Freiwilligenarbeit in Costa Rica:Horrortrip ins Paradies

Freiwilligenarbeit in Costa Rica: "Ich war noch nie so glücklich, und ich hatte noch nie solche Angst." Medienkaufmann Lars Ahnfeldt mit tierischen Freunden in Costa Rica.

"Ich war noch nie so glücklich, und ich hatte noch nie solche Angst." Medienkaufmann Lars Ahnfeldt mit tierischen Freunden in Costa Rica.

(Foto: oh)

Urlaub machen und dabei Gutes tun - das klingt toll. Tatsächlich ist "Voluntourismus" ein Riesenmarkt. Doch so eine Reise kann auch schnell zum Horrortrip werden. Die Geschichte eines jungen Mannes aus Hamburg.

Von Sebastian Schoepp

Lars Ahnfeldt liebt die Natur und Tiere. Er ist Vegetarier und engagiert sich bei einer Tierschutzorganisation. Was wäre also naheliegender, als, "bevor ich so richtig in den Beruf abtauche", eine intensive Zeit in der Natur eines fernen Landes zu verbringen? Dort kann man sicher Gutes tun, dachte sich der 27-jährige gelernte Medienkaufmann aus Hamburg.

Für Leute wie ihn gibt es Tausende Angebote: Einmal googeln und man kann via Callcenter und Kreditkarte in Afrika Elefantenbabys pflegen, in Peru Bäume pflanzen oder in Neuguinea Waisenkinder betreuen - und nachher feine Facebook-Fotos vorzeigen.

"Voluntourismus" heißt dieser gewaltige Markt sinnstiftender Freizeitbeschäftigung, abgeleitet von "volunteer", Freiwilliger. Billig ist es nicht. Für drei Wochen Volontärs-Ferien in Afrika kann man leicht so viel zahlen wie für eine Luxuskreuzfahrt. Und im schlimmsten Fall einen Horrortrip erleben. So wie Lars Ahnfeldt.

Ahnfeldt entschied sich für Costa Rica. Er wollte drei Wochen in einem Öko-Camp nahe der Karibikküste aushelfen, wo verletzte Tiere aus dem Urwald gepflegt werden, "eine Empfehlung um drei Ecken und auch nicht so teuer", wie er sagt. Fotos des Anbieters auf Facebook zeigen weißhäutige Mädchen mit supersüßen Äffchen auf dem Arm, es gibt Faultiere, Papageien, Eulen, Eidechsen. Ahnfeldt war begeistert: "Ich konnte leben, wie die Natur es vorgibt, ohne WhatsApp und solche Sachen."

Was er nicht wusste: Der Ort, den er sich ausgesucht hatte, liegt in einem tödlichen Spannungsfeld. Die costaricanische Karibik-Region mit ihrer Meeres- und Urwaldfauna ist einer der artenreichsten des Planeten. Gleichzeitig jedoch ist der wilde, wenig bewachte Küstenstreifen ein Einfallstor für Drogen aus Südamerika, die von dort auf die Reise in die USA geschickt werden. Naturschützer kommen im schlimmsten Fall Drogenbanden in die Quere - oder armen Einheimischen, die verbotenerweise Schildkröteneier sammeln. Die sind zwar geschützt, aber in der Landesküche - beträufelt mit Limettensaft und scharfer Soße - heiß begehrt.

Tod am Schildkrötenstrand

Für Schildkröten im Camp zuständig war Jairo Mora Sandoval, ein junger Costaricaner, der den Volunteers gerne die Orte zeigte, wo die Meerestiere an Land kommen, um ihre Eier abzulegen. "Allerdings lief gerade nichts, denn es war Wilderersaison", berichtet Ahnfeldt. Das Ehepaar, das das Camp betreibt, hatte ausdrücklich verboten, nachts an den Strand zu gehen.

Trotzdem brach Mora Sandoval eines Abends mit drei ausländischen Mädchen im Jeep auf. Am nächsten Morgen war er tot, erschossen von Wilderern oder Drogenhändlern, die ihn wohl schon länger auf der Todesliste hatten. Es gibt ein Bild, der Moras verlassenen Wagen am Strand zeigt, "unserem Strand", wie Ahnfeldt sagt. Die Täter sind bis heute nicht gefunden. Moras drei Begleiterinnen wurden entführt, konnten aber fliehen und kamen völlig verstört ins Camp zurück. "Sie haben nicht mehr mit uns geredet, ich glaube, sie fühlten sich schuldig", sagt Ahnfeldt. "Danach hielt ein Polizist mit MG vor unserem Fenster Wache." Für die Fahrt zum Strand gab es Patrouillen. Mädchen erlitten Zusammenbrüche. "Wir haben uns nicht mehr rausgetraut. Ich dachte: Wo bin ich? Es war die Hölle im Paradies." Man legte ihnen nahe abzureisen. Vorher gab es noch eine Trauerfeier für Mora Sandoval: "Wir haben Luftballons für ihn steigen lassen.

Hilflos gegenüber der Drogenmafia

Da Costa Rica bei Volunteers aus den USA beliebt ist, berichtete die amerikanische Presse groß über den Mord. In seinem Heimatland ist Mora Sandoval inzwischen eine Art Märtyrer. Der Fall ist ein Politikum, es gibt Demonstrationen, die ein härteres Einschreiten gegen die Drogenmafia fordern. Doch wie hilflos der Staat ist, das hat Präsidentin Laura Chinchilla vor geraumer Zeit angedeutet: Die Drogenmafia könne mit ihren Gewinnen ganze Länder kaufen. Costa Rica hat keine Armee, die Polizei ist der Mafia an Bewaffnung unterlegen.

Nun sitzt Ahnfeldt zu Hause im behüteten Hamburger Norden und versucht zu begreifen, was ihm passiert ist. Zusammenfassend sagt er über Costa Rica: "Ich war noch nie so glücklich, und ich hatte noch nie solche Angst." Man könnte sagen: Ahnfeldt hat auf unfreiwillige Weise ein sehr typisches lateinamerikanisches Lebensgefühl kennengelernt. Er fragt sich nun, ob es nicht naiv war, ohne Vorbereitung und mit wenig Sprachkenntnissen aufzubrechen. "Ich wusste, dass Costa Rica ein Dritte-Welt-Land ist, aber ich wusste nicht, dass es so gefährlich ist." Trotzdem: "Ich würde jederzeit wieder hinfahren." Aber jetzt mit einer anderen Einstellung.

Wie kann so etwas überhaupt passieren in einer Zeit, in der sich doch alles googeln lässt? Costa Rica hat eine englischsprachige Tageszeitung, auf deren Website das Drogenproblem thematisiert wird.

Werbelüge Ehrenamt und Urlaub

Google, das sei eben "eine surreale Welt, ohne Duft und Sinnlichkeit", sagt Karin Schüler, Leiterin der Abteilung Förderprogramme Freiwillige und Fachkräfte bei "Engagement Global", einer gemeinnützigen Organisation, die im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit für das Freiwilligenprogramm "Weltwärts" zuständig ist. Sie macht aus ihrer Skepsis gegen den "Voluntourismus" keinen Hehl. Auf die Frage, ob es nicht sich selbst gegenüber unverantwortlich sei, unvorbereitet ins Ausland zu gehen, antwortet sie: "Da will ich nicht widersprechen."

Engagement Global koordiniert das Programm "Weltwärts", bei dem Angebote von 180 anerkannten Entsendeorganisationen, Kirchen, Partnerschaften oder Dritte-Welt-Gruppen zusammenlaufen. Die Einsätze dauern sechs Monate bis zwei Jahre. Man wird eingehend vorbereitet in Lehrgängen, es gibt Supervision und Nachbereitung. Die Partnerorganisationen in den Zielländern sind sorgsam ausgewählt, die Einsatzorte vom Auswärtigen Amt abgesegnet. Das bietet nicht nur den Teilnehmern Schutz, es garantiert auch Seriosität. Und es kostet den Teilnehmern nichts, das Programm wird aus Steuergeld finanziert. Man kann Streetwork in Lima machen, Sportprojekte für benachteiligte Jugendliche in Südafrika oder bei einer Frauen-Kooperation in Indien mithelfen. 14.000 junge Leute hat "Weltwärts" in fünfeinhalb Jahren losgeschickt. Im günstigsten Fall mündet der Einsatz in ein weitergehendes Engagement in der Entwicklungszusammenarbeit.

Was man dabei lernt? "Dass die Welt nicht aus Urlaubszielen besteht, sondern aus vielfältigen Lebenswelten", sagt Schüler. In eine solche einzutauchen, erfordere Vorbereitung, "das ist lebensverändernd". Und wer nicht so viel Zeit hat? Karin Schüler findet: "Man sollte sich die Zeit nehmen." Ein kürzerer Aufenthalt sei nicht dienlich, auch nicht für die Partner vor Ort. Man wolle ja menschliche Beziehungen aufbauen. "Das geht nicht, wenn sich die Teilnehmer alle paar Wochen die Klinke in die Hand geben". Ganz entscheidend auch: Es werden nur Plätze geschaffen, die im Land keine Jobs wegnehmen.

Das ist mit ein Grund für die schlechte Stimmung in Costa Rica: Wie sollen die Einheimischen lernen, Schildkröten zu schützen, wenn die Gringos das tun und dafür noch zahlen? Karin Schüler hätte einen Alternativvorschlag für Leute wie Lars Ahnfeldt: ein "Weltwärts"-Projekt in Nicaragua, bei dem Volontäre Kinder Lust auf die Schule vermitteln und ihnen bei der Berufswahl helfen, damit sie keine Eier sammeln.

Eine sehr dezidierte Meinung zum "Voluntourismus" hat der Belgier Pierre de Hanscutter, ein Pionier für internationalen Jugendaustausch: "Dass man Ehrenamt und Urlaub sinnvoll verbinden kann, ist eine Werbelüge", schreibt er in einem Grundsatzartikel für die Zeitschrift des Instituts für Auslandsbeziehungen. "In Wahrheit werden dabei die schlimmsten Seiten von Freiwilligenarbeit und Tourismus kombiniert: sinnloses Engagement und geringer Komfort zum Preis eines Luxusurlaubs."

Wer Urlaub machen will, rät Pierre de Hanscutter, der solle sich einen Veranstalter mit ausgebildeten örtlichen Reiseleitern suchen. Dann bleibe auch das Geld im Land.

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