In Digitalien:Klang der Fremde

Collage Globaler Klang

Illustration: Jessy Asmus

Das Internetprojekt "Cities and Memory" möchte die Welt über Töne erfahrbar machen. Das klappt auch bereits in vielen Ländern, vor allem in Großbritannien. Nur manche Regionen sind einfach noch zu stumm.

Von Irene Helmes

Vögel zwitschern hektisch. Dahinter Verkehrsbrummen, Quietschen, Klappern - und plötzlich rumpelt irgendein Fahrzeug vorbei. Willkommen in Phnom Penh, willkommen an einem Mangobaum in der Hauptstadt Kambodschas. Dass sich der Hörer hier befindet, kann er nur schwer erraten, er weiß es aber dank der Weltkarte, durch die er sich gerade klickt. Er taucht praktisch blind ein in einen fernen, fremden Ort.

Wer will, kann sich auf der Seite "Cities and Memory" (citiesandmemory.com) so durch viele Hundert Orte der Welt hören: eine blubbernde Lagune auf Island, vom Wind umtost. Die Meeresorgel im kroatischen Zadar, die von den Wellen gespielt wird. Vor allem aber scheint die Londoner U-Bahn es den Machern des Projektes angetan zu haben - wohl auch, weil es in Kooperation mit "The London Sound Survey" entstanden ist. "The Next Station" bildet den Mikrokosmos der Tube an 55 Stationen akustisch ab. Bei South Kensington etwa singt ein Straßenmusiker melancholisch zu seiner Gitarre, begleitet vom Kreischen einiger Mädchen. Schon entstehen Bilder vom vermutlich nett anzusehenden Sänger im Kopf, obwohl man sich gerade nicht durch einen London-Streetlife-Bildband blättert. Bei Mile End überlagern hallende Durchsagen Bauarbeitergespräche. Und am Piccadilly Circus lärmt natürlich eine vielsprachige Menge. "The Next Station" ist ein Labyrinth aus Bekanntem und Überraschendem. "Man könnte meinen, U-Bahn-Stationen klingen eine wie die andere", sagte Stuart Fowkes dem Guardian über sein Projekt. Aber tatsächlich habe jede ihren eigenen Charakter, "wenn man sie erst einmal kennenlernt".

Das gilt auch für die Welt jenseits der Tube. Allerdings besteht sie bei "Cities and Memory" noch aus mehr Lücken als Klängen. Polen? Ist dort derzeit ein einziger, leise plätschernder Bach. Sardinien? Eine dörfliche Marienfeier mit dem Hufgeklapper der Pferde, die eine Kutsche ziehen. Dazu Salutschüsse. Sonst ist von dort noch nichts zu finden.

Immerhin gibt es dazu Varianten: Musikstücke. Denn die Seite will nicht nur den realen, aufgenommenen Sound hörbar machen ("City Version"), sondern auch ein einen Remix daraus ("Memory Version"). Klangkünstler nehmen sich dafür die echten Tonschnipsel und basteln daraus musikalische Interpretationen.

Von Europa aus wird die Karte nach Osten, Norden und Süden hin schnell recht übersichtlich. Nur die USA können mithalten, die restliche Welt ist über weite Flächen stumm. Doch gerade das Unfertige hat seinen Reiz, jeder ist aufgefordert, Aufnahmen beizusteuern, um die Karte immer vielfältiger zu machen.

Klingt ambitioniert. Ist es auch.

Statt geolokalisierte Soundfiles einfach auf eine Seite zu klatschen, ist "Cities and Memory" ausdrücklich den Ideen des "Field Recordings" und der Klangkunst gewidmet. Seinen Namen, heißt es auf der Website, verdankt das Projekt Italo Calvinos Buch "Die unsichtbaren Städte", in dem es um die unzähligen Arten geht, wie Menschen Orte erleben. In unserer Welt der Bildbände, Google-Earth-Ansichten, Dokumentarfilme und 360-Grad-Videos bietet der Klangatlas eine Möglichkeit, zwischendurch die Ohren zu öffnen und in die Welt hineinzuhören. Eine schöne Abwechslung - zumal es mit einer digitalen Geruchsweltkarte wohl noch länger dauern wird.

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