Im Bann der Anden (V):Auf der Straße des Todes

Wer hier mit dem Mountainbike vom Weg abkommt, der stürzt in den Tod: Veranstalter verkaufen die Fahrt vom hochgelegenen La Paz ins Tiefland als "Downhill Madness".

Antje Weber

Muss das wirklich sein? Allmählich wird mir etwas mulmig. Mit Helm, Handschuhen und orange leuchtender Warnweste stehe ich auf einem 4600 Meter hohen Pass neben einem Mountainbike und schnappe nach Luft.

Auf meiner Weste steht "Downhill Madness", und mit einem Dutzend anderer Verrückter soll ich jetzt 64 Kilometer den Berg hinunterrasen. Auf der "Ruta de la muerte", der Straße des Todes.

Die Straße heißt nicht zufällig so. Die Verbindung von Boliviens Hauptstadt La Paz mit dem Amazonastiefland wurde 1995 von der Interamerikanischen Entwicklungsbank offiziell zur "Gefährlichsten Straße der Welt" gekürt. Der Titel ist erkauft mit Hunderten von Toten, die auf der zum Teil nur drei Meter breiten Schotterpiste die steilen Hänge hinabgestürzt sind. In Bussen, Lastwagen, Autos. Und auf Rädern.

Trotzdem auf ins Abenteuer, zunächst auf breiter Asphaltstraße mit viel Verkehr. Einige Todesmutige überholen im Adrenalinrausch einen Lastwagen nach dem anderen. Wie soll das erst weiter unten auf der Schotterpiste werden? Ich beruhige mich mit dem Gedanken, dass dort weniger los sein wird, weil es seit zwei Jahren eine Umgehungsstraße gibt. Dann überhole ich einen Lastwagen. Geht doch.

Karge Berglandschaft rast vorbei; ein paar Bauernhäuser, eine Tankstelle, ein Evo-Plakat. Evo Morales, der erste Indígena-Präsident Boliviens, von allen nur Evo genannt, wirbt darauf mit strahlendem Lächeln und gewohnter Topffrisur für seine Bestätigung bei einem Referendum - einer von vielen Versuchen, seine Macht zu sichern. Denn Bolivien ist tief gespalten: Das reiche Tiefland hasst das arme Hochland und den Präsidenten. Und umgekehrt.

Lesen Sie weiter, mit welchen Schauergeschichten Mountainbike-Führer Rusty seine Truppe motiviert.

Auf der Straße des Todes

Am Tag zuvor habe ich in La Paz auf der Plaza Murillo vor dem Präsidentenpalast gestanden und gehofft, dass Evo mal rausschaut. "Ich habe ihn schon oft gesehen", prahlte ein Schuhputzer-Junge, aber an diesem Tag hatte Evo Besseres zu tun. Vielleicht läuft er auch nicht gerne an dem Denkmal direkt vor seiner Tür vorbei.

Im Bann der Anden: La Paz, Jacobs/Weber

In zunächst karger Berglandschaft windet sich die "Straße des Todes" auf einer Länge von 64 Kilometern 3345 Höhenmeter nach unten.

(Foto: Foto: Jacobs/Weber)

Das Denkmal erinnert mit einem Zitat an den einstigen Präsidenten Gualberto Villarroel: "Ich bin kein Feind der Reichen, aber mehr ein Freund der Armen." Der Spruch dürfte Evo gefallen, doch nicht das Schicksal seines Vorgängers: Villar-roel wurde 1946 vom unzufriedenen Volk vom Balkon des Palasts geworfen und an einem Laternenpfahl aufgeknüpft.

Aber ich will nicht zuviel über Gefahren aller Art in Bolivien nachdenken. Ich muss mich konzentrieren. Inzwischen holpert mein Rad über Schottersteine, der Helm rutscht mir dauernd über die Augen, rechts von mir ragt eine Felswand auf, links gähnt ein verdammt tiefer Abgrund.

Ohne Blessuren geht es nicht

Führer Rusty lässt uns an jeder zweiten Haarnadelkurve anhalten, deutet auf Kreuze am Wegrand und erzählt Schauergeschichten: von jenem betrunkenen Fahrer, dessen LKW-Überreste man noch im Bachbett einige hundert Meter tiefer bestaunen kann. Von den vier toten Nonnen, die man in einem Auto da unten gefunden habe. Von den zwei Mountainbikern, die in diesem Jahr schon hier gestorben seien. Wahrscheinlich zu schnell in die Kurve gegangen, die beiden.

Auch in unserer Gruppe gibt es kleine Unfälle, ein Mädchen überschlägt sich beim Bremsen und kommt mit ein paar Abschürfungen davon. Der Rest fährt deutlich langsamer durch immer grünere, immer tropischere Landschaft. Tatsächlich kaum Verkehr. Bananenstauden am Wegrand, ein Schmetterling verfängt sich in den Speichen.

3300 Höhenmeter tiefer, in einer Dorfkneipe mit kühlem Bier, ist das Abenteuer dann auch schon zu Ende. Die Todesstraße - nur eine harmlose Touristenattraktion?

Das Abenteuer scheint heil überstanden? Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite - über die Rückfahrt.

Auf der Straße des Todes

Im Bann der Anden: La Paz, Jacobs/Weber

Blick in den Abgrund: Auch auf diesem Streckenabschnitt sollte man eher vorsichtig fahren.

(Foto: Foto: Downhill Madness)

Das wahre Abenteuer wartet noch: die Rückfahrt. Wir sind zu spät dran, es ist bereits dunkel. Der Fahrer unseres alten Kleinbusses, der auf den schlichten Namen "Tío" hört, Onkel, diskutiert mit dem Führer über die beste Strecke: die neue, längere oder die alte, gefährlichere Straße?

Onkel entscheidet sich für die alte, die wir eben noch mit dem Rad hinuntergebremst sind. Vom Bus aus fühlt sich die Todesstraße noch schmaler an. Ein Auto kommt uns entgegen, wir weichen an der Außenkante aus, Zen-timeter trennen uns vom Nichts.

Nebel zieht auf, es fängt an zu nieseln. Keiner der Touristen macht ein Auge zu, nur der Kopf des Führers sackt allmählich auf Onkels Schulter. He, nein!!

Coca-Blätter in der Backe

Doch Onkel fährt unerschütterlich weiter, durch Nebel und Dunkelheit, eine Backe ist ganz dick vom Coca-Kauen. Bis wir wieder auf breiter Asphaltstraße in La Paz einrollen, am Präsiden-tenpalast vorbeifahren und zum Abschied ein T-Shirt erhalten: "Death-Road Survivor". Ja, wir sind die Größten.

Was wird man Evo überreichen, wenn er es nach der schwierigsten Etappe seines Lebens geschafft haben sollte, mit den riesigen Problemen Boliviens fertig zu werden? Bei ihm geht es um mehr als ein bisschen "Downhill Madness". Es geht um die Zukunft eines ganzen Landes, das immer schon absturzgefährdet war.

Reisehinweis: Die Geschichten dieser Serie wurden im Sommer 2008 recherchiert. Damals war die politische Lage in Bolivien bereits angespannt, zuletzt hat sie sich jedoch verschärft; bei Unruhen in verschiedenen Landesteilen waren Tote zu beklagen. Vor einer Reise nach Bolivien empfiehlt es sich daher, die aktuellen Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes zu lesen.

Informationen: In La Paz bieten verschiedenste Veranstalter eintägige Mountainbike-Touren auf der Straße des Todes an. "Downhill Madness" ( www.madnessbolivia.com, Sagárnaga 339) zum Beispiel bietet gute Räder und professionelle Führer.

Antje Weber, 40, war zehn Jahre lang Redakteurin der Süddeutschen Zeitung. Seit 2006 lebt sie in Quito in Ecuador und berichtet als freie Autorin aus Südamerika.

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