Warnemünde an der Ostsee:Es rappelt in der Kiste

Noch wirkt Warnemünde etwas unentschieden zwischen Seebad-Piefigkeit und Surfer-Freigeist. Nun hat am Hafen ein Hostel aus gestapelten Containern eröffnet - und soll für Aufbruchsstimmung sorgen.

Von Thomas Hahn

Morgens nach dem Aufwachen im Dock Inn am Hafen von Warnemünde fällt der Blick vom Bett an der Schrankwand vorbei in den schmalen Gang, der zur Glastür hinführt. Dann zur Decke. Dann zur gläsernen Rückwand des Zimmers, das früher mal ein Seefracht-Container nach ISO-Norm war: 12,192 Meter lang, 2,438 Meter breit, 2,591 Meter hoch. Und wenn man da so liegt, kann es passieren, dass in der Fantasie ein Kran nach dem Zimmer greift und es mit seinem ganzen Inhalt, mit dem Gast, mit dem kleinen Bad, mit der Couch am Eingang, mit dem Fernseher, schwankend rüberhebt auf ein Schiff, das im Hafen liegt. Für eine Reise über die Ostsee in die weite Welt hinein.

Ein gutes Hotel setzt seine Gäste in die Kulissen eines anderen Lebens, es weitet ihre Vorstellung. So würde das zumindest Dock-Inn-Geschäftsführer Christoph Krause, 34 Jahre alt, sagen, der mit seiner Kollegin Anne Christin Mählitz, 30, dafür verantwortlich ist, dass auf dem ehemaligen Bahn-Gelände am Warnemünder Hafen Deutschlands erste Unterkunft aus Containern entstanden ist. Krause ist ein studierter Hotelfachmann, er beherrscht die Sprache des Geschäfts, in der es so Ausdrücke wie "Lifestyle-affines Publikum" oder "Produktdifferenzierung" gibt.

Aber man kann sich mit ihm auch über Leben und Langeweile auf Reisen unterhalten, über den gesichtslosen Luxus mancher Viel-Sterne-Hotels und den Wert einer Schlichtheit, die Gäste mit dem Rest der Welt verbindet. Krause und Mählitz haben ihr Tourismus-Studium auch in Argentinien und Neuseeland betrieben und waren selbst viel mit dem Rucksack unterwegs. Das Dock Inn ist sozusagen die Essenz aus eigenen Reise-Erfahrungen und dem Wissen um die Lücken am Tourismus-Markt: Ihre Unterkunft soll ein Erlebnisraum sein, der Menschen zusammenbringt und sich einfügt ins Landschaftsbild. "Die Leute suchen Geschichten und Authentizität", sagt Krause, "wir wollten das Standort-Bild spiegeln, aufgreifen und weitererzählen."

Deshalb sollte das Dock Inn aussehen wie ein Block aus übereinandergestapelten Stahl-Containern. Deshalb wollten sie keine klassische Lage am Strand, sondern den Platz mit Blick auf die Kranbrücke der Warnow-Werft. Deshalb ist ihr Unternehmen kein klassisches Hotel, sondern ein Hostel mit Gemeinschaftsküche und Nachhaltigkeitsanspruch. In den Schlaf-Containern ist wenig Platz, es lockt die große Eingangshalle mit Kickertisch, Spielesammlungen, Sitzecken, Vinyl-Plattenspieler, E-Gitarre zum Selberspielen. Unisex-Toiletten für alle Geschlechter inklusive Transgender sind da, und im Kino-Container läuft dieser Tage die abschiebungskritische Dokumentation "Deportation Class".

So etwas ist neu an der Ostsee und bricht mit dem Mecklenburg-Vorpommern-Klischee. Das dünn besiedelte Bundesland gilt nicht gerade als weltoffen. Die AfD ist hier zweitstärkste Fraktion im Landtag. In Rostock, der größten Stadt des Landes, einst industrieller Hotspot der DDR, ist schon so mancher Querdenker gescheitert. Und der Stadtteil Warnemünde ist symbolträchtig: Im Hotel Neptun, das als exklusive Gästeburg am Strand aufragt, wohnte man schon zu DDR-Zeiten auf Weststandard. Die Stasi konnte hier Auslandsgäste bespitzeln, und der Devisen-Beschaffer Alexander Schalck-Golodkowski netzwerkelte mit allen Schikanen.

Nach dem Mauerfall begann eine bewegte Geschichte zwischen Niedergang und Aufbau. Werften gingen kaputt, der Tourismus machte Fortschritte, und als die Geschäfte wieder halbwegs liefen, folgte eine Phase des Durchschnaufens. "Es gab eine konstante Marktlage, aber auch eine geringe touristische Dynamik", sagt Tobias Woitendorf, stellvertretender Geschäftsführer des Tourismusverbandes Mecklenburg-Vorpommern. Jetzt hat er das Gefühl, dass sich etwas rührt. Das Dock Inn sei "Vorbote einer Aufbruchsstimmung".

Wozu genau diese Aufbruchsstimmung führt, weiß Woitendorf noch nicht genau. Vorerst wirkt Warnemünde noch etwas unentschieden zwischen blütenweißer Seebad-Piefigkeit und lässigem Surfer-Freigeist. Vielleicht ist das Dock Inn in dieser Hinsicht tatsächlich der Ausgangspunkt eines neuen, wachsenden Warnemünde-Gefühls. "Wir haben den Anspruch, uns Themen der Zeit zu öffnen", sagt Krause, "das ist für uns selbstverständlich, und für unsere Zielgruppe auch." Das Dock Inn soll ein spannender Ort für weit gereiste Ex-Backpacker sein, die aus dem Rucksack-Alter raus sind, aber immer noch ungern von goldenen Tellern essen. "Flashpacker" heiße diese Zielgruppe, sagt Krause und lächelt.

Ein paar Arbeiten laufen noch, die Gemeinschaftsküche ist zum Beispiel noch nicht fertig. Aber die ersten Wochen nach der Eröffnung im April hat Krause als Bestätigung erlebt. Angst hat er ohnehin keine. Mit Angst hätten er und Anne Christin Mählitz auch nicht die verschiedenen Widerstände auf dem Weg zum Dock Inn überwinden können: Zweifel von Lokalpolitikern, Skepsis von potenziellen Investoren, Bedenken von Architekten.

Die 86 alten Container zu bekommen, war nicht schwierig; weniger als 2000 Euro pro Stück zahlten sie, um die alten Seefrachtbehälter am Hamburger Hafen vor dem Schrottplatz zu bewahren. Aber das deutsche Baurecht machte es nicht leicht, daraus eine Unterkunft mit 64 Zimmern zu schaffen: Schallschutz, Brandschutz, Wärmeisolierung - alles erforderte detailreiche Lösungen. Ein vielschichtiger Hightech-Wandaufbau verkleidet die Container von innen, so dass sie gedämmt, aber nicht schmaler als 2,20 Meter sind. Allein der Rostschutz für die Stahlwände war teuer und aufwendig. Die Jahre nach der Gründung der Dock Inn GmbH 2012 waren anstrengend. Krause sagt: "Da steckt viel Euphorie drin, viel Stolz, aber auch viel Niedergeschlagenheit." Jetzt lebt die Idee, und es ist wahr, dass sie bei manchen Gästen schon am Morgen die Fantasie anregt.

Dock Inn Hostel: Übernachtung ab 19 Euro pro Person im Mehrbettzimmer, ab 29 Euro im Zweibettzimmer, ab 49 Euro für Alleinreisende. An Wochenenden und je nach Nachfrage kann es teurer werden. In der Nähe sind der S-Bahnhof Warnemünde Werft und ein Fernbus-Stopp, www.dock-inn.de

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