Griechischer Wein:Rettet den Retsina!

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Vom harzigen Kopfweh-Trunk zur hochwertigen Spezialität: Rund um Athen arbeiten Winzer an der Wiederbelebung des griechischen Weins - trotz oder gerade wegen der Krise.

Von Christiane Schlötzer, Athen

In Griechenland geht es nie ohne Geschichte. "Man goss nicht Wasser auf Wein, sondern Wein auf Wasser, sodass man ein eher wässriges Gemisch bekam: Erst löschte man den Durst auf diese Weise, dann war man weniger gierig mit dem Weitermachen." Theophrast, ein früher Naturforscher, hat diese antike Mischungsregel überliefert. Wie stark verwässert wurde, bestimmte gewöhnlich der Gastgeber, dem Hausherrn oblag somit die Rauschkontrolle bei den "Symposien", den Athener Trinkgelagen. Den eher spießigen Spartanern dagegen war Trunkenheit ein Gräuel, sie blieben lieber abstinent. Was vom antiken Alkoholgebrauch übrig blieb, ist das heute gebräuchliche Wort für Wein: krasí, vom altgriechischen krãsis - die Mischung.

Vor den Augen von Anna Aga sollte man nie Wasser in ihren Wein schütten, es wäre, oh gottgütiger Dionysos, auch eine Sünde. "Wein ist mein Leben", sagt die griechische Önologin, hält ihre Nase über ein Glas Rosé Merlot- Cabernet Sauvignon von Ktima Kokotou, 2013. Urteil: "Fruchtig, elegant, ein perfekter Aperitif." Eine Weinprobe mit Blick auf sanfte grüne Hügel, Olivenbäume und lange Rebstockreihen. Toskana-Feeling mit Ägäis-Brise.

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(Foto: Orestis Panagiotou/dpa)

So bekommen Trauben Charakter: der Boden aus Sand, Kalk und Lehm ...

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(Foto: Orestis Panagiotou/dpa)

... dazu Sonne an 300 Tagen im Jahr.

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(Foto: Christiane Schlötzer)

Winzer Vassilis Papagiannakos produziert in dritter Generation Wein.

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(Foto: Oli Scarff/Getty)

Er ist Präsident der jungen Erzeugergruppe "Wines of Athens", die auf Klasse statt Masse setzt.

Der Wind vom Meer, der Boden aus Sand, Kalk, Lehm, dazu Sonne an 300 Tagen im Jahr, das gibt den Trauben Charakter. "Aber wenn du denkst, du weißt alles, dann tut die Natur etwas anderes, das ist magisch", sagt Anna Aga, "sonst könnten wir ja auch Coca-Cola produzieren."

Dass ihr das mit der Cola einfällt, ist nicht so weit hergeholt. Schließlich wollte die Griechin früher "was mit Kindern" machen, nur ein Zufall brachte sie zum Studium der Önologie (auch aus dem Altgriechischen: oînos für Wein). Mit 40 Jahren gehört Anna Aga nun zu einer neuen, jungen Generation in dieser alten Kunst, die ausgerechnet in Griechenland lange eher vernachlässigt war.

Umso größer wirkt heute die Ambition griechischer Winzer, die vergessen machen wollen, was im Gedächtnis des gewöhnlichen Tavernen-Gasts tief sitzt: Griechischer Wein ist entweder ranziger Retsina oder gleich weher Kopf und wunder Magen. Wieso es so weit kommen konnte, in einem Land, das auf eine 5000 Jahre alte Tradition des Weingenusses zurückblicken kann, auch dazu gibt es eine Geschichte, aber die wird man erst später in einer Athener Weinbar hören.

Zuerst setzte man auf französische Rebsorten, dann entdeckte man die eigenen

Das Weingut Ktima Kokotou liegt nur etwa 45 Autominuten entfernt vom Athener Stadtzentrum, man verlässt die Metropole Richtung Nordosten, passiert den Prominenten-Vorort Ekali zu Füßen des mehr als 1100 Meter hohen Athener Hausbergs Pendeli, und ist auch schon in dem Örtchen Stamata, wo ein Wegweiser die nahe Kellerei anzeigt. Als der Grieche George Kokotos und seine Frau Anne, eine Britin, Ende der Siebzigerjahre sich in diese liebliche Landschaft verliebten, hatten sie ein paar Aussteiger-Ideen im Kopf, langweilten sich aber bald in der Wildnis.

So pflanzten sie die ersten Rebstöcke. "George hatte eine romantische Kindheit im Weingarten seines Großvaters auf Kreta", erzählt Anne Kokotou, die man sich - groß gewachsen, schlank, in Khakihosen - auch gut in einem englischen Landhaus vorstellen könnte. Der Anfang war hart, zwei Mal gab es große Waldbrände, die sich den Reben gefährlich näherten. "Alles war schwarz um uns herum." Zuerst setzten die Weinbau-Neulinge auf in Europa gängige französische Sorten, Chardonnay, Cabernet Sauvignon. "Griechische Rebsorten wurden ja nicht so geschätzt."

Inzwischen ist das anders.

Die besuchten Weinbauorte nahe Athen (Foto: SZ-Grafik)

Nun pflegt man wieder den Savatiano, ein einst typisches Attika-Gewächs, der einen spritzigen, leichten Weißen mit Zitrusnote ergibt. Weil der so gut zu Fisch und Meeresfrüchten, der griechischen Sommerküche, passt, machen inzwischen einige Winzer aus der alten Sorte wieder neue Qualitätsweine. "Wir waren Pioniere, aus Zufall, nun gibt es eine Menge Konkurrenz", erzählt Anne Kokotou auf einer längeren Autotour, die in Stamata beginnt, durch halb Attika in den Süden der Halbinsel führt und an einer langen Tafel endet.

Vassilis Papagiannakos hat aufgetischt: Oliven, Käse, Brot und dazu einen Savatiano, der auf seinen unbewässerten Kalksteinböden gewachsen ist. "Fünf Monate im Eichenfass gereift", sagt Papagiannakos. Er ist Winzer in dritter Generation, seit 1919 baut die Familie Wein in Attika an, sie kann auf viele Auszeichnungen verweisen, darunter einen Architekturpreis für ihr nach fast allen Seiten transparentes, nach bioklimatischen Standards errichtetes Kellereigebäude. Papagiannakos ist auch Präsident der noch jungen Erzeugergruppe "Wines of Athens".

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Gemeinsam bieten fünf Winzer (neben ihm und Ktima Kokotou sind das Markou Vineyards, Anastasia Frangou und Mylonas Winery) Besuche in ihren Weingütern und nahe gelegenen archäologischen Stätten an. Sie exportieren inzwischen auch mehr, selbst in die USA, die Mengen aber sind meist klein. Gearbeitet wird ständig an der Qualität.

Andere Weingegenden Griechenlands sind längst berühmter, Thessalien zum Beispiel, was auch daran liegt, dass es dort drei Regionen mit geschützten Ursprungsbezeichnungen gibt. "In Attika wird seit vier Jahrtausenden Wein angebaut", sagt der Traditionswinzer Papagiannakos. Nur, wer weiß schon, dass ein paar Kilometer vom Athener Großflughafen entfernt zwischen Pistazien- und Feigenbäumen auch Weingärten gedeihen? Schreitet Papagiannakos seine Rebstockreihen ab, sieht er am Horizont den Airport-Tower.

Jetzt im Frühling trägt der Wind den herbsüßen Duft von Orangenblüten herbei. In Attika kommt die Meeresbrise von zwei Seiten, die kräftigeren Winde aber kommen meist aus Norden, das kühlt den Boden in der Sommerhitze. Und sättigt die Luft mit Salz.

Der Winzer stellt eine neue Flasche auf den Tisch, auf dem Etikett steht in schnörkellosen Großbuchstaben: Retsina. Retsina? Der Kaschemmentrunk? "Wiederentdeckt", sagt Papagiannakos und lächelt.

Der erste Schluck: köstlich. Die Frische des Savatiano, mit einem federleichten Aroma von Pinien und Zitrone.

"Wir haben die Harzmenge stark reduziert", sagt Papagiannakos. Verwendet wird wie einst das Harz der Aleppo-Kiefer, nur in kleinsten Dosen ("ein Teebeutel in einem Fass"), für den leichten Zungenkitzel, aber nicht als Oberton, der schlechten Wein gerade noch genießbar machen soll.

Jetzt wird es Zeit, die Geschichte des Retsinas zu erzählen, Eleni Kefalopoulou kennt sie. Die Journalistin arbeitet für griechische Gourmetmagazine und unterstützt die Initiative "Wines of Athens", die mittlerweile auch einige ausgewählte Athener Weinbars beliefert. Wie das "Oinoscent", versteckt in der unscheinbaren Voulis-Straße, einer stillen Verbindung zwischen der lärmigen Fußgängerzone Ermou und dem Vergnügungsviertel Plaka. Am frühen Abend ist hier noch wenig los, Zeit für einen Exkurs.

"Weizen, Olivenöl und Wein sind die griechischen Grundnahrungsmittel", sagt Eleni Kefalopoulou. "Selbst in den 400 Jahren unter osmanischer Herrschaft durften die Griechen Wein anbauen. Schlimm wurde es dann im Befreiungskrieg, da wurden viele Felder verbrannt." Ende des 19. Jahrhunderts wird der Weinbau wiederbelebt, aber schon bald von der eingeschleppten Reblaus dezimiert. 1923 bringen 1,5 Millionen griechische Vertriebene aus Kleinasien ihr Wissen im Weinbau und Handel mit. Athen wuchs rasant, und die Athener wollten Wein trinken.

Der wurde meist in Attika, direkt vor der Stadt, angebaut. Haltbar gemacht wurde er mit Harz, oft erst in den Tavernen. Die Technik war alt. Schon in der Antike wurden Amphoren mit Harz versiegelt. Je schlechter der neuzeitliche Wein wurde, "desto mehr Harz hat man dazugekippt", sagt Eleni Kefalopoulou. "Das hat den Wein und seinen Ruf verdorben."

In den goldenen Vorkrisen-Jahren, als es den Griechen richtig gut ging, trank man französische Weine, "lächerlich überteuert". Der Absturz kam, Restaurants gingen reihenweise pleite. "Jetzt haben wir die kleinen Weinbars, ein neuer Trend."

Die oft winzigen Bars im Athener Zentrum sind abends meist voll, das Publikum ist überwiegend jung. Viele Barbesitzer versuchen sich an einer eigenen Note. Im "Cinque" in Psirri, einem Viertel zwischen Kunst und Krempel, wird Käse mit Marmelade aus Pomeranzen und Bergamotte serviert, während die Wirtin erläutert, dass solche Köstlichkeiten der "griechischen Armenküche" zu verdanken seien, "in der man alles verwertet hat".

Im "Wine point", unweit des Akropolis-Museums gelegen, aber auch recht versteckt, pflegen sie alle gängigen, wiedergeborenen griechischen Traubensorten: den lieblichen Malagouzia, den körperreichen Assyrtiko oder den rotsamtenen Agiorgitiko. Und im "Oinoscent" kann man sich gleich von Griechenlands bestem Sommelier des Jahres 2016 das erste Glas des Abends aussuchen lassen.

Aris Sklavenitis, 28, ist stolz auf seinen Titel, und er hat eine Mission. "Die Griechen haben Whisky und Wodka getrunken, in einem Weinland, das muss man sich mal vorstellen", sagt Aris Sklavenitis. Er trägt T-Shirt und Jeans, die neue griechische Weinschule kommt ohne Glacéhandschuhe aus. "Fangt mit einem Glas schlichten Wein an und lernt dann dazu", empfiehlt der Sommelier seinen Gästen.

Die Önologin Anna Aga sagt: "Gerade in der Krise ist es nicht gut, alleine zu Hause zu bleiben. Die Griechen wollen ausgehen, Weinbars sind da eine eher günstige Möglichkeit." Viele Restaurants, beklagt Anna Aga, hätten von der neuen Weinkultur dagegen noch zu wenig mitbekommen, oder "sie servieren den Wein viel zu teuer". Was macht die Önologin da? "Ich bringe meinen eigenen Wein mit."

© SZ vom 04.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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