Interview:Helge Schneider über das Reisen

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Helge Schneider, 49, ist einer der besten Komiker Deutschlands, oder, um es gleich zu sagen: er ist der beste. Seine Bühnen-Programme sind mitunter etwas sinnfrei und immer weit entfernt von pointenfixierter Standup-Comedy oder untoter Kabarett-Schlaumeierei. Ein Interview von Harald Hordych

Eine Hotel-Lobby in Hamburg. Große, schwarze Sofas. Der einzige Farbtupfer ist Helge Schneider. Er trägt einen blauen Anzug, ein kariertes Hemd, schwarze Gesundheitsschuhe. Sein schulterlanges, gewelltes Haar und sein Vollbart können die feinen Gesichtszüge nur schlecht verbergen.

Reist auch gerne mal nur in Gedanken: Der Sänger und Komiker Helge Schneider (Foto: Foto: ddp)

Ohne Perücke und Grimassen ist er ein gut aussehender Mann. Das duale Aufnahmegerät auf dem Tisch ist ein riesiger Kassettenrecorder. Er gefällt ihm so gut, dass Schneider das Mikrofon sofort selbst einstöpselt.

SZ: Herr Schneider, vorhin haben Sie im Hamburger Hafen das Segelschiff "Mir" sehr interessiert fotografiert.

Helge Schneider: Das mach ich so ab und zu mal, Hobbyfotos eben.

SZ: Schwingt da Sehnsucht mit?

Schneider: Könnte sein, doch - finde ich gut. Ist schon faszinierend, dass Leute sich da so aufopfern. Es gibt ja sogar russische Viermaster. Davon gibt es nur noch ganz wenige auf der Welt.

SZ: Sie haben gerade ein Buch über eine Weltreise geschrieben. Haben Sie früher schon die Sehnsucht nach Reisen gehabt?

Schneider: Ja, Kapitän zu sein oder sowas. Das sind so Träume gewesen. Als ich dann von zu Hause wegging, habe ich dran gedacht, aufs Schiff zu gehen. Aber da hat man mir dann doch von abgeraten.

SZ: Ihre erste Auslandsreise hat Sie stattdessen nach Barcelona geführt.

Schneider: Damals, richtig, jaja. Wo ich gedacht habe, da wären Palmen am Strand und ganz Barcelona wäre ein Sandstrand.

SZ: Noch Erinnerungen daran?

Schneider: Zum Beispiel: Nachdem man die französische Grenze passiert hatte und dann in der Morgensonne in Spanien auf einmal den Berg hochfuhr und da ein kleines Café war, und links und rechts so Terracotta-Blumentöpfe verkauft wurden, wie es halt so üblich ist, und diese Osbornestiere überall, die einen dann immer so angeguckt haben. Und als ich dann aus dem Bus ausgestiegen bin, habe ich ja einen Schlag gekriegt, so heiß war das.

SZ: Mit dem Fernreisebus?

Schneider: Das war der Europa-Bus. Ich weiß nicht, ob du das kennst?

SZ: Schon mal von gehört.

Schneider: Da konnte man für 90 Mark von Duisburch nach Barcelona fahren.

SZ: Mit Freund oder Freundin?

Schneider: Wir waren, glaube ich, mehrere Leute, warte mal, eins, zwei, Jorge, also'n Freund aus Chile, drei, vier, fünf, ich glaub fünf Leute warn wir. Das war der Hammer. Ich war erst 15 oder sowas.

SZ: Sehr jung. Erstaunlich, dass Ihre Eltern damit einverstanden waren, das war eine richtig große Reise.

Schneider: Die anderen waren ja älter, die haben dafür gebürgt, dass sie auf mich aufpassen und die mussten dann auch vorher bei mir zu Hause antreten.

SZ: Schulfreunde?

Schneider: Ja, ne, der Schlagzeuger, mit dem ich damals in der Band gespielt habe, der Mike, der war sieben oder acht Jahre älter, und der war mit seiner Freundin. Und die haben uns vorher besucht und dann durfte ich mitfahren.

Auf zu neuen Ufern in Portugal! "Ich war da auch auf den Titelseiten", sagt Schneider. (Foto: Foto:)

SZ: Und dann richtig über die Stränge geschlagen? 15 Jahre, Sonne, Strand und Alkohol?

Schneider: Nein, wir waren mit dem Chilenen Jorge, also geschrieben: J-o-r-g-e...

SZ:...danke, danke...

Schneider:...der Jorge war 1969 von Chile nach Spanien gekommen und 1970 dann nach Deutschland, und der kannte dort so eine Art Arbeiterfamilie, und dann haben wir unterhalb von Barcelona in einem Arbeiterdörfchen bei der Familie wohnen können. Die haben extra für uns ihr Wohnzimmer ausgeräumt. Das waren alles so kleine Häuschen, die hatten alle drei Etagen, Neubauten mit dünnen Wänden.

SZ: Also das spanische Leben kennen gelernt. Nichts mit Touristenurlaub.

Schneider: Ne gar nicht Tourismus. Sofort Spanien. Alle Rollläden zugemacht. Keine Teppiche auf'm Boden. Alle Häuser an einer Durchgangsstraße.

SZ: Und ein paar Bars an der Straße.

Schneider: Nur eine Bar an der Straße, sonst Kfz-Werkstätten. Und eine Straßenkreuzung mit einem Polizisten auf einem Fass! Langer Plastikmantel, mitten im Sommer, so ein Südwester, und mit so'm Helm, ein Polizeihelm, mit vorne und hinten was dran, und mit weißen Plastikhandschuhen hat der dann den Verkehr da geregelt. Und wenn man weiterging, ein Stück nach links, dann kam man auch zum Strand. Da waren dann ausschließlich Arbeiter.

SZ: Alles sehr einfach gehalten?

Schneider: Ganz einfach. Und da war dann eine Bar, und da gab's Sangria. Ich wusste aber nicht, dass da Alkohol drin ist.

SZ: Das dürften Sie schnell gemerkt haben.

Schneider: Jahaa! Da habe ich mal so ungefähr anderthalb Liter von getrunken. Und dann bin ich mit der Freundin des Schlagzeugers am Strand entlanggelaufen, bis Barcelona-Hafen. So ungefähr 15 Kilometer, und da die Sonne immer auf die rechte Seite schien, es war so zwölf Uhr rum, mittags, hatten wir beide hinterher auf der rechten Schulter eine Brandblase. Das werde ich nie vergessen. Ich war gestern mal wieder an der Ostsee. Da habe ich mir dann schnell ein Hemd angezogen.

SZ: Man lernt was dabei.

Schneider: Man lernt was.

SZ: Ist das eine Form von Reisen, die Sie immer noch mögen?

Schneider: Also, meine Reisen führen mich eigentlich immer beruflich überall hin. Das ist eine Form von Reisen, die ich gerne mag. Da habe ich einen Auftrag und weiß, was ich zu tun habe.

SZ: Auf Tournee zu sein ist eine Art zu reisen, die Sie immer an dieselben Orte führt. Zumindest in Deutschland.

Schneider: Ich war auch schon mal in Portugal mit meiner Band, das ist allerdings schon über 20 Jahre her.

SZ: Haben Sie da Jazz gemacht?

Schneider: Jazz mit Quatsch.

SZ: Und damit konnten ausgerechnet die Portugiesen etwas anfangen?

Schneider: Wir haben die Texte auf portugiesisch übersetzt und das kam wirklich an. Ich war da auch auf den Titelseiten. Ich war ein Star. Ich bin dann aber abgehauen, keinen Bock mehr.

SZ: Warum?

Schneider: Ich war zweimal da. Wir sind in diesen Studentenklubs aufgetreten. Komische Studenten waren das in Portugal. Die waren alle reich und hatten eigene Putzfrauen. Die Studenten wollten immer tanzen. Beim ersten Mal waren wir in einem angesagten Club, der hieß El Carina, und als wir ein Jahr später zurückkamen, da war das schon völlig verändert, oben war ein Friseur drin und unten konntest du nur noch mit Sichtkontakt rein , so wie man das aus München kannte, mit Security. In München gibt's ja auch ganz viele Läden, wo man nicht reinkann, wo dann ein oder zwei Typen vorne stehen, und die lassen nicht jeden rein, nur nach Bedarf, je nachdem. Und das war da auch, und da hatte ich dann keine Lust mehr.

SZ: Also wenn man reist, sucht man was anderes, was Fremdes.

Schneider: Nicht unbedingt was Fremdes, man sucht was Echtes. Das Original. Ich will nicht in ein Land reisen und dann nur mit Leuten zu tun haben, die mich aufgrund meines Berufes hofieren und nur mit meinem Metier zu tun haben. Ich möchte doch immer auf eigene Faust gucken, was da ist, und in Portugal war das ja wie im Sozialismus.

Du kamst an, und dann wurdest du von dem Manager den ganzen Tag betreut, den wurdest du nicht mehr los, den Kerl. Da habe ich keine Lust drauf gehabt. Wir sind einfach nach Hause gefahren und haben den Manager da sitzen lassen.

SZ: Sie sagten mal, dass Sie Menschen gerne in die Welt des Unsinns mitnehmen. Warum sollen wir Schneider Tours buchen?

Schneider: Weil das sehr wichtig ist. Die Welt des Unsinns ist sinnlich. Die Menschen haben überall ihre Reglements, aber der Unsinn ist nicht reglementiert. Der ist frei. Ich möchte sie in die Freiheit mitnehmen. Unsinn ist die Freiheit. Zumindest hat er was mit Freiheit zu tun.

SZ: Deutsche gelten als Reiseweltmeister. Was suchen die Leute, wenn sie reisen?

Schneider: Oft suchen die Leute, wenn sie reisen, Bequemlichkeit. Wenn die Deutschen reisen, dann fahren sie in Urlaub und liegen am Strand rum.

SZ: Aber ist das nicht auch eine Form von Freiheit, die die Menschen finden?

Schneider: Das ist eine Art von Freiheit, die gesucht wird und die natürlich in dem Fall nicht erfüllt wird, weil die ganzen anderen Dates stimmen müssen.

SZ: Welche Dates?

Schneider: Beispiel: Ich lieg den ganzen Tag am Strand rum, geh vom Strand weg und einen Berg hoch und durch ein Wäldchen, und da seh ich nun einen Campingplatz. Der Campingplatz ist mit Natodraht umzäunt, dahinter sind viele Parzellen, wo Leute neben ihren Autos stehen, in Joggingsachen und neben ihren Autos Sachen auspacken, den Grill, der auf eine bestimmte Art und Weise vor dem Wohnwagen steht, da sind dann auch die Blümchen, wie zu Hause alles, alles wie zu Hause, und dann ist da die Parzelle abgesperrt, und da onkeln die dann so rum und sitzen den ganzen Tag in dieser Natur. Und da dachte ich dann so: Was ist denn, wenn ich mich einfach so mal hier vorne in den Wald setze, mir eine Decke hole und mich da so reinsetze? Macht man das? Nein, das macht man nicht.

SZ: Das wäre dann die Freiheit, die man finden kann.

Schneider: Das ist die Freiheit, die man findet. Und sich diese Freiheit zu nehmen, das wird immerschwieriger ...also, ich hätte jetzt sagen können: Okay, ich setz mich jetzt da rein, setz mich einfach in den Wald und jetzt pack ich irgendwie wat zu essen aus und mach son Picknick, ja?

SZ: Was wäre passiert?

Schneider: Darf man nicht! Da muss man Kurtaxe zahlen und so was alles, da kommt dann einer an, und die gucken doof oder die lachen darüber, natürlich, weil ich es bin, Helge nicht wahr, unser Katzeklo, da kann man natürlich auch Fotos machen. Aber ich wollte damit nur sagen, dass die Leute, die eigentlich so gerne in die Natur gehen, sich, wenn sie dann in der Natur sind oder sein könnten, total verbarrikadieren, weil die Natur ja gefährlich ist.

SZ: Wenn wir jetzt ein bisschen mehr in die Welt des Unsinns reisten, bräuchten wir dann nicht mehr so oft verreisen?

Schneider: Ja, dann bräuchte man vielleicht gar nicht mehr zu verreisen. So wie ich.

SZ: Sie reisen nicht gerne?

Schneider: Ich reise allein deshalb nicht so gerne, weil ich sowieso schon sehr viel unterwegs bin. Ich bin Fernsehreisender.

SZ: Reisen in ferne Länder spielen in Ihrem Bühnenleben und Ihren Liedern überhaupt keine Rolle.

Schneider: Brauch ich nicht, nein. Wie gesagt, ich habe ja einen Fernsehapparat. Das klingt jetzt doof, aber ich guck' kaum Fernsehen, und wenn, dann überflieg ich das mal mit einem Blick, einmal irgendeine Landschaft in Kirgisien und schalte aus. Dann ist für mich klar: Da hat jemand nicht aufgepasst. In dem Buch beschreibe ich eine Landschaft. Ich weiß nicht, ob du das Buch gelesen hast...

SZ: Das habe ich gelesen.

Schneider: Diese Landschaft, wo der Morast mit den Dioxinfässern ist, wo Öl verschlammt, dieser ganze Dreck da - das gibt es ja wirklich.

SZ: Und Sie machen keinen Hehl daraus, dass Sie das aus dem Fernsehen haben?

Schneider: Warum denn? Ich muss doch nicht da hinfahren. Das ist Vertrauenssache.

SZ: Sie sind ein Kopfreisender. In Ihrer Weltreise ist es am Nordpol kalt, die Steppe ist weit und New York groß. Sie arbeiten mit Versatzstücken und Halbwissen.

Schneider: Total! Gefährliches Halbwissen. Mehr braucht man auch nicht. Ich möchte nicht in die Welt, um den Leuten die Welt zu zeigen, ich möchte selber die Welt sein.

SZ: Daraus machen Sie eine komische Welt.

Schneider: Eine neue Welt. Aber zugleich mehr zu Hause, mehr Heimat. Wenn nämlich jeder nur noch im Kopf verreisen würde, dann würde dieser Traum, dass man endlich Urlaub hat, nicht mehr gebraucht werden, und wir müssten anderen Menschen in anderen Ländern dann nicht mehr so wahnsinnig auf den Wecker gehen. Dann würde vielleicht auch die Arbeit mehr Spaß machen. Wenn man ein bisschen freier wählen könnte, nicht so spezialisiert wäre, nicht mit Scheuklappen durch die Welt gehen müsste, vielleicht wäre dann mehr Zeit, um sich auch in der Heimat wohl zu fühlen. Und dann könnten wir, wenn wir schon mal reisen, auch richtig reisen.

SZ: Wie geht richtig reisen?

Schneider: Ich kenne Leute, die sagen: Ah, wir möchten mal in Portugal eine Motorradtour machen, da fahren wir doch mit dem Zug, laden die Motorräder ein und fahren nach Portugal und fahren da rum. Sage ich: Da fahre ich nicht mit, das ist keine Reise. Entweder ich fahre hier mit dem Motorrad los oder gar nicht.

SZ: Man muss kapieren, wie weit Portugal entfernt ist?

Schneider: Auch um die Mentalität der Menschen zu verstehen, die unter stetiger Sonneneinwirkung zu leben haben. Damit die Leute, die von A nach B reisen, die Leute in B nicht als Menschen zweiter Klasse betrachten, obwohl sie das nicht wollen, weil sie harmlose Touristen sind. Sind ja nette Menschen. Oma und Opa wollen sich auch den Traum von der Weltreise erfüllen. Und dann machen sie zehn Tage Mittelmeerkreuzfahrt. Das ist dann die Weltreise. Zehn Tage Mittelmeer.

SZ: Kann man das mit dem Unsinnmachen denn ewig so weitertreiben? Muss die Reise nicht mal irgendwann enden?

Schneider: Auf gar keinen Fall, im Gegenteil. Die Reise geht weiter, und sie geht zurück. Man führt sie mit anderem Bewusstsein fort. Zurück zu dem, wo man herkommt, zurück zur Kindheit.

SZ: Sind Sie deshalb nie wirklich aus Ihrer Geburtsstadt Mülheim weggegangen?

Schneider: Ich wollte mit ansehen, wie ich alt werde.

SZ: Anhand der Leute, die Sie kennen?

Schneider: Gebäude, Leute, Wege, Menschen.

SZ: Was ist das Komischste am Reisen?

Schneider: Die Menschen. Die teilweise merkwürdig anmutenden Menschen, die überall gleich sind. Es soll sauber sein und lecker Essen geben. In manchen Gegenden ist allerdings die Religion sehr mächtig. Ich denke aber: Die stärkste Religion ist immer noch die Freiheit!! Die ist mächtiger. Und die Freiheit, die kann man nur in sich selber finden. Die Freiheit kann man nicht finden, wenn man sich in ein Flugzeug setzt!

SZ: Kennen Sie Janoschs Bilderbuch "Komm wir suchen einen Schatz"? Zum reisewütigen Esel Mallorca wird gesagt: Die Ferne ist nie da, wo man gerade ist.

Schneider: Naja, das ist ein einfacher Satz. Aber stimmt ja auch. Wenn der Tiger mit dem Bären verreist und sie laufen und laufen und laufen - was suchen sie nochmal?

SZ: Sie suchen einen Schatz.

Schneider: Das ist ein anderes Buch. Sie suchen Panama!

SZ: Oh wie schön ist Panama.

Schneider: Und nach zwanzig Tagen kommen sie an ein Häuschen, total zugewachsen. Oh ist das schön hier! Wunderschön! Und das ist genau das Haus, von dem der Tiger und der Bär losgegangen sind.

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