Frisch bezogen:Mit Tuchfühlung

Lesezeit: 3 min

Das Gewandhaus in Dresden war schon Fleischhalle und Bank. Nun wurde das Hotel umgebaut, um es im hart umkämpften Markt der Stadt attraktiver zu machen.

Von Cornelius Pollmer

Dresden und die Hotels, das ist die Geschichte einer gefühlten Anomalie, und zwar folgender: Seit Jahren beklagen die Hoteliers in der Lokalzeitung Überkapazitäten, und nicht selten kommt es vor, dass man am nächsten Tag in derselben Zeitung liest, demnächst werde da oder dort ein weiteres Haus eröffnen. Zwar wächst auch die Zahl der Touristen seit Jahren, aber die der Hotelbetten wächst einfach schneller. Die Summe dieser Betten hat sich allein seit 2002 von 11 000 auf fast 23 000 mehr als verdoppelt. Pro verfügbarem Bett werden im Durchschnitt 45 Euro erlöst, fast keine andere größere Stadt erreicht bundesweit einen so kümmerlichen Wert. Der Markt ist also schon auf der Angebotsseite schwierig. Und dann? Dann begann Pegida, immer wieder montags durch die Straßen zu wabern. Seitdem müssen die Hoteliers nun auch noch bei der Nachfrage mit Schwierigkeiten rechnen.

Fragt man Florian Leisentritt nach Pegida und den Folgen, dann ist seine erste Assoziation dennoch eine irgendwie positive. "Wir haben eine relativ günstige Zeit für unseren Umbau gewählt", sagt der alte und neue Direktor des Hotels im Dresdner Gewandhaus. Bis zum Jahresende gehörte dieses zur Radisson-Gruppe, Anfang April eröffnete es als Seaside-Hotel. In die Zeit dazwischen fiel die allergrößte Aufregung um Pegida.

So ein Betreiberwechsel kann eine Raider-Twix-Rochade sein, bei der sich nicht viel mehr ändert als das Türschild. Im Gewandhaus aber wurde zum einen wesentlich umgebaut, und zum anderen Nachsorge auch im Detail betrieben. Leisentritt ist nach dem Innenumbau die "sehr, sehr umfangreiche Checkliste" für den Wandel durchgegangen, von Kostümen bis zu Broschüren. Als besonders aufwendig erwies sich der Wechsel in seinen virtuellen Sphären. Die Gäste besuchen ein Hotel heute ja in aller Regel online, bevor sie in echt kommen. Und weil es im Netz keinen Nachsendeauftrag gibt, sagt Florian Leisentritt, musste man auf etwa "100 passwortgeschützten Internetseiten die neuen Hoteldaten händisch eintragen".

Ein sauberes und hochwertiges Haus mit Geschichte: das Gewandhaus Dresden. (Foto: Ulrich Helweg)

Zu den neuen Datensätzen gehört das Wort "Meatery", das Restaurant des Hotels, welches dem Namen nach beabsichtigt, dass Menschen hier gemeinsam Fleisch essen. Dass ein Besuch dort auch alleine lohnt, erahnt man schon beim Blick in die Vitrine im Gastraum, sie ist eine Art Showroom für das Weiderind, das sich in einer eigenen Reifezelle heranentwickeln soll. Aus der Vitrine nun lugt nicht etwa das ganze Tier, es lagert dort Rücken und mehr. In den Frühstücksstunden wird der Blick darauf von einer Jalousie verdeckt, aber am Abend, wenn der Magen nicht mehr nüchtern ist und wenn Schnäppchenjäger und Erinnerungssammler aus der Stadt zurückgekehrt sind, liegt der Rücken wie Reklame im beleuchteten Schaukasten. Es gibt in der "Meatery" auch Fleisch aus Nord- und Südamerika, der Star aber ist das Weiderind aus Niedersachsen. Und nicht nur das Fleisch des Verzehrten soll aus der Nähe kommen, auch die Verzehrenden. 60 bis 70 Prozent der Restaurantgäste möchte Leisentritt in der Stadt gewinnen. Die "Meatery" öffnet sich deswegen zur Weißen Gasse hin, jenem Restaurant-Nukleus in der Innenstadt mit - hallo Überkapazitäten! - allein 1100 Terrassenplätzen. Auf eher engerem Raum wird hier das Tiki-Taka-Spiel um Touristen besonders kompetitiv ausgefochten.

Mit den lokalen Lokalgästen scheint es aber schon mal ganz gut zu funktionieren, denn wenn man am späten Abend kurz zum Nachbartisch linst, sieht man vier Menschen vor je einem 43-Euro-Stück Fleisch sitzen, dem gesprochenen Wort zufolge kommen sie eineindeutig aus der Region. Einer der Ihren berichtet von seiner Vorliebe für Aldi und die dort vorrätigen Eberswalder Würstchen. Ein anderer will aus seinem Fleisch Thymian herausgeschmeckt haben und führt sogleich ein in die Details des Sächsischen, in dem T und D oft ähnlich weich klingen, was gelegentlich die Präzisierung des Ts erforderlich mache, und zwar als "Dhymian-D".

Herrschaftliches Ambiente: Das Dresdner Gewandhaus, errichtet um 1770, ist seit 1967 ein Hotel. Das barocke Gebäude wurde im Palais-Stil erbaut. (Foto: Ulrich Helweg)

Höchste Zeit, noch ein Brooklyn-Lager zu ordern und sich über die Welt zu wundern. Das Bier wird hier mit einem "Imported"-Aufkleber und Stolz gereicht, ergänzt um den Hinweis, dass es sich um ein Getränk der Radeberger-Gruppe handele. Man sitzt also in der Residenzstadt, nur 17 Kilometer von Radeberg entfernt, und trinkt ein Importbier, das qua Firmenkonstrukt irgendwie auch lokal ist. Vermutlich sieht so Globalisierung aus. Eine kleine Hilfe ist es schon, sein Unverständnis darüber mit einem Premium-Lager wegspülen zu können. Zur anderen Seite wird sich das Gewandhaus auch bald öffnen, mit einem Kuchen-Atelier. Und was man in den oberen Stockwerken so sieht, ist schlicht und wenig aufregend das, was man als Gast eines Fünf-Sterne-Boutique-Hotels vermutlich erwartet: ein sauberes und hochwertiges Haus mit Geschichte.

Aber was für eine Geschichte. Händler trugen hier Tuch und Fleisch zu Markte, später zog die Stadtbank ein, und heute noch lässt sich, im Keller des Hotels, ein Stück der Dresdner Stadtmauer besichtigten. Darüber: 97 Zimmer mit 35 verschiedenen Grundrissen. In 80 davon warten whirlpoolige Badewannen auf Kundschaft, und das fein in die Bettköpfe gestickte G erinnert nur dann an die unheilige Batman-Stadt Gotham, wenn man nachts kurz aus einem irrigen Traum erwacht. "Moderner Barock" lautet das von Leisentritt gewählte "Wording" für die stilistische Hochzeit, die er im Gewandhaus feiern möchte. Mal funktioniert das, wie im bezaubernden Atrium und seinen Fluchten. Mal heißt es auch einfach nur, dass in der Lobby ein schwarzer Flügel steht, an dessen Seite ein goldener Aufkleber pappt: "Made in Japan".

Neue Bezüge: Händler trugen hier Tuch und Fleisch zu Markte, später zog die Stadtbank ein, nun die Gäste - hoffentlich. (Foto: Ulrich Helweg; Gewandhaus Dresden)

Gewandhaus Dresden, Ringstraße 1, Tel.: 0351/ 49 49 55, zwei Personen im DZ ab 159 Euro pro Nacht, www.gewandhaus-hotel.de

© SZ vom 11.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: