Klettern in der Sächsischen Schweiz:Spuren im Sandstein

Sächsische Schweiz

Im Elbsandstein sind durch Erosionsprozesse die perfekten Kletterfelsen entstanden - wie hier das Kleine Gansmassiv bei Rathen.

(Foto: Frank Richter / Tourismusverband Sächsische Schweiz e.V.)

Eher Freilichtmuseum als Fitnesscenter der Klimmzuggesellschaft: In den Felszapfen der Sächsischen Schweiz werden Ursprung, Seele und Wandel des Kletterns greifbar. Gleichzeitig denken die Pioniere voraus.

Von Dominik Prantl

Von außen betrachtet, steht da erst einmal nur ein dicker, großer Felsbrocken, etwa 100 Meter hoch, dunkelgrau mit hellen Schraffuren, mitten im Wald des Nationalparks Sächsische Schweiz. Er hat alles, was ein Felsbrocken zum Klettern braucht: Pfeiler, Wände, Bänder, Risse, Kamine, Schluchten. Bei genauerem Hinsehen sind die feinen Strukturen zu erkennen, die Fingerlöcher und die hier typischen Felszapfen namens Sanduhren, die sandigen Knubbel, die griffigen Leisten. Würde man heute einen künstlichen Felsen für das Klettern in der Großstadt anfertigen, er würde wahrscheinlich genau so aussehen, und die Menschen würden in Scharen kommen.

Und dann kommt Bernd Arnold, und er füllt diesen Brocken des Elbsandsteingebirges mit Leben. Er ist, wenn man so will, die Stimme der Geschichte.

"Hier, die Falkenschlucht", sagt Arnold und zeigt auf einen sehr, sehr breiten Kamin. "Strubich, 1921", und wer Emanuel Strubich nicht kennt: Er war für das Klettern zu seiner Zeit so etwas wie Fritz Walter für den Fußball oder Picasso für die klassische Moderne - eine Legende. Ein paar Meter weiter, die Westkante. "Otto Dittrich, 1920", sagt Arnold. Im gleichen Wandbereich findet sich auch "Vakuum", 1983, "mit die schwerste Route hier", eine Xb auf der Sächsischen Kletterskala, überhängend, kaum Griffe, schwer abzusichern . Vakuum bedeutet Abwesenheit von Materie. "Die Route ist von mir", sagt Arnold dann noch. Ein paar Schritte weiter, ums Eck, führt der älteste von heute 148 Wegen durch die Felsen des Falkensteins. 1864 wählten fünf Turner aus dem nahe gelegenen Bad Schandau diese Möglichkeit zum Gipfel und schlugen dafür Stufen in den Sandstein. Die Aktion wird gerne als Geburtsstunde des Kletterns gefeiert.

Klettern in der Sächsischen Schweiz: Quelle: SZ-Karte

Quelle: SZ-Karte

Turnerweg, Westkante, Vakuum, in den Routennamen steckt auch der Leistungssprung in der 150-jährigen Geschichte des Kletterns. Bernd Arnold hat davon selbst ein Drittel mitgeprägt, er ist inzwischen 67 Jahre alt und seit einigen Jahren Ehrenbürger in der kleinen Stadt Hohnstein. Er wohnt immer noch in dem unscheinbaren Haus, in dem er geboren wurde. In den Siebzigerjahren habe er mit dem Gedanken gespielt, in den Westen zu flüchten, sagt er, aber mittlerweile gehört er zur Sächsischen Schweiz wie die Felstürme. Sie haben den Mann geprägt, seine sehnigen Beine und Arme, die kräftigen Finger; nur das Gesicht ist eher das eines Künstlers als das eines Abenteurers. Und er hat wiederum seine Spuren an den Felstürmen hinterlassen. 1100 gibt es davon im Elbsandsteingebirge, mit etwa 20 000 Routen. Alleine 900 Erstbegehungen stammen von Arnold.

Unzählige Routen ist er ganz alleine ohne Sicherung geklettert, "free solo", wie die Kletterer sagen, und einige Male aus der Wand geflogen, weit mehr als drei, vier Meter. "Deshalb bin ich ja so schief und krumm." Er ist dennoch älter geworden als viele seiner Kollegen. Strubich, der Kletterpicasso, starb 1922 im Alter von 35, auf seiner Grabtafel stehen die Worte: "Das Leben ist die Fülle, nicht die Zeit." Arnolds bester Freund Kurt Albert, der sich als Lebenskünstler in der Vertikalen manchmal leichter tat als in jenem Leben, das andere als "alltäglich" bezeichnen, wurde nur 56.

Viele halten das Klettern für das Hobby von Spinnern mit Todessehnsucht. In der Sächsischen Schweiz aber werden Ursprung, Seele und Wandel des Kletterns greifbar. Es war einst mehr als nur bloße Leibesertüchtigung, geschweige denn ein Hallensport. Geboren wurde es gar aus dem Eroberungsgedanken. "Der stand an erster Stelle, und nicht, wie ich da hochkomme", so Arnold. Weil Hilfsmittel wie Leitern und Pickel verwendet wurden, gilt es als durchaus diskutabel, ob das, was das Turnerquintett anno 1864 so veranstaltete, wirklich als modernes Felsklettern zählt.

Eine Art Urzustand des Kletterns

Vielleicht lässt sich das Datum auch nur gut vermarkten. Arnold wertet jedenfalls eher die Besteigung des Mönch bei Rathen 1874 als Startschuss einer neuen Bewegung. Ring, Seil und Karabiner dienten damals nur zur Sicherung. Zur Fortbewegung reichte der Fels. Ein Novum! Auf Basis dieser inzwischen allgemein anerkannten Der-Fels-genügt-Idee veröffentlichte der Jurist Rudolf Fehrmann 1913 die Sächsischen Kletterregeln. Sie sind an der Elbe, verfeinert vom Sächsischen Bergsteigerbund (SBB) und durch die Mauer lange von fremden Einflüssen geschützt, noch heute gültig und mittlerweile sogar Teil der Nationalparkverordnung.

Damit hat sich eine Art Urzustand des Kletterns erhalten, der anderswo längst durch Trends und Trendsetter umgeformt und verschliffen wurde. So gehört beispielsweise zu jeder Klettertour ein Gipfel, was dem Geist der Anfangszeit Rechnung trägt. Gebietsfremde kommen mit den sehr speziellen Absicherungsmethoden, die weniger einen großen Bizeps als eine starke Physis und gute Selbsteinschätzung erfordern, häufig nicht zurecht. Selbst geübte Kletterer nehmen lieber einen Profi wie Bernd Arnold an die Seite, als eigenverantwortlich aufzusteigen.

Paradoxerweise haben sich die als freiheitsliebend und anarchistisch geltenden Kletterer durch die Vorschriften selbst in ein viel zu enges Korsett gepresst. Denn ihr Sport ist gewachsen. Es ist ungefähr so, als hätten sich Surfer die Auflage erteilt, nur mit Brettern aus den Sechzigern wellenreiten zu dürfen. Sogar der nicht als sonderlich progressiv bekannte SBB hatte im März bei einem Zukunftskongress zur Diskussion gestellt, ob die Regeln nicht etwas mehr Spielraum gestatten. Und auch wenn sich Arnold meist an die Regeln hält, hält er davon doch recht wenig. "Da brauchst du fast einen Rechtsanwalt, um das zu verstehen." Schon vor Jahren plädierte er dafür, unattraktive Gipfel der Natur zu überlassen und dafür gewisse Bereiche für einen neuen Stil zu öffnen, der auch eher spaßorientierte und weniger risikofreudige Sportkletterer lockt.

Sächsische Schweiz

Panoramablick in der Sächsischen Schweiz.

(Foto: Frank Richter)

Während beispielsweise Tirol mit dem Konzept Climbers Paradise die Sicherheit in den Vordergrund stellt und damit weiteres touristisches Potenzial erschließt, wenn auch ein bislang kleines, ist die Sächsische Schweiz in der Szene kaum gefragt. Allerdings könnte der Fremdenverkehr einige neue Impulse vertragen, und nicht nur der. In der Gemeinde Hohnstein ist die Bevölkerung seit 1995 um mehr als 15 Prozent geschrumpft; laut Prognosen wird sich der Prozess bis 2025 beschleunigen. Manche Herbergen und Gasthäuser erinnern eher an die Zeit des Turnerwegs als die des Vakuums.

"Dogmen sind nichts für die Ewigkeit", sagt Arnold, der verstanden hat, dass sich Tradition nur durch Veränderung erhalten lässt. Dabei begreift er die umliegenden Sandsteinfelsen keineswegs als reines Fitnesscenter der Klimmzuggesellschaft, sondern vielmehr als eine Art Freilichtmuseum, das es zu pflegen und zu erweitern gilt. Wenn Arnold mit Kunden in eine Route einsteigt, geht es ihm auch nicht in erster Linie darum, ob der Begleiter nun eine etwas leichtere Westkante hochhangelt oder das Vakuum mit ihm füllt.

Es geht ihm darum, die Landschaft als Teil des Kletterns zu sehen und das Klettern als Teil der Kulturgeschichte. Das durch Erosion modellierte Relief ist als Sehnsuchtsort schließlich viel älter als sein Sport. Schon im Mittelalter nutzte das böhmische Adelsgeschlecht der Berken von der Duba den Falkenstein für eine Burgwarte, wie das viele Adelsgeschlechter an vielen Felsen in der Umgebung taten. Jahre später wurde die Gegend eine wahre Vorratskammer an Romantikermotiven. Auch Caspar David Friedrich hat hier gemalt. Auf alten Bildern sind weidende Kühe zu sehen, wo heute wieder Wald wuchert, erzählt Arnold. Dann sagt er: "Die Geschichte ist doch viel wertvoller als die Gegenwart."

Nach diesem Sommer will er in Rente gehen und mehr Zeit in anderen Ecken der Welt verbringen. Die Geschichte sollen hier in Zukunft andere schreiben.

Informationen

Anreise: Mit dem Auto über Dresden und Pirna ins Elbsandsteingebirge. Als Ausgangsorte zum Wandern und Klettern eignen sich unter anderem der schöne Kurort Rathen, Bad Schandau und Hohnstein.

Unterkunft: Direkt am Markt von Hohnstein liegt das Hotel Weißer Hirsch, Tel.: 03 59 75/86 30, www.ran-an-die-bastei.de, Übernachtung im DZ mit Frühstück 39 Euro pro Person.

Kletterkurse: Das Bergsportgeschäft von Bernd Arnold hat verschiedene Kurse im Programm. Historisch besonders interessant ist die Kletterwoche "Auf klassischen Routen" an bedeutenden Gipfeln der Region, www.bergsport-arnold.de, Tel.: 035975/812 46

Auskünfte: Tourismusverband Sächsische Schweiz, www.saechsische-schweiz.de, 03501/47 01 47

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