Hongkong:Große Liebe

Hongkong: Mit seinen Drinks überzeugte Chung schon Clark Gable.

Mit seinen Drinks überzeugte Chung schon Clark Gable.

(Foto: Sven Weniger)

Seit 60 Jahren mixt Johnny Chung Cocktails im Peninsula Hotel Hongkong. Der Bartender stammt aus armen Verhältnissen und hat im Laufe seines Lebens vielen Prominenten eingeschenkt. Clark Gable hat ihm gezeigt, wie er seinen Lieblingsdrink mischt.

Von Sven Weniger

Es war der Griff nach dem Werkzeug, der Johnny Chung zur Legende machte. "Ich legte den Schraubenzieher vor ihn auf den Tresen. Da sah er mich verblüfft an, verstand und erklärte mir, wie man den Screwdriver mixt, den er gerade bestellt hatte." Von Clark Gable hatte Johnny so wenig gehört wie von dessen Lieblingsgetränk. Wie sollte er auch. 1957, als er den Filmstar traf, war der Junge aus Hongkong fünfzehn, aus ärmlichen Verhältnissen, der Vater tot, die Mutter allein mit vier Kindern. Dann die Chance, als Botenjunge im Peninsula anzufangen, dem besten Hotel der Stadt. Ein Hauptgewinn, freie Kost, Logis und fünf US-Dollar Lohn im Monat. "Kurz danach durfte ich schon in der Bar helfen. Ich war nervös, als der elegante Gentleman den Drink probierte. Doch er nickte, sagte: wunderbar, perfekt, und lächelte mich an. Ich war sehr erleichtert."

Sechzig Jahre sind seitdem vergangen. Johnny arbeitet noch immer im Peninsula. In diesem Jahr feiert er Jubiläum - der ewige Barmann, der berühmteste Hongkongs ist er schon lange.

Mit Johnny zu plaudern, heißt, auf Zeitreise zu gehen durch seine Stadt, die von den Wirren japanischer Besatzung über die britische Kolonialzeit bis zur Rückgabe an China ein Wechselbad der Geschichte durchlebt hat. Und Johnny mit ihr. 75 ist er nun, leicht gebeugt und stets ebenso fein angezogen wie sein berühmtester Gast; akkurater Scheitel, weißes Dinnerjacket, verschmitztes Lächeln.

Für viele Gäste aus Asien ist das Hotel bis heute eine Außenstelle der britischen Monarchie

"Wenn der Lincoln draußen vorfuhr, wusste ich, ein wichtiger Gast kommt gerade vom Flughafen an", erinnert sich Johnny an die Anfangsjahre. Seine Bar lag damals in der Lobby, ein hoher Prunksaal, schlanke Säulen, goldene Friese - seitdem unverändert. Noch heute stehen täglich Dutzende Touristen an, um einen Tisch zum Afternoon Tea zu ergattern. "Ein Japaner sagte mir mal, er könne nicht nach Hause fahren, ohne hier Tea Time gehabt zu haben, sonst werde er ausgelacht." Hongkong war in den Augen vieler Asiaten die Außenstelle jenes europäischen Königreichs mit den merkwürdigen Marotten, die man besuchen konnte, ohne um die halbe Welt zu reisen. Das Peninsula ist es noch. Und genau wie dieses Grandhotel alter Schule mit seinen livrierten Pagen, herübergebeamt aus alter Zeit, steht Johnny Chung in der Lobby inmitten handyfixierter Gäste, die seine Enkel sein könnten. "Dort lag der Schalter von Cathay Pacific. Man kaufte sein Flugticket und wartete dann bei mir auf die Abreise. Man trank damals weniger. Einen Gin & Tonic, Martini, die Klassiker, es ging um Genuss."

Was heute ein wenig wie Staffage wirkt, war schon damals ein künstlicher Kosmos, Johnny merkte das wohl. Bald kamen die amerikanischen Kriegsschiffe, deren Marines ein paar Tage Auszeit vom Vietnamkrieg nahmen. In China hatte die Kulturrevolution begonnen, und in Hongkong streikten 1967 die Arbeiter. Bei ihm am Tresen saßen derweil vor allem Europäer, "die Herren trugen Fliege, die Damen eng taillierte Kleider", erinnert er sich. "Viele kamen im Zug an. Die Station lag fast gegenüber. Für diese kurze Strecke nahm man die Rikscha, auch zum Anleger der Star Ferry." In langen Reihen warteten Fahrradtaxis vor dem Hotel.

Der Stadtteil Kowloon, an dessen Südspitze das Peninsula liegt, hatte kaum Wolkenkratzer. Dahinter begannen oft schon die Felder. Die Administration der Kronkolonie lag gegenüber auf der Insel Hongkong. Die Fähre setzte britisches Verwaltungspersonal und chinesische Arbeiter über den Victoria-Harbour-Kanal. Vom prächtigen Bahnhof steht heute nur noch der Glockenturm. Die alte Star Ferry aber fährt noch immer alle zehn Minuten hin und her. "Mit zehn erst war ich eingeschult worden. Es gab nur ein Schulbuch", erzählt Johnny. "Der Lehrer brachte uns Englisch mit der South China Morning Post bei, die Zeitung bekommt jeder Gast noch immer morgens aufs Zimmer." Noch immer wohnt der Mann, der es nie bereute, nicht geheiratet und keine Kinder bekommen zu haben, im Hotel. Im dritten Stock hat er seit Jahrzehnten sein Zimmer. "Das ist meine Familie", sagt er und lacht.

Als Hongkong den Schalter umlegte, war der Barmann schon lange im Amt. Für dreißig Jahre wurden Neonlichter zum Synonym für eine Stadt, die nun nachts heller war als am Tag. Die Einwohnerzahl verdoppelte sich. "Viele Hotels machten auf, Clubs, Nightlife. An meiner Bar wurde gefeiert, die Leute gingen nun abends aus." Johnny erinnert sich gerne an die 1970er-Jahre. James Bonds "Der Mann mit dem goldenen Colt" spielte in Hongkong und brachte die flaschengrüne Rolls-Royce-Flotte des Peninsula auf die Leinwand. Deren Nachfolger, vierzehn Rolls-Royce Phantom, stehen Gästen noch heute zur Verfügung. Cantopop wurde groß, Hongkong stand für den Aufbruch Asiens in eine vom Westen kopierte Modernität. Johnny kann die Titelmelodie der "Brücke am Kwai" genauso gut summen wie die Hits von Andy Lau, seinem Lieblingssänger und Filmhelden. "Ich habe für die Kwai-Stars Jack Hawkins und William Holden Drinks gemixt und für Andy Lau", sagt er beiläufig, als lägen dazwischen nicht 40 Jahre.

Hongkongs Kulturrevolution sollten je-doch die Neunziger werden, eine Zäsur. Es ist, als würde ein Jahrhundert beerdigt, noch bevor es tot ist. 1994 bekommt das Peninsula einen dreißigstöckigen Turm im Zentrum des Hotels. Längst ist die Stadt aus allen Nähten geplatzt, Raum gibt es nur noch nach oben. Johnny zieht in den ersten Stock. Die offene Bar, der Treffpunkt der Hotelgäste, muss Luxusshops weichen. "Ich war stolz darauf, wir hatten jetzt einen Pool, ein Spa, ein Helipad", sagt der Mann, der nun zur Marke avanciert war, aber bis heute äußerst bescheiden geblieben ist. "Schade war nur, dass ich jetzt das Kommen und Gehen nicht mehr mitbekam." Auch seine treueste Kundin blieb bald weg, "eine charmante Lady aus Beverley Hills. Fast zehn Jahre lang kam sie immer zu Weihnachten. Und jeden Tag nahm sie bei mir einen Martini", sagt er. Ob das Wegbleiben der reichen Dame mit der Rückgabe der Kronkolonie an China 1997 zusammenfiel, da ist er sich nicht mehr sicher. Aber vieles wirkt heute im Nachhinein wie ein Abgesang auf den Glamour, auch dass die Neonzeichen mit ihrem flackernden Gas nun nach und nach LEDs weichen mussten. "Seit viele Festlandchinesen hier absteigen, müssen wir Mandarin sprechen können", sagt Johnny. Viele Hongkonger stört die Neureichen-Arroganz, die Besucher aus der Volksrepublik auch zwanzig Jahre nach der Rückgabe der Stadt häufig an den Tag legen.

Wenn Johnny Chung jedoch sein Leben Revue passieren lässt, dann ist da nur ein Gefühl: Dankbarkeit. "Mir kommen manchmal die Tränen vor Rührung." Er lächelt verlegen. "Meine Mutter brachte mich damals hierher, es war schwer, genommen zu werden. Und nun sind sechzig Jahre vergangen. Und ich bin immer noch hier."

Das Peninsula ist das geschichtsträchtigste Hotel Hongkongs, DZ ab 477 Euro. Die Bar im 1. Stock öffnet um 15 Uhr, http://hongkong.peninsula.com

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