Kaufkräftige Kundschaft:Im Morgenland

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Die Chinesen entdecken ihre Liebe für Seereisen. Deshalb bauen die Reedereien Schiffe, die auf den Geschmack der neuen Zielgruppe ausgerichtet sind. Auf der Jungfernfahrt der "Majestic Princess" treffen neue und alte Kreuzfahrer aufeinander.

Von Jutta Pilgram

Herr Luo kann sich nicht entscheiden. Soll er die Wurst von unten fotografieren oder von oben? Unten: im glitzernden Atrium, wo gerade die Partyband spielt? Oder oben: vom Balkon im dritten Stock, wo er alles im Blick hat? Die Wurst besteht aus Hunderten Luftballons, die unter den Kronleuchtern an der Decke schweben, festgehalten in einem durchsichtigen Schlauch. Gleich, um Mitternacht, soll der Schlauch platzen und seine Ladung über den Köpfen der feiernden Menge ausschütten.

Es ist der vierte Abend an Bord der Majestic Princess , dem neuesten und größten Schiff der britisch-amerikanischen Reederei Princess. Noch nie war das Atrium so voll wie bei der "Balloon Drop Party", noch nie war die Stimmung so ausgelassen. Herr Luo platziert sich oben auf dem Promenadendeck, die Kamera im Anschlag. Ein Trommelwirbel, ein Johlen - und wie bei einem Boygroup-Konzert beginnen die Gäste zu kreischen, werfen die Köpfe in den Nacken, recken die Arme in die Höhe, um mit blitzenden Handys den Luftballon-Schauer einzufangen. Ein paar Minuten hüpfen die Ballons über die Köpfe, bevor die ersten platzen und anhaltendes Knallen die Musik übertönt. Von oben sieht es aus, als plansche die aufgekratzte Menge in einem riesigen Bällebad. Zufrieden klickt Herr Luo durch seine Fotogalerie.

Die Majestic Princess ist das siebzehnte Schiff der Princess-Flotte. Sie gehört - wie auch die Marken Aida, Costa oder Cunard - zur Carnival Corporation, dem größten Kreuzfahrtkonzern der Welt. Im April lief sie vom Stapel der Fincantieri-Werft bei Triest und trat ihre Jungfernfahrt durchs Mittelmeer an. Inzwischen ist sie unterwegs nach China. Denn Shanghai, wo sie im Juli eintreffen wird, soll ihr Heimathafen werden. Und nicht nur das. Die Majestic Princess wurde von Anfang an für den chinesischen Markt konzipiert.

Im Jahr 2030 rechnet man mit acht Millionen Kreuzfahrtgästen - alleine aus China

Von der Bemalung des Schiffsrumpfs bis zum Aufkleber in der Kabinendusche - alles ist auf Englisch und auf Mandarin beschriftet. Auf dem Pooldeck gibt es statt Burger und Pizza eine "Chopsticks Noodle Bar" und eine "Dim Sum Bar", ein paar Stockwerke tiefer kann man Bubble Tea ordern. Ein Teil des Sonnendecks ist als Pingpong-Bereich abgetrennt. Auch die Inneneinrichtung zeigt hier und da asiatische Anklänge. Der Spa ist in Lotusblumen-Optik gehalten, im Wintergarten zeigt eine Fototapete einen Himmel voll roter Laternen, man kann sie aufklappen und mit einem Filzstift einen Herzenswunsch hinterlassen. Votivtäfelchen auf asiatisch. In Shanghai werden dann auch die Lautsprecherdurchsagen auf Mandarin sein.

Die Begeisterung der Chinesen für Schiffsreisen ist groß. Die Reedereien sind geradezu elektrisiert von der schieren Masse an potenziellen Neukunden. Nach Angaben des Branchenverbands Clia machen chinesische Gäste inzwischen die Hälfte der weltweit gut zwei Millionen Kreuzfahrtpassagiere im Jahr aus. Und die Zahlen steigen weiter: Im Jahr 2030 rechnet man mit acht Millionen Gästen - alleine aus China.

Kein Wunder, dass alle großen Reedereien begonnen haben, Schiffe nach China zu schicken und an die Bedürfnisse der neuen Zielgruppe anzupassen. Costa Cruises hat bereits vier Schiffe dort stationiert, auch MSC, Royal Caribbean und Dream Cruises haben nachgezogen. Aida Cruises hatte angekündigt, im April ein Schiff langfristig in Shanghai zu stationieren, es aber im letzten Moment doch noch einmal aufgeschoben. NCL hat gerade das erste Schiff mit einer zweigeschossigen Go-Kart-Bahn nach Shanghai abkommandiert, um der chinesischen Leidenschaft für Autorennen gerecht zu werden. Manche Reederei geht auch den umgekehrten Weg: Die Viking-Gruppe ließ ein Schiff speziell für chinesische Gäste umbauen, die in Deutschland eine Rhein-Kreuzfahrt machen wollen.

Bis zum Februar 2018 wird die Majestic Princess ausschließlich über chinesische Agenturen buchbar sein und immer dieselbe Fünf-Tage-Rundreise ab Shanghai unternehmen. Doch grundsätzlich soll sie auf der ganzen Welt einsetzbar sein. Wie gelingt nun die Synthese aus chinesischen Anforderungen und dem bewährten Princess-Konzept, das vor allem ein amerikanisch-europäisch-australisches Publikum im Blick hatte? Auf der Majestic Princess hat man vor allem vier Bereiche angepasst.

Erstens: Das Essen ist wichtig. Asiaten haben andere Essgewohnheiten, sagt Mirko Millo, Food-and-Beverage-Director auf der Majestic. "Sie essen kleinere Portionen, aber dafür häufiger. Eigentlich ununterbrochen." Während sie die Sonnenliegen verschmähen, sind die Asia-Imbisse auf dem Pooldeck ständig umlagert. Die einzige Chinesin, die man an diesem Nachmittag am Schwimmbecken antrifft, ist eine Mutter, die mit einem Schälchen hinter ihrem fünfjährigen Sohn herläuft, um ihn wieder und wieder mit winzigen Leckerbissen zu füttern. Für die Bordgastronomie bedeutet das, eine größere Anzahl an kleineren Speisen vorhalten zu müssen.

Die Jungfernfahrt der Majestic Princess führte durchs Mittelmeer. Für den Rest des Jahres ist sie in Shanghai stationiert und erst ab Februar 2018 wieder buchbar. Preisbeispiel: Eine zweiwöchige Kreuzfahrt von China nach Singapur kostet bei Doppelbelegung in der Innenkabine 1880 Euro. www.princesscruises.de SZ-Karte (Foto: IPAD)

Um den Geschmack der neuen Zielgruppe zu treffen, gibt es auf der Majestic als erstem Schiff der Princess-Flotte ein kantonesisches Spezialitäten-Restaurant. Im "Harmony" kocht Sternekoch Richard Chen, ehemals Küchenchef des Wing Lei in Las Vegas, dem ersten chinesischen Restaurant in den USA, das mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet wurde.

Zweitens: Der Shopping-Bereich ist größer als auf anderen Schiffen. Denn Einkaufen gehört zu den Lieblingsbeschäftigungen der aufstrebenden chinesischen Mittelschicht. Die Boutiquen an Bord bieten fast nur Luxusgüter - Schmuck, Uhren, Parfüm, Designertaschen. "High class shopping" nennen sie das hier. Großes Gedränge herrscht immer dann, wenn Rabatt-Aktionen oder Gewinnspiele stattfinden. Und das ist mehrmals am Tag der Fall.

Drittens: Ohne Karaoke ist das Abendprogramm nicht komplett. In sechs Karaoke-Suiten mit plüschigen Sitzgruppen, schummriger Beleuchtung und schalldichten Wänden können sich die Gäste zur Sing-Sause verabreden.

Und viertens: Es gibt nicht nur ein Kasino an Bord, sondern gleich drei. Schon am Morgen sind sie gut besucht. Denn viele Chinesen sind leidenschaftliche Spieler. Offiziell ist das Glücksspiel in China verboten - außer in Macau, der Welthauptstadt des Zockens, die Las Vegas bei Weitem in den Schatten stellt. Nur wegen des Glücksspiels kreuzt vor Chinas Küsten eine ganze Flotte von Schiffen, die ihre Kasinos erst öffnen dürfen, wenn sie internationale Gewässer erreicht haben.

Auf der Jungfernfahrt der Majestic Princess sind jedoch nicht nur asiatische Gäste an Bord, sondern auch Briten, Deutsche, Franzosen, Amerikaner. Daher lässt sich gut beobachten, was die Nationalitäten trennt und wo sie sich zusammentun. Den Türschließerknopf im Aufzug drücken Chinesen genauso schnell wie Deutschen. An den Tischtennisplatten bilden sich schnell gemischte Teams. Auch für das Harfenkonzert interessieren sich alle. Und beim Tanzkurs im Atrium sind Asiaten ebenso zahlreich vertreten wie Briten oder Amerikaner. Kein Wunder, denn vor allem ältere Menschen entdecken in China seit längerem den Gesellschaftstanz. Überall im Land trifft man die tanzenden Rentner auf öffentlichen Plätzen und in Parks, wo sie synchrone Bewegungen zu Lautsprecherbeschallung machen. Auf dem Kreuzfahrtschiff probieren sie es mit Rumba und Jive.

Nur im UN-Hauptquartier treffen noch mehr Nationalitäten aufeinander

Aber gibt es auch Bereiche, wo die kulturellen Unterschiede unüberbrückbar sind? Wie verträgt sich zum Beispiel ein kontinentales Frühstück mit einem Nachbartisch, an dem man genüsslich Suppe schlürft und Teigtaschen mit Kohl, Pilzen und Hackfleisch verspeist? "Getrennte Speisesäle sind keine Lösung", sagt Millo. Und Kapitän Dino Sagani spricht von einem Lernprozess, der sicher noch einige Monate andauern wird. "Wir können alles noch ändern und anpassen."

Zunächst wird in Shanghai ein Teil der Mannschaft ausgetauscht, es kommt mehr Personal an Bord, das Mandarin spricht. Auch einer der Offiziere soll dann Chinese sein, um die Bedürfnisse der neuen Kundschaft noch besser zu erspüren. "In jeder Kabine wird es Teekocher geben", sagt Tony Rugero, der für das Kabinenpersonal zuständig ist. "Außerdem haben wir herausgefunden, dass die Chinesen Hausschuhe wünschen und ein anderes Shampoo."

Martyn Moss, der das Unterhaltungsprogramm an Bord auf die Beine stellt, probt gerade für eine neue Show, in der ein populärerer chinesischer Song eine Rolle spielt. Und dann sagt er noch etwas, was als Devise für das China-Experiment von Princess Cruises ausgegeben werden könnte: "Nirgends auf der Welt treffen so viele Nationen auf engem Raum friedlich aufeinander wie auf einem Kreuzfahrtschiff, vielleicht noch im UN-Hauptquartier." Daher sei eine Kreuzfahrt auch ein großartiger Beitrag zur Völkerverständigung.

Herr Luo hat ein Foto-Seminar und eine Kamerapräsentation besucht, fast täglich stehen Veranstaltungen rund ums Fotografieren auf dem Programm. Jetzt sitzt er mit seiner Frau und der Schwägerin am Rand der Tanzfläche, trinkt einen Tee und schaut beim Cha-Cha-Cha zu. Drei Mal waren sie schon in Europa, dies ist ihre erste Kreuzfahrt. Hat die Majestic Princess ihren Geschmack getroffen? Ein Urteil lässt sich Familie Luo nicht entlocken. Ein gemeinsames Selfie gerne, auch zwei oder drei. Doch ob ihnen das Essen schmeckt, die Landausflüge passen, ob ihnen die Show am Abend gefällt oder das Streichquartett, darüber würden sie sich niemals auslassen, sie lächeln nur und nicken. Lieber rücken sie auf dem goldenen Sofa zusammen und machen noch ein Selfie.

© SZ vom 01.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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