Gaschurn in Österreich:Gesegnete Abfahrt

Gaschurn in Österreich

Hochwürden bei der Arbeit: Der Skilehrer Joe heißt eigentlich Josef Egle und hat auch noch "einen anständigen Beruf", wie er selbst sagt.

(Foto: Becker)

Im Skigebiet Silvretta-Montafon in Vorarlberg kann man mit geistlichem Beistand den Bergurlaub genießen. Der Pfarrer von Gaschurn ist auch Skilehrer - und verkauft nebenbei 50 Sorten Selbstgebrannten.

Von Thomas Becker

Hochwürden kommt heute im roten Skilehrergewand. Auf Brusthöhe steht darauf "Skischule Gaschurn-Partenen". Für die geht Pfarrer Joe Egle auf die Piste, wenn der Skischulchef Verstärkung braucht. Er hat auch noch eine blaue Skijacke im Pfarrhaus hängen: die von der Skischule des benachbarten Ortes St. Gallenkirch. Einmal hat er doch glatt die Anoraks verwechselt und ist im roten Gaschurner Dress bei den blauen Gallenkirchern zum Skikurs erschienen.

"Zur Strafe musste ich eine Runde Schnaps zahlen", erzählt Joe Egle. Ihm hat das nicht sonderlich wehgetan, denn damit kennt er sich ja auch aus; ist er doch für das Buch "Elixiere der Natur" im ganzen Montafon bekannt. 50 verschiedene Schnäpse gibt es bei ihm im Pfarrhaus, von der Zirbe ("hilft Bronchien und wirkt herzstärkend") bis Alpenrose-Himmelschlüssel-Rotklee-Schafgarbe ("herz- und magenfreundlich"). "Rezeptur: Pfarrer Joe Gaschurn" steht auf den Halbliterflaschen, die er einem für 13 Euro in die Hand drückt. Das ist wahre Seelsorge.

"Wenn es danach ginge, könnte ich mich Erzbischof nennen"

Ein schnapsbrennender Skilehrerpfarrer - wie passt das denn zusammen? Nun, wer einen Skitag mit dem 73-Jährigen verbringt, kann nur sagen: Total gut passt das zusammen. Nach einer heftigen Knie-Operation fühle er sich zwar noch nicht so ganz sicher auf Skiern, aber das sieht man ihm überhaupt nicht an: Souverän und ganz schön flott führt der Geistliche seinen Gast über die ausladenden Hänge des Skigebiets Silvretta Montafon, erzählt vom Zusammenschluss der Gebiete Silvretta Nova und Jochbahn, hat zu jedem Tal und zu fast jedem der 19 Dreitausender in der Region eine Geschichte parat.

Und würde nicht Schnee die Wiesen bedecken, man käme wohl erst im Dunkeln wieder nach Hause. Denn über Blumen, Beeren und Kräuter und deren heilende Wirkung kann Pfarrer Joe auch sehr ausführlich sprechen. Edelweiß? Ein natürliches Antibiotikum. Getrocknete Heidelbeeren? Gut gegen Durchfall. Tee mit Brennnesseln, Goldrute und Katzenschwanz? Hilft beim Entschlacken. Schopfige Teufelskralle und Dolomiten-Glockenblume? Die sind auch irgendwie gesund.

Informationen

Skikurse mit Josef Egle unter www.skischule-gaschurnpartenen.at oder www.schneesportschule.biz. Hochprozentiges gibt es im Pfarramt, Dorfstr. 1, 6793 Gaschurn, Tel.: 0043/55 58 82 40

Dass man sich bei der Natur bedienen und auch ohne Medikamente auskommen kann, hat Joe Egle früh gelernt, auf dem heimischen Bauernhof zwischen Dornbirn und Feldkirch, nicht weit entfernt vom Montafon. Das knapp 40 Kilometer lange Tal zwischen Bludenz und Bielerhöhe in Vorarlberg bietet einem alpinen Körper- und Seelsorger wie Egle jede Menge Arbeit, und zwar nicht nur deshalb, weil Vorarlberg schon 1919 lieber ein Schweizer Kanton werden wollte als Österreichs westlichstes Bundesland.

15 000 Menschen leben in den acht Gemeinden des Montafons; 18 000 Gästebetten und 61 Bergbahnen verteilen sich auf fünf Skigebiete. Joe Egle landete nach Stationen am Arlberg und im Klostertal vor 15 Jahren in der neuromanischen Pfarrkirche Heiliger Erzengel Michael von Gaschurn und betreut auch noch die Expositurkirche St. Martin im Nachbarort Partenen. Sein Verantwortungsbereich umfasst eine Fläche, die größer ist als Liechtenstein. Egle scherzt: "Wenn es danach ginge, könnte ich mich Erzbischof nennen." Tut er natürlich nicht. Hilft dafür lieber ab und zu bei den Bergrettern von Partenen aus. Logisch, dass er gerufen wird, wenn es ein neues Gipfelkreuz zu segnen gilt. Jene auf dem Piz Buin und dem Kleinen Litzner oberhalb der Saarbrücker Hütte waren vor Kurzem die Nummern elf und zwölf.

Zum Skilehrer wurde der Gottesmann per Zufall: In einer seiner ersten Pfarreien war er auch als Religionslehrer aktiv und absolvierte so eine Bergsport-Ausbildung für die Betreuung der Zehn- bis 14-Jährigen in deren Skiwoche. Und als man ihn in Gaschurn im Anorak der Zürser Skischule die Pisten hinunterwedeln sah, hatte der Pfarrer schnell einen neuen Nebenjob. Da er in Gaschurn keinen Religionsunterricht mehr geben muss, kommt er somit auf 50 bis 60 Skitage pro Saison. Auf die klassische Frage, die Skischüler ihrem Skilehrer stellen - "und was machst du im Sommer?" -, antwortet er: "Dasselbe wie im Winter. Ich hab einen anständigen Beruf." Eigentlich hat der Pfarrer auch einen anständigen Vornamen. Auf Joe wurde er erst als Betreuer bei den Pfadfindern umgetauft: "Es gab zwei Josefs. Der eine wurde zu Joesi, und ich wurde zu Joe."

"Es geht schließlich um den Umgang mit Menschen"

Aber was sagen die Vorgesetzten in der Diözese zu solch einer weltlichen Tätigkeit? "Die waren zunächst skeptisch", erzählt Egle, "doch ich habe ihnen klargemacht: Das ist eine Gruppe von 200, 300 Leuten, zu denen wir sonst keinen Zugang haben." Er meint die Skilehrer, die ihn im Lift nicht selten bei persönlichen Problemen oder religiösen Fragen um Rat bitten. "Es kommt schon mal vor, dass sich ein Skilehrer in eine Schülerin verguckt. Da bin ich dann als Mediator gefragt." Vor jeder Saison ist er bei der Skilehrerversammlung zu einem Vortrag eingeladen: "Es geht schließlich um den Umgang mit Menschen. Einen Stemmbogen kann jeder."

Auf der Piste, in der Loipe

Die aktuellen Schneehöhen in den Alpen bei Schneehoehen.de.

Dass das bei ihm mit dem Stemmbogen noch mal klappen würde, war nach der Knie-Operation im vergangenen Jahr alles andere als selbstverständlich. Nun fährt er mit einer Platte im Knie - und ohne Kreuzbänder, was nur mit einer kräftigen Muskulatur funktioniert. Jeden Morgen sitzt er eine Dreiviertelstunde auf dem Hometrainer oder marschiert im Sommer auf irgendeinen Berg: "Ich stehe halt schon um viertel nach fünf auf." Das Tennisspielen musste er jedoch aufgeben: "Man muss auch mal etwas loslassen können." Was die heilende Kraft der Kräuter angeht, lernt er jeden Tag dazu: "Ich sammle und konserviere, mein Bruder brennt den Schnaps." Der Keller des Pfarrhauses ist voll mit Schnapsflaschen und Einmachgläsern, dazu ein paar ausgestopfte Vögel und zig Geweihe. Von der Skipiste aus zeigt er Richtung Süden und meint: "Da hinten drin gibt es ein Tal mit einem Rudel von 120 Gämsen. Und einen riesigen Steinbock."

Eine Landschaft wie eine Filmkulisse. Das dachte sich auch Joseph Vilsmaier, der hier vor Jahren "Schlafes Bruder" und "Bergkristall" gedreht hat. Egle lernte den Regisseur kennen, die beiden freundeten sich an und haben seitdem dreimal gemeinsam Silvester gefeiert. Egle hat auch Vilsmaiers jüngste Tochter getauft. Doch auf Publicity lege Pfarrer Joe ebenso wenig Wert wie auf den Lärm vor seiner Haustür. "Ich bin da praktisch in einem Bermudadreieck", klagt er und meint die lautstarken Après-Ski-Nachbarn von "Heuboda", "Dorfcafé" und "Ausrutscher".

Beschaulicher geht es da schon in Partenen am Talschluss zu. Da sitzen in der kleinen Kapelle St. Martin an einem Abend Mitte Januar drei alte Frauen vor der Weihnachtskrippe und singen "Ihr Kinderlein kommet". Jeden Sonntag um Viertel vor neun kommt Pfarrer Joe zum Gottesdienst - und das blaue und das rote Skilehrergewand bleiben am Haken.

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