Gesundheit:Low Carb und hohe Bücherstapel

Der neue Diätboom - dank Fleischeslust und Nicolai Worm

Von Tanja Rupprecht-Becker

Ich bin froh, dass ich kein Dicker bin." Das sang Marius Müller Westernhagen vor Jahren. "Denn dick sein ist 'ne Quälerei." Daran hat sich bis heute nichts geändert - im Gegenteil: Früher konnte man sich wenigstens noch auf die Ratgeber aus der Buchhandlung verlassen. Sie waren meist eng bedruckt und hatten Gewicht. Heute müssen sie primär knallbunt sein. Natürlich macht der Zeitgeist auch vor den Ernährungsbüchern nicht halt. Nach zwanzig fettarmen Diätjahren, in denen das volle Korn gepriesen wurde, bis sich die Ähren bogen, lebt die ganze Branche nun von einem radikalen Paradigmenwechsel: der Trend heißt Low- Carb. Was so viel bedeutet wie "wenig Kohlehydrate" und lange Zeit gemiedene Lebensmittel wie Eier, Fleisch und fette Fische plötzlich wieder favorisiert.

Gesundheit: Diät-Ratgeber gibt es auf dem Markt zu Hauf.

Diät-Ratgeber gibt es auf dem Markt zu Hauf.

Marktführer Gräfe und Unzer präsentiert zum Beispiel in zitronengelb die "Glyx- Diät", in sattem tomatenrot die "Ideal- Diät", in prettypink die "Turbo-Diät". Und die Autoren sind nicht weniger kreativ: Aus der "Glyx-Diät" wurde jetzt die "Low Carb Gute Laune Diät", die "Ideal-Diät", die vorher noch selbst ein wenig "Glyx" im Namen trug, hat sich in einem Jahr weiter entwickelt zur "Slow Carb Diät". Und wer ist schuld daran, dass sich brave deutsche Sachbuchautoren gegenseitig so heftig betiteln? Ein Bayer namens Nicolai Worm. Doktor der Ernährungswissenschaft und bekennender Weintrinker. Der Wein führte ihn 1998 auf einen Kongress nach Paris, dort traf er den amerikanischen Evolutions- Forscher Lorain Cordain. "Cordain sprach damals über die Steinzeitdiät, die Kost der Jäger und Sammler, die auch für uns vorteilhaft sei, da der moderne Mensch noch die alten Gene in sich trage. Das fand ich faszinierend." Der Gedanke deckte sich mit eigenen Überlegungen, die Worm zum Versagen der deutschen Adipositas-Forschung anstellte. Wieso gibt es immer mehr Dicke, wo doch das Fett immer weiter verbannt wurde aus dem Essen? War vielleicht doch die vermeintliche Lösung die eigentliche Ursache des Problems, nicht das Steak trug die Schuld, sondern Berge von Brot, Nudeln, Reis und Kartoffeln?

Dick ohne Fett?

Worms sorgfältig recherchierte Antwort trug den Titel "Ein Mammut auf dem Teller" und sprach Empfehlungen zum Essen aus, die so völlig neben dem Mainstream der angesehenen Fachgesellschaften lagen. Darauf gab es zwei Reaktionen: entweder wurde er als Spinner belächelt oder als Lobbyist für die Eier- und Fleischindustrie gebrandmarkt. "Durch Zufall stieß ich im Internet auf die Arbeiten des amerikanischen Kinderarztes David Ludiwg, der in der Harvard-Klinik in Boston die übergewichtigen Kinder betreut und für sie ein eigenes Ess-Konzept entwickelt hatte." Dem lag zu Anschauungszwecken eine Ernährungspyramide zu Grunde, die alle gängigen Lehren förmlich auf den Kopf stellte: Obst und Gemüse, Fleisch und Fisch sollen auf die Teller und keine minderwertigen Speisen primär auf Kohlehydratbasis.

Worm adaptierte Ludwigs Pyramide und veröffentlichte 2003 mit einer Masse an Zusatzinformationen ein neues Buch namens "LOGI-Methode". Darin wird noch einmal die Steinzeit-Diät erklärt und anhand unzähliger moderner Studien der Beweis geführt, warum diese Kost der Gesundheit dient und auch Krankheiten wie Übergewicht oder Diabetes Typ 2 entgegenwirkt bis kuriert. Wahrscheinlich hätte niemand den provokanten Inhalt des Buches registriert, wenn in den USA nicht plötzlich die gute alte Atkins-Diät einen Boom erlebt hätte. Flankiert von der South Beach Diät. Kleinster gemeinsamer Nenner der beiden: wieder die Kohlehydrate. Anfangs völlig darauf verzichten, fordert Atkins, wohl dosieren, präferiert South Beach. Plötzlich waren auch hier alle versessen auf Glyx und Low-Carb. Bevor der Trend- Zug abfuhr, sprangen viele Trittbrettfahrer noch auf, um mit ihren bunten Büchern am Wohl der Dicken zu verdienen. Ob übergewichtig, an Diabetes erkrankt oder mit einem zu hohen Cholesterin-Wert gestraft - LOGI scheint dort zu helfen. Allerdings nur das Original. Von den vielen Kopien weiß das keiner so genau. Apropos Original: Nicolai Worm hat sich auch selbst kopiert, unter dem Titel "Low Carb". Wo? Natürlich im Haus des farbenfrohen Abnehmens, bei Gräfe und Unzer: "Einmal wollte ich auch mein Buch in allen Läden liegen sehen, aber der Preis dafür ist schon hoch. Ein Verlust an Authentizität", sagt er.

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