Frisch bezogen:Rauer Charme

In Niedersachsen verbindet ein Hotel Industriedesign mit Motorträumen.

Von Hannes Vollmuth

Wer sich mal davon überzeugen will, wie viel Kreativität in der so oft belächelten deutschen Provinz doch steckt, sollte jetzt nach Südniedersachsen fahren: nach Einbeck. In Einbeck, 33 000 Einwohner, hat gerade ein ziemlich ungewöhnliches Hotel aufgemacht, das auch noch zu dem neuen Automobil-Museum passt, das direkt gegenüber liegt. Für Südniedersachsen ist das besonders, und für den Rest der Republik übrigens auch.

Georg Rosentreter tänzelt in seinem neuen Hotel Freigeist das sehr offene Rohstahltreppenhaus hinauf. Oben angekommen, hat man wirklich den besten Blick über das, was hier geschehen ist: 22 Industrielampen hängen meterlang nach unten in die Lobby, historische Vespas kleben an der Wand aus Sichtbeton. Wenn man sich anstrengt, kann man sogar den Tisch sehen, den sie in den Eingangsbereich geschoben haben, eigentlich ein quergelegter Flugzeugmotor in Sternform, sie haben eine dicke Glasplatte draufgeschraubt. Rosentreter, der Hotelbetreiber, sieht aus, als habe er gerade ohne Helm eine Motorradspritztour ums Haus gemacht. Er sagt: "Für Einbeck ist das schon ein Highlight."

Wie andere Kleinstädte hat natürlich auch Einbeck mit Schwund zu kämpfen. Und viele Besucher lockt man mit Bockbier, Fachwerk und Saatzucht auch nicht hierher. "Es gibt noch nicht mal einen Tourismusverband", sagt Rosentreter. Vor drei Jahren hat er sich mit seinem Mitgesellschafter Carl Graf von Hardenberg hingesetzt und überlegt, welches Hotel in diese Kleinstadt passt. Ziemlich schnell war ihnen klar: Es soll männlich rüberkommen, nach Industriedesign aussehen, muss bodenständig wirken wie Einbeck, aber trotzdem so auffällig sein, dass man dafür extra hierher kommen will.

Dieser Vorsatz ist den Hotel-Machern geglückt. Das Hotel Freigeist wirkt, als hätte sich ein sehr begabter Innenarchitekt ausgetobt, der als kleiner Junge mal Automechaniker werden wollte. In der Bar stehen alle paar Meter Zehn-Liter-Öl-Kanister, in denen man Weinflaschen kühlen kann. Der Boden ist aus Eiche, der Polsterstoff der Sitzsofas inspiriert vom VW-Bus T2 Westfalia. Biegt man am Panorama-Kamin nach rechts ab, stößt man auf ein Garagentor, das tatsächlich hoch- und runtergelassen werden kann; die Baugenehmigung habe eine Ewigkeit gedauert, erzählt Rosentreter. Durch das Tor hat das Hotel einen abtrennbaren Raum für - sagen wir - Fußballabende, das Bier wird dann in einem Schubkarren hereingebracht. Weil in der Garage auch noch alte Motorrad-Reifen aus Indien an der Wand hängen, gleich neben dem DDR-Schiffstelefon aus Bakelit, riecht die Luft dort auch ganz dezent nach Motoröl. "Das gefällt übrigens auch Frauen", sagt Rosentreter. Menschen, die ihren Autos Namen geben, sollten mal nach Einbeck kommen.

Rosentreter ist jetzt auf der Dachterrasse angekommen, knöpft das Sakko zu und zeigt auf die, nun ja, Skyline von Einbeck, die vor allem aus den Türmen des Kornspeichers gleich gegenüber besteht. Inzwischen beherbergt der Kornspeicher den PS-Speicher: die zweite große Attraktion, die Einbeck seit Kurzem anpreisen kann, und die mit der ersten, dem Hotel Freigeist, brüderlich verbunden ist.

Einbeck hat jetzt nämlich nicht nur ein neues Hotel. Die Kleinstadt besitzt jetzt auch ein neues Motorrad- und Automobil-Museum, im Vergleich zu dem das Verkehrszentrum des Deutschen Museums wie ein mausgraues Blechdepot wirkt. Für 25 Millionen Euro und mit der Hilfe der Einbecker ist hier etwas entstanden, das mit dem Wort Museum nur unzureichend beschrieben ist. Es ist ein Erlebnis, wie man es nur selten hat: Alles ist interaktiv, zum Anfassen, zum Erleben und Schwelgen. Fast zu jedem Jahrzehnt gibt es nachgebaute Straßenszenen, durch die man einfach schlendern kann.

Die Macher des Freigeist-Hotels haben ihr Haus direkt auf den PS-Speichers abgestimmt. Man kann von dem einen also nicht sprechen, ohne auch das andere zu erwähnen. Museum und Hotel, das ist eine Einheit, was auch mit Exponaten zu tun hat, die nicht im Museum, dafür aber im Hotel zu sehen sind: Auf eine BMW Isetta haben sie im Hotel einen Kaffeeautomaten gepackt. Acht Millionen Euro habe das Hotel gekostet, sagt Rosentreter, ganz genau will er sich aber nicht festlegen.

Nachts, im Bett, stört die Musik aus der Lobby etwas, die ins Zimmer aufsteigt. Am Morgen aber, auf dem Weg zum Frühstück, freut man sich wieder über die Schilder zur Toilette, "Zum Klo" steht da. "Wir sind in Einbeck", sagt Rosentreter, "nicht in Berlin-Kreuzberg." Gut so.

Freigeist Hotel Einbeck, Tiedexer Tor 5, 37574 Einbeck, Tel.: 05561/319 99 70, E-Mail: info@freigeist-einbeck.de, www.freigeist-einbeck.de. Preis fürs Doppelzimmer ab 126 Euro. PS Speicher: www.ps-speicher.de.

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