Hoch gelegen:Teufels Beitrag

Der Alpinist Tita Piaz war ein Querkopf. Als ihn der Alpenverein als Pächter entließ, baute er nebenan seine eigene Hütte. Heute profitieren davon die Bergsteiger in den Dolomiten.

Von Helmut Luther

Die Geschichte der Paul-Preuß-Hütte muss man wohl am besten bei Satan beginnen. Das liegt nicht etwa daran, dass bei Namenspatron Paul Preuß angesichts von dessen höllischen Klettertouren manch ein Zeitgenosse vermutete, er könnte mit dem Teufel im Bunde stehen. Es hat auch nichts damit zu tun, dass der Hüttenerbauer Tita Piaz "Der Teufel der Dolomiten" genannt wurde. Satan hieß vielmehr der Hund von Piaz, und wenn man so will, steckt in diesem Namen ein ganzes Lebensprogramm. Tita, geboren im Fassatal als Giovanni Battista Piaz, war ein großer Alpinist, dem nicht nur jede Furcht vor ungelösten bergsteigerischen Problemen fehlte; er pfiff auch auf die Meinung seiner Mitbürger. Er ging nicht in die Kirche, sympathisierte als einer der wenigen in dieser erzkatholischen Region mit dem Sozialismus, und während die übrigen Dorfbewohner die Heilige Messe feierten - so steht es in Piaz' Autobiografie - fuhr er Satan im Rucksack auf dem Fahrrad spazieren.

Durchs Stubenfenster sieht man Zirbelkiefern und Alpenrosen. Farbtupfer im Fels

Preuß, Piaz und Satan; das ist so etwas wie die Dreifaltigkeit des Klettersports im frühen 20. Jahrhundert. Nirgendwo wird diese Geschichte so greifbar wie an der Paul-Preuß-Hütte. Errichtet hat sie Piaz im Jahr 1913 direkt unter den Vajolettürmen, die wie knotige Finger in den Himmel ragen und wo er selbst jede Menge Routen - darunter die in Kletterkreisen weltberühmte Delagokante - erschlossen hat. Routen wie Hütte sind nicht nur Vermächtnisse für die Nachwelt; sie waren vor allem auch ein Protest gegen das Establishment. Zumindest erzählt das Ivo Piaz. Der 57-Jährige ist ein Enkel Titas und heute Wirt auf der Preußhütte. Er sagt: "Mein Großvater war ein Querkopf. Wenn andere sagten, etwas gehe nicht, wollte er beweisen, dass es doch möglich sei."

Hoch gelegen: Die Paul-Preuß-Hütte liegt spektakulär an und auf einem Felsen. Tagsüber dösen hier die Besucher gern in der Sonne, zum Übernachten bleiben wenige.

Die Paul-Preuß-Hütte liegt spektakulär an und auf einem Felsen. Tagsüber dösen hier die Besucher gern in der Sonne, zum Übernachten bleiben wenige.

(Foto: Giulio Montin)

Das erste, was auffällt, wenn man das Wiesenpodest, auf dem die Hütte thront, nach einer letzten Felsstufe und einer knappen Wegstunde über dem Ausgangspunkt Gardeccia erreicht hat, ist das Nebeneinander von zwei Gebäuden, die nicht zusammenpassen wollen: die kleine, gedrungene Paul-Preuß-Hütte, und gleich dahinter die imposante Vajolethütte mit ihren 130 Betten. Glaubt man Ivo Piaz, der sich auf die Familienüberlieferung beruft, war die Nähe zur Konkurrenz sehr bewusst gewählt, obwohl es von der Geländestruktur her keinen zwingenden Grund gab: Tita Piaz wollte seinen ehemaligen Chefs ein Schnippchen schlagen.

Piaz hatte nämlich als Pächter auf der Vajolethütte gearbeitet, die damals noch der Leipziger Sektion des Deutschen Alpenvereins gehörte. Ein Großteil der Gäste kam zu der Zeit aus Deutschland und Österreich, das Fassatal gehörte zum Habsburgerreich. Die Politik machte auch vor den Berghütten nicht Halt, und Tita Piaz war nicht der Mann, der mit seiner Meinung hinterm Berg hielt. Aus dem Norden kommenden Besuchern hielt er "pangermanistische Tendenzen" vor. Manchmal, erzählt Ivo, habe sich der Großvater sogar geweigert, mit Besuchern in deren Muttersprache zu kommunizieren. "Dabei hatte er in Bozen die deutschsprachige Lehrerbildungsanstalt besucht." Allerdings war Piaz schon dort wegen Disziplinlosigkeit ohne Abschluss entlassen worden, 1912 folgte der Rausschmiss als Pächter der Vajolethütte. Seinen Protestbau benannte er nach dem Österreicher Paul Preuß, einem Bruder im Geiste, der im Jahr des Hüttenbaus abgestürzt war.

Hoch gelegen: Paul-Preuß-Hütte

Berghütten sind mehr als schlichte Schlafgelegenheiten im Gebirge mit Kaiserschmarrn- Verpflegung. Viele haben eine lange Geschichte, sind Ausgangsort für Bergsteigerkarrieren und für manche Menschen sogar der Lebensmittelpunkt. In der Serie "Hoch gelegen" stellen wir einige dieser alpinen Unterkünfte vor.

Draußen wabern die Nebelschleier um die verstreuten Felstrümmer herum. Das Thermometer an der Hüttenwand zeigt neun Grad an. Nachdem die Arbeit in der Küche getan ist, sitzt Ivo Piaz an diesem Abend vor dem gemauerten Ofen in der Hüttenstube, dem einzigen beheizbaren Raum im Haus, und er greift ins Bücherregal über dem Ofen. Er zieht zwei autobiografische Bücher von Tita Piaz heraus. "Meine Cousins und ich erhalten jährlich fünf oder sechs Euro für die Autorenrechte", sagt Ivo und blättert die Seiten mit Schwarzweißfotos auf. Sie zeigen Tita Piaz im Kreis seiner Bergführerkollegen. Tita Piaz hält als einziger keinen Eispickel in der Hand, und im Gegensatz zu seinen Kollegen trägt er auch keine Lodenjoppe, sondern nur ein Hemd mit weit geöffnetem Kragen. Typisch Großvater, findet der Enkel.

1986 übernahmen er und seine Frau Angela das heruntergekommene Gebäude von Ivos Mutter, die nach dem frühen Tod des Vaters alleine weitergemacht hatte. Die beiden erbauten die Hütte nach den Originalplänen komplett neu. Über dem Eingang des zweiflügeligen Gebäudes ragt ein Glockentürmchen empor. Mit dessen Geläut habe man früher die Bewohner wie auf einem Bauernhof zum Essen gerufen, erzählt Ivo. Heute sei das natürlich überflüssig, jeder besitze ja seine eigene Uhr. "Nun dient der Turm als Zierde." Blickt man durch die Stubenfenster über das in Wellen nach Süden abfallende Vajolettal, wo Zirbelkiefern und Alpenrosen grüne Farbtupfer in die Felsszenerie malen, wähnt man sich wie ein Schiffskapitän auf großer Fahrt. Die drei Kammern unter dem schrägen Dachgebälk bieten Platz für zehn Gäste, die Übernachtung kostet auf der Preußhütte etwas mehr als nebenan in der Vajolethütte, die heute dem italienischen Alpenverein gehört.

Hoch gelegen: SZ-Karte

SZ-Karte

Von den Massen, die hier im Tagesverlauf teilweise in Flipflops auftauchen und dann stundenlang ringsum in der Sonne rösten, bleibt keiner zum Übernachten auf der Preußhütte. Erst am späten Nachmittag, nachdem die Karawane längst wieder talwärts gezogen ist, öffnen drei schwer bepackte Fernwanderer aus der Garmischer Gegend die Hüttentür. Sie wollten eigentlich bis zum Abend eine höher gelegene Hütte erreichen, nun fehlen aber Lust und Kraft für einen weiteren Aufstieg. Dem Wirt ist es recht, denn so sind jetzt wenigstens drei Betten belegt - was in etwa dem Durchschnitt entspreche.

Manchmal hat man den Eindruck, dass Ivo nicht nur die markante Kinnpartie und die athletische Figur vom Großvater geerbt hat, sondern auch den Hang zum Protest. Beim Verkosten seines selbst angesetzten Kräuterschnapses erzählt Piaz von den immer höheren Ansprüchen vieler Hüttenbesucher. "Manche haben nicht die mindeste Ahnung, wo sie sich befinden, beschweren sich aber, weil ihnen kein eigenes Bad zur Verfügung steht." Es kann passieren, dass er deutlich seinen Standpunkt erklärt, zum Beispiel, wenn sich ein Gast zum Essen Fisch wünscht. "Ich empfehle ihm dann, lieber ans Meer zu fahren."

Reiseinformationen

Anreise: Mit dem Auto von München über die Brennerautobahn, Ausfahrt Bozen-Nord und durch das Eggental über den Karerpass in etwa fünf Stunden nach Pozza di Fassa. Mit einem Shuttlebus (sechs Euro) nach Gardeccia. Von dort eine bequeme knapp einstündige Wanderung zur Hütte.

Unterkunft: Die Übernachtung mit Frühstück auf der Hütte kostet pro Person 35 Euro im Mehrbettzimmer. Rifugio Preuss Hütte, Pozza di Fassa, Località Vajolet; Telefon: 00 39/36 87 88 49 68, info@rifugiopaulpreuss.com, www.rifugiopaulpreuss.com

Weitere Auskünfte: Pozza di Fassa TN, Telefon: 00 39/4 62 60 95 00, www.fassa.com

Solche Probleme gibt es mit den Wanderfreunden aus Garmisch an diesem Abend nicht. Sie sind mit Gulasch und Knödeln zufrieden, nach einem Blick auf den langsam dunkel werdenden Himmel verkrümeln sich dann alle in ihre von einem vergoldeten Holzengel bewachte Schlafkammer. Da es dort eher kühl ist, werden die mit heißem Wasser gefüllten Bettflaschen dankbar entgegengenommen. Denn ein guter Wirt erfüllt den Gästen manchmal auch Wünsche, die ihm persönlich vollkommen abwegig erscheinen mögen.

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