Im Bann der Anden (VI):Im Nachtbus zum Höhenrausch

Nur weg aus dem kalten Hochland Boliviens, hin zu tieferen Lagen, wo das Klima milder ist und sogar Wein reift. Doch dann stoppt eine Straßensperre den Nachtbus.

Antje Weber

Im Grunde war die Idee, nach Tarija zu fahren, ziemlich unausgegoren. Tarija - eine verschlafene Provinzstadt im Süden Boliviens, eine Stadt, die kaum ein Tourist besucht, der nicht über die nahe Grenze nach Argentinien weiterreisen will.

Warum also Tarija? Ganz einfach: weil es im Hochland in La Paz und Potosí scheußlich kalt war. In Tarija dagegen herrscht mildes Klima; guten Wein sollte es dort geben und vorzügliche Steaks.

Doch der Weg zum Wein war weit, sehr weit. Nur Nachtbusse fahren von Potosí nach Tarija. Laut Reiseführer brauchen sie zwölf bis 15 Stunden. Als wir allerdings mit Rucksack und Ticket abends am Busbahnhof stehen, inmitten von Menschentrauben, Gepäckbergen und Duftschwaden pinkelnder Hunde, winkt die Busangestellte nur ab: "Heute geht gar nichts. Der Bus ist wegen einer Straßenblockade gar nicht angekommen."

Also noch ein Tag im über 4000 Meter hohen, kalten Potosí, in dem Luxusgüter wie Heizungen rar sind: Kälte hält man hier einfach aus, es gibt Schlimmeres. Zum Beispiel die Knochenarbeit in den nahen Minen.

Am nächsten Abend also der zweite Versuch, das schöne Tarija anzusteuern. Unser Bus nennt sich "Semi-Cama", was nichts anderes bedeutet, als dass man den Sitz ein bisschen zurückkippen und dem hinteren Nachbarn damit direkt gegen die Kniescheibe stoßen darf - ganz abgesehen von den enorm großen Taschen, Tragetüchern, kleinen Kindern oder Hunden, die auf so einem Sitz noch Platz finden müssen.

Toiletten gibt es in einem solchen Bus natürlich nicht; gehalten wird im Schnitt alle drei Stunden, wenn sich ein paar Fahrgäste mit Taschen, Kindern und Hunden in der staubigen Mitte von Nirgendwo aus dem Bus herauszwängen und andere hinein.

Wir sind die einzigen Touristen in diesem Bus, die einzigen Weißen inmitten coca-kauender Indígenas. Ein ungewohntes Gefühl - aber wollten wir nicht genau das?

Ganz sicher jedoch wollten wir unser Gepäck nicht mitten in der Nacht ausladen und durch ein Dorf schleppen, in dem gerade Autoreifen brennen. Doch es hilft nichts: Wir sind in eine Straßenblockade geraten. Blockaden mit Reifen, Steinen und Baumstämmen gehören in Bolivien noch mehr als in Peru zum Alltag, und im immer wieder eskalierenden Konflikt zwischen dem indígenageprägten Hochland mit Präsident Evo Morales und den europäischstämmigen, reichen Tieflandbewohnern sind sie häufiger denn je.

Im Nachtbus zum Höhenrausch

Es ist zehn Uhr abends, die Dorfgemeinschaft steht frierend um ein mickriges Feuer und bespricht ihre Forderungen an die Regierung. Wortlos keuchend schleppt unsere Bus-Schicksalsgemeinschaft schwere Taschen und plärrende Kinder an den Streikenden vorbei. Am dunklen Ende des Dorfes wartet ein anderer Bus auf uns. Läppische sechs Stunden Fahrt später sind wir in Tarija angekommen.

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(Foto: Foto: Joachim Jacobs)

Die selbst im Morgengrauen proper herausgeputzt wirkende Stadt begrüßt uns mit Evo-Ablehnung: "Autonomía sí" steht auf jeder zweiten Hauswand, wo es im Hochland immer "Evo sí" hieß. Kein Wunder: Evo Morales hat den Tiefland-Provinzen, die mit Gasexporten und anderen Bodenschätzen viel Geld verdienen, einen Teil ihres Geldes weggenommen und für soziale Zwecke verwendet. Und wie überall in der Welt lassen sich die Reichen nur ungern etwas wegnehmen.

Nun also Tarija, wo tatsächlich das Klima so mild ist, dass sich die Rentner der Oberschicht mittags die Sonne aufs Resthaar brennen lassen, während sie gemütlich eine Runde um die palmengesäumte Plaza mayor drehen. Tarija also, wo nur wenige Indígena-Frauen zu sehen sind - vor allem als Bettlerinnen -, wo statt dessen rundgeföhnte Tussis in knackengen Jeans mit den Handtäschchen schlenkern, wenn sie aus ihren Geländewagen steigen.

Wo jede Menge Halbstarke ihre neuen Motorräder aufheulen lassen und an jeder Ecke laute Musik aus Riesenboxen wummert. Ja, hier ist es weit weg, das karge, arme Hochland Boliviens, hier ist Anti-Evo-Land.

Und was ist mit dem Wein, der uns hergelockt hat? Er ist tatsächlich überraschend gut. Auf einer Tour durch die Weinberge bei Tarija erfahren wir am nächsten Tag, was seine speziellen Vorzüge sind: Auf 2000 Metern über dem Meeresspiegel gereift, ist dieser "Höhen-Wein" besonders bekömmlich. "Die Trauben erhalten hier tagsüber besonders intensive Sonne und entwickeln Antioxidantien, um sich dagegen zu schützen", erklärt Viviana Vilte vom Centro nacional vitivinícola, dem bolivianischen Weinforschungszentrum. "Tagsüber kann die Traube hier viel Aroma entwickeln, und in den kühlen Nächten kann sie sich erholen."

Das Ergebnis ist ein leichter, fruchtig-aromatischer Wein, der sich am besten in einer Peña-Kneipe mit Live-Musik und knusperzartem Spanferkel genießen lässt - "Schwein am Kreuz" (Chancho a la cruz) nennen sie das hier. Hervorragend, das alles, und selbst das intensive Studium verschiedener Rebsorten hinterlässt am nächsten Morgen kein Kopfweh.

Einem solchen Wein wäre Erfolg bei den Süfflern Europas garantiert; doch es fehlt die Technologie, es fehlen die großen Mengen für den Export. Dabei hat Tarija sogar einen kleinen Flughafen - die häufigen Straßenblockaden wären also schon mal kein Hindernis.

Reiseinformationen: Wer in Tarija landet, sollte die Stadt nicht verlassen, ohne eine Tour durch die Weinberge und Bodegas der Region gemacht zu haben. Empfehlenswert ist die Agentur "Viva Tours" in Tarija, 15 de Abril y Delgadillo, Email: vivatour@cosett.com.bo.

Hinweis: Die Geschichten dieser Serie wurden im Juli und August recherchiert. Damals war die politische Lage in Bolivien bereits angespannt, jetzt hat sie sich jedoch sehr verschärft. Vor einer Reise empfiehlt es sich daher, die aktuellen Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes zu lesen.

Antje Weber, 40, war zehn Jahre lang Redakteurin der Süddeutschen Zeitung. Seit 2006 lebt sie in Quito in Ecuador und berichtet als freie Autorin aus Südamerika.

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