50 Jahre Neckermann-Reisen:Als Strandurlaub noch ein Traum war

Lesezeit: 6 min

Wolfgang Dosek verreist seit 1963 mit Neckermann Reisen und ist seiner Lieblingsinsel Mallorca treu geblieben. Bis heute. (Foto: Neckermann)

"Saubere Zimmer, reichliche Hauptmahlzeiten": Das wollte Wolfgang Dosek als junger Mann kennenlernen. Also buchte er 1963 Mallorca. Nun wird der Pauschalurlaub mit Neckermann 50. Und Dosek ist seinem Urlaubsziel von damals treu geblieben.

Von Willi Winkler

Es ist ein gewöhnliches Urlaubsfoto, irgendwo im Süden aufgenommen: weit im Hintergrund das blaue Meer, noch blauer und südlicher der Himmel darüber, dazu eine zinnenbewehrte Burg, mittelalterlich, arabisch vielleicht, alt auf jeden Fall. Vor den Zinnen des Castell de Capdepera steht ein junger Mann mit pechschwarzen Haaren, von der Sonne, von der Anstrengung ganz rot im Gesicht, denn er ist mit einem Freund über den Trampelpfad vom Strand heraufgelaufen. Das Foto beweist, dass er wirklich da war.

Wolfgang Dosek, der junge Mann auf dem Foto, war 1963 erst 22 Jahre alt. Er kam aus Frankfurt, wohnte noch bei den Eltern, hatte eben ausgelernt als Einzelhandelskaufmann, verdiente 400 Mark im Monat und investierte 336 davon in einen Urlaub in Spanien. Im Frühjahrskatalog von Neckermann war eine Pauschalreise annonciert - zwei Wochen Vollpension inklusive Flug. Dosek konnte es kaum glauben: Neckermann, der Versender, bietet Reisen an? Und für so wenig? Wenn das mal gut geht.

Hinter rotem Samt von Frankfurt nach Palma

Ein Freund hatte ihm kurz vorher Dias von Capdepera gezeigt, dem östlichsten Ort Mallorcas, und dann kam auch schon der Katalog, der eine Reise pfeilgrad dahin anbot. Und im Prospekt wurden "saubere Zimmer, reichliche Hauptmahlzeiten, eifrige Bedienungen und eine kleine Bar" versprochen, "in der Sie viel für wenig Geld erhalten". So kam Wolfgang Dosek vor fünfzig Jahren zum ersten Mal nach Mallorca. Die Werbung geizte auch sonst nicht mit vierfarbigen Reizen. Es ging "im Flug in den sonnigen Süden", wo es offenbar haufenweise junge Frauen in Bikinis gab, wie ihn die meerentstiegene Ursula Andress in Dr. No trug. Die Luft war lau, das Wasser klar, der Strand gesellig, aber nicht überfüllt, die Akazien wiegten sich im sanften Wind. Neckermann machte alles möglich.

"Mein Name steht für Massentourismus, und dessen schäme ich mich nicht", erklärte Josef Neckermann in seinen 1990 erschienenen Memoiren trotzig. In einer Vickers Viscount ging es seinerzeit in dreieinhalb Stunden von Frankfurt nach Palma. Dosek erinnert sich an die Vorhänge aus "rotem, schwülstigem Samt", hinter denen aber nichts Geheimnisvolles vor sich ging. Als Nachtessen gab's eine Packung Kekse.

1963 war Spanien noch eine allseits akzeptierte faschistische Diktatur, außerdem ein unterindustrialisiertes, armes Land. Der Tourismus hatte Mallorca noch kaum berührt, die Insel war aber schon bestens darauf vorbereitet. Engländer, die vom Kolonialdienst im damaligen Birma und Indien zurück in die Heimat wollten, mussten sich auf Mallorca akklimatisieren. George Sand verbrachte mit ihrem Herzenskind Frédéric Chopin einen ebenso legendären wie desaströsen Winter in Valldemossa. Robert von Ranke Graves führte in Deià zwei anstrengende Künstlerehen und schrieb nebenbei den Bestseller "Ich, Claudius, Kaiser und Gott".

Die Insulaner bestellten damals noch ihr wenig ertragreiches Land, zogen Oliven, Orangen und Zitronen, und wenn die Realteilung fällig wurde, erhielt der älteste Sohn die guten Äcker, während für die Tochter nur der karge Grund zum Meer hin blieb. Als die Touristen kamen und eine Herberge suchten, verwandelten sich die bisher benachteiligten Frauen in Pensionswirtinnen, denn sie konnten nun Häuser mit guter Sicht zum Meer bauen.

Reisetipps
:Die perfekte Woche auf Mallorca

Abseits von Ballermann und überfülltem Meer: Mallorca ist wunderschön - wenn man weiß, wo. Zehn Tipps für einsame Strände, köstliche Küche und verwinkelte Gässchen. Aus dem Reisebuch "Eine perfekte Woche ... auf Mallorca".

Von Ralph Amann und Karlos Kessler

Teresa Guiscafré begann das Bella Vista in Capdepera 1959 mit zwei Fremdenzimmern. Nein, bei ihr gab es noch kein All-inclusive-Buffet, sondern da wurde eigens gekocht, und immer gab es drei Gänge. Die Deutschen fremdelten bei dem vielen Fisch, den sie hier essen sollten; Reis mit Gemüse und kleinen Fleischstückchen, das kannten sie, und das bekamen sie auch. Wenn der Koch krank war, ging sie selber in die Küche, und die Gäste applaudierten. Wolfgang Dosek muss aber ergänzen, dass die versprochene reichhaltige Kost oft mager war, dass es mittags nur Sternchensuppe gab. Señora Guiscafré ist heute 79, ihr Mann fast zehn Jahre älter. Sie haben sich lang schon aus der Pension zurückgezogen. Der Mann ist krank, sie betreut ihn und ist nach wie vor geschäftig. "Arbeit hält gesund."

Für sie begann es damit, dass der Mann sich den Finger verletzt hatte und für die Feldarbeit nicht mehr zu gebrauchen war. Zunächst stand das Bella Vista noch fast allein, die Straßen waren noch längst nicht geteert, der Blick aufs Meer wurde nicht durch Neubauten behindert. Als Neckermann den Vertrag mit dem Bella Vista einging, gab es Geld aus Deutschland zum Ausbau, und so wurde Jahr für Jahr vergrößert. Zum Duschen musste man über den Gang, aber das Wasser war rationiert, beim Abendessen fiel öfters der Strom aus, aber das Kerzenlicht machte es nur romantischer. Wo heute der Pool angelegt ist, sicherheitshalber mit einer Hebevorrichtung, durch die Gäste mit Gehbeschwerden zu Wasser gelassen werden können, gab es einen kleinen Innengarten. Musik lief, es war immer was los. Es war der Süden, Urlaub. Er hieß nicht mehr Wolfgang, sondern war Lobo, der Wolf. "Die Cala Rajada war ein Traum", erzählt Dosek über den Strand des Ortes, "da hab ich mittags gern eine Sternchensuppe gegessen."

15 Tage, alles inbegriffen: Damit warb Neckermann 1963 auf dem ersten Reisekatalog. (Foto: Neckermann)

Das Kraft-durch-Freude-Versprechen aus den Dreißigerjahren ging in Italien, Jugoslawien und hier in Spanien endlich in Erfüllung. Neckermann war so günstig, die Flugzeuge waren so voll, dass für die Urlauber aus Deutschland Jahr für Jahr mehr gebaut werden musste. Die Anschubfinanzierung kam regelmäßig aus Frankfurt, und der heute fast 83-jährige Albrecht von Pflug, bis in die Siebziger Chefeinkäufer am Mittelmeer, brachte die Subventionen in bar. Um zu kontrollieren, ob die Vertragshoteliers das vorgestreckte Geld auch wirklich in mehr Zimmer und mehr Betten für die sonnensüchtigen Deutschen umsetzten, ließ er sich regelmäßig mit einem Sportflugzeug über die Insel fliegen.

Glücklicherweise gestand das Tarifrecht den Arbeitnehmern von 1962 an Urlaubsgeld zu, das in Mallorca besonders günstig anzulegen war. Dosek weiß es noch ganz genau: Für 22 Pfennig gab es ein Wasserglas voll mit spanischem Cognac. Verständlich, dass er den alten Zeiten nachtrauert, als man in der Bar am Hafen hockte, bis frühmorgens die Fischer hereinkamen, mit ihrem Fang prahlten und sich dabei ihren Cognac bestellten. Am Strand gibt es schon lang keine Fischer mehr, aber dafür wirbt jedes Lokal in fast fehlerfreiem Deutsch um Gäste. Wolfgang Dosek spaziert hier gemächlich entlang, denn der Strand, der Himmel, die Insel, das ist seit fünfzig Jahren sein Revier.

Manchmal wird es ihm zu viel. Es kann sein, dass Schwäbinnen mit furchtbar lustigen T-Shirt-Aufschriften hier prollig den Junggesellinnenabschied feiern oder Abiturklassen einfallen und sich eine Woche lang um den Verstand trinken. Lobo, der einsame Wolf, mag das alles nicht. "Das strotzt ja jetzt vor Jugend", sagt er und zieht für seine Urlaubswochen ruhigere Quartiere vor. Die Wochen zwischen Ostern und Pfingsten verbringt er diesmal in Peguera an der Westküste. "Da warten mindestens zehn Leute auf mich."

Batteriebetriebener Rollstuhl statt Eselsgefährt

Jede Bausünde kennt er mit Vornamen, in die Familienverhältnisse aller Wirtsleute ist er eingeweiht. Viele der Freunde von früher sind schon gestorben oder zu malad, um noch nach Spanien zu fliegen. Vieles hat sich verändert. Ganz allmählich ist aus dem idyllischen Küstenort eine Tourismusmaschine geworden. Wo früher im Zweifel das Eselsgefährt Vorfahrt hatte, summen batteriebetriebene Rollstühle vorbei. Sogar die Kirche ist anders, ist innen viel heller gestrichen. Während der Priester die Kommunion an ein paar Gläubige austeilt, strömt Tschaikowsky vom Band.

Nein, versichert Dosek, er sei keineswegs mit Neckermann oder mit Spanien verheiratet. Überall in der Welt war er - in Indonesien, Südamerika, in der Sahara, aber dort, sagt er verschwörerisch, mit Rotel-Tours, mit dem Busunternehmen, das diesen Anhänger aus Röhren mit sich führt, in denen sich die Gäste das Hotel sparen können.

Wolfgang Dosek scheint sein Leben lang vor allem auf Reisen verbracht zu haben. In Frankfurt verkaufte er Tuchballen, versuchte sich kurz auch mit Schmuck und Edelsteinen, "aber das ist kalt, nicht warm. Tuch kann man fühlen, das lebt." Er machte sich selbständig, führte ein eigenes Geschäft für Herrenkonfektion und hatte zum Glück Mitarbeiter, denen er den Laden überlassen konnte, ohne dass sie ihn ausnutzten. So konnte er immer zwei, drei, vier Mal im Jahr verreisen. Seit er sein Geschäft aufgegeben hat, könnte er ganz hierher ziehen, aber er mag nicht. Mehr als Speisekartenspanisch hat er nie gelernt. Mallorca ist zwar seine zweite Heimat, aber eben nur die zweite.

Trend-Reiseziele 2013
:Wo Sie in diesem Jahr hinfahren sollten

Die großen Reise-Portale haben ihre Tipps für das Jahr 2013 abgegeben und sind sich bei vielen Zielen einig. Unter anderem empfehlen sie zahlreiche Ziele in Asien, Outdoor-Ziele und einige Städte, in denen in diesem Jahr gefeiert wird.

Von Carolin Gasteiger

Das Herz macht Schwierigkeiten; er wurde schon operiert und wäre beinahe gestorben, aber zu seinem Jahrestag ist er wieder nach Capdepera gefahren. Kennerisch mustert er die neuen knallgelben Balkone am Bella Vista, überprüft die Speisekarte, rezensiert die anderen Gäste, lacht über das Stahlungetüm am Strand, aus dem noch immer kein Hotel werden will. Ein deutsches Paar streitet sich mit einem deutschen Paar darum, wie sehr die Bauruine den Blick aufs immer noch blaue Meer beeinträchtigt. Auf einem breiten Badetuch hat sich ein weiteres Paar zusammen mit einem riesen Dalmatiner zum nachmittäglichen Dösen ausgestreckt.

Dosek ist nicht mehr ganz so schlank wie mit 22, die Haare sind nicht mehr schwarz, sondern weiß. Ganz zu Fuß würde er den Weg vom Strand bis zur Burg nicht mehr schaffen. Der Trampelpfad von 1963 ist ohnehin verschwunden unter den vielen neuen Häusern. Aber ganz wie früher läuft der inzwischen 72-Jährige über die Mauerkrone, sucht die Stelle, an der er sich vor fünfzig Jahren hat stolz fotografieren lassen und ist sich sicher, dass seither auch an der alten Burg viel herumgebaut wurde. Oben lesen sich Liebespaare die Tafel mit der historischen Erklärung vor, erfahren von maurischer Besatzung und der Bedrohung durch die Sarazenen und wie die Stadt durch eine Kriegslist doch noch gerettet wurde. Dann schlagen sie die Glocke an und wünschen sich, dass sie noch einmal nach Capdepera über dem blauen Meer zurückkehren werden.

© SZ vom 18.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: