Indien: Rajasthan:Wohnen wie ein Maharadscha

Lesezeit: 6 min

Nicht Hütten, sondern Paläste: In Rajasthan überbieten die Hoteliers einander, Touristen mit Geld nobel unterzubringen

Arnd Wesemann

(SZ vom 21.05.2002) - Im benachbarten Bundesstaat Gujarat fliegen Steine. An der indischen Ostküste sucht man eifrig nach Mahatma (der "großen Seele"). Das Zentrum der Unruhen ist ein Vorort der Handelsmetropole Ahmedabad, in dem sich der Gandhi-Ashram befindet, Keimzelle der nationalen Unabhängigkeitsbewegung. Diese Zelle rächt sich für ihre Toten, nachdem Moslems am 27. Februar einen mit Hindus besetzten Pilgerzug in Godhra anzündeten und 58 Passagiere bei lebendigem Leib verbrannten. Der von der indischen Presse so genannte "Mob" führt seitdem Krieg auf der Straße, tötet Moslems, diese wieder erschlagen Hindi. Weil sie ihren Konflikt an der Grenze zu Pakistan austragen, liest man davon auch in europäischen Zeitungen. Und in indischen, die frisch gebügelt an den goldenen Türknauf der kurzgrasgesäumten Deluxe-Bungalows in den Resorts von Rajasthan gehängt werden.

Nie war Gujarat trotz seines längsten indischen Küstenstreifens ein bevorzugtes Touristenziel, schon das Alkoholverbot verhinderte das. Umso mehr ist sein westlicher Nachbarstaat Rajasthan in Sorge. Das Land der Großen Könige gilt als Klassiker unter den indischen Reiseregionen. Man hofft inständig, die Touristen mögen die Konflikte in der nur relativen Nähe ebenso ignorieren, wie dies in Sri Lanka der Fall ist. Trotz des Krieges gegen die Tamilen kamen Ayurveda-Gäste aus aller Welt über Jahre hinweg ungerührt auf die Insel.

Ausgestreckte Hände

Rajasthan ist um diese Jahreszeit heißer Wind. In der endlosen Steppenlandschaft spazieren Frauen in bunten Saris. Nirgendwo ein Baum, aber es sieht aus, als bummelten sie über eine Promenade, nicht durch peinigende Dürre. In einem Dorf: Kinder haben einen Riesenspaß, ihre Hand auszustrecken, als wüssten sie um die nervöse Reaktion der Weißen, die die Bettelei in Indien mehr fürchten als Pest und Cholera. Lachend wollen sie Hände schütteln, weil diese europäische Unsitte für sie genauso aussieht wie das Ausstrecken der Hände nach Almosen.

Jaipur, die Hauptstadt von Rajasthan. Hier ist der Sammelplatz der Touristen, die hier üblicherweise uralte Burgen, Mausoleen und Schlösser abklappern. Hier verdauen sie ihre Kleinabenteuer, den Ritt auf einem Elefanten oder die Ausschau nach Tigern im entlegenen Ranthambhore Nationalpark.

Mitten in Jaipur, in einer über und über rosa verputzten Altstadt mit rosa Stadttoren, steht der Palast der Stadt, einer von insgesamt 566, die den Maharadschas, Maharaimals und Maharanas in Indien und Pakistan gehören, Könige, von denen es die 22 Oberhäupter in Rajasthan locker schaffen, ihren Stammbaum auf 76 Generationen, bis etwa 500 nach Christus, lückenlos zurück zu verfolgen. Ihr märchenhaftes Vermögen, das sich mit einer solchen Genealogie unschwer verbindet, war bis zur Unabhängigkeit Indiens im Jahr 1947 nahezu unantastbar. Traumpaläste entstanden, gegen die Neuschwanstein wie das Ferienhäuschen eines Snobs wirkt. Für diesen vor allem in Länge mal Breite mal Höhe zu ermessenden Prunk ist Rajasthan weltberühmt; nicht minder bekannt ist das Schicksal der vor dreißig Jahren der Krone beraubten Häupter, die ihren Reichtum nur dadurch erhalten können, dass sie ihn zur Schau stellen. Sie präsentieren ihn in Museen, verpachten Teile ihres Anwesens an Restaurants und Souvenirbuden oder verwandeln ein nicht unbeträchtliches Areal in ihren immensen Palastanlagen in eine Hotelanlage.

Lunch im Stadtpalast von Jaipur bei Seiner Hoheit, Lt. Col. Bhawani Singh, Sohn Seiner Hoheit Saradai Rajaha i Hindustan Raj Rajendra Maharaj Dhiraj, Lieutenant-General Sir Sawai Man Singhij Bahadur der Zweite, Maharadscha von Jaipur, der 39. und letzte Regent des Kachhawaha-Clans. So ein Name passt auf keinen Briefkasten. Zehn Bedienstete scharen sich um eine halb so große Reisegruppe, der es kein bisschen schwer fällt, sich in alten Polstermöbeln zu fläzen, unter einem Heer von Ventilatoren, die den Blick fast achtlos über nahezu antike Gobelins flitzen lässt, um schließlich am unbezahlbaren Unikat eines Tischs von Lalique, Baujahr 1912, sich auf jene schweren Stühle zu bequemen, auf denen schon Lady Di saß. Einfach so ins Speisezimmer eines Maharadschas einzufallen, daran kann man sich in Rajasthan richtig gewöhnen, auch daran, etwas abfällig über das Essen zu reden. Selber Schuld. Man würde ja auch den Nachfahren von Neuschwanstein nicht raten, noch immer da zu wohnen, wo täglich Busladungen von Japanern einfallen.

Anerkennend geht der Blick über einen uralten Chevy im Hof, Überbleibsel aus jener Zeit, als ein kleiner reicher Inder ohne Turban nach London fuhr und sich in einem Showroom nach einem Rolls-Royce erkundigte, vom Autoverkäufer aber höflich vor die Tür gesetzt wurde. Aus Rache orderte der beleidigte Maharadscha 16 dieser Luxuslimousinen, ließ ihnen in Rajasthan das Dach abschweißen, und verwendete sie ausschließlich zur Müllabfuhr. Von den Vorfahren der heutigen Maharadschas ließe sich noch eine Menge mehr an gutem Benehmen und an Spleens lernen, die man fälschlicherweise den Engländern zuschreibt, die in Wahrheit aber Marotten superreicher Inder waren: von der Hundehochzeit, zu der Hunde aus ganz Indien eingeladen waren, bis zur Modelleisenbahn als Butlerersatz. Heute jedoch leben die meisten Königssöhne in der Gartenstadt New Delhi, um einen ganz anderen Angriff zu parieren.

Bundi. Eine kleine Stadt im Süden Rajasthans. Der Naval-Sagar-See ist wegen Wassermangels ausgetrocknet, auch wenn hier der große Tempel des Wassergottes Varuna steht. Hoch über Bundi thront das gewaltige Taragarh- Schloss von 1372, wieder so ein architektonisch atemberaubendes Wunderwerk, dessen Eingangshalle geschmückt ist mit Zeichnungen von Tänzen, Hochzeiten, religiösen Riten. Überall sonst auf der Welt wird so etwas zum Weltkulturerbe deklariert. Doch die Überfülle hiesiger Prunkschlösser macht es schwer, die Unesco dazu zu bewegen, zumal, wenn nun die zweite Macht des Tourismus ein Auge auf Bundi wirft: die Luxuskette der Oberoi Hotels unter ihrem König P. R.S. Oberoi. Er begründete ein eigenes Reich des heutigen Mega-Luxus in Indien. Zwar gilt: Wer Geld hat, hat nicht unbedingt Geschmack. Dafür überzeugt seine Philosophie: Auch der Kapitalismus hat ein Recht auf Paläste.

Gemeinsam mit seinem Sohn baut er Anlagen, in denen er am liebsten selbst wohnen möchte. Intelligente Kühlarchitektur in antiken Forts findet sich bei ihm als Brunnenzierat wieder, ehemalige Jagdschlösschen verwandelt er in Oasen der Thai-Massage. Das Schloss in Bundi hätte er besonders gern, zumal das Städtchen zu dessen Füßen wirklich traumhaft ist. Ein vom Tourismus völlig ungestörtes Markttreiben, ein Hochzeitszug, angeführt von Blechbläsern. Die Menschen sitzen auf großen Tischen vor garagengroßen Geschäften, heilige Kühe stellen sich stoisch den hupenden Mopeds mit aufgeschnallten Messingtöpfen in den Weg. Vor kleinen Tempeln weisen Schilder auf ein Internetcafé, Schweine suhlen sich im Rinnstein. Silberschmiede, Teekocher, Messerschleifer, Gemüsehändler, Schneider, Barbiere - endlos zieht sich ein intakter Handelsplatz ohne Souvenirläden durch die Gassen einer der schönsten, buntesten, angenehmsten Kleinstädte, die sich ein Europäer nur vorstellen kann.

Und darüber könnten nun die 350 Zimmer des Palastes mit Imitaten lokaler Baumeisterkunst thronen, mit schweren, reich ziselierten Messingtüren, filigraner Steinschnitzerei, Gipssäulen, die mit einer Paste namens "Araish" den Anschein von Marmor erhalten, mit Swimmingpools aus handgemachten Kacheln in Türkis und Ultramarin vor jeder Suite und Butlern in einer turbangekrönten Uniform, dem 18. Jahrhundert nachempfunden, die in klimatisierten Gängen den Gast zum Hubschrauberlandeplatz oder zur Limousine geleiten. Ohne hinderliche Denkmalschutzauflagen kann die Familie Oberoi hier die Avantgarde eines Bedürfnisses spielen, das sich dem Touristen bei der Dauerbesichtigung toter Steine samt konstanten Trinkgeldauswürfen sowieso aufdrängt: Einmal so wohnen zu dürfen wie ein König.

Kein Problem, sagt Mr.Oberoi, obwohl "kleinere" Paläste wie der "Royal Retreat Garh Palace" in Bundi selbst oder der relativ nah gelegene "Bassi Fort Palace" solche Wünsche authentischer erfüllen. Ohne Aircondition, ohne Kitsch, dafür aber mit echten Antiquitäten und geleitet von heimischen Familien zu Preisen, die dem indischen Lebensstandard zumindest halbwegs nahe kommen. In diesen liebevoll restaurierten Palästen mit Zimmern, manche halb so groß wie ein Tennisplatz und so prunkvoll, dass der Gast kaum weiß, in welcher Richtung es zum Badezimmer geht, duftet die Vergangenheit - und der nicht ganz so smarte Butler versorgt einen lieber mit Anekdoten, als das ewig gleiche Schauspiel vom zuvorkommend zu behandelnden Gast zu geben.

Duftende Vergangenheit

Mr. Oberoi muss man allerdings zu Gute halten, die gesamte Klaviatur der Vorurteile des Westens gegenüber Indien perfekt zu beherrschen. Gegen die Angst vor Armut, Schmutz, fauliges Wasser, Überbevölkerung und was immer der Europäer sonst noch assoziiert, setzt er auf Reichtum, klinische Hygiene, Mineralwasser und endlose Gartenanlagen mit Swimmingpool-Landschaften, in denen sich nur selten ein Mensch blicken lässt. "Total privacy", totale Abgeschiedenheit, die am 15. August ihren vorläufigen Höhepunkt erleben soll: Ausgerechnet dem berühmtesten Hotel der Welt, dem aus James Bonds "Octopussy" bekannten "Lake Palace" in Udaipur, macht er mit einer von Pfauen und Wasserspielen bevölkerten Riesenanlage Konkurrenz. Bis zu 1200 Arbeiter am Tag werkeln an einer Hotellandschaft, imposanter als "Lake Palace", nobler und großzügiger, damit die Crème der Reichen den Seepalast künftig allenfalls noch zum Diner besucht.

Und tatsächlich herrscht im legendären "Lake Palace Hotel" Panik. Verzweifelt und lautstark restauriert man einen Mythos, der nur noch wenig mehr ist als eine Legende. Denn immer mehr Luxus gibt es rund um den Pichola-See von Udaipur: auch als Gast des hiesigen Ex-Königs Shriji Arvind Singh Mewar, der mit gleich acht Palästen seiner Vorfahren am Seeufer den Charme einer Mischung von britischem Kolonialismus und indischem Adel pflegt, und Mr. Oberois Begehrlichkeiten wohl als einziger standhalten kann. Seinem Konkurrenten begegnet er mit vergleichbarem Luxus samt Privatflugzeug knapp unterhalb der Preise von Oberoi. Was beim König für eine vernünftige "Imperial Suite" mit 350 amerikanischen Dollar zu Buche schlägt, kostet pro Nacht bei Mr. Oberoi nur hundert Dollar mehr. Kleingeld für einen Maharadscha.

INFORMATIONEN

Anreise: Täglich von München nach Delhi ab 631 Euro.Von dort kann man Rajasthan per Bahn oder mit Bussen der "Pinkline" erreichen, Jet Airways fliegt täglich u.a. Udaipur und Jaipur an.

Sonstige Auskünfte: Die größte Incoming-Agentur in Indien ist SITA (www.sitaindia.com). In Deutschland sind die exklusiven Luxusreisen buchbar bei Comtour, (www.comtour.de). Die großen konkurrierenden Luxushotel-Ketten heißen Oberoi (www.oberoihotels.com); die Palasthotels der HRH-Kette finden sich unter www.hrhindia.com. Kleinere empfehlenswerte Palasthotels gibt es u.a. in Bundi (www.royalretreatbundi.com) oder in Bassi (www.bassifortpalace).

© s.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: