Heimat Capri:Im Sommer ein Zirkus, im Winter eine Wüste

Claretta Cerio, selbst eine Art archäologisches Fundstück, hat einen wichtigen Teil der Geschichte Capris begleitet.

Thomas Steinfeld

Die Schriftstellerin Claretta Cerio, Enkelin eines Münchner Malers, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf Capri eine Künstlerpension betrieb, war mit dem Ingenieur, Schriftsteller und Lokalpolitiker Edwin Cerio verheiratet, der zwischen der Kolonie der Ausländer und der lokalen Bevölkerung Capris vermittelte.

SZ: Sie leben schon lange in der Toskana. Aber sie schreiben über Capri.

Claretta Cerio: Ich bin 1927 auf Capri geboren, bin bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs immer wieder auf Capri gewesen, auch im Krieg. Aber richtig auf Capri gelebt habe ich vor allem mit Edwin, meinem ersten Mann, von 1945 bis 1962. Das waren interessante Jahre auf Capri, eine Zeit, in der die Gäste noch nicht nach ihren Koffern beurteilt wurden. Es gab immer noch Ausländer, die praktisch von nichts lebten.

SZ: Umberto D'Aniellos Capri-Bilder haben gar nichts von südlicher Farbenfreude, sie sind schwarz-weiß, und manchmal sieht das vermeintliche Paradies aus, als läge es nördlich der Lofoten.

Cerio: Capri ist eine dämonische Insel, und das Dämonische fand ich in diesen Bildern getroffen. Es ist kein Zufall, dass hier, bis auf den heutigen Tag, Leute stranden, ja sogar vergammeln. Und es ist unter Umständen kein Glück, auf Capri aufzuwachsen. Als ich Capri verließ, im Jahr 1962, als Mutter einer achtjährigen Tochter, war ich froh. Denn Capri ist eine künstliche Welt - im Sommer ein unglaublicher Zirkus, im Winter eine Wüste.

SZ: Das Erstaunliche an alten Touristenorten ist ja, dass sie eine Hornhaut zu bekommen scheinen. Nach Capri reisen die Ausländer seit fast zweihundert Jahren, und immer noch scheint für die Nachfolgenden genügend übrig zu sein.

Cerio: ,,Capri è rovinata'' - ,,Capri ist ruiniert'', der Satz ist mir seit siebzig Jahren im Ohr. Man kann daraus lernen: Capri ist immer ruiniert gewesen. Man kann aber auch daraus lernen: Capri ist auch heute nicht zerstört. Die Insel wird durch ihre Steilküsten geprägt, und man kann eben nicht vertikal bauen. Man kann gar nicht genug kaputtmachen, es bleibt immer noch etwas übrig.

SZ: Sie können sich noch an einige Figuren aus dem alten Capri erinnern, an Curzio Malaparte, an Axel Munthe, an Norman Douglas?

Cerio: Einer meiner ersten Artikel für eine deutsche Zeitung handelte von Axel Munthe. Dieser Mann, schrieb ich, habe ein Haus gebaut, um ein Buch darüber schreiben zu können. Axel Munthe war ein Theatermacher, ein großer Poseur, aber er hat die Kraft besessen, Menschen in ihrem Innersten anzurühren. Und man kann nicht sagen, dass daraus ein großer Schaden entstanden sei - im Gegenteil. Er war auch ein Tröster.

Norman Douglas war zum ersten Mal in den neunziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts nach Capri gekommen. Und er kam 1946 wieder, bis er 1952 auf der Insel starb. Douglas war geistreich, beseelt von einem bösen Humor, eigentlich ein Menschenverächter, mit Ausnahme von jungen Männern, aber dann doch ein Perfektionist, ein Naturwissenschaftler, ein Historiker, der nichts unvollkommen machen konnte. Malaparte habe ich noch vor dem Krieg kennengelernt. Edwin Cerio mochte Malaparte sehr. Das beruhte auf Gegenseitigkeit, beide waren große Schauspieler, und beide kultivierten ihre Kaltschnäuzigkeit.

SZ: Können Sie sich vorstellen, dass Axel Munthe Curzio Malaparte noch während des Zweiten Weltkriegs beim britischen Geheimdienst denunzierte?

Cerio: Ja, und wahrscheinlich mit Recht. Dieser Welterfolg, dieser Roman ,,Kaputt'' - war dieses Buch nicht zuerst, bevor es radikal umgearbeitet wurde, eine Huldigung an die Deutschen gewesen? Er hatte so etwas Geckenhaftes, Unzuverlässiges. Ich bin so oft mit Malaparte eingeladen gewesen, und jedesmal war es ein Happening, und immer war er völlig rücksichtslos.

SZ: Sie haben Capri im Jahr 1962 verlassen. Sind sie danach noch oft zurückgekommen?

Claretta Cerio: Oh, ja, ich hatte lange Zeit noch eine Wohnung auf der Insel. Und seit einigen Jahren ist die Verbindung intensiver denn je. Das liegt vor allem an Giovanni Schettino, einem jungen Historiker, der seit den achtziger Jahren ein Archiv über Capri aufbaut. Ja, Capri zieht ein immer größer werdendes literarisches, historisches, kulturhistorisches Interesse auf sich. Oft sage ich mir: Ich bin selbst eine Art archäologisches Fundstück.

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