedlungen, und die Vorliebe der Urlauber für Rajnici und Cevapcici ließ überall Fastfoodbuden aus dem Boden schießen.

Auch die Kinowelt hatte Interesse an Kroatien. So kamen Anfang der 50er die Franzosen, wollten am Strand von Brela eine Feuerszene drehen und Jugoslawien auf die internationale Kinobühne hieven - oder nur lieber jugoslawische Pinien abfackeln als französische. Die Jugoslawen lehnten dankend ab. So fanden der Kamera wegen auf den dalmatinischen Klippen nie Verfolgungsjagden in schönen schnellen Autos statt, Bilder aus "La Piscine" zum Beispiel, die die Welt mit Eleganz und Nostalgie betäubten. Das wäre mit einem Yugo oder Zatava 750 auch schwer gelungen. Aber es gab sie, weltbekannte Bilder, Bilder aus der Karl-May-Verfilmung "Der Schatz im Silbersee" zum Beispiel - nur dass niemand wusste, wo der Drehort lag: am Salzsee Mir auf der Insel Dugi Otok vor der nordöstlichen Adriaküste.

König ohne Kleider

Als die Deutschen mit Wirtschaftswundermünzen gesegnet aufbrachen, um den Massentourismus zu begründen, wies das Volumen des Geldbeutels ihnen den Weg: Der dicke führte an die westliche Adriaküste, der dünne an die östliche. In Exjugoslawien war die beliebteste Anlaufstelle zunächst das nördliche Istrien, wo auf der Insel Rab bereits 1936 König Edward VIII. und Wallis Simpson mit eigens beantragter Genehmigung der Stadt nackt ins Meer stiegen, lange bevor in den 50ern der Boom der FKK-Strände, -Campingplätze und -Hotels einsetzte.

Split, das Rimini zweiter Klasse

Als wenig später die neue Straße die Westeuropäer in Kolonnen dorthin brachte, versorgten diese den gesamten kommunistischen Küstenstreifen mit D-Mark, Waschpulver, Seidenstrümpfen und Luftmatratzen. Split galt als Rimini zweiter Klasse, und wenn die Italiener heute aus Ancona übersetzen, scheint es, als sei die längst vergangene venezianische Herrschaft an der Adriaküste bloß durch eine gesamtitalienische Hegemonie ersetzt worden.

Vielleicht ist es auch die Selbstverständlichkeit, mit der die Kroaten Pizza und Pasta als nationale Spezialitäten verkaufen, und ihr ewiger Ehrgeiz, überzeugende Beweise für den "wahren" Geburtsort Marco Polos, nämlich Korcula auf der gleichnamigen Insel, zu finden. Sie scheinen ihrer Sache etwas unsicher zu sein: Marcos angebliches Familienhaus wird zur Besichtigung nur in den Sommermonaten geöffnet, wenn ausschließlich Scheinkulturtouristen mit sonnenverbrannten Köpfen die übriggebliebenen Habseligkeiten des Weltreisenden inspizieren.

Italien zweiter Klasse

Dieses Flair eines Italiens zweiter Klasse hat etwas Sympathisches, geradezu Niedliches. So der Mitbringseleinkauf. Italienurlauber hatten auf der Rückreise Kaffee- und Cappuccinopakete im Gepäck, Visconti-Filme und selten eine Vespa. Der kulturelle Austausch der Kroatienurlauber bestand darin, manchmal einen Dalmatinerhund mitzubringen und häufig aus der Privatunterkunft Jahrzehnte lange Brieffreundschaften, die wegen mangelnder Sprachkenntnisse daraus bestanden, sich gegenseitig Postkarten mit den bereits bekannten Adressen als einzigem Textkörper darauf zu schicken.

Deutsche kommen immer wieder

Falls man wiederkäme. Die Deutschen kamen immer wieder - im Urlaub, die Jugoslawen höchstens zur Gastarbeit, manchmal, um irgendwo im Ruhrgebiet ein Restaurant mit dem Namen "Zagreb" aufzumachen. Trotz der Eigentümlichkeiten mochte man sich, und die Deutschen mochten außerdem vor allem die Sonne und das Meer.

Wenn sich in den Sommermonaten dieser Jahre die Mercedes, VW und Opel die Magistrale runterschieben, ist das kaum anders als damals. Wer irgendwann links abbiegt, kommt in die Berge, und wer nach rechts fährt, kommt an den Strand. Die meisten biegen rechts ab, und deswegen sind an Orten wie in Brela die Strände voll von veralteten Modellen blauer Badehosen, aus denen weiße Poritzen hervorlugen. Die Blätter der allgemeinen Urlaubslektüre Bild rascheln im schwachen Wind. Deren Leser stapeln sich fast auf den Liegestühlen. Der klebrig-süße Geruch von Kokos-Sonnencremes hat den Pinienduft verdrängt.

Vielleicht liegt das auch daran, dass die dickste, die 200 Jahre alte Biancovic-Pinie von Brela abgesägt wurde, als das einstmals einzige Hotel neugebaut werden sollte. Statt dessen steht dort jetzt eine Gedenktafel, die an die Pinie und den Bischof von Makarska erinnert. Vermutlich, um die alteingesessenen Gäste nicht zu verprellen.

Auch in Brela haben die westlichen Werbestrategien gegriffen. Im letzten Sommer wurden alle Gäste, die dem Ort seit mindestens 25 Jahren die Treue gehalten hatten, mit Blumen, Gewinnermedaillen und einem Sternchenauftritt im kroatischen Fernsehen belohnt. Auch die Krauses. Sie fanden das eine tolle Idee - schließlich sind sie jetzt von der Kurtaxe befreit. Nicht nur das kleine Marketing erobert von Westen her das Land. Die Öffnung brachte mit westlichem auch amerikanischen Einfluss, und Hamburger und Hot Dogs verdrängten Rasnici und Cevapcici beinahe von der Fast-Food-Karte.

Vielleicht liegt das auch daran, dass es sich um eine einst serbische, also inzwischen um eine Feindesspezialität handelt. Daran erinnern sich die Kroaten nicht gern, denn Cevapcici sind der Touristen Lieblingsspeise, bare Kuna, jedes einzelne mindestens zehn: Die finanzielle Situation des Landes ist zehn Jahre nach dem Krieg noch nicht so, wie sie sein sollte, sie ist sogar ziemlich schlecht.

Wundermittel Dollar

Auf den ersten Blick scheint es, als legten die modernen Kroaten trotz finanzieller Misere viel Wert auf geschnittene und gefärbte Haare. An jeder Straßenecke lockt ein Frizerski Salon. Es ist aber vielmehr so: Eine der letzten Möglichkeiten, in Kroatien der Arbeitslosigkeit zu entkommen, ist, entweder ein Café oder einen Frizerski Salon zu eröffnen. Ob das die Situation deutlich verbessert, wenn Haare schneiden keine zehn und ein (Instant-) Cappuccino etwa eine Mark kostet, sei dahin gestellt.

Deswegen sollen jetzt die Amerikaner kommen und viele Dollars bringen. Denn im Grunde ist die touristische Geschichte in Kroatien sehr einfach, mindestens in Split. Erst kamen die Römer, dann die Venezianer und dann die Deutschen - und weil alles nichts nützte, werden jetzt die Amerikaner kommen, "Know-how" und Dollars, kurz das altbewährte Wundermittel mitbringen. So ungefähr. Zwar engagiert sich die kroatische Politik auf dem Tourismussektor musterhaft, zeigt während jeden Flugs die wohl azurblausten Heimatvideos, und auch in Split hat man die Hafenpromenade entlang Infoschilder zum Diokletianpalast aufgestellt. Aber es ist heute kaum anders als damals.

Auf den großen weißen Mamorplatten im Diokletianpalast sitzen vor der dunklen Sphinx vier deutsche Urlauber, Kaffee und Bier trinkend. Den größten Teil ihrer Ferien verbringen sie am Strand, Split lohnt sich immer mal wieder für einen Tagesausflug, sagen sie, wenn es ein wolkenbedeckter Tag ist.

Eine Prise Nordamerika

Solche Tage sind in Kroatiens Sommer selten. Zwischen Palmen und Zypressen in direkter Kaisernähe, wo sich einst die reichen Römer in Sommerhäusern niederließen, sollen nun also Hotelanlagen mit großen Tagungsräumen, Shopping-Malls und Tennisplätze gebaut werden, den angeblichen Wünschen der erhofften Ganzjahrestouristen entsprechend. Damit wollen die Tourismusplaner dem gebrandmarkten Gesicht des alten Hafens eine neue Maske überstülpen, der eintausend Jahre alten architektonischen Evolution der Mittelmeerstadt einen Schuss nordamerikanischer Mentalität zugeben.

Anstelle der vollen Netze, die die kleinen Fischerboote auf den Kai werfen, sollen große Luxusliner reiche Amerikaner absetzen. Man hofft, dass die heranwachsende Generation bald darauf verzichten kann, weitere Friseursalons zu eröffnen.

Kommunistische Strukturen halten sich

Der Instant-Kaffee wird dann auch im Café im Diokletianpalast durch doppelt so teuren Filterkaffee ersetzt, und der Wein nicht mehr in leere Cola-Plastikflaschen abgefüllt. Die wunderbare kroatische Fähigkeit, aus jeder Situation etwas zu machen, könnte dann versiegen. Die kommunistischen Strukturen aber halten sich zäh, sagt die zuständige Sara Salamunic, alle Verhandlungen laufen dementsprechend langsam. Aktiv protestieren Akademiker wie Ozren Zamic, Hedi Zamics Mann und pensionierter Professor, und vor allen die Architekten der Stadt gegen das geplante Urlaubszentrum für Dollarkunden.

Vielleicht werden zuerst die aus Kriegs- und Nachkriegsjahren verwohnten, unverhältnismäßig teuren Hotels saniert - oder ausrangiert. Sicher hängen die Sobe/Zimmer-Schilder weiter an den Häusern vor der Stadt. Vielleicht schieben sich alte, allmählich rostende Mercedes und ausrangierte deutsche Linienbusse auch in Zukunft durch die Straßen von Split. Vielleicht wird alles gut.

INFORMATIONEN:

Anreise: Croatia Airlines fliegt von Frankfurt nach Split ab 550 Mark (ohne Flughafengebühr), Tel. 069/9200520. Weitere Informationen: Kroatische Zentrale für Tourismus, Tel. 069/252045.

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