Innsbruck:Unten historisch, oben sportlich

Innsbruck Kirche Nordkette

Berge und Stadt sind in Innsbruck eng verbunden. Mit der Hungerburgbahn geht es auf die Nordkette.

(Foto: REUTERS)

Innsbruck ist einzigartig, denn die Alpenstadt erstreckt sich über mehrere Ebenen bis auf knapp 2300 Meter. Dennoch wird sie auf der Urlaubshatz über den Brenner links liegengelassen. Ein Fehler.

Von Dominik Prantl

Elisabeth Grassmayr hat noch nicht einmal richtig ausgeparkt, da stellt sie auch schon wieder den Motor ab. Das unscheinbare Wirtshaus gegenüber mit dem Namen Riese Haymon bedarf natürlich einer eingehenden Erklärung. "Also, der Riese Haymon", setzt die Urinnsbruckerin in ihrem unwiderstehlichen Plauderton an, holt tief Luft, und erzählt, wie dieser Hüne mit seinem Schwert den baumstumpfbewehrten Einheimischen Thyrsus erschlug. Haymon war der Sage nach wohl ein Bajuware aus dem Norden, was absolut logisch wäre. Denn Grassmayr, die weit mehr ist als nur eine Stadtführerin, sagt: "Bei uns ist immer viel Durchgangsverkehr gewesen."

Durchgangsverkehr. Das Phänomen kennen sie in Innsbruck nur zu gut. Streift doch die Inntalautobahn hinunter nach Italien die südlichen Ausläufer der 120.000-Einwohner-Stadt, und nur die wenigsten kommen während ihrer Urlaubshatz gen Brenner auf die Idee, einen Zwischenstopp einzulegen. Wahrscheinlich changiert Innsbruck auf der Beliebtheitsskala vieler Touristen deshalb irgendwo zwischen fad und flach, weil sie nie dort waren, oder weil die Stadt nicht 50 Kilometer weiter südlich liegt, in Südtirol, das von deutschen Reisenden traditionell verklärt wird. Das große Innsbruck-Umfahren mag auch damit zu tun haben, dass die Stadt touristisch nicht gar so konfektioniert daherkommt - von den zahlreichen Speckstuben und den Pferdekutschen vor dem Kongresshaus einmal abgesehen. Es gibt keine Festspiele, kein Schönbrunn, keinen Prater, nicht einmal die Motive der Kühlschrankmagneten in den Souvenirshops haben etwas wirklich Stadttypisches zu bieten, außer vielleicht das Goldene Dachl.

Man muss diese Stadt vielmehr als eine vertikale und vielschichtige Komposition begreifen, die von ihrer Umgebung lebt. Wobei Umgebung hier vor allem eines bedeutet: Berge. Grassmayr wirft dem Goldenen Dachl auch nur einen beiläufigen Blick zu, geht einige Schritte zurück und integriert das Wahrzeichen aus Kupferschindeln in ein Bild mit mehreren Ebenen. "Schaun's. Jetzt haben wir alles, was Innsbruck ausmacht. Die gotische Altstadt. Das Goldene Dachl. Dahinter die Berge."

Wer mit Grassmayr unterwegs ist, tritt dann am besten noch ein paar Schritte zurück, denn die zierliche Dame ist selbst ein Teil Innsbrucks. Sie scheint hier alles und jeden zu kennen. Ihr Großvater war der letzte Bürgermeister von Mühlau, ehe die Gemeinde 1938 wie viele andere der Umgebung auf Hitlers Geheiß Innsbruck zugeschlagen wurde. Später hat sie in den ältesten Familienbetrieb der Stadt eingeheiratet, die 1599 gegründete Glockengießerei Grassmayr. Wenn sie hinauf zu den steilen Tiefschneekare der Nordkette blickt, hört man trotz aller Beiläufigkeit ihren Stolz: "Die Rinnen da oben fahre ich alle." Die Frau ist jenseits der Siebzig.

Das Altern überlässt sie anderen. Vormittags Tiefschneefahren, nachmittags Führungen in der Glockengießerei oder durch die Stadt, wenn's sein muss viersprachig und notfalls im Laufschritt. Das ist Elisabeth Grassmayr, und letztlich ist das auch ein bisschen die Stadt Innsbruck. Wer beide als Lehrerin zur Seite hat, beginnt zu verstehen. Man muss nur an den entscheidenden Stellen Tempo rausnehmen. Etwa unten in der Hofkirche mit dem Grabmal Kaiser Maximilians I., wo es ruhig durch die Geschichte der Habsburger geht, ehe Grassmayr zur Station der Hungerburgbahn am Kongress eilt, und zwar in nur drei Minuten. "Das schaffen wir noch."

Modernes zwischen Innsbruck und den Bergen

Wenn das historische Zentrum so etwas wie das Herz einer Stadt ist, so ist die Standseilbahn zum Stadtteil Hungerburg auf 870 Metern das Rückgrat Innsbrucks. Es wird im Anschluss von den Nordkettenbahnen sogar noch einmal zu den angrenzenden Zweitausendern verlängert. Grassmayr kann nicht verstehen, dass der Neubau der 2007 wieder eröffneten Hungerburgbahn umstritten war. "Da waren wieder die gleichen Leute dagegen, die auch gegen Schanze und Universität waren." Zaha Hadid hat schließlich die Haltestellen entwerfen dürfen, mit Dächern wie Flügel. Das beruhigte dann selbst die Gegner der Bahn irgendwie, weil die Hadid doch drüben an der kobragleich aufgestellten Sprungschanze am Bergisel schon bewiesen hatte, dass sie ein Gefühl und ein Auge dafür besitzt, wie man Modernes hineinbaut zwischen Innsbruck und die Berge.

Jenseits des architektonischen Erbes ist die Bahn aber auch Bindeglied zwischen den spannungsreichen Etagen der Stadt - den unteren Stadtvierteln, die eher von Geschichte und Kultur und Bildung geprägt sind, und dem alpinen Freizeitareal in den oberen Stockwerken. Vorerst geht es hinweg über den Inn, der als breiter Fluss die Grundlage für Innsbrucks Aufstieg bedeutete. 1180 entstand ein paar hundert Meter weiter eine Brücke, ein schmaler Steg nur, aber weit und breit der einzige Übergang zwischen Nord und Süd für den Durchgangsverkehr. "Auf diesem Weg sind alleine 66 Königszüge durch", sagt Grassmayr, und wundert sich, dass viele Bewohner noch immer mit dem Auto den mittelalterlichen - ergo: steilen und engen - Weg durch die Höttinger Gasse hinauf nach Hungerburg fahren. "Da sind einige zu arrogant, um die Bahn zu nehmen."

Bevor sich Hungerburg zum Wohngebiet für Besserverdienende entwickelte, war es Anfang des 20. Jahrhunderts eine Art Pilotprojekt des Fremdenverkehrs. Ein gewisser Sebastian Kandler wollte hier einen Ort für die Sommerfrische entstehen lassen. Aber die Touristen wollten nicht so wie Kandler wollte; sie kamen erst viele Jahrzehnte später. Inzwischen tragen sie je nach Jahreszeit Freeride-Skier, vollgefederte Mountainbikes oder Klettersteig-Ausrüstung. Sie fahren meistens direkt weiter zum Aussichtsbalkon Seegrube oder gleich bis zum Hafelekar, Spielwiese erlebnishungriger Studenten. Der Klettersteig entlang des Nordketten-Grats: luftig. Die Skirouten mit bis zu 70 Prozent Gefälle: sportlich. Die Mountainbike-Abfahrt über den Singletrail: halsbrecherisch.

Hier oben wächst langsam zusammen, was das Mosaik Innsbruck ausmacht. Die Habsburger-Durchgangsverkehr-Hungerburgbahn-Studenten-Sportstadt. Im Osten sind die Wohnklötze des olympischen Dorfes von 1964 und 1976 zu sehen, im Zentrum ein Teil der Universitätsgebäude für die knapp 30.000 Studenten. Aber Grassmayr muss unweit der Hungerburg-Bergstation jetzt "erst einmal was anderes zeigen". Einen Platz, wo der großstädtische Anspruch und die kleinbürgerliche Realität aufeinanderprallen und sich das Bild vervollständigt. Deshalb geht Grassmayr am Café Wolke 7 vorbei zur Theresienkirche; kein habsburgerisches Monument, sondern ein unscheinbares, kantiges Gebäude aus den 1930er Jahren. Die Fresken an den Innenwänden hatte Max Weiler kurz nach dem Zweiten Weltkrieg fertiggestellt - worauf die Gemälde erst einmal unter Polizeischutz gestellt und verhängt werden mussten. Zum einen wurde da ein blaues Pferd abgebildet, was sich natürlich überhaupt nicht gehört in einem Tiroler Gotteshaus. Außerdem erkannten die Kirchgänger die abgebildeten Personen. Und das ging noch viel weniger. "Die Leute waren vor allem deshalb so empört, weil ein Tiroler aus der Gegend dem Jesus die Lanze in die Rippen rammt", sagt Grassmayr. "Hier kennt eben doch jeder jeden."

Anreise: Am besten mit dem Zug von München in nicht einmal zwei Stunden direkt nach Innsbruck.

Unterkunft: Schwarzer Adler, wenige Gehminuten von Congress und Altstadt entfernt, ÜN pro Zimmer ab 139 Euro, Kaiserjägerstraße 2, A-6020 Innsbruck, Tel.: 0043/512/58 71 09, www.deradler.com; im Sommer eröffnet direkt am Bahnhof das Adlers Hotel mit Blick über die Stadt.

Stadtführungen: Elisabeth Grassmayr, Tel.: 0043/512/26 72 05, innsbruck-guide@utanet.at

Weitere Auskünfte: Innsbruck Tourismus, Tel.: 0043/512/598 50, www.innsbruck.info, empfehlenswert ist die Innsbruck Card für 31 Euro (gültig für 24 Std.), die neben Museumseintritten auch je eine Berg- und Talfahrt mit den Bergbahnen enthält.

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