Hurtigruten in Norwegen:Mord an Bord

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Eine Reise mit der Polarlys auf den Spuren des Krimiautors Georges Simenon - der Lebemann und Frauenheld hätte sein Schiff nicht wiedererkannt.

Juliane Matthey

Ein Tuten ertönt. Ein lautes, heiseres Tuten. In wenigen Minuten wird die Polarlys Finnsnes verlassen, ein unscheinbares norwegisches Küstenstädtchen jenseits des Polarkreises. Die letzten Passagiere trotten zurück an Bord: das dänische Ehepaar mittleren Alters im Partnerlook, die beiden alleinstehenden Engländerinnen mit den praktischen Kurzhaarschnitten, der deutsche Dauergast, der die Route schon 80 Mal gefahren ist und jeden Mitpassagier ungefragt an seinen Erfahrungen teilhaben lässt.

Norwegen
:Mit den Hurtigruten entlang der Küste

Es ist eine der schönsten Schiffsreisen der Welt: mit den Postschiffen entlang der norwegischen Küste.

"Einmal tuten wir laut, dann legen wir ab", hat Nils Urban Erickson am ersten Abend der Reise gewarnt, und darauf, was Erickson, der Kommunikationsbeauftragte der Polarlys, sagt, hört man lieber, denn sonst legt das Hurtigruten-Schiff ohne einen ab.

Linienschiffe haben einen straffen Zeitplan einzuhalten, Fracht- und Postschiffe wie die der legendären norwegischen Linie Hurtigruten zumal. Die Bewohner entlegener Küstenstreifen warten auf sie, auf die Lebensmittel und Baumaterialien, die sie bringen, auf wichtige Korrespondenz oder Pakete von den Lieben.

Dafür, dass sie sich verspäten, bräuchte es schon Windstärke elf oder dichtes Packeis und nicht Banalitäten wie einen Passagier, der beim Zwischenstopp die Zeit vergessen hat, oder einen, der an Bord sein Leben lassen musste.

Ein Mord an Bord - diese aussichtsreiche Grundkonstellation für eine Kriminalgeschichte wählte der belgische Schriftsteller Georges Simenon, den vor allem die "Kommissar Maigret"-Krimis berühmt gemacht haben, für seinen Roman "Der Passagier der Polarlys" von 1932.

Er beschreibt die Winterreise eines Hurtigruten-Dampfers aus der Sicht des verschlossenen Kapitäns Petersen, der sich nicht nur mit dem nervösen, jungen Offizier Vriens und rätselhaften Passagieren wie der Nymphe Katia, dem kahlrasierten Schuttringer sowie dem inkognito reisenden Polizeirat Sternberg herumärgern muss, sondern bald auch mit der Leiche des Letzteren.

Nach kurzem Halt in Stavanger muss die Reise weitergehen, und Kapitän Petersen, dem an Bord wie im Leben nichts lieber ist als geregelte Verhältnisse, muss wohl oder übel Ermittler spielen.

Polarlys, Polarlicht, heißt auch das 1996 vom Stapel gelaufene, noch immer wie neu wirkende Fährschiff, das im Sommer bis zu 737 Passagiere - im Winter deutlich weniger - von Bergen bis Kirkenes an der russischen Grenze und wieder zurück befördert. Doch hier enden schon die Ähnlichkeiten.

Simenons Polarlys war "ein Dampfschiff von etwa tausend Tonnen, das nach Kabeljau stank", wie es im Roman heißt. "Sie bot Platz für mindestens fünfzig Passagiere in der ersten Klasse und noch einmal so viele im Zwischendeck. Sie beförderte Maschinen, Obst und Pökelfleisch nach Norwegen und kehrte mit Tonnen über Tonnen von Kabeljau zurück, sowie Bärenfellen und Robbentran aus dem hohen Norden."

Was sich bis heute nicht änderte, ist der enge Zeitplan der Hurtigruten. Er lässt nur Stippvisiten zu in den menschenleeren Flecken und märchenhaften Städtchen, die jeden Tag zur gleichen Zeit von einem Schiff der Linie angefahren werden. Solche Eile war auch Simenon sein Leben lang eigen.

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In Eile schrieb der 1903 geborene Lokalreporter von Mitte der zwanziger Jahre an seine Bücher, getrieben, gehetzt gar, zeitweise jede Woche eins. In den 50 Jahren seines literarischen Schaffens brachte er es schließlich auf mehr als 500 Werke - "ich bin ein Literaturarbeiter", sagte er einmal.

Der belgische Schriftsteller Georges Simenon (undatiertes Archivfoto), Autor hunderter Romane mit Milliardenauflage, rasender Reporter, Frauenheld und Weltreisender starb vor 20 Jahren am 4. September 1989 im schweizerischen Lausanne. (zu (Foto: Foto: dpa)

Schöne Worte und Phrasen waren ihm zuwider; für seine schnörkellose Sprache wurde er von den einen zu den größten Autoren seiner Zeit gezählt, andere sagten ihm Nachlässigkeit nach.

Eher nebenbei machte ihn seine Produktivität schon um 1930 zu einem der meistgelesenen Krimiautoren Europas. Simenon selbst dachte in anderen Kategorien. Er schrieb, um sich den Lebensstandard leisten zu können, den er für angemessen hielt: nach einem Jahr ein eigener Wagen mit Chauffeur, nach zweien die erste Yacht.

1929 ließ er ein zweites Boot bauen, die Ostrogoth, auf der er in den kommenden drei Jahren Europa bereiste und Bücher schrieb. Auch die norwegische Küste soll er mit dem kleinen Boot hinaufgefahren sein; ob er auch auf der damaligen Polarlys reiste, lässt sich heute kaum mehr nachvollziehen.

Der Komfort an Bord, wie er ihn in "Der Passagier der Polarlys" beschreibt, wird ihm gelegen haben: die Kapitänsdinner, der Whisky im Rauchsalon, die Gesellschaft junger Damen wie Katia, die in Aufreizendes gehüllt mit den Mitreisenden flirten.

Auf der heutigen, der dritten Polarlys, hätte sich Simenon, der Lebemann, Trinker und Frauenheld, wohl zu Tode gelangweilt. Heute trinkt man sein Bier im familienfreundlichen Bistro, zum Rauchen geht man aufs Außendeck.

Für eine Kriminalgeschichte wie jene Simenons, die filmnoirgleich zwischen Klasse und Klischee changiert, wären auch die heute auf der Reise gebotenen Zerstreuungen wohl kaum ein angemessener Rahmen. Bei Nils Urban Erickson, dem Bordkommunikator, kann man Ausflüge buchen und sich dann zum Beispiel wie das dänische Ehepaar, in wollene Umhänge gehüllt, bei einem Wikingerspektakel auf den Lofoten wiederfinden.

Interessierte führt Nils auch auf die Brücke, zum Kapitän, der Kjell Inge Jensen heißt, mindestens so verschlossen ist wie Simenons Petersen und noch schweigsamer als die Landschaft, die er von seinem Steuersitz aus sehen kann. Auf festlichen Dinnern, wie sie Petersen allabendlich mit seinen rätselhaften Passagieren einnimmt, würde er sich wohl mehr als fehl am Platze fühlen.

Kapitän Jensen ist mit seinen Offizieren in einer Ecke des gemütlichen Speisesaals zu finden, etwas abseits der Passagiere, die hin und wieder verstohlen nach den respekteinflößenden Uniformen schielen.

Die wahre Attraktion auf einer Hurtigruten-Reise ist die Landschaft. Die Route führt durch die Fjorde und Schären Norwegens. Wer aus dem Fenster blickt - und das tun die meisten Passagiere viele Stunden am Tag - entdeckt zwar nur wenig Abwechslungsreiches, und das in großen zeitlichen Abständen: Fjordöffnungen ziehen vorbei, eine Möwe schlägt träge die Flügel, eine Boje schaukelt auf den sanften Wellen, hin und wieder liegen farbenfrohe Häuschen an einem Ufer verstreut wie willkürlich dahingeworfene bunte Würfel.

Doch gerade in dieser Eintönigkeit der "tageweiten, verlassenen Landschaft", wie sie der Schweizer Schriftsteller Peter Stamm nannte, liegt der Reiz: Im Gegensatz zum Schiffspersonal vergisst der Passagier bald die Zeit.

Die Umgebung ist wie geschaffen als Refugium für Schriftsteller; sie ist inspirierend, wie es nur eine Landschaft sein kann, die überirdische Schönheit mit einer Ahnung von Unheil vereint.

Sie gab Stamm fast 70 Jahre nach Simenon Anstoß für seinen Roman "Ungefähre Landschaft", der ein großartiges Bild liefert von der Trostlosigkeit, welche die scheinbar endlose Polarnacht in den Menschen hervorruft. Sie ist der Schauplatz für den norwegischen Klassiker "Die Lofotfischer", Johan Bojers autobiographische, von hartem Realismus und zärtlicher Nostalgie zugleich erfüllte Liebeserklärung an die Lofoten, wo er als junger Mann die Hölle der Winterfischerei im 19. Jahrhundert durchlebte.

Vielleicht tut man Simenon Unrecht, wenn man behauptet, ihn habe diese Landschaft kaltgelassen. Doch es ist klar, dass der Mensch ihn ungleich mehr interessierte - 1932 hatte er seinem entsetzten Verleger erklärt, von nun an keinen der unwahrscheinlich erfolgreichen Maigret-Krimis mehr zu schreiben, sondern sich auf ernsthafte Romane zu konzentrieren, in denen er das wahre Wesen des "nackten Menschen" ergründen wollte.

Thema und Szenerie, das gab er offen zu, interessierten ihn dabei nicht, jede Geschichte hätte an fast jedem Ort der Welt spielen können. Seine frühen Abenteuergeschichten hatte er mit dem Larousse neben der Schreibmaschine verfasst; die kurzen Lexikoneinträge genügten ihm als Recherche über Land und Leute.

Und so wie der Autor haben auch seine Polarlys-Passagiere keinen Blick für die Schönheit Nordnorwegens. Zu beschäftigt sind sie, mit dem Mord, miteinander und mit sich selbst. Die Landschaft, die es vermag, Passagiere stundenlang verzückt auf dem Panoramadeck ausharren zu lassen, lässt Simenon höchstens als stimmungsverstärkende Kulisse dienen.

"Gemütskrank" könne sie einen machen, schreibt er einmal aus der Sicht Kapitän Petersens; ansonsten liegt die Landschaft ebenso im Ungefähren wie die Hintergründe des Mordfalls in Kabine18.

Allein die Lofotfischer beschreibt Simenon eindrücklich: "Unförmige Gestalten", die, in vier oder fünf Schichten Kleidung gehüllt, ihre Netze auf dick vereiste Fischkutter ziehen und die später im Gewimmel und im penetranten Geruch der Fischerdörfer auf den Lofoten "glitschige Stapel von Kabeljau" aufschichten. "Das war bunt, das war lebhaft, aber nicht hektisch. Es war fröhlich, aber mit einem Bodensatz nordischer Schwere."

Offensichtlich vermochten von allen Sinnesreizen auf einer Schiffsfahrt entlang der Küste Norwegens nur die Lofotfischer den Schriftsteller zu beeindrucken. Jedenfalls befand er nicht viel anderes für würdig, es in seinem " Polarlys"-Roman zu verewigen.

Der Mordfall klärt sich schließlich in Honningsvåg auf, und das eher durch Zufall als dank der Ermittlungen Kapitän Petersens. Der ist froh, nun endlich zum geregelten Tagesablauf an Bord zurückkehren zu können. Honningsvåg, zwischen Hammerfest und Kirkenes gelegen, ist ein bedeutender Fischereihafen und das Tor zur Barentssee.

Dreieinhalb Stunden hat die Crew zum Be- und Entladen, dreieinhalb Stunden haben das dänische Ehepaar, die englischen Junggesellinnen und der deutsche Besserwisser, durch das Städtchen zu spazieren, in dem es außer dem Nordkap-Museum nicht viel zu sehen gibt. Danach geht die Fahrt weiter.

Damals wie heute, plangemäß, jeden Tag zur gleichen Zeit.

Informationen

Anreise: Direktflug nach Bergen von Frankfurt mit Lufthansa ab 165 Euro. Von München über Amsterdam mit KLM ab 210 Euro. Alternativ: Flug nach Oslo (mit Lufthansa direkt von Frankfurt ab 165 Euro, von München ab 240 Euro) und landschaftlich reizvoll weiter mit der Bergenbahn nach Bergen, ab 199 NOK (ca. 22 Euro, einfache Fahrt).

Pauschalen: 12-tägige Reise Bergen-Kirkenes-Bergen ab 1635 Euro, Abfahrt täglich. 15-tägige Themenreise Literatur Kiel-Kirkenes-Kiel (mehrere Lesungen ortsbezogener Literatur an Bord) ab 2595 Euro pro Person, Vollpension, Zwei-Bett-Innenkabine.

Abfahrt: 5. Oktober 2009

Literatur: Georges Simenon: "Der Passagier der Polarlys". Diogenes 1986 (Original: "Le Passager du Polarlys". Fayard 1932). Nur noch im Antiquariat erhältlich.

Weitere Informationen: Hurtigruten GmbH, Kleine Johannisstraße 10, 20457 Hamburg, Tel.: 040/37 69 30, Fax: 040/36 41 77, info@hurtigruten.de

© SZ vom 3.9.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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