Jordanien:Schlucht nach vorne

So surreal wie echt - In Jordanien sind Landschaften und Schätze aus Sand gebaut.

Harald Eggebrecht

Vielleicht nur ein Fiebertraum, dieser Spalt, dieser schmale, gewundene Riss im Felsen. Vielleicht ein Hirngespinst diese kalte, feuchte, zugige Schlucht, deren sich wölbende, vor- und zurückschwingende, mehr als siebzig Meter hohen Wände Schwindel erregen.

Jordanien: Zugang nach Petra durch die Felsenschlucht

Zugang nach Petra durch die Felsenschlucht

(Foto: Foto: Christian Siegrist/visipix)

Schwindel der Farben, der Formen, des wechselnden Lichts, des Phantastischen. Manchmal ist der Boden gepflastert, weitet sich der Weg zum kleinen Platz. Keine Ansicht gleicht der anderen, und doch sind alle ähnlich. Die Nässe des peitschenden Schneeregens dunkelt die Schichten des Sandsteins ein, lässt manchen Buckel schwarz aufglänzen, manche rostrote oder ockergelbe Fläche wie Filz oder Samt wirken, vollgesogen mit den Wassern nicht nur dieses nasskalten Morgens, sondern der Jahrtausende. Alt, uralt und doch pure berauschende Gegenwart des Erlebens.

Dann nach vielen Windungen ist es soweit, blinkt zwischen den himmelhohen Wänden eine Fata Morgana auf, so als habe jemand Ali Babas "Sesam, öffne Dich!" gesprochen, und die Berge seien auseinander gewichen für einen Blick auf die Fassade eines prachtvollen Palastes. Wer beschleunigte nicht seine Schritte in der ängstlichen Erwartung, der Berg werde sich gleich wieder schließen? War dieser Spalt in eine andere Welt nicht doch nur Gaukelei?

Aber das vermeintliche Trugbild hält stand, wir treten aus der engen Schlucht heraus und sind gebannt: Auf der gegenüberliegenden Wand erscheint die großartige Front einer Architektur, die sich, direkt aus dem Felsen gehauen, mächtig, dabei elegant, rund vierzig Meter hoch erhebt: Die Khazne Firaun, das "Schatzhaus des Pharao". Obwohl auf tausend Werbeprospekten, in tausend Dokumentarfilmen gesehen, also in sicherer Erwartung - der Weg zum Ziel erweist sich dennoch als Selbsterfahrung, als Gang durch die Kurven, Anhöhen und Täler der eigenen Spannung, als überraschendes Abenteuer zwischen dem Vorgestellten und dem Tatsächlichen.

Das Licht der Berge

Petra also, die Unvergleichliche, die Unbeschreibliche, die Geheimnisvolle aus Felsen und in Felsen, gezeichnet von der Unweigerlichkeit des Vergehens, umweht von der Schönheit des Verfalls, durchdrungen vom Zauber einer so fernen wie anziehenden Antike - Petra also zeigte sich an diesem trüben Morgen nicht von seiner vielfarbig strahlenden Seite. Die Sandsteinwände blieben fürs erste stumpf vor Feuchtigkeit, das Rot spielte ins Bräunliche, das Grün ins Gräuliche, das Gelb ins Schmutzige, das Grau ins Schwärzliche. Dieses gleichsam andere Manhattan der über- und nebeneinander gestapelten, in die Berge gehauenen Tempel und Grabmonumente, dieser unglaubliche Wirrwarr aus Giebeln und Säulen, Zinnen und Treppen, Urnen und Schreinen wirkte in all seinem Formen- und Schmuckreichtum jetzt abweisend, düster, verlassen. Der Wind pfiff wieder und wieder kalt durchs Gebein, der Talboden war durchweicht und die Nässe hatte manche Stufen glitschig gemacht.

Es fiel trotzdem schwer, sich von diesem einzigartigen Anblick zu lösen und der eigentlichen Stadt zuzuwenden, jenem weit sich öffnenden Kessel, durch den einst eine Säulenstraße führte vorbei an imposanten Tempeln, Märkten und Nymphäen hin zum Halbrund des Theaters, dessen Sitzreihen wieder direkt aus dem Felsen geschlagen sind. Zwischendrin laufen Ziegen der Beduinen, die hier seit alters leben. Zwar hat man ihnen vor einigen Jahren am Rande des Wadi Musa, des Mosestales, ein paar Betonkästen hingestellt, damit sie nicht das Weltkulturerbe Petra sozusagen weiter abwohnen, mit ihren Feuern die Decken schwärzen, ihre Viehherden durch die Ruinen treiben. Aber die Nomaden verdienen selbstverständlich an den Touristen. Und so sind sie längst wieder in die Steinstadt zurückgekehrt, laden die durchgekälteten Grüppchen ans offene Feuer und bieten Tee und Souvenirs an.

Im Laufe des Jahres strömen solche Scharen aus aller Welt herbei - ob sie von den Hafen- und Badeorten am Golf oder am Toten Meer aus Tagesausflüge hierher unternehmen oder auf Rundreisen hier landen -, dass das noch vor zwei Jahrzehnten wenig erschlossene Wadi Musa heute einem Ort in den Bergen gleicht, der vom Wintersport entdeckt und baulich überwältigt worden ist. Hotel an Hotel reiht sich die Hauptstraße hinab bis kurz vor den Eingang des archäologischen Parks. Dort zahlt man nicht nur für sich, sondern auch für Pferde, auf denen der Weg zum Sik, zur Schlucht, zurückgelegt werden kann. Dass viele nicht reiten wollen, ändert nichts an der Bezahlung. Auch wer den eigenen Reiseleiter dabei hat, muss einen Einheimischen verpflichten. Selbstredend mit obligatem Ross. Aber, Fremde, woher Ihr auch kommt, bezahlt alles, macht Eure Augen weit auf und richtet Eure ganze Aufmerksamkeit auf jenen Moment, da sich Sesam öffnet...

Die Farbe des Sandes

Als der Regen aufhörte und wir trockenen Fußes durch eine enge farbenreiche Sandsteinschlucht nach oben stiegen zu Ed-Deir, dem sogenannten Kloster, boten sich immer aufregendere Aus- und Durchblicke hinunter zur alten Stadt oder in dieses sich auftürmende, abstürzende Felsenlabyrinth.

Natur und Menschenwerk verbinden sich unauflöslich, als ob eins sich aus dem anderen speiste. Oben angekommen, vom Staunen über die unerschöpfliche Vielfalt der Sandsteinfarben fast ermattet und doch sofort wieder erregt bei neuen noch nie gesehenen Kombinationen von Rot, Gelb, Schwarz, Weiß, Grün, erhebt sich vor uns die gewaltige Fassade des Klosters, 40 Meter hoch und 47 Meter breit in sattem Ockerton wie eine Art antiker Theatinerkirche. Eine Zeremonialterrasse breitet sich davor aus und geht in die Landschaft über. Wir stiegen noch weiter, bis sich in ferner Tiefe die Jordanebene auftat und die Moschee am Grab des Aron vom höchsten Gipfel herüber grüßte.

Nach dem Abstieg endlich Risse im Wolkenhimmel, durch die die Sonne aufstrahlte und die grandiosen Fassaden der Palastwand in vergoldendes Licht tauchte und es schien, als rührte die Pracht nicht vom Sandstein, sondern von kostbaren Stoffen, mit denen die Tempel und Grabmonumente überzogen waren.

Nein, kein Zweifel: Jordanien ist nicht Petra, aber ohne Petra, die alte Metropole der Nabbatäer, ist eine Tour durch dieses Land nichts. Ursprünglich waren sie Beduinen, die sich seit etwa 500 v.Chr. von gefürchteten Räubern an der Weihrauchstraße vom Jemen herauf zu Beschützern der Karawanen entwickelten, dann selbst Handel mit den Spezereien aus Indien und Persien trieben und zu Reichtum und Macht gelangten. Die Felsenmetropole und die Felsen, aus denen diese Stadt wuchs, deren Erbauer mit Beginn des zweiten Jahrhunderts n.Chr. ins Römische Reich eingegliedert wurden, sind der ästhetische Höhepunkt jeder Reise durch Jordanien, ein veritables Weltwunder.

Dabei bietet das Land, in seinen Grenzen Produkt politischer Interessen der Kolonialmächte England und Frankreich nach dem Ersten Weltkrieg, eine berauschende Vielfalt. Von den fruchtbaren Hochebenen oberhalb des Jordans mit frischen, im Winter auch schneidend kalten Winden, hinunter, 400 Meter unter den Meeresspiegel, ans Tote Meer, wo die Temperaturen auch im Februar zum Baden und Ausruhen einladen; hinaus in die Endlosigkeiten der Wüsten, aus denen gen Süden zu die Felsmassive des Wadi Rum ragen.

In jenem Wadi, durch das die Weihrauchstraße führte, und das der britische Archäologe, Soldat und Abenteurer T. E. Lawrence als gigantische Prozessionsstraße beschrieben hat. Jener "Lawrence von Arabien", dem David Lean seinen wohl schönsten Film widmete und so das Wadi Rum dem Weltpublikum nahebrachte.

Inseln gleich erheben sich die Bergstöcke aus dem Sandmeer, wild zerklüftet, imposant geformt von Wind und Wetter, unverwechselbar, mal Grabdenkmal, mal Kathedrale, mal Rest eines Titanenpalastes. Ein Gefühl von feierlicher Größe steigt auf. Blitzen die Augen der Reisenden jetzt nicht stolzer, recken sich die Rücken nicht gerader, schimmern die Gesichter nicht kühner? Wenn dann die Wüstenpolizei in malerischer Uniform auftritt mit roter Lederkoppel, die Kofije elegant um den Kopf drapiert, die Kamele den hochmütigen Blick unter den langen Wimpern ihrer abgründigen Augen über uns schweifen lassen - nur das Kamel kennt den hundertsten Namen Allahs -, will man kaum glauben, dass Leben in dieser Gigantenlandschaft nicht heldisch, sondern herb und hart ist. Die Beduinen träumen sich das Paradies eben nicht als Wadi Rum, sondern als üppigen Garten Eden mit grünen Auen und erquickenden Früchten und Bächen.

Wer im Winter nach Amman, in diese bei bedecktem Himmel grau-beige, bei Sonne weiß wirkende, wenig ansehnliche Hügelstadt, aufbricht, sollte für alle Wettersorten gerüstet und immer mit kalten Winden rechnen. Es kann regnen, schneien, stürmen. Dann verwandelt sich die Wüste an der Autobahn nach Akkaba endgültig in menschenfeindliches Niemandsland, dann scheinen antike Ruinen und Kreuzritterburgen nur mehr umtoste Gemäuer zu sein, in denen man höchstens Schutz sucht vor den Unbilden der Witterung.

Auf der Zitadelle von Amman blies es jedem die Wärme aus dem Fell beim Gang nicht nur durch Säulenstümpfe, Tempelreste, Festungs- und Palasttrümmer, die einst die aufeinanderfolgenden verschiedenen Völker, Stämme und Imperatoren errichteten. Es war auch ein Gang durch die Wirrnisse einer sich untrennbar verklettenden Geschichte von den alten Ägyptern zu den Hellenisten, von semitischen Herrschern zu Römern, Byzantinern, Omayyaden, Kreuzfahrern. Heiligtümer des einen Gottes wurden in die eines anderen umgewidmet. Später nutzte man sie als Steinbruch für einen Palast oder baute sie gleich selbst zur Festung um. Fast beschwörend erklärt beim köstlichen Diner der charismatische Tourismusminister, dass Jordanien nicht in die Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern verwickelt, Saddam Husseins Bagdad weit weg sei und es keinen Grund gebe, sein friedliches Land nicht zu besuchen. Jede politische, gar militärische Zuspitzung in der Region bringt den Touristenstrom zum Versiegen, auch wenn Jordanien nicht betroffen ist. Wer durch die Ladenstraßen Ammans streicht, wird merken, dass nicht viel los ist. Wenig hat der Frieden mit Israel an wirtschaftlicher Entwicklung gebracht. Missmut und Unzufriedenheit liegen auf vielen Gesichtern. Dabei lassen sie sich an Gastfreundschaft wahrlich nicht überbieten.

Wenn aber der Himmel über den Trümmern von Gerasa, heute Jerash, in blauestem Blau leuchtet, dann scheint es, als pulsiere das Leben wie einst auf dem Cardo, der Säulenprachtstraße: Da traf sich die Jeunesse dorée der Antike gewiss an der pompösen Anlage des Nymphäums, wo auf den Abflussdeckeln marmorne Fische schwänzeln. Oder man verabredete sich gleich hinter dem ovalen Forum im eleganten Achteck des Macellum, sagen wir, zwischen Metzgerei und Obstladen, saß am Brunnen, scharmuzierte oder intrigierte. Oberhalb des herrlichen säulenumstandenen Forums prangte der Zeustempel, unweit davon dehnte sich das Halbrund des Südtheaters mit Platz für etliche Tausend. Wer über die Anhöhe schlendert, wird entdecken, wie die byzanthinischen Christen die hellenistischen und römischen Tempel in Kirchen verwandelten oder gleich ein Heiligtum mit drei verschiedenen Kirchentypen bauten. Und überall blüht das Wahrzeichen Jordaniens, die rote Anemone. Diese vielfältig erhaltene Ruinenstadt weckt Szenen der Gegenwart, also Handel und Wandel, Geschäfte und Geheimnisse, Öffentliches und Privates. Die Arbeiter, die wegen der Rekonstruktion des Circus Quader bemeißeln, machen den Eindruck, als handle es sich nur um eine Frage der Zeit, bis Gerasa wieder in altem Glanz erstehen könnte.

Doch seit ältesten Tagen kämpften in diesem Orient gleichermaßen Niedertracht und Askese, Zerstörung und Gründungseifer, hoher ästhetischer Sinn und Brutalität. Schön und bitter zugleich, wie es Glanz und Untergang der Ommayyaden (661-750) zeigen. Deren Kalifen bauten Jagd- und Lustschlösser in die Wüste. Das schönste ist Qusair Amra. Hier ist noch etwas von der Überzeugung dieser Herrscher zu ahnen, dass es wahrhaft königlich sei, den Wein in Strömem fließen zu lassen und den nackten Schönen bei Bad und Tanz zuzusehen, bevor man sich mit ihnen zurückzog. Also ließen sie einen intimen Palast errichten mit üppigem Bad, Fußbodenheizung und tonnengewölbten Räumen. Fresken mit Szenen aus diesem paradiesischen Leben bedecken Wände und Gewölbe, ganz gegen das Bilderverbot des Islam. Mit dem Sturz der Omayyaden begann die Barbarei fundamentalistischer Askese, also Zerstören, Verdunkeln und Vergessen. Die Fresken von Qusair Amra zeigen sich daher nur noch in Schemen und Spuren, in anderen Schlossruinen existieren überhaupt keine Wandbilder mehr. Aber durch Verrußung, Zerkratzung und Verblassung der letzten dreizehnhundert Jahre hindurch schimmert hier immer noch etwas von jenen Tagen, da die Kalifen sich an der schweren Süße des Lebens berauschten.

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