120 Jahre Eiffelturm:Luftig leicht und schwer beeindruckend

Die Pariser sind stolz auf ihre eiserne Dame, aber zeigen es nicht - es gehört zur Pariser Arroganz, über den Turm zu spotten.

Gerd Kröncke

Glauben Sie jenen Parisern nicht, die sich abfällig über den Eiffelturm äußern. In ihrer Arroganz gefallen sich manche darin, sich über ihr schönstes Stück zu mokieren. Dieses alles überragende und trotzdem leichte hohe umgedrehte Ypsilon, das, wenn man es zum ersten Mal sieht, so gar nicht überrascht.

Es ist, wie später im Louvre bei der Mona Lisa, man denkt, man habe das schon immer gekannt. Eine Wohnung mit Blick auf La Tour Eiffel ist viel mehr wert als eine auf derselben Etage zur anderen Seite.

Und trotzdem hat es Tradition, den Eiffelturm geringzuschätzen.

Es gab sogar eine Zeit, da wurde die Forderung für originell gehalten, ihn wieder abzureißen. Der große Guy de Maupassant lamentierte: "Ich habe Paris und sogar Frankreich verlassen, weil der Turm mich zu sehr ärgerte." Vor allem, weil man ihn von überall sehen müsse.

Aber die Zeit ist über sein Urteil hinweggegangen, dieses Jahr ist wieder einmal Jubiläum. Der Turm des Gustave Eiffel ist seit 120 Jahren das Wahrzeichen von Paris. Es werden noch mehr Menschen hinauffahren als sonst, voriges Jahr waren es schon knapp unter sieben Millionen gewesen.

Dass drei Viertel von ihnen Ausländer gewesen sind, heißt umgekehrt auch, dass sich immerhin 1,7 Millionen Franzosen angestellt haben. Irgendwann ist jeder Pariser schon mal oben gewesen.

Hundertzwanzig Jahre sind als Jubiläum eine etwas künstliche Zahl, die Stadt Paris nimmt sie gleichwohl zum Anlass, den Namensgeber des großen Turms in einer Ausstellung zu würdigen. Inzwischen kann es nicht mehr viele Menschen geben, die ihm begegnet sind, wir müssen uns mit Zeugen begnügen, die Menschen kannten, die ihn gekannt haben.

So erzählt unsere Freundin Marie-Thérèse, wie beim Mittagstisch in einer Brasserie an der rue Antoine Bourdelle des öfteren eine alte Dame saß, die unter begeisterten Ausrufen von Monsieur Eiffel erzählte - und was für ein großzügiger, freundlicher Mann er gewesen sei. Seine Firma residiert noch immer in derselben Straße im 15. Arrondissement, uns aber genügt der Turm.

Selbst Maupassant, der von Architektur nicht zu viel verstand, war am Ende doch nicht emigriert und gab zu verstehen, dass er gern in einem der Restaurants des Turms diniere. Schließlich sei es der einzige Punkt, von wo aus man das Ungetüm nicht sehen müsse.

Heute müsste es schon eine ganz besondere Gelegenheit sein, sich einen Besuch im Restaurant "Jules Verne" in 120 Metern Höhe zu leisten. Auch das Lunch-Menü für 85 Euro, ohne Wein, werden in der Regel nur Leute günstig nennen, die nicht selber die Zeche zahlen. Wir begnügen uns wie all die anderen, die eine Stunde und länger angestanden haben, mit der Aussicht.

Weil der durchschnittliche Besucher nur 3,50 Euro an Andenken oder Eis am Stiel ausgibt, wollen die Betreiber das Konzept ändern. Wer in der mäandernden Schlange steht, kann nicht konsumieren, kann allenfalls den fliegenden illegalen Händlern ihre schrecklichen Schlüsselanhänger in Eiffelturm-Form abkaufen.

Bereits Maupassant hatte all den Kitsch beklagt, der offenbar schon zu seiner Zeit unters Volk gebracht wurde, "ausgestellt in jedem Schaufenster, ein Albtraum, quälend und unentrinnbar".

Eine Aussicht für Millionen

Künftig sollen Tickets für einen vorher zu bestimmenden Termin übers Internet zu kaufen sein. Als Gustave Eiffel den Turm baute, hatte er mit einer halben Million Besuchern gerechnet, um seine Kosten von - nach heutiger Währung - 50 Millionen Euro wieder einzuspielen.

Schmuck aus fremden Federn

Es kamen aber mehr als zwei Millionen, und inzwischen sind die Zahlen kaum noch zu steigern. Für die Stadt Paris, der das Monument längst gehört, ist der Turm eine schöne Einnahmequelle. La Tour Eiffel stellt alles in den Schatten, keine Attraktion ist attraktiver. Um den Besuchern noch mehr Geld abzunehmen, soll ihr Konsum besser kanalisiert werden.

Gustave Eiffel würde sich bestätigt sehen. Er war ein großer Ingenieur und ein genialer Geschäftsmann, der freilich nicht von Katastrophen verschont blieb. Beim Bau des Panamakanals wurde er in den Strudel der Krise gezogen und verlor den Großteil seines Vermögens.

Aber der Turm, der bleibt. Dabei war er nicht einmal seine Idee - die ersten Entwürfe, gewissermaßen die Grundidee, stammten von seinen Mitarbeitern. Der Ingenieur Maurice Koechlin hatte die Ur-Skizzen für einen "Pylône de 300 mètres hauteur" daheim zu Papier gebracht, 11 rue Lechatelier, wie er später schrieb, als solle die Adresse als zusätzlicher Beleg dienen.

Um die für ihre Zeit exorbitante Höhe von 300 Metern zu kennzeichnen, hatte er neben den Turm übereinander gemalt: die Kathedrale Notre-Dame, die Freiheitsstatue, dreimal die Vendôme-Säule und, weil das alles noch nicht ausreichte, noch ein sechsstöckiges Haus obendrauf.

Er habe den Rohentwurf Monsieur Eiffel gezeigt, so schrieb er zum 50-jährigen Bestehen, aber der habe kein Interesse bekundet. Immerhin hatte Eiffel seine Ingenieure ermutigt, weiter an der Idee zu arbeiten.

Koechlin war ein fleißiger Mitarbeiter, er hatte sich schon beim Bau der Freiheitsstatue als nützlich erwiesen, deren innere Stahlkonstruktion von Eiffel entwickelt wurde.

Der Ingenieur Eiffel, dessen Vorfahren, aus Deutschland kommend, weitsichtig ihren sehr deutschen Namen Boenickhausen ablegten, war als Techniker ebenso begabt wie als Geschäftsmann. Er zahlte seine Untergebenen aus und machte sich das Projekt des Turms zu eigen.

Betrügereien und Lebenslust

Beim Wettbewerb zur Weltausstellung 1879 setzte sich Eiffels Turm gegen Dutzende konkurrierende Pläne durch. Genial hatte Eiffel auf die Luftigkeit der Konstruktion vertraut. Dass das Leichte solider ist als das Kompakte, darauf beruht die Standfestigkeit des Turms.

Das zu seiner Zeit höchste Bauwerk der Welt, dessen Größe erst später im folgenden Jahrhundert in New York übertroffen werden sollte, hat in den 120 Jahren nichts von seinem Charme verloren.

Der Allround-Künstler Jean Cocteau hat ein Stück über den Eiffelturm geschrieben, er nannte La Tour Eiffel eine "seidige Giraffe". Es gibt ein Porträt, das den jungen Cocteau schlank und schön vor der Kulisse des Eiffelturms zeigt. Da lebte der alte Eiffel noch und wurde Zeuge, wie populär sein Turm geworden war.

Kaum ein Künstler in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, der ihn nicht in einen Bildhintergrund aufgenommen hätte, kein klassischer Fotograf, der ihn nicht irgendwie verewigt hätte. Schnell wurde er das berühmteste von allen Baudenkmälern dieser Welt.

Gefälschte Eintrittskarten

Es gab einen hinreißenden Betrüger, der nach Eiffels Tod 1923 den Turm mit gefälschten Papieren an einen Schrotthändler verkaufte. Weniger originell, aber durchaus einträglich waren die Betrügereien von Angestellten, die vor einiger Zeit verurteilt wurden, weil sie Eintrittskarten auf eigene Rechnung verkauft hatten. In sechs Jahren hatten sie eine Million Euro für sich abzweigen können, ohne dass es auffiel.

Es gab Fallschirmspringer, die ungenehmigt vom Turm sprangen und tödlich verunglückten. Die Sicherheitsvorkehrungen sind größer als früher, als Meldungen von Selbstmorden zur Routine gehörten. Heute braucht es so viel Energie, bevor man sich in den Tod stürzen kann, da überlegt es sich mancher. Einmal ist ein Pilot mit einer Sportmaschine durch die Bögen des Turms geflogen. Um Nachahmer abzuschrecken, wurde die Nachrichtensperre nie aufgehoben.

Seit den 90er Jahren gehört der Eiffelturm offiziell zum Welterbe.

La dame de fer, die eiserne Dame, steht, hoch in den Himmel ragend, für französische Lebenslust.

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