Geheimtipp in Tansania:Am Teich der wilden Tiere

Andere Nationalparks sind gepflegt, voll und beinahe langweilig. Abenteuer können Touristen noch im entlegenen Katavi-Nationalpark erleben. Wenn sie hinkommen.

Dominik Prantl

Vor allem anderen bleibt dieses Bild von der Nacht und dem kleinen Elefanten im Kopf. Es ist stärker als alles andere: das Durcheinander aus Tierlauten, das Zucken des Lagerfeuers und das Gefühl, dem Alltag einmal wirklich entwischt zu sein.

Der Elefant war nicht größer als ein ausgewachsener Mensch und seine Augen leuchteten im Schein der Taschenlampe wie zwei Reflektoren. Aber das allein war es nicht.

Viel einprägender als die funkelnden Augen war sein Klagelied in der nächtlichen Savanne; ein beklemmendes Trompeten, als gäbe es kein Morgen mehr.

Der Elefant ist recht bald wieder in dem angrenzenden Trockenwald verschwunden, wo er entweder seinesgleichen fand oder von den Raubtieren gefressen wurde. Es gibt keine Fotos und keine Tonaufnahmen von seiner afrikanischen Totenklage, aber aus der Erinnerung lässt sich das Bild und das damit verknüpfte Erlebnis nicht so einfach löschen.

Wenn man aber ehrlich ist, hat man genau dieses Bild gesucht, es geradezu gejagt, denn darum dreht sich jede Reise. Das kann der palmengesäumte Karibikstrand, die von Einheimischen geführte Berghütte oder die mittelalterliche Altstadt sein.

Solche Bilder sind der Grund, weshalb die Menschen tausende Kilometer reisen, und ihnen gilt der Gedanke, wenn Heimgekehrten wieder einmal die längst lästige Frage gestellt wird, wie es denn so war in der Fremde. Irgendwann hat der Reisende von dem Bild tausendmal erzählt, aber immer hat er das Gefühl, dass irgend etwas fehlt. Es gehört einem ganz alleine, man kann es nicht teilen.

Der Katavi Nationalpark ist voll von diesen Bilder. Er ist ein Fotoalbum, eines, das abseits der Touristenströme weit im Südwesten Tansanias liegt, wo die Straßen sandig und während der Regenzeit unpassierbar sind. "Getting to Katavi is difficult'' - Es ist schwer, in den Katavi zu kommen - heißt es deshalb in einem kleinen Buch über die Nationalparks des Landes.

Natürlich kann man in den Katavi auch einfach mit einer kleinen Propellermaschine fliegen und wie von einem anderen Stern in einer völlig fremden Welt landen. Das geht schneller, kostet weniger Nerven, ist natürlich auch schön. Aber es ähnelt einem Triathlon, bei dem man als Untrainierter mit Not nur die letzten zehn Laufkilometer absolviert, um auch einmal über eine Ziellinie zu laufen. Die beschwerliche Anreise übers Land gleicht einer Vorbereitung auf die einzigartige Bilderflut.

Der Start liegt in diesem Fall zwei Staaten, etwa 1500 Kilometer südlich und viele Jahre touristischer Entwicklung entfernt in Botswana, wo sich der Chobe Nationalpark als perfektes Training für den Katavi empfiehlt. Er hat eine der höchsten Wildkonzentrationen des gesamten Kontinents, auch wenn Menschen mit Afrika-Spleen meinen, Botswana zähle gar nicht zu Afrika.

Die Menschen seien zu korrekt, eher wie Preußen. Aber afrikanisches Großwild gibt es hier wie kaum sonst wo auf der Welt. Der Park wirkt wie ein gigantischer Elefantenzirkus ohne Zelt, manchmal spielen die Tiere im Wasser, andere wirken dick und träge und interessieren sich nicht für die Menschen, die dem Treiben von wahren Bootsflotten aus zusehen.

Es gibt sogar derart viele Elefanten, dass man des Beobachtens irgendwann überdrüssig ist und lieber die Menschen auf dem Boot ansieht - bis man feststellt, dass diese den dicken, trägen Herdentieren im Wasser zum Teil gar nicht so unähnlich sind.

Der Chobe Nationalpark wird gut und günstig verkauft. Die Bootsfahrt mitsamt Parkeintritt kosten 25 Dollar und die zwei guten Gin Tonic während der abendlichen Flussfahrt so gut wie gar nichts. Im Katavi Nationalpark wird allein der Parkeintritt 20 Dollar und der Campingplatz 30 Dollar kosten.

Es wird nicht derart viele Elefanten geben, keine Boote mit trägen Menschenmassen, keinen zweiten Gin Tonic und keinen als Bootskomiker agierenden Nationalparkranger, der über das Krokodil am Ufer sicher schon zum hundertsten Mal den Witz anbringt: "Wenn man den Schwanz hochhebt, sieht man dort die Aufschrift: Made in China."

Der Chobe und dessen Anwohner hängen längst am Tropf namens Fremdenverkehr, doch dafür sind die Straßen geteert und die kaum zu überblickenden Campingplätze so gepflegt wie voll.

Zwischen Preußen und Sambia liegen nur ein paar hundert Meter Bootsfahrt über den Grenzfluss Sambesi. Danach folgt eine eintönige Fahrt über viele hundert Kilometer Miombewald durch das Transitland Sambia bis nach Tansania. Die Aufbruchseuphorie ist verflogen, das Glücksgefühl der letzten Kilometer vor dem Ziel noch fern, Marathonläufer würden vom toten Punkt sprechen.

Vor vielen Jahren musste hier der deutsche Schutztruppenkommandeur Paul von Lettow-Vorbeck die Waffen strecken.

Eine Kanone und ein Gedenkstein unweit der Hauptstraße und doch mitten in Nordsambias Nirgendwo erinnern daran. Lettow-Vorbeck war ein Guerillakämpfer der Kolonie Deutsch-Ostafrika im Ersten Weltkrieg, so skrupellos, zäh und einfallsreich in seiner Kriegsführung, dass ihn Einheimische wie Gegner respektierten.

Er marschierte mit seiner Truppe in die benachbarten Kolonien ein, und hätte ihn 1918 nicht der Waffenstillstand zur Kapitulation gezwungen, würde er wahrscheinlich noch immer von Schlacht zu Schlacht ziehen. So aber scheint eine ewige Ruhe über diesem Landstrich zu liegen, wo täglich Temperaturen von mehr als 30 Grad auf die Leistungsfähigkeit drücken.

Während die Einheimischen vor ihren runden Lehmhütten ruhen, dösen die Touristen im Jeep. Bis die Teerstraße in einen Schotterweg übergeht. Wieder einmal unterbrechen Europäer die Ruhe der Savanne, weil sich die Hupe des Wagens in diesem Schlaglochfeld offenbar einen Wackelkontakt einfängt.

Jedenfalls dröhnt das Ding derart unkontrolliert drauflos, dass sich unbedarfte Passanten und Radfahrer, Ziegen, Hühner und Rinder panikartig in die angrenzenden Gräben flüchten. Als Symbol westlicher Ingenieurskunst fährt, nein, springt das Auto bellend über die Buckelpiste, an deren Seite sich nun Fußgänger und Radfahrer fragen, ob nur diese Menschen aus der Ferne oder doch die Götter verrückt sind.

Einen kräftigen Ruck an der Hupe und einen zeitaufwändigen Übertritt an der sonst kaum frequentierten Grenze bei Mbala später scheint sich die Natur kurz vor dem Katavi für das Getöse rächen zu wollen. Sie schickt Tstetsefliegen, schwärmeweise.

Es ist erstaunlich, wie schnell eine hochtrabende Debatte über das Elend und die Probleme Afrikas beendet ist, wenn man urplötzlich selbst in einen Kampf gegen eine alltägliche Bedrohung wie Tsetsefliegen verwickelt wird. Das bremsenähnliche Insekt ist nicht nur ein ausgesprochen hässlicher Überträger der Schlafkrankheit, sondern wegen seines robusten Chitinpanzers zudem kaum totzukriegen.

Wer die Tiere durch einen kräftigen Hieb mit der Zeitung erlegen möchte, sollte schon die üppige Wochenendausgabe der Süddeutschen zur Hand haben. Die zweite Gegenmaßnahme - ein gezielter Spritzer mit dem Mückenspray - hat leider nur zur Folge, dass der Wagen nach einer Zeit erbärmlich stinkt, weshalb man den gezielten Schlag vorzieht.

Axel Dörken, Büroleiter von der deutschen Gesellschaft für technologische Zusammenarbeit (GTZ) in Tansania, wird später sagen: "Für den Autotourismus ist der Katavi doch arg entlegen."

Doch er entschädigt für alles, die weite Anreise, die Müdigkeit, die Tsetsefliegen. Denn nirgendwo sonst hat man so viel Park, so viele Bilder für sich allein. Seit 1974 gibt es den Katavi, 1997 wurde er auf 4471Quadratkilometer ausgeweitet, das entspricht fast der doppelten Fläche des Saarlandes.

Dass von Süden und Norden nur zeitraubende Pisten herführen wird sich so bald auch nicht ändern. Acht Jahre hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) Geld in die Infrastruktur und die Ausbildung der hiesigen Bevölkerung investiert. "2006 ist das BMZ dann ausgestiegen und hat sich einen neuen Schwerpunkt gesucht", sagt Dörken, der GTZ-Mann.

Immerhin hängt im Büro der Parkverwaltung eine handgemalte Tabelle, in der die Anzahl der ausländischen Besucher für das Jahr 2005 auf 500 beziffert wird. In der Serengeti waren es nach Angaben der Tanzania National Parks (Tanapa) über 100.000.

Eine junge Frau fragt: "Special oder Public Campsite?" Hinter dem Wort Public Campsite steht normalerweise noch ein unsichtbares "Vorsicht", weil dort nicht selten grölende Übersee-Gäste ein stilles Erleben der Natur unmöglich machen.

Im Katavi besteht das von der Parkverwaltung als öffentlicher Campingplatz verkaufte Nachtlager aus einer unbewachsenen Fläche unter zwei Palmen mit zwei Büffelschädeln, über die ein Brett gelegt wurde. Auf der Büffelbank mit Blick auf das ausgetrocknete Flussbett und die angrenzende Grasebene sitzt ein Ranger mit einer abgehalfterten Kalaschnikow, der Rezeptionist der Savanne.

"Heute Nacht", sagt er und zeigt in Richtung der etwa 500 Meter entfernten Jagdhütte hinter den Bäumen, "bin ich dort drüben".

Am nächsten Morgen wird er zu einer morgendlichen Wandersafari quer durch den Busch zurückkehren - in anderen Nationalparks darf man nicht einmal das Auto verlassen. Doch die besten Bilder sieht man auch ohne ihn.

Es gibt dieses Bild von den Flusspferdmassen, für die der Katavi berühmt ist. Es tauchte kürzlich sogar zweiseitig in einem deutschen Wochenmagazin auf, nachdem ein Fotograf mit dem Hubschrauber über den afrikanischen Kontinent geflogen war.

Am Ende der Trockenzeit rotten sich die dicken Säugetiere in den letzten mit Wasser gefüllten Gumpen zusammen, bis kein Storchenbein mehr dazwischen passt. Hin und wieder drehen sich die Fleischberge in dem Dreckteich zur Seite und weil sie dabei unweigerlich den Nachbarn treten, fauchen sie sich gegenseitig mit weit aufgerissenen Mäulern an.

Darüberhinaus stinkt es wie, naja, wie in einem gigantischen Flusspferdpfuhl eben. Scheinbar wollen nicht einmal die unweit stehenden Elefanten noch aus der Hippopotamusbrühe saufen.

Misstrauische Büffel

Und da ist dieses Bild von den Büffeln, die in einer Hundertschaft nur einen Steinwurf vom "Public Campsite" vorbeiziehen. Dieses Mal ist es anders als im Chobe Nationalpark, fast 1500 Kilometer entfernt. Die Tiere wirken misstrauisch, und der Beobachter sitzt dabei nicht auf einem Boot mit einem gekühlten Gin Tonic in der Hand.

Wenige Stunden vor dem Auftritt des kleinen Elefanten gibt es diesen Moment, bei dem der Tag in die Nacht übergeht und der Besucher langsam begreift, dass das Bilderbuch-Afrika tatsächlich existiert.

Die Büffel sind weiter gezogen. Noch einmal steigt ein Gaukler schwerfällig aus den Wedeln einer großen Palme. Das Feuer wirft die ersten Schatten im Dämmerlicht, während sich die Silhouetten der Giraffen im Sonnenuntergang auflösen und sich das Grunzen der Flusspferde nähert. Man wartet auf den ersten Ruf der Hyänen, dieses lang gezogene "Whuup", achtet auf das lauter werdende Rascheln der Büsche.

Mit jeder Minute spürt der Eindringling, dass diese Welt noch viel mehr als anderswo den Tieren gehört.

Dann bricht die Nacht herein.

Informationen

Anreise: Für die im Text beschriebene Route inklusive Chobe Nationalpark eignet sich beispielsweise ein Flug mit British Airways von München nach Victoria Falls und zurück von Dar es Salaam, ab etwa 1000 Euro.

Impfungen: Eine gültige Gelbfieberimpfung kann bei Einreise aus einem Gelbfiebergebiet verlangt werden, Malariaprohylaxe und weitere Impfungen sind dringend anzuraten. Weitere Informationen erteilt das Auswärtige Amt Tel.: 030/5000-2000, Fax: -1000, www.auswaertiges-amt.de Beste Reisezeit: Mai bis Anfang Oktober. Während der Regenzeit sind Zufahrtsstraßen und Wege im Park teilweise unpassierbar.

Weitere Auskünfte: Informationen zum Katavi-Nationalpark unter www.tanzaniaparks.com, E-Mail: info@tanzaniaparks.com

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