Globetrotter:Vom unerhörten Nutzen der Eissanduhr

Reisen von der Sesselkante aus: Outdoor-Ausrüster bieten den perfekten Fundus für abenteuerliche Tagträume.

Christian Kortmann

Nirgendwo kristallisieren sich die Natursehnsüchte unserer Zeit so anschaulich wie im Katalog des Outdoor-Ausrüsters Globetrotter, der sich "Handbuch" nennt und jedes Jahr im Frühling erscheint.

Globetrotter: Für Trekking-Touren im Hochgebirge sollte man natürlich entsprechend ausgerüstet sein. Manche wollen allerdings selbst bei Wandertouren durch die Rhön nicht auf ihr GPS-Gerät verzichten.

Für Trekking-Touren im Hochgebirge sollte man natürlich entsprechend ausgerüstet sein. Manche wollen allerdings selbst bei Wandertouren durch die Rhön nicht auf ihr GPS-Gerät verzichten.

(Foto: Foto: dpa)

Mehr als 150 Jahre, nachdem Henry David Thoreau in "Walden oder Leben in den Wäldern" die Ökonomie des Verzichts als Voraussetzung für ein erfülltes Leben in der Natur beschrieb, bietet Globetrotter auf 592 Seiten und in einer Auflage von 720.000 Exemplaren all die Konsumgüter an, ohne die Naturerfahrung heute unmöglich scheint: Hier findet man, was man braucht, egal, ob es in die Wüste, den Himalaja oder in die Arktis geht. Vor dem Gang in die Wildnis steht in jedem Fall ein Großeinkauf.

Auf dem Titel der neuesten Ausgabe sieht man einen Wanderer am Abgrund, doch es beginnt sachte, mit Bekleidung. In den Begleittexten wird so genannte atmungsaktive Funktionskleidung in technischen Details geschildert, als handelte es sich um Raumanzüge.

Die Faktenliebe verwandelt sich immer wieder in materialistische Verklärung: So wird eine Allwetterjacke "zum Mitstreiter, der Freiraum zur Selbstverwirklichung lässt". Der Katalogs steigert sich über Zelte, Bergsport und Boote bis zur Bärenglocke - "damit man Meister Petz nicht überrascht und er böse wird" -, dem ultimativen Accessoire der Gefahr.

Zwar zeigen Fotos, wie und wo man die Gegenstände gebrauchen könnte, etwa den Gaskocher am entlegenen Biwakplatz. Doch die Wahrheit ist, dass man nicht durch Konsum, sondern nur durch anstrengendes Training abenteuerfähig, also hart und mutig genug wird, die existenziellen Globetrotter-Gadgets voll auszunutzen.

Funktionell overdressed

Hier zeigt sich ein Merkmal der heutigen Möglichkeitsgesellschaft, in der die Leistungsfähigkeit der Hardware die des Users übertrifft. Man wandert heute funktionell overdressed, mit GPS-Gerät durch die Rhön. Das Faible für Funktionalität korrespondiert aber nicht immer mit dem für entbehrungsreiche Aktivitäten in der Natur. So zeigen etwa die Artikel zu Taschensonnenuhr oder Schüttellampe eine gewisse Nähe zum Interieur-zentrierten, elegisch-klassischen Manufactum-Katalog.

Fern der praktischen Anwendung ist der Globetrotter-Katalog so zu einer der beliebtesten Lektüren des Armchair travellers geworden: "Lehnen Sie sich zurück", heißt es nicht von ungefähr im Vorwort des Katalogs, "und genießen Sie die schönen Seiten der Sehnsucht; nach anderen Ländern ebenso wie nach schönen, nützlichen Dingen." Der Sesselreisende kann sich an diesem Buch erfreuen, ohne eine Trekkingtour durch Alaska oder ein Notbiwak auf dem Gletscher ernsthaft in Erwägung ziehen zu müssen.

Vom unerhörten Nutzen der Eissanduhr

Vielmehr liefert ihm das Globetrotter-Handbuch den perfekten Fundus, um die Tagträume von aufregenden Reisen angemessen auszustatten. Alle Gegenstände, die in der Abenteuerliteratur von Karl May über Jack London bis Reinhold Messner auftauchen, scheint hier jemand aus den Büchern heraus geschüttelt und säuberlich katalogisiert zu haben. Dieser Fleischextrakt an Abenteuergeist kann im Geiste ähnlich sehnsüchtige Assoziationsketten auslösen, wie sie Marcel Proust den Ortsnamen des Eisenbahnfahrplans zuschrieb.

In welcher Situation benötigt man wohl eine Eissanduhr? Jeder findet in diesem Sammelsurium das Ding, das ideal zu ihm passt und so elegant eine Erweiterung des Ichs ins Materielle ermöglicht, wie man das sonst nur von James Bond und seinen Gadgets kennt: Da gibt es Reise-Essstäbchen und transportable Toiletten, Solar-Handyladegeräte und eine wasserdichte I-Pod-Box, einen Reisefressnapf für den Hund oder den Koffer, der sich im Nu in einen Tisch mit vier Hockern verwandelt.

Die Qual der Wahl bekommt eine neue Dimension, weil es bei allem, selbst bei der Unterhose noch funktionelle Optimierungen möglich sind: Warum nicht mal eine geruchshemmende und moskitosichere anprobieren?

Statussymbole am Lagerfeuer

Zwischen den Dingen zeigen Landschaftsaufnahmen die Weiten Islands oder Kanadas, eine Weite, von der man hofft, sich bei Globetrotter ein Stückchen kaufen zu können. Mit zunehmender Seitenzahl wird der Katalog immer verwegener, spätestens beim Expeditionsfaltboot und der Goldwaschpfanne ist man in der Welt James Fenimore Coopers und Bret Hartes angelangt, und der Armchair traveller sieht sich im Yukon Territory mit Gränsfors Bruks Spalthammer ein Blockhaus errichten.

Das Globetrotter-Handbuch erzählt also viel über das gegenwärtige Verhältnis von Mensch und Natur. "Take long walks in stormy weather or through deep snows in the fields and woods, if you would keep your spirits up. Deal with brute nature. Be cold and hungry and weary", schrieb Thoreau. Diese Erfahrungen muss man immer noch selbst machen, doch bei Globetrotter kann man das Versprechen kaufen, auch dort draußen den Anschluss an die Zivilisation nicht zu verlieren.

Thoreau wollte dem großen Rattenrennen entfliehen -"Wer einen Beruf ergreift, ist verloren"-, Globetrotter setzt es in der Wildnis fort und verkauft einen Titan-Trinkbecher für 29,95 Euro als "Statussymbol am Lagerfeuer".

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