Kreuzfahrt:Schuften im Schiffsbauch

Acht Monate lang arbeiten Menschen unter Deck auf der Costa Europa - ohne Ausgang und ohne Tageslicht. Allein am Geräusch und an den Wellen erkennen sie, wo ihr Schiff sich gerade befindet.

Andreas Fischer

Isoliert wie ein monströser Fremdkörper liegt das Kreuzfahrtschiff am Kai: Hier, in der italienischen Kleinstadt Savona, betreibt die Firma Costa ihren Seebahnhof. Von Hafenromantik ist nichts zu spüren - kein Durcheinander von Kofferträgern, Hafenarbeitern, Matrosen und neugierigen Zuschauern.

Es gibt nichts als ein kahles Betongebäude und doppelte Sicherheitsschleusen - eine echte Schengengrenze. Da müssen alle Passagiere durch, dann geht es hoch hinauf, über die Gangway an Bord. Unten am Kai, abgeschirmt durch hohe Zäune, schieben Hafenarbeiter und Seeleute palettenweise Lebensmittel und Getränke in die geöffneten Luken.

Oben auf den Decks der Costa Europa wartet die Costa-Service-Crew. Freundliche Menschen sind das, in blaugrünen Uniformen. Sie haben Schulungen für professionellen Kundenkontakt absolviert und wurden auf den "Costa-Stil" verpflichtet. Der besteht darin, stets "einen tadellosen und von natürlicher Herzlichkeit geprägten Service anzubieten".

Diesen öffentlichen Schwur kann jeder Gast im Internet oder der Bordzeitung Today nachlesen. Die Service-Crew hat ihren Arbeitsplatz oberhalb der Wasserlinie, auf den Animationsdecks, in der Shopping Mall, dem Theater oder im großzügigen Speisesaal.

Den weniger adretten Teil der Mannschaft sieht man nicht: Der arbeitet unten im Bauch des Schiffes, schmiert die Maschinen, wartet tausend Kilometer Öl- und Heißwasserleitungen, die gewaltigen Generatoren, die Meerwasserentsalzungsanlage.

Diese Menschen halten tief unter der Wasserlinie während der Reise eine ganze Fabrik am Laufen. Wenn keiner der Gäste wahrnimmt, dass es sie überhaupt gibt, haben sie gut gearbeitet.

Beim Boarding proben die weiter oben beschäftigen Service-Leute ihren ersten Auftritt: Mit geübtem Lächeln empfangen sie die Passagiere: Alles glänzt, die Augen der freundlichen Hostessen, die Tressen des Kapitäns und der Offiziere, die Goldkettchen der jungen Damen. Alles passt zum Interieur des Schiffes.

Es zeugt vom Luxus vergangener Zeiten: poliertes Messing überall, edles Holz, englische Möbel in den Bars. Die Gäste sind beeindruckt.

Nachdem die Leinen los geworfen, der Begrüßungssekt getrunken ist und die Kabinen bezogen sind, gibt es Gelegenheit, sich in einer der Lounges zu versammeln und von den Hostessen die Geschichte des Schiffes erzählen zu lassen: 1985 wird es in der Papenburger Mayerwerft gebaut als Luxusliner Homeric, Länge 243 Meter. Geplantes Einsatzgebiet: Alaskareisen.

Offenbar hat die Firma Schwierigkeiten, denn schon 1988 wird der Dampfer an die Holland Amerika Linie verkauft und umgetauft, nun heißt er Westerdam. Der neue Eigner weiß besser, wie man mit Schiffen Geld verdient, lässt den Kasten ins Trockendock bringen, in der Mitte auseinandersägen und einen neuen, 40 Meter langen Mittelteil einbauen.

Nun passen doppelt so viele Passagiere in die Kabinen - 1800 - das muss reichen, um in die Gewinnzone zu schippern. 2002 kauft Costa Crociere das Schiff, hisst die Flagge Italiens an Bord und bringt den Namen auf Firmen-Linie.

Geschichte hin oder her, "das Herz des Schiffes ist seine Mannschaft", bestätigt Beate, die deutsche Hostess. Auch an der sozialen Front bürge der Name Costa für "Höchstleistungen". Den 1800 Passagieren stehen nicht weniger als 650 Männer und Frauen von der Crew gegenüber. Und dass es diesen vielen Beschäftigten an Bord gut gehe, zeige folgende Tatsache: Das Schiff sei von der Firma Rina zertifiziert und mit dem Titel "Best" ausgezeichnet worden.

Was in Englisch "Business Excellence Sustainable Task" bedeute und zum Beispiel dafür bürge, dass kein Crew-Mitglied wegen seiner Herkunft benachteiligt werde.

Ob es möglich wäre, einen Blick in den Maschinenraum, die Kajüten und die Mannschaftsmesse zu werfen? Nein! Da macht Kapitän Schettino keine Ausnahme. Seit dem 11. September gelten schärfste Sicherheitsbestimmungen. Terrorismusgefahr - damit sei nicht zu spaßen!

Was die Leute unterhalb der Wasserlinie erleben, erfährt man, wenn man den Kontakt zu ihnen sucht. Denn so wie ein Walfisch immer wieder auftauchen muss, um Luft zu holen, so zieht es auch die Seeleute immer wieder nach oben aufs Schiff. Nur wenige Plätze gibt es, an denen sie sich im Freien treffen können - und die nicht durch Verbotsschilder von der Welt der Passagiere abgetrennt sind.

Jun hat das Geheimnis verraten.

Schuften im Schiffsbauch

Er ist Installateur und musste ein Paar Kabinen entern, um die Wasserhähne zu kontrollieren - die Warmwasserversorgung war ausgefallen. Jun unterhielt sich mit Passagieren, ohne im "Costa-Stil" geschult zu sein. Dabei hat er einiges erzählt, was die zahlenden Gäste normalerweise nicht erfahren. Dass es heiß wie in der Hölle sei dort unten.

Dass viele darunter litten, kaum einmal Landgang zu bekommen und während der Reise nicht an Deck spazieren gehen zu dürfen. "Unser Platz ist über der Bilge," sagt Jun, "deshalb kommen wir zum Luftschnappen nur einzeln und abwechselnd nach oben."

Diesen Treffpunkt zu finden, ist nicht einfach: Vom hinteren Sonnendeck, wo die älteren Passagiere in Liegestühlen die Seeluft genießen, führen steile Treppen nach unten. Deck für Deck geht es hinab. So weit, bis man glaubt, sich nasse Füße zu holen. Einen Meter über dem dahinbrausenden Wasser ist Schluss: Eine schmale Plattform, ein paar aufgeschossene Tampen zum Festmachen, und eine Tür mit der Aufschrift "Crew only".

Hier treffen sie sich, die Arbeiter aus der Tiefe, zum Rauchen oder zum Luftschnappen, zum Beobachten des Schiffsverkehrs - und zum Erzählen.

Andrew und Hamed zum Beispiel, sie sprechen Englisch, sind freundlich und berichten von ihrer Arbeit in der Waschküche und im Maschinenraum. Beide kommen aus Goa, der eine war Koch, der andere Schlosser. Andrew hat früher in einem indischen Hotel gearbeitet, für einen Hungerlohn, sich dann beim Anwerbebüro von Costa gemeldet.

Jetzt fährt er schon im vierten Jahr bei Costa und verdient 900 Euro im Monat. Festanstellung kennen sie nicht - wer Glück hat, kriegt nach acht Monaten einen Anschluss-Vertrag und kann dann auf den nächsten hoffen.

Andrew freut sich: Zehn Tage noch, dann fliegt er von Genua zurück nach Goa. Dann hat das Heimweh 14 Tage lang Pause. Er wird seine Braut besuchen und die Hochzeit vorbereiten. Dann kommt die nächste Reise auf der Costa Europa.

Wo sie essen? Wo sie schlafen, wie viel Betten in einer Kabine stehen, und ob die Räume ein Fenster haben? Über solche Fragen kann Hamed nur lachen: "Uns steht kein Ausblick nach draußen zu - und lieber als durchs Fenster gucken wir in den Fernseher, das ist wenigstens manchmal spannend. Und wo wir gerade sind, ob in Ägypten, Limassol oder Tripolis, das wissen wir auch ohne Landgang!"

So reden Menschen, die acht Monate tief unten im Schiffsbauch arbeiten müssen - ohne Ausgang, ohne Tageslicht und Sonnendeck. Das macht die Männer, die in engsten Kabinen zusammen leben, manchmal zynisch, manchmal wehmütig.

Sie leben nach Sprachen getrennt, Inder mit Indern, Philippiner mit Philippinern, und doch zusammen in einem Boot, Seeleute, die keine sind und doch das Meer in den Sinnen haben.

Allein am Geräusch und an den Wellen erkennen sie, wo ihr Schiff sich gerade befindet. Es sind Reisende, die nie ankommen und den Hafen bestenfalls von der Reling aus sehen. Sie sind abhängig vom Wohlwollen der Heuerbüros und wollen nichts riskieren, weshalb sie lieber vorsichtig auf Fragen reagieren.

Nur einer redet anders.

Schuften im Schiffsbauch

Er heißt Nicu, ist Maschinist und kommt aus Rumänien. Er lehnt an der Reling, schaut auf das vorbeirauschende Wasser und erzählt von seinen Erfahrungen mit der Heuer: Dass es den Reedern jahrelang ein Dorn im Auge gewesen sei, nach europäischem Recht für alle Beschäftigen Sozialversicherungsbeiträge zahlen zu müssen.

Dass sie den Regierungen gedroht hätten, sämtliche Schiffe auszuflaggen und nur noch die billigen asiatischen Seeleute anzuheuern, woraufhin Deutschland und Italien das "Zweitregister" erfunden hätten, um das Abwandern der Schiffe unter die Billigflaggen zu verhindern.

Costa, sagt Nico, halte sich zwar an dieses Recht und fahre unter italienischer Flagge, bezahle aber die Crew nach zwei verschiedenen Tarifen. "Eine Frechheit ist das," schimpft Nicu, "die Italiener an Bord arbeiten als Festangestellte mit Sozialversicherungsschutz. Die Philippiner, Inder und Lateinamerikaner dagegen bekommen nur befristete Verträge - immer eine Heuer für acht oder neun Monate, bar auf die Hand ohne jeden Anspruch auf Rentenversicherung und Kündigungsschutz."

Nicu ist bald 45 Jahre und hat nie etwas Anderes gemacht als zur See zu fahren. "Jetzt steigen auch bei uns daheim die Preise. Wir gehören ja zu Europa: Und ich springe von Schiff zu Schiff - ständig auf der Suche nach besserer Bezahlung."

Das also sind die geprüften und zertifizierten "Human Ressources" von Costa, Menschen, ohne deren Arbeit das Schiff nicht läuft und die kaum ein Passagier zu Gesicht bekommt. Jeder von ihnen ist nur wenige Jahre an Bord. Nachschub kann Costa dank des modernen europäischen Seetarifrechts jederzeit günstig einkaufen.

Einfahrt nach Alexandria. Glatte See, ölige, feuchte Luft. Kleine, schwarze Schlepper empfangen das Schiff. Einer bringt den Hafenlotsen, ein anderer hängt sich ans Heck der Costa. Von Land weht ein Dunst von Gewürzen herüber, mischt sich mit den Dieselschwaden, die wie eine Glocke über dem Hafen liegen.

Vielleicht ist es dieser Mix, den die Belüftungsanlage nach innen bläst, woran die Arbeiter unten im Schiff erkennen, dass sie jetzt in Ägypten sind.

Informationen

An- und Rückreise: Beispielsweise mit Air Berlin von München nach Mailand, ab 76Euro, www.airberlin.com; Weiterfahrt mit der Bahn zum Abfahrtshafen Savona, ca. 25 Euro einfach, Rückflug von Dubai nach München mit Lufthansa, ab 506 Euro, www.lufthansa.com

Kreuzfahrt: Mit der Costa Europa von Savona nach Dubai, nächstes Abfahrtsdatum 5.Dezember, Kreuzfahrt, 18 Nächte, ab 1929 Euro, www.costakreuzfahrten.de

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