Kambodscha:Erntedank mit Amok

Einmal im Jahr wechselt der Tonle-Sap-Fluss seine Fließrichtung, dann feiern die Kambodschaner ihr größtes Fest. Einwohner und Besucher der Hauptstadt Phnom Penh erleben ein buntes Wunder.

Christian Euler

Der Tonle Sap ist ein außergewöhnlicher Fluss, weltweit einmalig. Denn einmal im Jahr ändert er seine Richtung. Während der Regenzeit drückt der Mekong, der bedeutendste Strom Südostasiens, auf seinem rund 4200 Kilometer langen Weg vom Himalaya bis zu seiner Mündung ins Südchinesische Meer mit solcher Kraft in den Tonle Sap, dass das Wasser nach Norden fließt.

Dann dehnen sich der Tonle Sap und der gleichnamige See auf ein Vielfaches ihrer üblichen Größe aus. Dabei ist der See im Nordwesten Kambodschas mit einer Fläche von 3000 Quadratkilometern schon im Normalzustand das größte Binnengewässer Südostasiens. Speist ihn der Mekong, erstreckt sich der Tonle-Sap-See über fast 11.000 Quadratkilometer.

Zum Ende der Regenzeit fließt das Wasser wieder nach Süden ab, so wie bei allen Flüssen dieser Welt: von der Quelle zur Mündung. Und das muss gefeiert werden, jedes Jahr aufs Neue. Bon Om Tuk nennen die Einheimischen das dreitägige Wasserspektakel, dessen genauen Termin der Mondkalender bestimmt. Genau dann, wenn der Vollmond zwischen Ende Oktober und Ende November über Phnom Penh steht, feiern die Kambodschaner ihr beliebtestes und größtes Fest mit einem Drachenboot-Rennen. In diesem Jahr findet es vom 20. bis 22. November statt.

Die Schulen sind geschlossen, viele Arbeiter nehmen sich frei. Bis zu zwei Millionen Besucher werden aus allen Landesteilen in die Hauptstadt strömen - fast ebenso viele, wie es dort Einwohner gibt. Unterkünfte an den Festtagen sind teuer, aber die meisten Menschen sind arm. So bleibt ihnen nur, auf bunten Bastmatten am Straßenrand zu campieren, wo sie das farbenfrohe Treiben aus nächster Nähe erleben. Zehntausende belagern die Uferpromenade, um am Tag den Wettkämpfern zuzujubeln und nachts ein großes Feuerwerk aus der ersten Reihe bestaunen zu können.

Die Stars sind die Drachenboote

Die Stars der Szenerie sind eindeutig die Drachenboote, viele mit Augen am Bug bemalt, die gegen Unheil schützen sollen. Zum Rhythmus der Trommeln liefern sich bis zu 80 Mann Besatzung schweißtreibende Rennen in der tropischen Hitze. Im Unterschied zu westlichen Regatten, wo die Athleten auf die bereits zurückgelegte Strecke schauen, haben die Mannschaften in Phnom Penh ihr Ziel stets im Blick. Nicht jedes Boot kommt aber auch an, so mancher Paddler nimmt ein unfreiwilliges Bad im schmutzig-braunen Fluss. Für manche endet das tragisch, weil sie nicht schwimmen können. Vor zwei Jahren mussten vier Wettkämpfer aus Singapur ihr Leben im trüben Wasser des Mekong-Zuflusses lassen.

Die Tradition der Bootsrennen reicht weit zurück ins Reich der Khmer im 12. Jahrhundert, als König Jayavarman VII. mit diesem Spektakel die Stärke seines Flottenverbandes demonstrierte. Heute ist es die kambodschanische Variante des Erntedankfests, bei dem der Mekong gepriesen wird als Lieferant riesiger Mengen von Fisch und fruchtbaren Schlamms für die Felder. Für unzählige Fischer und Bauern ist die Bon-Om-Tuk-Feier eine Gelegenheit, den Fluss für das zu ehren, was er ihnen gegeben hat: die Grundlage für ein würdevolles Leben.

Ein flaues Gefühl in der Magengegend

Während tagsüber die Wettrennen stattfinden, paradieren am Abend prachtvoll beleuchtete Schiffe in einer faszinierenden Prozession den Mekong auf und ab. Aufwendige Kunstwerke aus Tausenden bunten Glühbirnen stellen Ministerien und wichtige politische Institutionen der Hauptstadt dar. Den Abschluss jedes einzelnen Festtages bildet ein spektakuläres Feuerwerk am vollmondhellen Nachthimmel über dem Mekong. Am Abend gehört die Uferpromenade Sisowath Quay den Kleinkünstlern, fliegenden Händlern und mobilen Nudelküchen.

Der Autoverkehr an der sonst so quirligen Corniche ist gesperrt, aber dennoch geht es nicht voran. Einige unentwegte Mopedfahrer bahnen sich selbst noch in diesem Gewühl ihren Weg durch die Menschenmassen. Das alles in geordnete Bahnen zu dirigieren, ist schlicht nicht möglich, Polizisten bleibt nicht mehr als eine Statistenrolle. Umso mehr erstaunt es, dass in diesem chaotischen Gewusel kein Mensch zu Schaden kommt.

Entspannt beobachten lässt sich das bunte Treiben am besten aus einem der vielen Restaurants oder aus den Cafés in den französischen Kolonialbauten am Sisowath Quay. Frisches Fassbier aus der Angkor-Brauerei gibt es für weniger als 50 Cents. Nur ein paar Schritte entfernt haben fliegende Händler ihre Stände aufgeschlagen. Ob Mangos mit Chili, geschnittene Zuckerrohrstangen oder köstlich dampfende Nudelsuppe mit hauchzarten Rindfleischscheiben und Wasserspinat: Überall locken Garküchen die hungrigen Besucher.

Wer landestypische Gaumenfreuden wie Schildkröte oder Schlange am Spieß zu exotisch findet, isst Amok. Das Leibgericht der Kambodschaner ist ein in Kokosmilch gekochtes, betörend riechendes Fisch-Curry, das in einer Kokosnuss oder in einem Körbchen aus Bananenblättern gereicht wird. Kaffir-Limonenblätter, orangefarbene Turmeric-Wurzeln, Galgant, Koriander, Minze, süßes Thai-Basilikum und Zitronengras verleihen ihm seine einzigartige Würze. Der Fisch ist frisch und stammt, wie könnte es auch anders sein, gleich nebenan aus dem äußerst fischreichen Tonle Sap.

Wer seinen Hunger lieber abseits des Hexenkessels stillen will, geht in eine der ungezählten Gaststätten. Nur einen Steinwurf vom Flussufer entfernt ist etwa das Restaurant des Bougainvillier Hotels. Mit kulinarischen Überraschungen darf man auch hier rechnen. Lächelnd reicht die Kellnerin zur Abrundung des Abendmahls einen landestypischen Gruß aus der Küche: frittierte Heuschrecken. Auf Wunsch der Gäste verspeist sie die knusprigen Grashüpfer - mit sichtlichem Genuss. Als höflicher Gast glaubt man es ihr nachtun zu müssen. Doch als der Kopf des exotischen Knabbersnacks die Lippen berührt, stellt sich umgehend ein flaues Gefühl in der Magengegend ein und signalisiert: bis hierher und nicht weiter.

Informationen:

Anreise: Direktflüge aus Europa gibt es nicht. Der internationale Flughafen in Phnom Penh ist mit Bangkok Airways und Air Asia aus Bangkok oder mit Silk Air oder Jetstar aus Singapur zu erreichen. Malaysia Airlines und Air Asia bedienen Phnom Penh aus Kuala Lumpur. Reisezeit: Beste Reisezeit sind die Monate November bis März. Dann herrschen bei geringer Niederschlagsneigung Temperaturen um 30 Grad. Die Luftfeuchtigkeit liegt zwischen 80 und 85 Prozent. Unterkunft: Bougainvillier Hotel, Sisowath Quay, Phnom Penh 12306, Tel.: 00855/ 23 22 05 28, http:// www.bougainvillierhotel.com , DZ ab 50 Euro. Direkt an der Corniche mit hervorragendem Blick auf Mekong und Tonle Sap. Raffles Hotel, 92 Rukhak Vithei Daun Penh, Tel: 00855/ 23 98 18 88, http:// www.raffles.com, DZ ab 130 Euro. Elegantes First-Class-Hotel im Kolonialstil, wenige Gehminuten vom Markt entfernt. Allgemeine Auskünfte: www.indochina-services.com

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