Kolumne "USA, Land der Fettnäpfchen":Baseballfans sind keine Feierbiester

USA Land der Fettnäpfchen Beate Wild Sonnenbrand Kalifornien

USA, Land der Fußball-Verrückten? Dafür braucht es mehr als nur eine WM.

(Foto: AFP)

Als Dauergast in den USA ist ein Baseballspiel Pflicht. Wird bestimmt toll, sind ja als Sportfanatiker bekannt, die Amerikaner! Das Stadion ist tatsächlich riesig, doch die Stimmung nicht: Ist das hier ein Schachturnier?

Von Beate Wild, San Francisco

We! Love! Soccer! Klar, aber Worldcup war gestern. Jetzt konzentriert sich der Amerikaner wieder auf Baseball, denn Football und Basketball haben derzeit Pause. Es versteht sich von selbst, dass sich ein USA-Neuling Baseball zumindest einmal live im Stadion anschauen muss.

Die San Francisco Giants (oder einfach: Giants), heißgeliebte Heimmannschaft der Hiesigen, tritt gegen die Diamondbacks, das Team aus Arizona, an. Schon am Eingang des AT&T-Parks wundern wir Baseball-Novizen uns, wie diszipliniert die Fans vor den Einlasskontrollen anstehen. Keine Jubelgesänge, keine Schmählieder auf die gegnerische Mannschaft, keine angeheitert bis betrunkenen Fans.

Ist das Spiel wirklich heute? Oder findet stattdessen ein Schachturnier statt?

Am Platz im oberen Rang verschlägt es uns erst einmal die Sprache. Das Stadion ist gigantisch, aber die Aussicht übertrifft die schiere Größe noch. Der Blick schweift vom Spielfeld auf die Bucht von San Francisco in der Abendsonne. Das Herz schlägt schneller - gerade zur rechten Zeit: Die Spieler kommen auf den Platz.

Sehnsucht nach der Bundesliga

Wir sind hochkonzentriert, denn wem die Regeln über die Muttermilch nicht in Fleisch und Blut übergegangen sind, muss gut aufpassen. Doch das Spiel geht langsam voran. Sehr langsam. Nach spätestens einer Stunde fängt man als deutscher Fußballfan an, die Bundesliga zu vermissen. Die Action auf dem Platz hält sich - vorsichtig ausgedrückt - in Grenzen. Keine Zweikämpfe, keine Fouls, keine Proteste der Spieler. Und auch auf den halbleeren Rängen tut sich nichts.

Enthusiasmus kommt bei unseren Nebensitzern nur beim Biss in den Hotdog auf. Also los, wer in einem fremden Land ist, soll sich die Einheimischen zum Vorbild nehmen. Wir gehen auf Nahrungssuche. In der Vorhalle wird uns klar, warum so viele Sitzplätze leer sind. Hier stehen die Fans und versuchen, sich zwischen den Fressständen zu entscheiden: Tacos, Burger, Hotdogs, Steaks, Pizza, Eis, Popcorn - die Auswahl ist beeindruckend. Die Preise leider auch.

Eine "German Pretzel" kostet 7,50 Dollar. Ein kleiner Becher Leicht-Bier 10,50 Dollar. Ein Burger zwölf Dollar. Preise wie auf dem Oktoberfest!

Beim Küssen werden die Amis lockerer

Zurück am Platz. Die Diamondbacks mühen sich immer noch gegen die Giants, vergeblich. Vor allem Giants-Pitcher Tim Lincecum, genannt "The Freak" scheint in Topform. Auf einmal kommt doch etwas Bewegung ins Publikum. Die "Kiss Cam" wurde angeworfen.

Barack und Michelle Obama küssen sich 2012

Die "Kiss Cam" filmt auch beim Basketball, und Mr und Mrs President lassen sich nicht lange bitten.

(Foto: Jonathan Ernst/Reuters)

Zu Frank Sinatras "Strangers in the Night" fängt die Stadionkamera Pärchen ein. Wer auf der großen Leinwand erscheint, muss sich küssen. Ein Heidenspaß. Der wird noch größer, als statt der Liebespaare Luftgitarristen auf dem Bildschirm erscheinen, die zu Rockmusik eine Show abziehen. Alle kreischen und lachen. Endlich Stimmung!

Dann kommt das neunte Inning, der letzte Spielabschnitt an diesem Abend. Die Giants strengen sich noch einmal an (vielleicht reden sie sich ein, der Jubel gelte ihnen?) und gewinnen nach drei Stunden mit 5:0. Am Spielfeldrand steigen wohlkontrollierte Rauchsäulen auf - keine Freudenfeuer, dennoch springt bei uns der Funke über.

When The Lights Go Down In The City

Die Leinwand zeigt jetzt Bilder von San Francisco: Golden Gate Bridge, Cable Cars, viktorianische Häuser am Alamo Square und Segelschiffe, die in die Bucht zurückfahren. Dazu singt "Journey", die Band, die 1973 in genau dieser Hippie-Stadt am Golden Gate gegründet wurde, "When The Lights Go Down In The City". Es ist der Siegessong der Giants.

Alle, wirklich alle kennen den Text und singen lautstark mit. Wir sind nicht so textsicher, aber das kann uns nicht abhalten. Dann lassen wir uns hinausschieben in das Lichtermeer der Stadt. Baseball kann zwar die Bundesliga-Liebe nicht ersetzen. Aber es ist der Beginn einer lockeren Freundschaft.

In der Kolumne "USA, Land der Fettnäpfchen" schreibt unsere Autorin Beate Wild wöchentlich aus San Francisco über alltägliche Sitten und Unsitten in den Vereinigten Staaten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: