Rekordweinberg in Südtirol: "Wir brauen dafür Tees, die fürchterlich stinken"

Marienberg

Die Familie Van den dries bewirtschaftet im Vinschgau den höchsten Weinberg Festland-Europas an den Hängen des Klosters Marienberg.

(Foto: Hilde Van den dries)

Im Vinschgau wächst der höchste Wein Europas. Dafür greifen die Winzer zu ungewöhnlichen Methoden - und Unternehmensberater wollen unbedingt freiwillig bei der Ernte helfen.

Von Dominik Prantl

Markus Spanier blickte vom Kloster Marienberg hinab, und der Abt sah, dass es nicht gut war. "Der Hang war erst Wiese, und dann war er Weide." Was soll man auch machen mit einem Stück Land, das sich durch Relief und Lage dem Kultivierungsdrang des Menschen hartnäckig widersetzt? Zuletzt musste Spanier beobachten, wie selbst die als geländegängig bekannten Hochlandrinder nicht so recht Tritt am Fuße des Benediktinerklosters fassten, vor allem nach Regenfällen. "Probiere es mit Wein", riet ein Freund dem Abt, was schon deshalb ein geradezu himmlisch genialer Vorschlag war, weil Weinstock und Reben nicht einmal aus der Bibel wegzudenken sind. Spanier, ein gebürtiger Pfälzer, griff also zum Telefon und wählte die Nummer der Familie Van den dries.

Frans Van den dries kann sich an den Anruf noch sehr gut erinnern, und wenn er das tut, grinst er sein wunderbares Lausbubengrinsen, das den Rentner gleich ein paar Jahre jünger macht. "2011 war das, und ich war nicht so direkt gut gelaunt. Ich kannte den Mann ja gar nicht!" Außerdem hatte er gerade ganz anderes im Sinn, und wäre der Abt kein Abt gewesen, hätte Frans Van den dries sich vielleicht versteckt hinter seinen Weinstöcken, weil es dort ja immer etwas zu tun gibt. Aber wer weiß, wozu ein guter Draht nach oben noch zu brauchen ist, und so stattete er dem Abt im nahe gelegenen Kloster einen Besuch ab. Als er zurückkam, fragte er seine Tochter Hilde: "Hast du Lust, in drei Jahren hauptberuflich Winzerin zu sein?"

Calvenschlössl

Tüftler am Hang: Die Familie Van den dries - Frans und Frieda mit Tochter Hilde - bewirtschaftet die steilen Weinlagen unterhalb des Klosters Marienberg.

(Foto: Vinschgau Marketing/Frieder Blickle)

Konkurrenz für den Apfelanbau?

Auch wenn der erste Wein vom Marienberg wohl erst 2017 auf den Markt kommt, sieht es nun tatsächlich so aus: Die aus Belgien (maximale Erhebung: 694 Meter) stammende Familie Van den dries bewirtschaftet im Vinschgau derzeit den bis auf 1340 Meter reichenden und damit höchsten Weinberg Festland-Europas, wobei der Superlativ weder amtlich noch sonst wie bestätigt wurde. "Das hat das Kloster herausfinden lassen", sagt Frans Van den dries. Eine Rückfrage beim Abt wiederum ergibt: "Das hat die Familie Van den dries recherchiert." Jedenfalls wird Visperterminen im Wallis, bislang als höchster Weinanbau auf dem europäischen Festland beworben, locker um fast 200 Meter überboten (siehe Texte rechts).

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Es ist natürlich kein Zufall, dass der neue Rekordweinberg im Vinschgau liegt. Das Klima schert hier aus seinem üblichen alpinen Muster aus. Nur mickrige 400 bis 500 Millimeter Niederschlag und die wie Entfeuchter wirkenden Fallwinde machen das Südtiroler Tal zu einem der trockensten des Alpenraums. Dafür scheint die Sonne markant häufiger als beispielsweise im ohnehin sonnigen Meran gleich ums Eck. Der Weinanbau ist mit nur 45 Hektar trotzdem noch immer eine Randerscheinung im Vergleich zu den riesigen Apfelanbauflächen. Die einstige Kornkammer Tirols ist heute der Obststand Italiens.

Frans Van den dries kam das erste Mal vor einem halben Jahrhundert hierher, und richtig losgelassen hat ihn der Vinschgau auch später, als Vater von drei Kindern nicht. Sonne, Berge, Wein - Tourist, was brauchst du mehr, vor allem dann, wenn man ein so begeisterter Bergsteiger ist, wie es Van den dries einer war. "Ich wollte die Eiswände machen", sagt er und nickt kurz nach Süden, wo ein paar Kilometer weiter mehrere Ostalpenkolosse wie Ortler und Königsspitze stehen. "Heute gilt meine Begeisterung eher der Rebe."

Calvenschlössl

"Probiere es mit Wein", riet ein Freund dem Abt des Benediktinerklosters. Jetzt bewachsen Weinstöcke den Hügel.

(Foto: Anne Gabl)

Die Leute sagten: Lasst das doch.

Aus dem Urlauber wurde ein Vinschger Weinbauer. Nachdem er 2002 seine Anteile an einer Reederei verkauft hatte, leistete sich Frans Van den dries mit seiner Frau ein kleines Haus auf einer Anhöhe am Ortsausgang von Laatsch bei Mals, das Calvenschlössl auf 1000 Metern. Drei Jahre später erwarb er auch noch das Land hinter dem Haus, ein etwa ein Hektar großes, steiles Areal mit viel Botanik und jeder Menge Gneisgestein. "Wir haben die ersten acht Reihen für die Rebstöcke zum Teil mit dem Pickel aus dem Fels gehauen", sagt Tochter Hilde Van den dries.

Die Botanik durfte bleiben, denn es sollte ein biologischer Wein werden, ohne Kupfer und Schwefel, die sonst häufig auch in ökologischer Landwirtschaft verwendet werden. "Wir brauen dafür Tees, die fürchterlich stinken." Vier Klee- und 20 Wildblumenarten wachsen zwischen den Rebstöcken, "bei der Ernte hast du ständig Marienkäfer und Ohrwürmer in der Hand". Auf solch einem Hang kommen nur die wahren Kämpfer unter den Rebsorten zurecht: Solaris, Souvignier gris, Zweigelt, Cabernet Cortis. Die Leute sagten: Lasst das doch. Bringt doch nichts.

Die erste Ernte 2008 ergab 23 Liter.

"Ich könnte nicht mehr zurück"

Inzwischen werden auf dem Weinhof Calvenschlössl fünf verschiedene Weine und insgesamt 2500 Flaschen pro Jahr verkauft, fast ausschließlich an Gastronomiebetriebe im Umland. Aus dem Hobby des Seniors ist längst ein kleiner Betrieb geworden, und irgendwie sind die ehemaligen Touristen als Tüftler am Hang und im Weinkeller selbst zur Touristenattraktion geworden. Jedenfalls gefallen die Bio-Belgier nicht nur dem Abt. Als im vergangenen Jahr einige Unternehmensberater aus München unbedingt bei der Ernte mithelfen wollten, und einer nach dem anderen in teurem Wagen vorfuhr, durfte Hilde Van den dries leicht belustigt registrieren: "Ah, unsere Arbeiter sind da."

Calvenschlössl

Calvenschlössl Familie Van den dries

(Foto: Copyright Vinschgau Marketing/Frieder Blickle)

Sie hat ihren Wohnsitz trotz eines guten Jobs in Antwerpen inzwischen ebenfalls in den Vinschgau verlegt, und die 40-Jährige sagt: "Ich könnte nicht mehr zurück." Eine schwere Krankheit vor drei Jahren hat sie endgültig dazu bewogen, "das zu machen, was mein Herz mir sagt". Noch arbeitet sie nebenbei als Kellnerin. Als Winzerin wird sie erst mit dem Ertrag der weiteren zwei Hektar am Kloster finanziell über die Runden kommen, mit "Rebsorten, die spät austreiben und früh reif sind" sowie drei Eseln als Erntehelfern. Und sie wird all das, was schon am Calvenschlössl gilt, wegen der Höhenlage am Kloster Marienberg noch mehr beachten müssen. Dafür weiß sie die Mehrheit der Bevölkerung auf ihrer Seite: Bei einem Referendum der Gemeinde Mals im vergangenen Herbst sprachen sich drei Viertel der Wähler für ein Verbot bestimmter Pflanzenschutzmittel aus. Die Wahlbeteiligung war hoch: 70 Prozent.

Info

Anreise: Mit dem Auto am besten über das Inntal und den Reschenpass nach Mals. Unterwegs ist bereits das Kloster Marienberg oberhalb von Burgeis zu sehen. Von Meran verkehrt außerdem die Vinschger Bahn nach Mals, www.vinschgauerbahn.it

Weinhof Calvenschlössl: Familie Van den dries, Laatsch 102, I-39024 Laatsch/Mals, Italien, Tel. 00 39/04 73/83 52 78, www.calvenschloessl.eu

Das Kloster: Benediktinerstift Marienberg, I-39024 Mals, Schlinig 1, Italien, www.marienberg.it

Auskünfte/Unterkünfte: Gästeinformation Vinschgau, Tel. 00 39/04 73/62 04 80, www.vinschgau.net

Messwein vom Hang

Den Segen des Abts haben die Pächter sowieso. Markus Spanier gefällt es, dass zwischen den Weinstöcken ganze Kolonien aus Brennesseln und Disteln wuchern, dass ein ganzer Hang mit Wildbeeren bepflanzt wurde und im Sommer die Wildblumen am Rand blühen. Ihn stört es auch nicht sonderlich, dass die meisten Trauben in diesem Jahr von den Vögeln geholt wurden und also der Ertrag letztlich nur für Versuchszwecke reichen wird. "Wenn die Trauben den Vögeln geschmeckt haben, zeigt das doch, dass sie sehr gut waren." Er habe im Sommer selbst Hand angelegt beim Jäten des Unkrauts, und an heißen Tagen ist er manchmal auch etwas früher aufgestanden, "noch vor fünf Uhr", um die Rebstöcke zu bewässern.

Denn schließlich versteckt sich hinter der ganzen Reben-Weinstock-Symbolik auch ein recht weltlicher Gedanke: "Unser Messwein kommt ja sicher irgendwann von dem Hang."

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