Historische Zugfahrt in der Schweiz:Schöner rumpeln

Glacier Express

Elf Stunden dauert die Fahrt auf der alten Furka-Bergstrecke. Genug Zeit für die Passagiere, die einzigartige Naturkulisse zu genießen.

(Foto: Bahnurlaub.de)

Auf der historischen Route des Glacier Express von Zermatt nach St. Moritz fährt wieder ein Zug. In den Waggons sind die Bänke mit Samt bezogen, das Holzgestühl zittert beim Anfahren. Bequem ist das nicht - aber für echte Zugfans ein Muss.

Von Sven Weniger

Es ist ein Kraftakt. 11.25 Uhr: In Oberwald wird die Elektrolok abgekoppelt. Die alte Diesellok rollt herüber vom Nebengleis, klinkt sich ein in die Waggons und zieht an. Ein Ächzen geht durch die antiken Aufbauten des Salonwagens, Holzgestühl zittert, Gussräder grollen. Der Zug rumpelt an der Tunneleinfahrt vorbei steil bergan. Gleich in der ersten Kurve kreischen die Bremsen auf, die Passagiere suchen Halt. Sie hätten auch durch den Furka-Basistunnel fahren können, bequem, klimatisiert, Snacks und Limo auf den Tischen. In einer Viertelstunde wären sie bei Realp am anderen Ende der Passstraße wieder ans Tageslicht gekommen. Stattdessen liegen 1400 Höhenmeter auf 17 Kilometern Bahnstrecke vor ihnen, in einer uralten Eisenbahn. Drei Stunden Schlingern durchs Gebirge. Nicht einmal billig ist es. Wer macht so etwas Blödes?

Der alte Zug fährt die Furka-Bergstrecke und rückt den Rhônegletscher in den Blick

Rolf Becker lächelt fein. Er kennt die Frage. "Echte Zugfans können nicht anders", sagt der leise Pfälzer, "und die Strecke Zermatt-St. Moritz ist nun mal die schönste und berühmteste in der Schweiz." Erstmals im Jahr 1930 verband ein lückenloser, gut 290 Kilometer langer Gleisstrang die beiden exklusiven Kurorte miteinander. Mehr als 90 Tunnel hatte man dafür in die Alpen gesprengt, etwa 300 Brücken über Abgründe und Felsspalten gespannt - Zahlen, die noch heute nicht nur Statistiker ehrfürchtig machen. In waghalsigen Kehren und Kreisen hatte man Schienen verlegt, auf denen sich eine Lokomotive auf engstem Raum wie ein Raubvogel am und im Berg in die Höhe schrauben konnte, festgekrallt in eigens verlegten Zahnstangen.

Bahnfahren war das Nonplusultra kultivierten Reisens. Glacier Express hieß der neue Zug im Französisch der feinen Leute; denn im Salonwagen ging es direkt am mächtigen Gletscher der Rhône vorbei, fast 2200 Meter hoch gelegen. Und die Damen, das Tässchen Tee in der Hand, mussten nicht einmal ihre Glockenhüte gegen Pelzmützen tauschen. "Es war eine Ingenieursleistung der Sonderklasse", sagt Becker, "und die erste Strecke, die aus rein touristischen Gründen eröffnet wurde. Man wollte den verwöhnten Kurgästen etwas Außergewöhnliches bieten."

Zurück zu den Anfängen

Das ist geblieben. Der heutige Glacier Express lebt noch immer von seinem großen Namen und dem Charisma der Gründerjahre. Statt der damals 2500 Gäste im Jahr karrt er nun allerdings 250 000 aus aller Welt zwischen den beiden Orten hin und her. Der inzwischen hochmoderne Urlaubermagnet tut dies mit dem Charme eines ICE. Und mit dem Zug von damals hat er nur den Namen gemein - kaum jemand weiß das.

"Seit 1982, als der Furkatunnel fertig wurde, kann man auch im Winter fahren, wenn am Pass drei Meter Schnee liegen", erklärt Becker. Das ist gut fürs Geschäft. Doch auch der Rhônegletscher ist damit weg vom Abteilfenster, dem Glacier Express fehlt praktisch die Geschäftsgrundlage. "Das wurmte mich", so Becker, "deshalb haben wir in jahrelanger Arbeit den alten Zug wieder auf die Schienen gestellt." Swiss Alps Classic Express, kurz SACE, nennt sich Beckers Zug, den der Zugreisenexperte exklusiv betreibt. Den Originalnamen rückten die Schweizer Bahnen nicht heraus. Das schmälert das Erlebnis auf der historischen Route aber von Beginn an in keiner Weise.

Zugfahren wie vor 80 Jahren

7.15 Uhr: Die Jungfernfahrt hat etwas Zirzensisches: ein Willkommenstresen auf dem Bahnsteig in Zermatt; Hostessen, die in roten Uniformen die Gäste begrüßen; der nachtblaue Speisewagen Gourmino von 1929; der Salonwagen aus dem Jahr der ersten Reise, die Bänke der ersten Klasse mit mintgrünem Samtbezug, Gepäcknetze über geätzten Abteilscheiben im Art déco; dazu zwei feuerrote Reisewagen aus dem alten Glacier Express, alles gezogen von einer Balkonlokomotive, Baujahr 1948. Ein Sammelsurium aus dem Fundus einer bahnvernarrten Nation.

Erstmals fährt wieder ein Zug die alte Route. Drei Schweizer Bahnen aus drei Kantonen haben dafür ihr Plazet gegeben und stellen eigene Schaffner für die Teilabschnitte. "Dennoch fahren wir immer im selben Zug, ohne umzusteigen", sagt Becker, "genau wie damals." Die Fahrgäste trudeln ein, Kameras klicken. Jedes Detail zählt für die Generation Märklin. Männer fachsimpeln über Aufhängung und Spurbreite der Wagen, Frauen schauen auf die Speisekarte. Wie vor rund 80 Jahren dauert die Reise gut elf Stunden. Die wollen auch kulinarisch begleitet werden.

Flaschen, Tischlampen und die Kellnerin schwingen im Takt der Schienen

Margrit Mathis schwebt durch den Gourmino. 50 mal Bündner Gerstensuppe mit Bürli unfallfrei zu den Gästen zu tragen, während der Zug durchs Haupttal des Wallis rattert, das kann nicht jeder. "Du darfst dich nicht gegen den Zug auflehnen", sagt die Mittfünfzigerin, "ich schwinge im Takt der Schienen." Mathis witzelt mit den Gästen in Mundart, Seltersflaschen klappern in Messighaltern, Tischlampen schwingen leicht. "Im SACE habe ich Zeit und Lust zu plaudern", sagt Mathis, die auch schon im modernen Glacier Express gearbeitet hat, wo alles zackzack gehen müsse.

Weniger Muße hat Rajan Kailainathan. Der indische Koch ist Zugveteran, seit 20 Jahren in Waggonküchen unterwegs. Acht Quadratmeter sind sein Reich am Ende des Speisewagens, zwei Koch- platten, Tiefkühltruhe, Eisschrank, Ofen, Geschirrspüler, Tellerwärmer. Kailainathan scheint um sich selbst zu rotieren und alles gleichzeitig zu greifen. "Salate anrichten, Gemüse kochen, braten, ich bereite alles frisch zu", sagt der kleine, dünne Mann, "in alten Zügen wie diesem kann man wenigstens noch die Fenster aufmachen, ich habe also immer eine frische Brise." Mit der Gerstensuppe läuft er sich warm, später gibt es dann Rinder-Stroganoff "mit allem Drum und Dran". 120 Essen hat Kailainathan heute auf dem Speisezettel. Doch jetzt kommt erst einmal der Furkapass.

Zwölf Uhr. Die Fahrt von Oberwald hinauf nach Gletsch ist ein Abenteuer. Fast alle Passagiere sitzen im offenen Panoramawagen, obwohl die Temperatur beim Anstieg abnimmt und im Berg eisig wird. Ein Waggon ohne Fenster, ohne Dach, Holzklasse pur, man kann die Hände ausstrecken und Blumen pflücken. Kehren, Viadukte, dicke Holzportale, die jeden Tunnel im Winter vor Lawinen schützen - archaische Technik trifft auf eine einzigartige Naturkulisse aus Hochalmen, wo die Murmeltiere pfeifen. Und dann sind da die Schräggläser. Abgewinkelt geblasen, stehen sie nur bei starker Steigung gerade auf den Tischen, Margrit Mathis füllt sie randvoll.

Speisewagen im Glacier Express

Auf einigen Abschnitten ist die Fahrt ziemlich ruckelig. Im Speisewagen sind Wasser- und Weinflaschen daher in Messinghalter eingefasst.

(Foto: Zermatt)

Das Erlebnis wirkt wie aus der Zeit gefallen

Am Bahnsteig in Gletsch warten Sekt und Buffet in der Sonne. Gegenüber liegt das monumentale Hotel Glacier du Rhône, einst Raststation für Pferdekutschen, die die Alpen überquerten, es ist nur im Sommer geöffnet. Schon Goethe und Hegel blickten von hier zum mächtigen Gletscher und schauderten angesichts der als bedrohlich empfundenen Natur. Anachronistisch wirkt dies alles nun: der Zug, die leere Herberge. Der Gletscher hat sich weit auf sein Plateau zurückgezogen - der Klimawandel. Beinahe hätten die ordentlichen Schweizer die gesamte Furka-Strecke wieder abgebaut, die Oberleitungen waren schon demontiert. Dann kamen die Zugfreunde aus Uri und nun Becker.

16.44 Uhr: Disentis liegt hinter dem Zug, auf der Vorderrheinstrecke geht es durch Graubünden. St. Moritz kommt langsam näher. Rajan Kailainathan hat den Zvieri zubereitet, die Brotzeit mit Bergkäse und Salsiz-Rauchwurst. "Obwohl der Aufwand enorm ist", sagt Becker, "wird der Swiss Alps Classic Express regelmäßig jeden Sommer fahren." Er hofft, dass in Zukunft nicht nur der harte Kern Zugbegeisterter zusteigt. Plötzlich Nachtschwärze, wieder mal ein Alpentunnel. Die Passagiere haben längst aufgehört zu zählen.

SZ Karte Istanbul Schweiz

Der Swiss Alps Classic Express verkehrt zwischen Zermatt und St. Moritz.

(Foto: SZ Grafik)
Informationen

Der Zugreisenveranstalter Bahnurlaub.de hat die SACE-Reise zwischen Zermatt und St. Moritz am 27.8.14 und 11.9.14 im Programm. Preis: 159 bis 399 Euro/Pers. Infos und Buchung unter www.bahnurlaub.de/sace.

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