Hotel Sheraton Park Lane in London:Welch schöne Verschwendung

Herzstück des renovierten Hotels Sheraton Park Lane in London bleibt der riesige Art-déco-Ballsaal - sein Anblick treibt Baulöwen die Tränen in die Augen. Erholen können sie sich beim besten Afternoon Tea der Stadt.

Von Alexander Menden

Am 4. November 1939 schrieb Bracewell Smith, Erbauer und Betreiber des Park-Lane-Hotels, einen Brief an seine langjährige amerikanische Kundin Edna Westcott. Er versicherte der "verehrten Dame", dass die von ihr geäußerten Sorgen wegen möglicher deutscher Luftangriffe während ihres geplanten Besuchs in London ganz unbegründet seien: "Unser Luftschutzkeller ist von der Stadtteilverwaltung Westminster geprüft worden und fraglos einer der sichersten und bequemsten in London", so Smith. Und trotz steigender Kosten seien auch die Preise noch immer die gleichen: 14 Pfund, sechs Schillinge pro Nacht für ein Einzel-, 25 Pfund für ein Doppelzimmer, beide selbstredend mit privatem Bad.

Ein paar Pfund mehr muss man mittlerweile schon bereithalten, wenn man eine Nacht im Park Lane Hotel an Piccadilly verbringen möchte - aber 1939 war diese Währung ja auch noch eine ganze Menge mehr wert. Bracewell Smiths Brief ist heute in einer kleinen, in die Wand eingelassenen Vitrine nahe der Rezeption zu besichtigen. Es ist eines der vielen Details, mit denen das Hotel auf seine 90-jährige Geschichte hinweist.

Das Haus gehört zwar schon seit Mitte der Neunzigerjahre zur Sheraton-Gruppe, trägt aber erst seit 2016 offiziell den Namen Sheraton Grand London Park Lane. Glücklicherweise verströmt es, anders als manch anderes Haus der Kette, nicht durchgehend die Atmosphäre einer Executive Lounge. Es ist, wie das Ritz, das Dorchester und das Savoy, an deren legendären Status es nie ganz heranreichte, ein Hotel, das von Beginn an von hochindividuellem Charakter lebte. Und es hat nach zweijähriger Renovierung, anders als beispielsweise das umgebaute Savoy mit seinem aufdringlichen Oligarchen-Schick, viel von diesem Charakter bewahrt.

Der Name des Hotels führt etwas in die Irre, der Haupteingang liegt nicht an der Park Lane. Auch nicht an Piccadilly, obwohl die fayencenverzierte Portlandstein-Fassade dort am prächtigsten ist, sondern eher versteckt auf der Rückseite, in der Brick Street. An der Rezeption in der unauffälligen Eingangshalle vorbei gelangt man in den zweitberühmtesten Raum des Hotels: Der Palm Court ist tagsüber das Herz des Hauses; hier wird der High Tea serviert, ein wirklicher Geheimtipp in einer Stadt, in der man sich vor Angeboten kaum retten kann, bei denen Tee, Gurkensandwiches, Küchlein, Scones mit Streichrahm und Marmelade kredenzt werden.

Stammgäste werden zweimal hinschauen müssen, um den Palm Court wiederzuerkennen: Verschwunden sind die Seidentapeten mit fernöstlichen Vogelmustern, verschwunden die hellen Bambusmöbel und die chinesischen Vasen. Sie gaben dem Raum zwei Jahrzehnte lang ein (gerade aufgrund seiner leichten Durchgesessenheit) heimeliges, neokolonialistisches Gepräge. Die Innenarchitektin Maria Katsarou Vafiadis hat nicht nur die auffällig vergoldete, monstranzartige Uhr über der Bar an der Stirnwand entfernt, sondern auch Arrangement und Farbpalette des Mobiliars komplett umgekrempelt.

Geschmackssache, ob die violetten und sattgelben Töne, die jetzt vorherrschen, eine Verbesserung darstellen. Der High Tea, der hier allnachmittäglich von einer Harfenistin begleitet wird, hat jedenfalls nichts von seiner Qualität eingebüßt: Sandwiches mit geräuchertem Lachs und Kapernsahne oder Schinken mit Sellerie- und Senfremoulade auf Rote-Bete-Brot ergänzen das obligatorische Süßgebäck.

Vernarrt in den Vogelkäfig

"Birdcage Afternoon Tea" heißt das Menü jetzt, und das, obwohl im ganzen Hotel kein einziger Vogelkäfig zu entdecken ist. Tatsächlich ist auch diese Bezeichnung ein historischer Verweis: Die damals neuartige Stahlrahmenstruktur, auf der das Hotel aufgebaut ist, wurde in der Rohbauphase aufgrund der optischen Ähnlichkeit "bird cage" genannt. Der Hotelgründer Bracewell Smith wollte nun einmal so modern bauen wie möglich. Bei der Innengestaltung orientierte er sich daher weitgehend am Stil der Zeit, dem Art déco.

Das ist das Pfund, mit dem das Hotel heute wuchert: Die Innenarchitektin Viafidis wollte die 303 Zimmer in so etwas wie Neo-Art-déco gestalten, was weitgehend gelungen ist, von den Original-Marmorbädern bis zu den blattvergoldeten Zimmerdecken und Armani-Chaiselongues in den Grand Suites. Bracewell Smith wusste zugleich, dass er seinen überwiegend amerikanischen Gästen ein Quäntchen Altweltcharme schuldete. Er bewies das mit der Einrichtung des "Tudor Ball Room", eines mit reichlich Holzvertäfelung und prachtvoller Stuckdecke aufwartenden Saales.

Alles wäre so schön - ohne die Brexit-Sorge

Colin Bennet, UK-Manager des Sheraton-Betreibers Starwood, präsentiert das Park Lane mit merklichem Stolz. Es ist nicht nur das erste Fünf-Sterne-Hotel der Gruppe in London, es ist erst das dritte überhaupt - wenn man die beiden am Flughafen Heathrow mitzählt. Das Haus hat endlich eine Chance, aus dem Schatten der übermächtigen Nachbarn Ritz und Dorchester herauszutreten. Aber in den Stolz mischt sich die Sorge, wenn es um den Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union geht.

Die British Hospitality Association, Interessenverband britischer Gastronomie- und Hotelbetriebe, sieht den Brexit-Prozess mit einiger Skepsis: "Die Regierung will die Zuwanderung beschränken, und das könnte sich direkt auf unsere Rekrutierungsmöglichkeiten auswirken", so Colin Bennet. "Mindestens die Hälfte unserer Angestellten stammen aus dem Ausland, speziell London wird im Hotelgewerbe als wichtige Sprosse in der Karriereleiter betrachtet." Ob das nach dem Brexit so bleiben werde, wisse niemand.

Momentan gilt, dass die Nachfrage nach Hotelzimmern in London seit 2009 kontinuierlich um zwei bis vier Prozent jährlich steigt. Und obwohl das Park Lane nie wirklich in einem Dornröschenschlaf lag, wirkt es nach der Renovierung deutlich aufgeweckter. Doch trotz all der Neuerungen - die Smith & Whistle Bar mit ihrem ästhetisch etwas verunglückten Wandschmuck aus Messingrohren, das komplett umgestaltete Mercante-Restaurant - bleibt der berühmteste Raum des Hotels das Aushängeschild: Der Ballsaal bietet eines der prächtigsten originalen Art-déco-Interieurs der Stadt.

Ein Saal, zu großzügig für diese Zeit - wie schön

Dass dieser schimmernde Riesenraum mit seiner fast sechs Meter hohen Decke in einer anderen Epoche errichtet wurde, sieht man schon an der kleinen Bühne an seinem nördlichen Ende. Hier spielten früher regelmäßig Tanzkapellen auf - ein Luxus, den sich heute nicht mehr viele Hotels leisten. Die ganze denkmalgeschützte Anlage würde von einem modernen Bauunternehmer gerade aufgrund ihrer Großzügigkeit als Verschwendung von Baugrund betrachtet - das macht sie so attraktiv.

Von den Reliefs mit geflügelten Pferden spielender Frauen an den Wänden über die Blumenkelchlüster bis zu den fächerförmigen Fries-Verzierungen verströmt der Ballsaal genau jenen leicht dekadenten Luxus, den man gemeinhin mit der Epoche seiner Entstehung assoziiert. Die Nutzung ist extrem vielfältig.

So fand im August 1986 im Park-Lane-Ballsaal ein Teil der Schachweltmeisterschaft zwischen Garri Kasparow und Anatoli Karpow statt. Auch Boxkämpfe werden regelmäßig hier abgehalten. Zuletzt nutzte Stephen Frears die Pracht des Saales für seinen Film "Florence Foster Jenkins" mit Meryl Streep in der Titelrolle. Und bisweilen wird hier tatsächlich auch ein Ball veranstaltet.

Edna Westcott, die besorgte amerikanische Stammkundin, kannte diesen prunkvollen Raum übrigens ganz sicher, und wusste daher, dass Bracewell Smith nicht übertrieb, als er ihr 1939 schrieb, der Luftschutzkeller des Park-Lane-Hotels sei der bequemste der ganzen Stadt: Im Zweiten Weltkrieg zogen sich Gäste und Personal bei Luftangriffen in den bombensicheren Ballsaal zurück.

Die Nacht im Sheraton Park Lane kostet im DZ ab 266 Euro ohne F., www.sheratonparklane.com

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