Reisen in Israel:Am Rande des Sturms

Es riecht nach Mittelmeer, es schmeckt nach Mittelmeer, es ist ja auch Mittelmeer. Eine Reise an Israels nördliche Küste, wo vieles ganz anders ist als im Rest des Landes.

Von Anja Martin

Drei Kugeln Eis kommen zum Dessert. Dazu ordert der Mann mit dem Rauschebart ein Fläschchen Olivenöl und gießt einen Schwung über die Sorte Grapefruit. Er darf das, er ist einer der besten Köche Israels. Und dies ist sein Restaurant: das "Uri Buri". Es heißt so, wie sein Spitzname lautet. Und das Eis? Ist es jetzt verdorben? Nein, so lecker wie vorher, nur milder.

Das ist es, was Uri Jeremias zeigen wollte: Das Bittere nimmt dem Bitteren das Bittere. Das ist für den Gaumen überraschend. Aber vor allem irritiert Europäer, wie mediterran man sich hier fühlt: in diesem Fischlokal, im Küstenstädtchen Akko, in Westgaliläa, im Norden des Heiligen Landes. Es riecht nach Mittelmeer, es schmeckt nach Mittelmeer, es ist ja auch Mittelmeer. Man vergisst das gern, wenn man nach Israel reist. Denn mit dem Land verbindet man meist anderes: Jesusfilme, Kibbuze und koscheres Essen. Oder auch: Sperranlagen, Attentate, Nahostkonflikt.

Hinter dem Restaurant ein Netz aus Gassen mit vom Klima mal blank polierten, mal angefressenen Steinquadern. Zum Meer hin eine dicke Stadtmauer. In den Schießscharten leere Getränkedosen und Picknickreste. Wo früher die Kanonen auf mögliche Invasoren zielten, genießt man heute Snacks und Sonnenuntergang. Drumherum Fischer, Möwen, weiße Krönchen auf den Wellen. Die Meeresbrise ist jetzt gerade kein Lüftchen, sondern ein kapitaler Wind, der die Haare ins Gesicht schleudert.

Solche Winde brachten auch die Seefahrer nach Akko, eine der ältesten Städte der Welt, die schon vor Christi Geburt eine internationale Hafenstadt war und als Tor Palästinas galt. Die Griechen, die Römer, die Osmanen, die Mamelucken und im Mittelalter die Kreuzritter, später die Briten - alle hatten hier irgendwann das Sagen. Heute hört man außerhalb Israels wenig von Akko, auch wenn die Altstadt samt unterirdischer Rittersäle und geheimer Tunnel vor mehr als 15 Jahren unter den Schutz der Unesco gestellt wurde.

Reisen in Israel: SZ-Karte

SZ-Karte

Das westliche Galiläa, das sind die im Norden Israels liegenden 22 Kilometer der Küste und etwas Hinterland - für Israelis eine Art nationaler Gemüsegarten: Orangen, Pomelo, Avocado, Bananen, Oliven, Karotten, Pfirsiche und Trauben wachsen hier in Plantagen, oft mit Spezialnetzen gegen Sonne und Vögel geschützt. Die Landschaft dahinter ist hügelig und baumbestanden, dank jahrzehntelanger Pflanzaktionen.

Dazwischen liegen viele Kibbuzim und Moschawim, genossenschaftlich organisierte Bauerndörfer. Es finden sich Weingüter, Farmen, Molkereien und Käsereien, an der Küste schöne Strände. Es riecht würzig und nach Salz. Das alles hat etwas Bekannt-Mediterranes. Auch wenn man in Schekeln bezahlt, jede Pflanze penibel bewässert werden muss, Wein meist koscher ist und nicht so selbstverständlich auf dem Tisch steht wie in Frankreich oder Italien.

Eine fruchtbare Gegend, aber arm an Touristen. Die meisten Israelreisenden fahren nach Tel Aviv und Jerusalem, interessieren sich daneben für biblische Stätten. Und genau die hat Westgaliläa kaum zu bieten. Der See Genezareth, Kapernaum und Nazareth - all diese Bibel-Orte finden sich in anderen Teilen Galiläas, nicht im Küstenstreifen.

In der Altstadt von Akko der Souk: Baklava, Datteln, Hummus, Falafel, Gewürze, türkischer Kaffee. Nun doch auch orientalisch statt mediterran. Mittendrin Uri Buri - "Buri" ist im Hebräischen das Wort für Meeräsche. Er schält sich durch den Trubel, gemächlich. Alle kennen ihn, viele grüßen ihn. Bei manchen bleibt Zeit für eine Unterhaltung. Der Jude mit deutschen Wurzeln, um die 70 Jahre alt, liebt diese Stadt.

Akko ist auch die Stadt des Miteinanders, in der Araber und Juden nicht nur in einer Gemeinde, sondern teils sogar in denselben Häusern leben - in anderen Teilen Israels schwer vorstellbar. Das Bild mit dem Olivenöl über dem Grapefruit-Eis: Hier stimmt es nicht. Denn bei den Menschen ist es nicht das Bittere, das Bitteres wegnimmt. Es ist eine andere Zutat, die beim Zusammenleben hilft: "Respekt", sagt Uri, der nicht nur ein Botschafter des Geschmacks, sondern auch einer der Brüderlichkeit ist - und der zu seinen drei eigenen Kindern noch einmal drei adoptiert hat, auch arabische.

Kaum Polizei, keine Mauern: Dies ist nicht das Israel, das man aus den Nachrichten kennt

Der Muezzin, Kirchenglocken und das Geschrei der Möwen mischen sich in Akko ganz selbstverständlich. "Die mediterrane Gesellschaft", sagt Efraim Lev, Professor an der Universität im zehn Kilometer südlich gelegenen Haifa, der gemeinsam mit Uri Seminare zu Geschmack und Geschichte anbietet, "war historisch immer eine Mischung aus Muslimen, Christen und Juden". Und genau das sei doch das große Thema unserer Zeit: "Wie Religionen zusammenhalten." Westgaliläa als Vorbild nicht nur für Israel, sondern sogar für die ganze Welt. Kann das sein?

Fährt man hinein in den Westen von Galiläa, sind Siedlungen mal jüdisch, mal muslimisch mal drusisch, mal christlich. Der Norden Israels ist die kulturell am stärksten gemischte Region, der Nordbezirk der einzige des Landes, in dem mehr Araber als Juden leben. Alles ist ruhig, kaum Polizei ist auf den Straßen, Mauern oder Sperranlagen sind nicht in Sicht. Man sieht viel Grün, aber die Grüne Linie - die Demarkationslinie zwischen Israel und den von Israel im Sechstagekrieg besetzten Gebieten - ist fern. Kaum je trifft man auf schwarz gekleidete Orthodoxe mit Schläfenlocken. Es ist jedenfalls nicht das Israel, das die internationalen Nachrichten beschäftigt.

Im drusischen Dorf Julis, zehn Kilometer östlich von Akko, ist Nahida Kabishi eigentlich mit dem Teigkneten fertig. Als nächstes soll er in Kugeln zerteilt, ausgezogen und mit dem Kraut Ysop gefüllt in Fett ausgebacken werden. Doch noch fehlt etwas Entscheidendes: Schnell drückt Nahida die fünf Finger einer Hand in den Teig. Was war das? Ein kulinarisches Geheimnis? Eher eine Art Mini-Gottesdienst, in den Alltag eingebaut. Wer bei Nahida Kabishi, Drusin und Mutter zweier Kinder, zu Gast ist und mit ihr kocht, erfährt nicht nur, wie man Teig knetet, F'tir, Freekeh, Siniya und gefüllte Weinblätter macht. Sondern auch einiges über den Glauben der 44-Jährigen.

Drusen sind Araber. Sie gehören zu einer Religionsgemeinschaft, die sich Anfang des elften Jahrhunderts vom schiitischen Islam abgespalten hat. Die Mitglieder wertschätzen gleichzeitig Jesus, Mohammed, Abraham und Noah. Rund 130 000 Drusen leben in Israel, die meisten im Norden, wo sie acht Prozent der Bevölkerung ausmachen. "Nachher gibt es noch einen Salat. Das Rezept habe ich aus dem Libanon", sagt Nahida Kabishi und es klingt, als hätte sie da Freunde besucht. Was sie aber meint ist, dass sie das Rezept aus einem ihrer früheren Leben hat. Und da war sie, ihrer Vorstellung nach, im Libanon zu Hause. Denn die Drusen glauben an Wiedergeburt. Und so springt man bei dieser Kochstunde nicht nur fröhlich zwischen Gerichten, Kulturen und religiösen Figuren hin und her - sondern auch zwischen den Zeiten.

Die fünf Finger im Teig stehen für fünf Männer, die von den Drusen als Propheten verehrt werden, außerdem für die Hamsa-Hand, ein Glücks- und Schutzsymbol im Mittleren Osten. Gut essen und dabei auch noch etwas lernen über den Glauben der Einheimischen: Das ist eine Erfahrung, die Touristen auch bei Kochworkshops in muslimischen, christlichen oder jüdischen Familien in Westgaliläa machen können.

Die Gegend hat viel Sehenswertes, doch sucht man nach Sehenswürdigkeiten, bleibt neben Akko nur Rosh Hanikra. Eine Gondel bringt jedes Jahr Hunderttausende Besucher von den weißen Kalkfelsklippen hinunter zu den viel bestaunten Grotten. Die Seilbahn gilt als die steilste der Welt - der Blick geht direkt aufs Meer. Rosh Hanikra liegt nur hundert Meter vom Libanon entfernt. Auf dem Bergrücken zieht sich ein Grenzzaun entlang, auf dem Meer reihen sich Grenzbojen, daneben liegt sicherheitshalber ein Militärschiff. Gefahr droht derzeit wohl kaum. Doch lange Zeit war es Touristen hier zu wenig entspannend - überhaupt in Westgaliläa, wo die Hisbollah so nah war und im letzten Libanonkrieg Raketen am Strand einschlugen. Man blieb lieber im sicheren Tel Aviv oder flog irgendwohin in der Welt. Da mochte die nördliche Ecke des Landes noch so mediterran sein, die Strände noch so schön, der Wein noch so gut.

Schawe Zion, eine Siedlung südlich des einst berühmten Badeorts Naharija. Mittelmeervillen mit Gärten, davor der Strand. Touristen übernachten, wenn überhaupt, klassisch in Zimmers, wie man Pensionen hier nennt. Oft sind sie sehr einfach, wenden sich an Familien, die mal ins Grüne wollen. Die einzigen Hotelgebäude in Schawe Zion stehen leer. Bis auf eines, das Néa. Das hat Arik Semama, der bereits ein Boutique-Hotel in Tel Aviv besitzt, gerade zu einem schicken Resort im Beachhouse-Stil umgebaut. Gern würde er das Partyvolk aus der Stadt in den Norden holen. Obwohl er weiß: "Es ist wohl die letzte Destination, an der Israelis ihre Ferien verbringen würden." Zu unhip, zu wenig Nachtleben. Fliegt man da nicht besser nach Berlin?

Er glaubt trotzdem an sein Projekt. Diese schönen, leeren Strände. Und weit ist es nicht von Tel Aviv aus - ein wenig mehr als hundert Kilometer, eineinhalb Stunden Autofahrt. "Die Hamptons starteten ja auch so: ein kleines Dorf am Meer, mit exklusiven Häusern im Grünen." Tatsächlich steigt das Interesse an der nördlichen Küste allmählich wieder. Ende 2012 machten lediglich fünf Prozent der israelischen Touristen Urlaub im westlichen Galiläa. Drei Jahre später waren es schon acht Prozent. Und auch wenn sich die Gegend besser nicht an den Hamptons messen lassen sollte - als die Toskana Israels würde sie durchgehen.

Info

Anreise: z. B. mit Easyjet von Berlin nach Tel Aviv ab 120 Euro hin und zurück, www.easyjet.com. Ab München mit El Al ab 300 Euro, www.elal.com. Weiter mit Zug oder Mietwagen nach Akko.

Übernachten: Hotel Efendi in Akko, DZ mit F. ab 300 Euro, www.efendi-hotel.com. Néa Resort & People in Schawe Zion, DZ mit F. ab 180 Euro, www.nea.co.il

Weitere Auskünfte: Uri Jeremias und Efraim Lev bieten ein "Crusaders Seminar" an, maßgeschneiderte historische Touren mit Übernachtung im Efendi und allen Mahlzeiten ab 720 Euro pro Tag, www.efendi-hotel.com. Koch-Workshops organisiert Paul Nirens in muslimischen, drusischen und christlichen Familien in Galiläa, 3,5 Stunden für 70 Euro, www.galileat.com ; Infos zur Region: www.ozrothagalil.org.il

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